L 3 U 313/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 U 110/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 313/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 29.08.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Schulunfall des Klägers am 24.07.2000 eine Epiphysenlösung an der linken Hüfte verursachte und der Kläger Anspruch auf eine Verletztenrente hat.

Der 1988 geborene Kläger nahm am 24.07.2000 in der Hauptschule M. am Schulsport teil. Während eines Fußballspieles prallte er mit einem Mitspieler zusammen, der stürzte. Daraufhin blieb der Kläger mit dem linken Fuß am Körper des Mitspielers hängen und stürzte über diesen hinweg auf die linke Hüfte. Nach dem Sturz konnte er schmerzbedingt die linke Hüfte nicht mehr belasten und auch nicht bewegen. Bei der Erstversorgung im Kreiskrankenhaus M. wurde röntgenologisch eine Epiphysiolyse des Femurkopfes mit Abkippung nach medial festgestellt und der Kläger in das Kinderkrankenhaus St.M. in L. verlegt, wo er von Prof.Dr.K. operiert wurde (Reposition und Kirschnerdraht-Osteosynthese). Zur Klärung, ob die Epiphysiolyse traumatisch oder schicksalhaft eingetreten ist, holte die Beklagte Befundberichte von Prof.Dr.K. (vom 31.10.2000), Dr.H. (vom 25.06.2001) ein sowie ein Zusammenhangsgutachten des Dr.K. vom 12.12.2001. Dieser wies auf die geltende wissenschaftliche Lehrmeinung hin, dass es sich bei der Epiphysiolyse um einen eindeutig schicksalhaften Prozess im präpubertären Wachstumsalter handle. Dem Sturz vom 24.07.2000 komme nur die Bedeutung einer unwesentlichen Gelegenheitsursache zu. Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 25.01.2002 den Unfall vom 24.07.2000 als Arbeitsunfall an. Als durch den Unfall bedingten Körperschaden stellte sie eine Prellung des linken Hüftgelenks fest, nicht jedoch die Epiphysiolysis capitis femoris acuta links mit erheblicher Abkippung. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2002 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 06.05.2002 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) erhoben und beantragt, den Beklagten unter Abän- derung des Bescheides vom 25.01.2002 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 11.04.2002 zu verurteilen, die "Epiphysenlösung" als Unfallfolge anzuerkennen und die ge- setzlichen Leistungen zu gewähren. Er begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass vor dem Unfall keinerlei Beschwerden an den Hüftgelenken bestanden hätten. Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts einen Befundbericht von Dr.H. vom 13.02.2003 sowie die einschlägigen Röntgenaufnahmen des Kreiskrankenhauses M. und des Kinderkrankenhauses St.M. in L. beigezogen und ein Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr.F. vom 23.06.2003 eingeholt. Dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Epiphyse des Oberschenkelkopfes grundsätzlich spontan auf Grund innerer Ursachen (endokrine Störungen) löse. In der Regel trete die Lösung ohne besondere Krafteinwirkung schleichend ein, seltener auch plötzlich ohne vorausgehende Krankheitszeichen. Eine Epiphysenlösung des Oberschenkelkopfes könne nur dann eintreten, wenn die Krafteinwirkung eine bereits gelockerte Wachstumsfuge getroffen habe. Das SG hat die Klage daraufhin mit Urteil vom 29.08.2003 abgewiesen und sich auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr.F. gestützt.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Das SG sei von einem falschen Unfallhergang ausgegangen. Der Kläger sei bei seinem Sturz nicht nach vorne gefallen, sondern auf die linke Seite. Außerdem beurteile der Orthopäde Prof.Dr.K. , der den Kläger operiert hatte, die Hüftkappenlösung als posttraumatisch. Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten des Arztes für Unfallchirurgie und Orthopädie Prof. Dr.W. (vom 15.12.2004), eine ergänzende Stellungnahme des Orthopäden Dr.F. (vom 04.02.2005) sowie ein radiologisches Sachverständigengutachten des Prof.Dr.B. , Universitätsklinikum U. (vom 29.05.2006), eingeholt. Prof.Dr.W. ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in Falle des Klägers eine traumatische Genese der Epiphysiolyse bejaht werden könne, da ein adäquates Trauma ebenso vorliege wie scharf gezeichnete metaphysere Knochenränder, eine fehlende Kalksalzverarmung und fehlender Schmerz vor dem Unfall. Der Kläger habe sich im Sturz auf die linke Seite gedreht und sei dann auf die linke Hüfte gestürzt. Damit könne auf ein adäquates Unfallereignis geschlossen werden. Radiologisch zeige sich keine Abrundung der metaphyseren Knochenränder, es fehle eine Kalksalzverarmung, die Gegenseite zeige keine pathologischen Veränderungen. Deshalb sei die akute Hüftkappenlösung links mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfalles vom 24.07.2000. Der Kläger sei auf Dauer in seiner Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. gemindert. Dr.F. hat demgegenüber in seiner ergänzenden Stellungnahme darauf hingewiesen, dass in der Beckenübersichtsaufnahme vom 24.07.2000 und der Zielaufnahme der linken Hüfte selben Datums an der gegenüberliegenden Frakturseite des Oberschenkelknochens deutliche Ausfransungen zu sehen seien, keineswegs glatte Rissränder. Im Übrigen werde in dem Standardwerk Schönberger/Mehrtens/Valentin, 7. Auflage, S. 461, als Ort traumatischer Epiphysenlösungen der Hüftkopf nicht genannt. Das Gutachten des Prof.Dr.W. orientiere sich nicht an der wissenschaftlichen Lehrmeinung. Der Radiologe Prof.Dr.B. ist in Auswertung insbesondere der Beckenübersichtsaufnahme vom 24.07.2000 und der Hüfte links in zwei Ebenen ebenfalls vom 24.07.2000 zu dem Ergebnis gekommen, dass im Hinblick auf den aktuellen Forschungsstand zur Epiphysiolysis capitis femoris ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schulunfall und der Epiphysenlösung mit Wahrscheinlichkeit abzulehnen sei, da zum Unfallzeitpunkt Befunde vorlagen, die auf eine chronische Vorschädigung und damit zusammenhängende reaktive knöcherne Veränderungen hindeuten und des Weiteren nach Aktenlage deutliche konstitutionelle Risikofaktoren bestehen. Der Schulunfall stelle das auslösende Ereignis, nicht jedoch die alleinige Ursache dar. Die Epiphysiolysis capitis femoris des Klägers sei als schicksalhafter Prozess anzusehen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2002 sowie unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Lands- hut vom 29.08.2003 zu verurteilen, eine Hüftkappenablösung links als Folge des Schulunfalles vom 24.07.2000 anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialge- richts Landshut vom 29.08.2003 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug ge- nommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 29.08.2003 ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger keinen An- spruch darauf hat, die Epiphysiolyse des Hüftkopfs auf der lin- ken Seite als Folge des Schulunfalles vom 24.07.2000 festzu- stellen und eine Verletztenrente zu gewähren.

Die Feststellung und Entschädigung einer Gesundheitsstörung durch Zahlung von Verletztenrente (§ 56 SGB VII) setzt voraus, dass sie Folge eines Versicherungsfalles, hier also des Schul- unfalles vom 24.07.2000, ist (§§ 7, 8 SGB VII). Der Schulunfall muss wesentlich an der Entstehung der Gesundheitsstörung mitgewirkt haben. Davon ist auszugehen, wenn er neben anderen Bedingungen bei wertender Betrachtung diejenige Bedingung ist, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat (Theorie der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSGE 63, 277). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, das heißt neben dem Schulunfall auch die Gesundheitsstörung, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (Vollbeweis). Ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch darf keinen Zweifel mehr haben (BSGE 7, 103, 106). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit, dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden sowie Folgeschäden, das heißt für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität ist demgegenüber hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Es genügt, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt der Senat zu der Überzeugung, dass der Schulunfall nicht die wesentliche Bedin- gung für den Eintritt des Gesundheitsschadens, der Epiphysioly- sis capitis femoris, war. Der Unfall ist vielmehr als Gelegen- heitsursache, nicht jedoch als mitwirkende Ursache zu werten (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R mit umfassenden weiteren Nachweisen). Eine im Sinne des Unfallversicherungsrechtes wesentliche Mitursache für den Gesundheitsschaden des Klägers liegt nämlich dann nicht vor, wenn eine vorhandene, nachgewiesene Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, ihrer Art nach unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG a.a.O. und vom 02.02.1999, B 2 U 6/98 R, HVBG-Info 1999, 1099). Um diese wertende Gegenüberstellung vornehmen zu können, müssen die konkurrierenden Ursachen zunächst sicher feststehen. Ebenso wie die schulbedingten Ursachen müssen auch die körpereigenen Ursachen erwiesen sein (BSG Urteil vom 12.06.1989, 2 RU 7/89, HVBG-Info 1990, 638 ff. und BSG SozR 2200 § 548 Nr.84). Kann eine Ursache nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn in Betracht zu ziehen ist.

