Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 8 KR 287/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 45/07 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Antragsgegnerin wird unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Bayreuth vom 14. November 2006 verpflichtet, vorläufig die Kosten der Behandlung mit dem Arzneimittel Trenantone nach Maßgabe ärztlicher Verordnungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache spätestens bis 31.12.2007 zu übernehmen.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 1937 geborene und bei der Antragsgegnerin in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversicherte Antragsteller leidet nach dem ärztlichen Attest der H.-Klinik (Bad M.), die als Vorsorge- oder Rehabiliationseinrichtung als zugelassen gilt, vom 07.10.2005 an einem dringenden Verdacht auf Prostatakarzinom seit März 1998. Ferner bestehen bei ihm eine coronare Herzkrankheit, Zustand nach Mammariabypass, Zustand nach dreifachem aortokoronarem Venenbypass, Zustand nach Myokardinfarkt und PTCA 1986/87, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Periarthritis humeroscapularis rechts, chronisches HWS-Beschwerden und LWS-Syndrom.
Im Jahr 1996 wurde aufgrund eines kontinuierlichen Anstiegs des Laborwertes PSA (prostataspezifisches Antigen) und sonographischer Untersuchungen eine tumoröse Veränderung in der Prostata festgestellt. Aufgrund des deutlich erhöhten Operationsrisikos bei ausgeprägtem kardiovaskulären Hochrisikoprofil, Zustand nach Myokardinfarkt wurde primär von einer operativen Therapie abgeraten. Bei dem Antragsteller wurde stattdessen mit einer intensiven immunbiologischen Therapie und einer Antiandrogentherapie begonnen, die zu einem raschen Rückgang und einer Normalisierung des PSA führte; sonographisch ließen sich tumoröse Veränderungen in der Prostata nicht mehr nachweisen. Nach einer Unterbrechung der Antiandrogentherapie im Jahre 2001 kam es wieder zu einem deutlichen Anstieg des PSA. Im Anschluss an die Wiederaufnahme der Arzneimitteltherapie mit Trenantone sank der PSA in den unteren Normbereich. Nach Ansicht der Ärzte der H.-Klinik habe sich die Behandlung bis jetzt lebensverlängernd ausgewirkt und die Lebensqualität des Antragstellers erheblich verbessert. Auch derzeit (Oktober 2005) sei aufgrund der deutlichen Verschlechterung der coronaren Herzkrankheit eine operative Therapie des Prostatakarzinoms nicht möglich, eine Strahlentherapie würde zu einer Verschlechterung der Lebensqualität führen und die Antiöstrogentherapie mit Trenantone dennoch nicht überflüssig machen. Eine alternative Chemotherapie wäre, wenn überhaupt, nur sehr kurz wirksam und hätte eine noch stärkere Beeinträchtigung der Lebensqualität zur Folge. Die Klinik empfahl weiterhin eine immunbiologische Therapie mit mehreren Medikamenten, die der Antragsteller seit längerem selbst bezahlt sowie die subkutane Injektion mit Trenantone. Die Antragsgegnerin habe seit Jahren die Kosten der Behandlung mit Trenantone-Spritzen übernommen.
Der von der Antragsgegnerin gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) bezeichnete in der Stellungnahme vom 17.11.2005 Trenantone als zugelassenes Medikament, das bei Indikation auf Kassenrezept verordnet werden könne. Nach einem Hinweis der Antragsgegnerin vom 03.01.2006 auf die fehlende Indikation für die Anwendung von Trenantone ließ der Antragsteller über seinen Hausarzt am 13.01.2006 bei der Antragsgegnerin die Genehmigung für die Verordnung des Arzneimittels außerhalb der Zulassung (Off-label-use) beantragen. Der MDK verneinte in der Stellungnahme vom 17.01.2006 eine medizinische Indikation. Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid der 19.01.2006 die Kostenübernahme für Trenantone-Spritzen außerhalb der Zulassung ab. Der Antragsteller legte die Sachkostenrechnung der H. Klinik über die Behandlung mit einer Trenantone-Zweikammerspritze (493,33 Euro) vom 05.02.2006 vor und ließ durch seinen Bevollmächtigten am 15.02.2006 gegen den Bescheid Widerspruch einlegen.
