L 3 U 207/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 U 398/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 207/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.05.2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung und Entschädigung einer Atemwegserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1954 geborene Kläger war im Zeitraum von 1970 bis einschließlich 1973 in den Monaten September bis Mai und von 1976 bis 2000 durchgehend als angelernter Arbeiter bei der Firma S. in der Türenproduktion beschäftigt. In der Zeit von 1968 bis 1975 war er im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb tätig. Nach 1975 führte er die Landwirtschaft im Nebenerwerb ca. zwei Stunden täglich weiter. Bei der Firma S. war der Kläger von 1976 bis 1979 in der Zargen- und Funierabteilung beschäftigt, ab 1979 übte er alle anfallenden Tätigkeiten an der Presse der Türenfertigungsanlage aus. Hierzu gehörte auch das tägliche Anrühren des benötigten Leims, der aus zwei Komponenten, einer wässrigen Lösung eines Harnstoffformaldehydkondensationsproduktes und einem primär pulverförmigen ammoniumchloridhaltigen Härter, angesetzt worden ist. Ab dem Jahr 1984 war der Kläger als Anlagen- und Schichtführer mit zusätzlichen Kontrollen der aus der Presse kommenden Türen auf Druckstellen betraut, was maximal die Hälfte seiner täglichen Arbeitszeit einnahm. Hierfür musste er sich den noch heißen, auf Rollbahnen beförderten Türen stark annähern. Die übrige Arbeitszeit verbrachte der Kläger weiterhin mit dem Anmischen des Leims und dem Bedienen und Kontrollieren der Leimdosiermaschine. Von 1995 bis 2000 war der Kläger im Versand tätig. Dabei fuhr er Dieselstapler und war dabei einer Exposition gegenüber Dieselabgasen ausgesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörte auch das regelmäßige Fegen der Arbeitshalle, wobei es zu einer starken Staubentwicklung gekommen ist. Seit Februar 2000 bezieht der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Der landwirtschaftliche Betrieb ist seit Januar 2001 an die Tochter des Klägers verpachtet.

Im März 1999 zeigte Dr.H. , Internist/Lungen- und Bronchialheilkunde, der Beklagten den Verdacht einer Berufskrankheit wegen beruflicher Einwirkung von Dieselabgasen und Staubbelastung an.

Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die einschlägigen Röntgenaufnahmen, ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Bayern, die Sicherheitsdatenblätter insbesondere des verwendeten Leims (Kauritleim), eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) nach Aktenlage vom 03.11.1999, die Behandlungsunterlagen der behandelnden Ärzte Dr.G./Dr.T. mit Fremdbefunden der Z.klinik, Fachklinik für Lungen- und Bronchialerkrankungen, insbesondere hinsichtlich der stationären Behandlung vom 05.04. bis 08.04.1993 und mit dem ärztlichen Entlassungsbericht über die stationäre Rehabilitation in Bad S. in der Zeit vom 05.11.1996 bis 26.11.1996 bei sowie einen Befundbericht des Dr.H. , Internist, Lungen- und Bronchialheilkunde, vom 30.06.1999 und holte ein Gutachten des Dr.S. , Arzt für Arbeitsmedizin, Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, vom 28.04.1999 mit ergänzender Stellungnahme vom 02.12.1999 ein.

Der TAD führte nach Aktenlage - der Kläger hatte gegenüber einer Betriebsbesichtigung aus Sorge um seinen Arbeitsplatz Bedenken - aus, dass hinsichtlich der Leimanfertigung von einer erheblichen Formaldehyd-Exposition auszugehen sei, auch wenn Messwerte zur wahren Expositionshöhe nicht vorlägen. Auch die Tätigkeit in der Halle mit dem damit verbundenen Fahren des Dieselstaplers sei mit der Exposition von enormen Dieselabgasemissionen verbunden. Es sei davon auszugehen, dass es zumindest kurzzeitig zu erheblichen Schadstoffausstößen komme. Für eine exakte Aussage sei eine entsprechende Schadstoffmessung vor Ort erforderlich.

Dr.S. führte aus, dass eine beruflich bedingte obstruktive Atemwegserkrankung beim Kläger nicht mit Wahrscheinlichkeit vorliege. Dies ergebe sich insbesondere aufgrund der Auswertung der Befundberichte aus der Z.klinik, die durchgängig keine Bezüge zu der damals schon bestehenden erheblichen obstruktiven Atemwegserkrankung zum Arbeitsplatz ergeben hätten.