Auf Grund der Beweisaufnahme ist eine vorbestehende Krankheitsanlage beim Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Befund der Röntgenaufnahmen zum Unfallzeitpunkt am 24.07.2000. Die präoperativ angefertigte Beckenübersichtsaufnahme sowie die Aufnahme des linken Hüftgelenks in axialer Projektion zeigen diskrete Zeichen einer vorbestehenden reaktiven Veränderung der linken Femurmetaphyse mit kleinen spornartigen Exostosen zur Epiphysenfuge und vor allem eine auffällige Sklerosierung im medialen Anteil des Schenkelhalses. Diese knöchernen Veränderungen deuten auf einen bereits chronischen Verlauf der Krankheitsanlage des Klägers hin. Sie sind als Versuch der Heilung bei einem chronischen Verlauf anzusehen. Diese radiologischen Veränderungszeichen sind durch das Gutachten des Prof.Dr.B. nachgewiesen, Anlass zu Zweifeln besteht auch auf Grund des Gutachtens von Prof.Dr.W. insoweit nicht, da auch dieser die Knochenränder im Bereich der Metaphyse nur als "weitgehend scharf" bezeichnet, so dass zwischen beiden röntgenologischen Befunden kein Widerspruch besteht. Außerdem bringt der Kläger neben dem Röntgenbefund ausgeprägte Risikofaktoren bezüglich seiner Konstitution mit. Sowohl das Gewicht als auch die Körpergröße liegen auf der 97. Perzentile des Alterskollektivs, der errechnete Bodymass-Index von 23,66 kg/m² entspricht der 93. Perzentile des Alterskollektivs. Die von Dr.K. beschriebene Gynäkomastie kann auf eine hormonelle Dysregulation hinweisen. Weiter liegt beim Kläger ein steiler Collum-Diaphysen-Winkel von 140 Grad auf der gesunden Seite vor, was ebenfalls als Risikofaktor für eine Epiphysiolysis capitis femoris anzusehen ist.

Dieser nachgewiesenen Krankheitsanlage kommt bei einer Abwägung und Wertung mit der konkurrierenden Ursache, dem Schulunfall, die wesentliche Bedeutung zu. Der Schulunfall war lediglich der Auslöser für den akuten Abrutsch, er war jedoch keine besondere, ihrer Art nach unersetzliche äußere Einwirkung. Zum einen kann eine traumatische Hüftkopfkappenlösung nur in extrem seltenen Fällen angenommen werden; das Standardwerk Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, beschreibt sogar lediglich spontane Epiphysenlösungen am Schenkelkopf (S.461). Damit spricht bereits die Lokalisation gegen eine traumatische Epiphysenlösung. Zum anderen steht der Röntgenbefund - wie bereits dargelegt - ebenfalls einer traumatischen Verursachung entgegen, weil er eine Krankheitsanlage des Klägers belegt. Wie von Prof.Dr.W. beschrieben, kann eine extrem seltene traumatische Genese nur dann angenommen werden, wenn neben einem adäquaten Unfall scharf gezeichnete metaphysere Knochenränder nachgewiesen sind. Davon kann jedoch auf Grund des röntgenologischen Befundes der Aufnahmen am Unfalltag mit kleinen spornartigen Ausziehungen am metaphyseren Abschluss nicht ausgegangen werden. Das Sachverständigengutachten von Prof.Dr.W. ist deshalb im Hinblick auf die erhobenen Röntgenbefunde für den Senat nicht überzeugend. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des Prof.Dr.B ... Die für eine traumatische Verursachung sprechende fehlende Schmerzsymptomatik vor dem Unfall hat aus Sicht des Senates eine untergeordnete Bedeutung, da nur etwa 50 % der Patienten über vorbestehende Hüftbeschwerden berichten. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Kläger nur einseitig betroffen ist. Die Erkrankung manifestiert sich nämlich nur in ca. 20 bis 37 % bilateral. Im Ergebnis geht der Senat also davon aus, dass der Unfall nur eine nicht wesentliche Ursache war. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund im Sinne von § 160 Abs.2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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