Der erneut gehörte MDK hielt in der gutachtlichen Stellungnahme vom 17.05.2006 (nach Aktenlage) auch trotz fehlender histologischer Diagnostik mittels Biopsie das Vorliegen eines Prostatakarzinoms für wahrscheinlich; es handle sich um eine potentiell lebensbedrohliche Krebserkrankung. Wegen der fehlenden Differenzierung zwischen dem lokal begrenzten und fortgeschrittenen Prostatakarzinom sei ein Off-label-use gegeben. Hingegen seien die weiteren Voraussetzungen für Kostenübernahme bei einem Off-label-use von Trenantone nicht erfüllt, da andere praktikable Therapieoptionen zur Heilung des Krebsleidens zur Verfügung stünden. Der Antragsteller legte eine weitere Rechnung der H. Klinik vom 10.06.2006 über die Behandlung mit einer Trenantone Zweikammerspritze vor (511,37 Euro).
Die Antragsgegnerin wies mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2006 den Widerspruch zurück. Nach den Stellungnahmen des MDK seien die Voraussetzungen für einen Off-label-use für Trenantone nicht gegeben. Zur Behandlung eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms sei Trenantone nicht vorgesehen und die nachgewiesene Form des Karzinoms könne anders behandelt werden.
Der Antragsteller hat hiergegen am 24.08.2006 beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage erhoben und am 25.09.2006 auch den Erlass einer einstweiligen Anordnung der Kostenübernahme für Trenantone-Spritzen beantragen lassen. Die behandelnden Ärzte der Klinik hätten aufgrund der nachgewiesenen Wirksamkeit Trenantone weiter verordnet. Es handle sich um eine unverzichtbare und erwissenermaßen wirksame Therapie, die auch beim lokal begrenzte Prostatakarzinom wirksam sei. Die anderen Therapieoptionen (operativer Eingriff/Strahlentherapie) seien beim Antragsteller nicht oder nur unter erheblichem Risiko durchzuführen. Die Antragsgegnerin sei daher verpflichtet, die Kosten der Therapie wenigstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu übernehmen. Er hat die weitere Rechnung der H.-Klinik vom 28.09.2006 über die Behandlung mit einer Trenantone-Zweikammerspritze (511,37 Euro) vorgelegt.
Das SG hat mit Beschluss vom 14.11.2006 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es sei weder ein Anordnungsanspruch, noch ein Anordnungsgrund gegeben. Auch wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Prostatakarzinom, das eine schwerwiegende Erkrankung sei, beim Antragsteller vorliege, sei die Indikation für Trenantone nicht eindeutig geklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei für einen Off-label-use neben dem Nachweis einer schwerwiegenden Erkrankung erforderlich, dass keine andere Therapie zur Verfügung steht und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Aufgrund der Stellungnahme des MDK komme beim Antragsteller ein operativer Eingriff infrage, eine externe Strahlentherapie oder die interstitielle Brachytherapie. Dem Antragsteller sei überdies zuzumuten, das begehrte Medikament zunächst selbst zu beschaffen und im Rahmen des Hauptsacheverfahrens die Kostenerstattung geltend zu machen. Es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Kosten für die Beschaffung des Medikaments von ca. 500,00 Euro je Quartal den Antragsteller in eine finanzielle Notlage bringen würde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 14.11.2006, mit der er wieder geltend macht, der bisherige Behandlungserfolg belege die Wirksamkeit der Therapie mit Trenantone-Spritzen, andere Behandlungsmöglichkeiten seien ihm nicht zuzumuten. Den vorgelegten Unterlagen über sein Einkommen und seine Ausgaben sei zu entnehmen, dass die Beschaffung des Medikaments in Höhe von über 500,00 Euro für ihn eine außergewöhnliche Belastung sei. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach der Stellungnahmen des MDK seien die Voraussetzungen für einen Off-label-use von Trentantone nicht gegeben.
Beigezogen wurden die Akten des SG und der Antragsgegnerin, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (§ 172, 173, 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig.
Sie ist zum Teil begründet, so dass der angefochtene Beschluss abzuändern war. Die Antragsgegnerin ist im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten der Weiterbehandlung mit Trenantone-Spritzen nach Maßgabe ärztlicher Verordnungen vorläufig bis zu einer Entscheidung des SG in der Hauptsache zu übernehmen bzw. dem Ablauf des Jahres 2007.
Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Beide Arten der einstweiligen Anordnung setzen, wie das SG zu Recht ausgeführt hat, einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Der Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht. Er ist identisch mit dem auch im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiellen Anspruch. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit (Dringlichkeit) der begehrten Sicherung oder Regelung. Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind vorliegend gegeben. Aufgrund der Prüfung der Sach- und Rechtslage kommt der Senat zum Ergebnis, dass die Antragsgegnerin zumindest für eine begrenzte Zeit zur Kostenübernahme der Weiterbehandlung des wahrscheinlich vorliegenden Prostatakarzinoms mit Trenantone-Spritzen verpflichtet ist.
Die unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gegebene Erläuterung des SG zu dem Anspruch auf Arzneimittelversorgung, auch bei zulassungsüberschreitender Anwendung (Off-label-use), ist nicht zu beanstanden, jedoch setzt das SG hier zu enge Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zum vorläufigen Rechtschutz bei der Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten bzw. existenziell bedeutsamen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für Recht erkannt, dass die Gerichte hier die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen haben. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand eine Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (z.B. Bundesverfassungsgericht vom 22.11.2002 NJW 2003, S. 1236; Beschluss vom 19.03.2004, NJW 2004, S. 3100; Beschluss vom 06.02.2007 1 BVR 3101/06).
Es geht im vorliegenden Verfahren aufgrund des Regelungszwecks des vorläufigen Rechtsschutzes in Bezug auf das Hauptsacheverfahren allein um die künftige Kostenübernahme für die Behandlung mit Trenantone-Spritzen nach Maßgabe ärztlicher Verordnungen , aber nicht um die Erstattung der vom Antragsteller bisher verauslagten Kosten für dieses Medikament.
Der Anordnungsanspruch des Antragstellers ergibt sich aus § 27 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V), wonach Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Hierzu regelt § 31 Abs. 1 SGB V, dass Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln haben, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung - "Arzneimittel-Richtlinien/AMR" i.d.F. vom 31.08.1993, zuletzt geändert am 17.10.2006) ausgeschlossen sind. Es handelt sich bei dem Medikament unstreitig um ein zugelassenes, apothekenpflichtiges Arzneimittel, nach den Angaben in der Roten Liste (http:\\www.rote-liste.de/online) um eine Zweikammerspritze mit Retardmikrokapseln und Suspensionsmittel. Der Anwendungsbereich besteht bei Männern in der symptomatischen Behandlung des fortgeschrittenen hormonabhängigen Prostatakarzinoms und in der Prüfung der Hormonempfindlichkeit eines Prostatakarzinoms zur Beurteilung der Notwendigkeit von hormonsupprimierenden/hormonablativen Maßnahmen. Auch wenn für den Inhalt der Zulassung die Rote Liste nicht maßgeblich ist (BSG vom 31.05.2006 B 6 KA 53/05 B), geht der Senat aufgrund der Eilbedürftigkeit von diesem Anwendungsbereich aus.
Wie das SG unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des MDK zu Recht ausgeführt hat, ist mangels genauer Diagnostik beim Antragsteller nicht mit Gewissheit geklärt, in welchem Stadium sich das Prostatakarzinom befindet. Damit lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob ein fortgeschrittenes Prostatakarzinom beim Antragsteller vorliegt. Hierauf kommt es im vorliegenden Eilverfahren aber nicht an, da hier die Voraussetzungen für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Trenantone-Spritzen vorliegen. Auch wenn ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (Off-label-use), hat das BSG (mit dem bereits im Antragsverfahren herangezogenen) Urteil vom 19.03.2002 (SozR 3-2500 § 31 Nr. 8 = BSGE 89, 184 = NJW 2003, S. 460) ausgeführt, dass von diesem Grundsatz ausnahmsweise abgewichen werden kann, wenn es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Die vom Bundesausschuss erlassenen Beschlüsse zum Off-label-use (Arzneimittel-Richtlinien/Anlage 9, Teil A), die bestimmte Arzneimittel in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten als verordnungsfähig aufzählt, sind nicht einschlägig, wie sich aus den genannten Off-label-Indikationen ergibt.