Mit Bescheid vom 10.02.2000 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab. Eine BK liege nicht vor.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2000 als unbegründet zurück.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 10.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2000 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der BKV festzustellen und ihm deswegen ab 01.12.2000 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 40 v.H. zu zahlen.

Das SG hat ein Gutachten des Prof.Dr.K. , Internist, Kardiologe, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Nephrologe/ Dr.N. , Internist, Kardiologe, Nephrologe, vom 02.07.2002 mit ergänzender Stellungnahme vom 16.08.2004 eingeholt. Die Beklagte hat nach Besichtigung des Arbeitsplatzes des Klägers eine Stellungnahme des TAD sowie Stellungnahmen des Dr.L. , Facharzt für Arbeitsmedizin, vom 31.08.2002, 16.12.2002, 18.09.2004 vorgelegt. Außerdem liegt eine Stellungnahme des Dr.S. , vom 18.11.2003 vor, die von der ursprünglich beigeladenen Land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Niederbayern/Oberpfalz und Schwaben eingeholt wurde.

Prof.Dr.K./Dr.N. , haben ausgeführt, beim Kläger liege eine obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne der BK Nr. 4302 vor. Beim Kläger sei es über Jahre hinweg zur vollkommen ungeschützten Exposition gegenüber Ammoniumchlorit-Stäuben und erhitzten Harnstoff-Formaldehyd-Ausgasungen gekommen. Es bestehe kein vernünftiger Zweifel am kausalen Zusammenhang zwischen dieser hochdosierten Schadstoffexposition und der Entwicklung einer mittelschweren chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung, die der Kläger auch im engen zeitlichen Zusammenhang zur Exposition entwickelt habe. Der Absetzversuch der inhalierten Corticosteroide habe am Arbeitsplatz zu einem schweren Asthma-Anfall geführt. Dies sei ein weiterer Hinweis auf den kausalen Zusammenhang. Der Kläger sei zwar vom 16. Lebensjahr an bis ca. 1986 Raucher gewesen. Seither sei er glaubhaft durchgehend Nichtraucher, so dass Zigarettenrauchen als denkbare weitere Schädigungsursache seit 1986 entfalle. Die MdE sei mit 40 v.H. einzuschätzen und bestehe retrospektiv bereits für das Jahr 1992 (Aufenthalt und Diagnostik in der Z.klinik).

Dr.L. hat dargelegt, dass ein gesicherter Nachweis für eine Exposition, die zum Hervorrufen einer BK Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKVO geeignet wäre, nicht gegeben sei. Es habe sich die beim Kläger bestehende chronische obstruktive Atemwegserkrankung nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Exposition entwickelt. Die Erkrankung habe sich nach den Angaben des Klägers gegenüber Dr.S. erstmals 1979 und 1980 gezeigt bei einer Anstrengungsluftnot beim Sport. Sie habe sich somit mindest zwei Jahre vor Eintritt in die relevante berufliche Exposition manifestiert und stehe daher nicht in einem zeitlich engen Zusammenhang mit der beruflichen Exposition. Dass beim Kläger nach Absetzen des inhalativen Corticosteroides ein Asthmaanfall auftrat, wäre auch außerhalb des Arbeitsplatzes zu erwarten gewesen.

Auf Anfrage des SG gab der TAD eine weitere Stellungnahme vom 22.11.2002 ab zur Belastung des Klägers mit Ammoniumchlorit.