Es ist zwischen den Beteiligten aufgrund der Stellungnahmen des MDK nicht streitig, dass der Antragsteller an einer schweren Krankheit leidet. Entgegen dem SG und der Antragsgegnerin sind aber auch die übrigen genannten Voraussetzungen für den Off-label-use erfüllt. Es ist ausreichend glaubhaft gemacht worden, dass für die ausreichende, zweckmäßige und der medizinischen Notwendigkeit entsprechende Behandlung des Prostatakarzinoms des Antragstellers nach den Regeln der ärztlichen Kunst (§§ 12 Abs. 1, 28 Abs. 1 SGB V) eine andere Therapie derzeit nicht in Betracht kommt. Nach Auffassung des Senats geht es hier nicht um anderweitige theoretische Behandlungsmöglichkeiten (Operation/Bestrahlungen/Chemotherapie), sondern es ist vielmehr auf die konkrete Behandlungssituation im gegenwärtigen Zeitpunkt abzustellen. Denn es muss berücksichtigt werden, dass der vom Gesetz global zugesagte Behandlungsanspruch gemäß § 27 Abs. 1 SGB V vom Vertragsarzt oder Arzt der ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen (z.B. Krankenhaus) anhand der einschlägigen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen und der übrigen vertraglichen Bestimmungen sowie den medizinischen Gegebenheiten des einzelnen Behandlungsfalles konkretisiert wird. Bei der stationären Krankenhausbehandlung erfolgt die medizinische Konkretisierung auf bestimmte Leistungen durch den Krankenhausarzt. Dies gilt insbesondere, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Fortsetzung einer seit Jahren durchgeführten Arzneimitteltherapie streitig ist. Von den genannten anderen Behandlungsmöglichkeiten haben die Ärzte der Klinik und die behandelnden Vertragsärzten des Antragstellers unter Abwägung der möglichen Vorteile und Risiken sowie Auswirkungen auf die Restgesundheit der jeweiligen Behandlungsmethode, vor allem im Hinblick auf die Herz- und Kreislauferkrankungen des Antragstellers, die Fortführung der Therapie mit dem Medikament Trenantone für medizinisch zweckmäßig gehalten.
Es besteht auch die begründete Aussicht, dass mit Trenantone ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Zum Nachweis dieser Voraussetzungen hat das BSG wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse gefordert, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Eine derartiger Nachweis "kann" nach dem BSG durch veröffentlichte Studien über die klinische Wirksamkeit im Rahmen eines Verfahrens der Erweiterung der Zulassung des Arzneimittels geführt werden. Es hat hierbei, abgesehen von dem Fall der Beantragung einer Erweiterung der Zulassung es auch als ausreichend bezeichnet, dass außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Dieser Frage kann im Hauptsacheverfahren näher nachgegangen werden, wie auch der nach anderen zugelassenen Behandlungsmethoden. Angesichts der Eilbedürftigkeit kommt im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes die Einholung eines medizinisch-wissenschaftlichen Anforderungen genügenden ärztlichen Sachverständigengutachtens (§ 106 SGG) nicht infrage. Der Senat geht aufgrund des ärztlichen Attests der Klinik vom 07.10.2005, in dem der bisherige Behandlungsverlauf und der Erfolg über den Einsatz von Trenantone bzw. die Auswirkungen bei einem Aussetzen der streitigen Therapie beschrieben sind, davon aus, dass auch weiterhin die begründete Aussicht eines zumindest palliativen Behandlungserfolgs besteht. Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass das BSG im Urteil vom 19.03.2002 (a.a.O.) die Nachweise für einen möglichen Behandlungserfolg nur beispielhaft, aber nicht abschließend dargestellt hat. Es ist daher, vor allem im Hinblick auf das Grundrecht des Antragstellers auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz) nicht ausgeschlossen, dass die Glaubhaftmachung eines Behandlungserfolgs auch mit anderen ärztlich dokumentierten Beweismitteln erfolgt.
Die Leistungspflicht der Antragsgegnerin hängt davon ab, dass das Medikament Trenantone ärztlich verordnet wird (§§ 31 Abs. 1, 73 Abs. 2 Nr. 7, 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V i.V.m. Abschnitt A Nr. 4 Arzneimittel-Richtlinien). Im Falle eines Off-label-use kann der Vertragsarzt für die Verordnung von Arzneimitteln, die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen sind, dem Patienten ein Privatrezept ausstellen und es diesem überlassen, sich bei der Krankenkasse um die Erstattung der Kosten zu bemühen (BSG vom 31.05.2006 B 6 KA 53/05 B).
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Er ist nach Auffassung der behandelnden Ärzte auf die Fortsetzung der Therapie angewiesen, deren laufende Kosten je Quartal angesichts der Höhe seiner Einkünfte und übrigen Ausgaben für den Lebensunterhalt und der weiteren vom Krankenhaus empfohlenen Arzneimittel es als unzumutbar erscheinen lassen, bis zu einer Entscheidung über die Kostenerstattung im Verfahren der Hauptsache abzuwarten (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Gegebenenfalls lässt sich der Antrag wiederholen, wenn in der vorgegebenen Frist eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 1937 geborene und bei der Antragsgegnerin in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversicherte Antragsteller leidet nach dem ärztlichen Attest der H.-Klinik (Bad M.), die als Vorsorge- oder Rehabiliationseinrichtung als zugelassen gilt, vom 07.10.2005 an einem dringenden Verdacht auf Prostatakarzinom seit März 1998. Ferner bestehen bei ihm eine coronare Herzkrankheit, Zustand nach Mammariabypass, Zustand nach dreifachem aortokoronarem Venenbypass, Zustand nach Myokardinfarkt und PTCA 1986/87, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Periarthritis humeroscapularis rechts, chronisches HWS-Beschwerden und LWS-Syndrom.
Im Jahr 1996 wurde aufgrund eines kontinuierlichen Anstiegs des Laborwertes PSA (prostataspezifisches Antigen) und sonographischer Untersuchungen eine tumoröse Veränderung in der Prostata festgestellt. Aufgrund des deutlich erhöhten Operationsrisikos bei ausgeprägtem kardiovaskulären Hochrisikoprofil, Zustand nach Myokardinfarkt wurde primär von einer operativen Therapie abgeraten. Bei dem Antragsteller wurde stattdessen mit einer intensiven immunbiologischen Therapie und einer Antiandrogentherapie begonnen, die zu einem raschen Rückgang und einer Normalisierung des PSA führte; sonographisch ließen sich tumoröse Veränderungen in der Prostata nicht mehr nachweisen. Nach einer Unterbrechung der Antiandrogentherapie im Jahre 2001 kam es wieder zu einem deutlichen Anstieg des PSA. Im Anschluss an die Wiederaufnahme der Arzneimitteltherapie mit Trenantone sank der PSA in den unteren Normbereich. Nach Ansicht der Ärzte der H.-Klinik habe sich die Behandlung bis jetzt lebensverlängernd ausgewirkt und die Lebensqualität des Antragstellers erheblich verbessert. Auch derzeit (Oktober 2005) sei aufgrund der deutlichen Verschlechterung der coronaren Herzkrankheit eine operative Therapie des Prostatakarzinoms nicht möglich, eine Strahlentherapie würde zu einer Verschlechterung der Lebensqualität führen und die Antiöstrogentherapie mit Trenantone dennoch nicht überflüssig machen. Eine alternative Chemotherapie wäre, wenn überhaupt, nur sehr kurz wirksam und hätte eine noch stärkere Beeinträchtigung der Lebensqualität zur Folge. Die Klinik empfahl weiterhin eine immunbiologische Therapie mit mehreren Medikamenten, die der Antragsteller seit längerem selbst bezahlt sowie die subkutane Injektion mit Trenantone. Die Antragsgegnerin habe seit Jahren die Kosten der Behandlung mit Trenantone-Spritzen übernommen.
Der von der Antragsgegnerin gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) bezeichnete in der Stellungnahme vom 17.11.2005 Trenantone als zugelassenes Medikament, das bei Indikation auf Kassenrezept verordnet werden könne. Nach einem Hinweis der Antragsgegnerin vom 03.01.2006 auf die fehlende Indikation für die Anwendung von Trenantone ließ der Antragsteller über seinen Hausarzt am 13.01.2006 bei der Antragsgegnerin die Genehmigung für die Verordnung des Arzneimittels außerhalb der Zulassung (Off-label-use) beantragen. Der MDK verneinte in der Stellungnahme vom 17.01.2006 eine medizinische Indikation. Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid der 19.01.2006 die Kostenübernahme für Trenantone-Spritzen außerhalb der Zulassung ab. Der Antragsteller legte die Sachkostenrechnung der H. Klinik über die Behandlung mit einer Trenantone-Zweikammerspritze (493,33 Euro) vom 05.02.2006 vor und ließ durch seinen Bevollmächtigten am 15.02.2006 gegen den Bescheid Widerspruch einlegen.