Mit Urteil vom 03.05.2005 hat das SG die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 10. Februar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2000 verpflichtet, beim Kläger eine BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV festzustellen und ihm deswegen ab 1. Dezember 2000 Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 40 v.H. zu zahlen. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen des Prof.Dr.K. gestützt. Die Atemwegserkrankung könne auch nicht ursächlich auf seine im Nebenerwerb geführte Landwirtschaft zurückgeführt werden, was sich aus den schlüssigen Aussagen des Dr.S. ergebe. Aufgrund der Aufgabe seiner Tätigkeit im Dezember 1999 und der Verpachtung der Nebenerwerbslandwirtschaft ab dem 01.12.2000 sei die Rente ab diesem Zeitpunkt zuzusprechen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgegangen werden könne, dass er erst ab 01.12.2000 keinen beruflichen Einwirkungen mehr ausgesetzt war, die sich negativ auf seine berufsbedingte obstruktive Atemwegserkrankung hätten auswirken können.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und zur Begründung eine Stellungnahme des Dr.L. vom 23.08.2005 vorgelegt. Nach Hinzuziehung weiterer medizinischer Unterlagen der behandelnden Ärzte, eines Vorerkrankungsverzeichnis der AOK D. über den Zeitraum von 1954 bis 1985 sowie der Aktenunterlagen der Landesversicherungsanstalt Schwaben durch die Beklagte hat Dr.L. darauf hingewiesen, dass das Atemwegsleiden des Klägers von Atemwegsinfekten geprägt gewesen sei, was nahe lege, dass eine infektive Ursachenauslösung eine Rolle gespielt habe. Eine strenge Arbeitsplatzbezogenheit der Beschwerden habe in den ersten Jahren des Krankheitsbildes definitiv nicht vorgelegen.

Der Senat hat ein Gutachten des Prof.Dr.N. , Facharzt für Arbeitsmedizin, Internist/Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin/Dr.O. , Fachärztin für Arbeitsmedizin, Naturheilwesen, vom 06.03.2006 eingeholt.

Prof. Dr. N./Dr. O. haben ausgeführt, dass die Entstehung einer obstruktiven Atemwegserkrankung zwar nicht durch Ammoniumchlorit, aber durch Formaldehyd grundsätzlich möglich sei. Die haftungsausfüllende Kausalität für das Vorliegen einer BK der Nr. 4302 sei jedoch nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit zu bejahen. Gegen eine Verursachung des Asthma bronchiale durch die Exposition am Arbeitsplatz spreche, dass ein Arbeitsplatzbezug der Atemwegsbeschwerden aktenkundig nicht dokumentiert sei und ein für ein irritativ-toxisches Asthma untypischer Krankheitsverlauf vorliege. Ein primär durch Exposition gegenüber atemwegsreizenden Stoffen induziertes Asthma bronchiale gehe, zumindest in den Anfangsjahren, mit akut auftretender anfallsartiger Luftnot bei Exposition einher und beginne nicht wie beim Kläger primär schleichend mit einer belastungsabhängigen Luftnot. Ein primär irritativ-toxisches Asthma bronchiale sei zudem zumindest in dem Anfangsstadium voll reversibel. Beim Kläger war jedoch bereits 1993 eine nur noch teilreversible mittelgradige obstruktive Ventilationsstörung zu diagnostizieren. Gegen einen Kausalzusammenhang spräche darüber hinaus das Vorliegen außerberuflicher Faktoren wie Nikotinkonsum und Infektexazerbationen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.05.2005 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.05.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten unter den Az.: S 3 U 398/03, S 3 U 397/03 und L 3 U 220/05 ER, der Akten der Beklagten, der Gerichtsakten sowie die vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.05. 2005 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 10.02. 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2000 abzuweisen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV und damit auch keinen Anspruch auf Verletztenrente.

Anzuwenden sind vorliegend die Vorschriften des Sozialgesetzbuches, Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII), die für alle nach seinem In-Kraft-Treten am 01.01.1997 eingetretenen Versicherungsfälle gelten (§ 212 SGB VII). Das Vorliegen einer Berufskrankheit wurde im März 1999 geltend gemacht. Eine rückwirkende Feststellung für die Zeit vor dem 01.01.1997 ist vom Kläger nicht geltend gemacht worden und nicht streitgegenständlich.

Nach Eintritt eines Arbeitsunfalls oder einer BK gewährt der Träger der Unfallversicherung Entschädigungsleistungen, insbesondere Verletztenrente (§§ 26 ff. SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs.1 Satz 1 SGB VII). Hierzu gehören die durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachten obstruktiven Atemwegserkrankungen, sofern diese Erkrankungen zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV).

Mit der Aufnahme einer Krankheit in die Liste der Berufskrankheiten wird indes nur die mögliche Ursächlichkeit einer beruflichen Schädigung generell anerkannt und die Erkrankung als solche für entschädigungswürdig befunden. Im Einzelfall ist für das Vorliegen des Tatbestands der Berufskrankheit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreicht (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2000, B 2 U 29/99 R). Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für eine Berufskrankheit anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann. Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach geltender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen die gegenteiligen dabei deutlich überwiegen (vgl Bereiter-Hahn/Mehrtens, § 8 SGB VII Anm.10.1 m.w.N.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die beim Kläger vorliegende obstruktive Atemwegserkrankung keine BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV. Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat aufgrund der Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aufgrund des Gutachtens des Prof.Dr.N./Dr.O ... Beim Kläger besteht zwar die umschriebene Listenkrankheit einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung. Diese ist aber nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden.