Der erneut gehörte MDK hielt in der gutachtlichen Stellungnahme vom 17.05.2006 (nach Aktenlage) auch trotz fehlender histologischer Diagnostik mittels Biopsie das Vorliegen eines Prostatakarzinoms für wahrscheinlich; es handle sich um eine potentiell lebensbedrohliche Krebserkrankung. Wegen der fehlenden Differenzierung zwischen dem lokal begrenzten und fortgeschrittenen Prostatakarzinom sei ein Off-label-use gegeben. Hingegen seien die weiteren Voraussetzungen für Kostenübernahme bei einem Off-label-use von Trenantone nicht erfüllt, da andere praktikable Therapieoptionen zur Heilung des Krebsleidens zur Verfügung stünden. Der Antragsteller legte eine weitere Rechnung der H. Klinik vom 10.06.2006 über die Behandlung mit einer Trenantone Zweikammerspritze vor (511,37 Euro).
Die Antragsgegnerin wies mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2006 den Widerspruch zurück. Nach den Stellungnahmen des MDK seien die Voraussetzungen für einen Off-label-use für Trenantone nicht gegeben. Zur Behandlung eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms sei Trenantone nicht vorgesehen und die nachgewiesene Form des Karzinoms könne anders behandelt werden.
Der Antragsteller hat hiergegen am 24.08.2006 beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage erhoben und am 25.09.2006 auch den Erlass einer einstweiligen Anordnung der Kostenübernahme für Trenantone-Spritzen beantragen lassen. Die behandelnden Ärzte der Klinik hätten aufgrund der nachgewiesenen Wirksamkeit Trenantone weiter verordnet. Es handle sich um eine unverzichtbare und erwissenermaßen wirksame Therapie, die auch beim lokal begrenzte Prostatakarzinom wirksam sei. Die anderen Therapieoptionen (operativer Eingriff/Strahlentherapie) seien beim Antragsteller nicht oder nur unter erheblichem Risiko durchzuführen. Die Antragsgegnerin sei daher verpflichtet, die Kosten der Therapie wenigstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu übernehmen. Er hat die weitere Rechnung der H.-Klinik vom 28.09.2006 über die Behandlung mit einer Trenantone-Zweikammerspritze (511,37 Euro) vorgelegt.
Das SG hat mit Beschluss vom 14.11.2006 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es sei weder ein Anordnungsanspruch, noch ein Anordnungsgrund gegeben. Auch wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Prostatakarzinom, das eine schwerwiegende Erkrankung sei, beim Antragsteller vorliege, sei die Indikation für Trenantone nicht eindeutig geklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei für einen Off-label-use neben dem Nachweis einer schwerwiegenden Erkrankung erforderlich, dass keine andere Therapie zur Verfügung steht und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Aufgrund der Stellungnahme des MDK komme beim Antragsteller ein operativer Eingriff infrage, eine externe Strahlentherapie oder die interstitielle Brachytherapie. Dem Antragsteller sei überdies zuzumuten, das begehrte Medikament zunächst selbst zu beschaffen und im Rahmen des Hauptsacheverfahrens die Kostenerstattung geltend zu machen. Es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Kosten für die Beschaffung des Medikaments von ca. 500,00 Euro je Quartal den Antragsteller in eine finanzielle Notlage bringen würde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 14.11.2006, mit der er wieder geltend macht, der bisherige Behandlungserfolg belege die Wirksamkeit der Therapie mit Trenantone-Spritzen, andere Behandlungsmöglichkeiten seien ihm nicht zuzumuten. Den vorgelegten Unterlagen über sein Einkommen und seine Ausgaben sei zu entnehmen, dass die Beschaffung des Medikaments in Höhe von über 500,00 Euro für ihn eine außergewöhnliche Belastung sei. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach der Stellungnahmen des MDK seien die Voraussetzungen für einen Off-label-use von Trentantone nicht gegeben.
Beigezogen wurden die Akten des SG und der Antragsgegnerin, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (§ 172, 173, 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig.
Sie ist zum Teil begründet, so dass der angefochtene Beschluss abzuändern war. Die Antragsgegnerin ist im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten der Weiterbehandlung mit Trenantone-Spritzen nach Maßgabe ärztlicher Verordnungen vorläufig bis zu einer Entscheidung des SG in der Hauptsache zu übernehmen bzw. dem Ablauf des Jahres 2007.
Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Beide Arten der einstweiligen Anordnung setzen, wie das SG zu Recht ausgeführt hat, einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Der Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht. Er ist identisch mit dem auch im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiellen Anspruch. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit (Dringlichkeit) der begehrten Sicherung oder Regelung. Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind vorliegend gegeben. Aufgrund der Prüfung der Sach- und Rechtslage kommt der Senat zum Ergebnis, dass die Antragsgegnerin zumindest für eine begrenzte Zeit zur Kostenübernahme der Weiterbehandlung des wahrscheinlich vorliegenden Prostatakarzinoms mit Trenantone-Spritzen verpflichtet ist.
Die unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gegebene Erläuterung des SG zu dem Anspruch auf Arzneimittelversorgung, auch bei zulassungsüberschreitender Anwendung (Off-label-use), ist nicht zu beanstanden, jedoch setzt das SG hier zu enge Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zum vorläufigen Rechtschutz bei der Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten bzw. existenziell bedeutsamen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für Recht erkannt, dass die Gerichte hier die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen haben. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand eine Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (z.B. Bundesverfassungsgericht vom 22.11.2002 NJW 2003, S. 1236; Beschluss vom 19.03.2004, NJW 2004, S. 3100; Beschluss vom 06.02.2007 1 BVR 3101/06).
Es geht im vorliegenden Verfahren aufgrund des Regelungszwecks des vorläufigen Rechtsschutzes in Bezug auf das Hauptsacheverfahren allein um die künftige Kostenübernahme für die Behandlung mit Trenantone-Spritzen nach Maßgabe ärztlicher Verordnungen , aber nicht um die Erstattung der vom Antragsteller bisher verauslagten Kosten für dieses Medikament.
Der Anordnungsanspruch des Antragstellers ergibt sich aus § 27 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V), wonach Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Hierzu regelt § 31 Abs. 1 SGB V, dass Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln haben, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung - "Arzneimittel-Richtlinien/AMR" i.d.F. vom 31.08.1993, zuletzt geändert am 17.10.2006) ausgeschlossen sind. Es handelt sich bei dem Medikament unstreitig um ein zugelassenes, apothekenpflichtiges Arzneimittel, nach den Angaben in der Roten Liste (http:\\www.rote-liste.de/online) um eine Zweikammerspritze mit Retardmikrokapseln und Suspensionsmittel. Der Anwendungsbereich besteht bei Männern in der symptomatischen Behandlung des fortgeschrittenen hormonabhängigen Prostatakarzinoms und in der Prüfung der Hormonempfindlichkeit eines Prostatakarzinoms zur Beurteilung der Notwendigkeit von hormonsupprimierenden/hormonablativen Maßnahmen. Auch wenn für den Inhalt der Zulassung die Rote Liste nicht maßgeblich ist (BSG vom 31.05.2006 B 6 KA 53/05 B), geht der Senat aufgrund der Eilbedürftigkeit von diesem Anwendungsbereich aus.
Wie das SG unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des MDK zu Recht ausgeführt hat, ist mangels genauer Diagnostik beim Antragsteller nicht mit Gewissheit geklärt, in welchem Stadium sich das Prostatakarzinom befindet. Damit lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob ein fortgeschrittenes Prostatakarzinom beim Antragsteller vorliegt. Hierauf kommt es im vorliegenden Eilverfahren aber nicht an, da hier die Voraussetzungen für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Trenantone-Spritzen vorliegen. Auch wenn ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (Off-label-use), hat das BSG (mit dem bereits im Antragsverfahren herangezogenen) Urteil vom 19.03.2002 (SozR 3-2500 § 31 Nr. 8 = BSGE 89, 184 = NJW 2003, S. 460) ausgeführt, dass von diesem Grundsatz ausnahmsweise abgewichen werden kann, wenn es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Die vom Bundesausschuss erlassenen Beschlüsse zum Off-label-use (Arzneimittel-Richtlinien/Anlage 9, Teil A), die bestimmte Arzneimittel in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten als verordnungsfähig aufzählt, sind nicht einschlägig, wie sich aus den genannten Off-label-Indikationen ergibt.