Ob die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt waren, lässt der Senat offen. Grundsätzlich muss im Vollbeweis erwiesen sein, dass der Versicherte im Rahmen einer versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit ausgesetzt gewesen ist, die nach Ausmaß und Intensität geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken.

Der Kläger war den Substanzen Ammoniumchlorid und Formaldehyd ausgesetzt. Er war von 1982 bis 1994 beim Anrühren des Leims sowohl gegenüber Formaldehyd als auch gegenüber dem primär pulverförmigen ammoniumchlorithaltigen Härter exponiert. Die Staubexposition gegenüber dem Härtepulver beim Einfüllen bestand bei jedem Ansatz, d.h., etwa viermal täglich für ein bis zwei Minuten, mit kurzer, hoher Staubexposition.

Ammoniumchlorit ist ein in Wasser lösliches Salz, das sich bei hohen Temperaturen in Ammoniak und Salzsäure zersetzt. Die inhalative Exposition führt grundsätzlich zu Reizungen der Augen und des Atemtraktes. Darüber hinaus werden keine wesentlich bleibenden chronischen Schäden durch Ammoniumchlorit beschrieben.

Eine Exposition gegenüber Formaldehyd bestand während des gesamten Anmischens des Leims sowie während des manuellen Einfüllens des Leims in die Dosiermaschine. Auch bei der Kontrolle der aus der Presse kommenden Türen ab dem Jahr 1984 kann von einer entsprechenden Belastung mit Formaldehyd ausgegangen werden. Inhaliertes Formaldehyd wird nach den Ausführungen von Prof.Dr.N. zum größten Teil im oberen Atemtrakt retiniert und resorbiert.

Die Exposition gegenüber den wasserlöslichen Substanzen Formaldehyd und Ammoniumchlorit führt primär zu Reizerscheinungen an den Augen und oberen Atemwegen, für Formaldehyd ist in der Literatur eine sekundäre Beteiligung der unteren Atemwege in Form einer chronischen Atemwegserkrankung beschrieben.

Ob der Kläger diesen Substanzen soweit ausgesetzt war, dass ein Gesundheitsschaden daraus entstehen konnte, kann dahinstehen, da jedenfalls die haftungsausfüllende Kausalität nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

Aufgrund der medizinischen Beweisaufnahme ist nicht davon auszugehen, dass die beim Kläger vorliegende Atemwegserkrankung mit Wahrscheinlichkeit durch seine Tätigkeit in der Türenproduktion verursacht wurde. Ein entsprechender Arbeitsplatzbezug der Beschwerden ist nicht nachgewiesen. Akut auftretende Reizerscheinungen, die bei einer Exposition gegenüber Formaldehyd und Ammoniumchlorit gegeben sind, sind nicht dokumentiert. Entsprechende Reizerscheinungen an Augen und Atemwegen am Arbeitsplatz sind nicht aktenkundig, sie werden vom Kläger erst rückwirkend im Rahmen der Begutachtung beschrieben. Während des Aufenthalts des Klägers in der Z.klinik 1993 gab dieser etwa an, beruflich der Einwirkung von Holzstaub, Leim und Kleber ausgesetzt zu sein, aber keinerlei Probleme bei dieser Arbeit zu haben. Auch während der Rehabilitation in Bad Soden 1996 hat der Kläger die Frage nach einer Beschwerdeverschlechterung durch inhalative Noxen wie Rauch, Staub, Dämpfe, Nebel, Hitze und Kälte verneint. Auch in den Arztbriefen der Gemeinschaftspraxis Dres.H. und R. von 1974 bis 1999 wird kein Arbeitsplatzbezug der Beschwerdesymptomatik erwähnt.