Es ist zwischen den Beteiligten aufgrund der Stellungnahmen des MDK nicht streitig, dass der Antragsteller an einer schweren Krankheit leidet. Entgegen dem SG und der Antragsgegnerin sind aber auch die übrigen genannten Voraussetzungen für den Off-label-use erfüllt. Es ist ausreichend glaubhaft gemacht worden, dass für die ausreichende, zweckmäßige und der medizinischen Notwendigkeit entsprechende Behandlung des Prostatakarzinoms des Antragstellers nach den Regeln der ärztlichen Kunst (§§ 12 Abs. 1, 28 Abs. 1 SGB V) eine andere Therapie derzeit nicht in Betracht kommt. Nach Auffassung des Senats geht es hier nicht um anderweitige theoretische Behandlungsmöglichkeiten (Operation/Bestrahlungen/Chemotherapie), sondern es ist vielmehr auf die konkrete Behandlungssituation im gegenwärtigen Zeitpunkt abzustellen. Denn es muss berücksichtigt werden, dass der vom Gesetz global zugesagte Behandlungsanspruch gemäß § 27 Abs. 1 SGB V vom Vertragsarzt oder Arzt der ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen (z.B. Krankenhaus) anhand der einschlägigen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen und der übrigen vertraglichen Bestimmungen sowie den medizinischen Gegebenheiten des einzelnen Behandlungsfalles konkretisiert wird. Bei der stationären Krankenhausbehandlung erfolgt die medizinische Konkretisierung auf bestimmte Leistungen durch den Krankenhausarzt. Dies gilt insbesondere, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Fortsetzung einer seit Jahren durchgeführten Arzneimitteltherapie streitig ist. Von den genannten anderen Behandlungsmöglichkeiten haben die Ärzte der Klinik und die behandelnden Vertragsärzten des Antragstellers unter Abwägung der möglichen Vorteile und Risiken sowie Auswirkungen auf die Restgesundheit der jeweiligen Behandlungsmethode, vor allem im Hinblick auf die Herz- und Kreislauferkrankungen des Antragstellers, die Fortführung der Therapie mit dem Medikament Trenantone für medizinisch zweckmäßig gehalten.
Es besteht auch die begründete Aussicht, dass mit Trenantone ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Zum Nachweis dieser Voraussetzungen hat das BSG wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse gefordert, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Eine derartiger Nachweis "kann" nach dem BSG durch veröffentlichte Studien über die klinische Wirksamkeit im Rahmen eines Verfahrens der Erweiterung der Zulassung des Arzneimittels geführt werden. Es hat hierbei, abgesehen von dem Fall der Beantragung einer Erweiterung der Zulassung es auch als ausreichend bezeichnet, dass außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Dieser Frage kann im Hauptsacheverfahren näher nachgegangen werden, wie auch der nach anderen zugelassenen Behandlungsmethoden. Angesichts der Eilbedürftigkeit kommt im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes die Einholung eines medizinisch-wissenschaftlichen Anforderungen genügenden ärztlichen Sachverständigengutachtens (§ 106 SGG) nicht infrage. Der Senat geht aufgrund des ärztlichen Attests der Klinik vom 07.10.2005, in dem der bisherige Behandlungsverlauf und der Erfolg über den Einsatz von Trenantone bzw. die Auswirkungen bei einem Aussetzen der streitigen Therapie beschrieben sind, davon aus, dass auch weiterhin die begründete Aussicht eines zumindest palliativen Behandlungserfolgs besteht. Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass das BSG im Urteil vom 19.03.2002 (a.a.O.) die Nachweise für einen möglichen Behandlungserfolg nur beispielhaft, aber nicht abschließend dargestellt hat. Es ist daher, vor allem im Hinblick auf das Grundrecht des Antragstellers auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz) nicht ausgeschlossen, dass die Glaubhaftmachung eines Behandlungserfolgs auch mit anderen ärztlich dokumentierten Beweismitteln erfolgt.
Die Leistungspflicht der Antragsgegnerin hängt davon ab, dass das Medikament Trenantone ärztlich verordnet wird (§§ 31 Abs. 1, 73 Abs. 2 Nr. 7, 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V i.V.m. Abschnitt A Nr. 4 Arzneimittel-Richtlinien). Im Falle eines Off-label-use kann der Vertragsarzt für die Verordnung von Arzneimitteln, die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen sind, dem Patienten ein Privatrezept ausstellen und es diesem überlassen, sich bei der Krankenkasse um die Erstattung der Kosten zu bemühen (BSG vom 31.05.2006 B 6 KA 53/05 B).
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Er ist nach Auffassung der behandelnden Ärzte auf die Fortsetzung der Therapie angewiesen, deren laufende Kosten je Quartal angesichts der Höhe seiner Einkünfte und übrigen Ausgaben für den Lebensunterhalt und der weiteren vom Krankenhaus empfohlenen Arzneimittel es als unzumutbar erscheinen lassen, bis zu einer Entscheidung über die Kostenerstattung im Verfahren der Hauptsache abzuwarten (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Gegebenenfalls lässt sich der Antrag wiederholen, wenn in der vorgegebenen Frist eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist.
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