Es liegen somit keine Brückenbefunde für eine zu gesundheitlichen Störungen führende Exposition gegenüber diesen Stoffen vor. Nach den Ausführungen von Prof.Dr.N. ist es als unwahrscheinlich anzusehen, dass trotz fehlender Reizerscheinungen an den primär durch eine relevante Exposition gegenüber Formaldehyd und Ammoniumchlorit betroffenen Schleimhäuten von Augen, Nase und Rachenraum eine durch diese Substanz hervorgerufene chronische Reizung der unteren Atemwege eingetreten ist.

Gegen einen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit spricht außerdem der für ein irritativ-toxisches Asthma untypische Krankheitsverlauf. Ein primär durch Exposition gegenüber atemwegsreizenden Stoffen induziertes Asthma bronchiale geht, zumindest in den Anfangsjahren, mit akut auftretender anfallsartiger Luftnot bei Exposition einher und beginnt nicht, wie beim Kläger, primär schleichend mit einer belastungsabhängigen Luftnot. Ein primär irritativ-toxisches Asthma bronchiale ist zudem zumindest in dem Anfangsstadium voll reversibel. Beim Kläger war indessen bereits 1993 während der Behandlung in der Zusamklinik eine nur noch teilreversible mittelgradige obstruktive Ventilationsstörung zu diagnostizieren. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Atemwegserkrankung maximal sieben Jahre, somit müsste entweder ein extrem rascher und schwerer Verlauf vorliegen, was jedoch bei völlig fehlender Dokumentation von akuten Asthmaanfällen unwahrscheinlich ist oder der Atemwegserkrankung liegen andere Pathomechanismen zugrunde.

Nach dem überzeugenden Gutachten des Prof.Dr.N. ist eine primäre Schädigung der bronchialen Schleimhaut durch den regelmäßigen, über 18 Jahre erfolgten Nikotinkonsum zu sehen in Verbindung mit rezidivierenden Atemwegsinfekten als grundlegende Pathogenese. Den Beginn seiner Atemwegserkrankung beschrieb der Kläger mit einem schweren Infekt der Atemwege mit Verdacht auf Bronchopneumonie im Jahr 1986. Im weiteren Verlauf sind sechs bis siebenmal jährlich Infektexazerbationen aufgetreten. Dies spricht für eine primär Infekt induzierte, intrinsisch verursachte Atemwegserkrankung.

Als weiterer außerberuflicher Faktor ist der Nikotinkonsum zu berücksichtigen. Nach den Ausführungen des Prof.Dr.N. ist durch den immerhin 18-jährigen regelmäßigen Nikotinkonsum eine bleibende Schädigung der Bronchien im Sinne einer chronischen Bronchitis möglich, die nach Beendigung des Nikotinkonsums nicht vollständig reversibel sein muss, so dass in Kombination mit gleichfalls durch den Nikotinkonsum begünstigten Atemwegsinfektionen eine obstruktive Atemwegserkrankung entstehen kann. Diese kann auch nach Beendigung des Nikotinkonsums fortschreiten.

Auch eine richtunggebende Verschlimmerung des Asthma bronchiale durch die berufliche Exposition gegenüber Formaldehyd oder auch Dieselemissionen ab dem Jahr 1995 ist nach den überzeugenden Ausführungen des Prof.Dr.N. nicht gegeben. Die chronologisch dokumentierten Lungenfunktionsmesswerte ergeben keine Hinweise auf eine signifikante Verschlechterung ab 1995, so dass sich eine richtunggebende Verschlimmerung nicht begründen lässt.

Ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der beim Kläger jetzt vorliegenden Atemwegserkrankung ist somit nicht hinreichend wahrscheinlich. Im Rahmen der Abwägung überwiegen vielmehr die gegen einen Zusammenhang sprechenden Umstände.

Dem Gutachten des Prof.Dr.K. konnte sich der Senat nicht anschließen. Allein die zeitgleiche Anwesenheit von Exposition und Diagnose einer obstruktiven Atemwegserkrankung begründet keinen Kausalzusammenhang. Dass ein Auslassversuch von antiobstruktiv wirksamen Medikamenten zu einem Asthmaanfall führen kann, ist lediglich ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer medikamentösen Therapie, aber kein Hinweis auf einen Kausalzusammenhang.

Die Beiziehung weiterer Unterlagen, insbesondere des Betriebsarztes Dr.T. , sah der Senat als entbehrlich an, da die Unterlagen des Dr.T. , der gleichzeitig der Hausarzt des Klägers ist, bereits von der Beklagten angefordert wurden.

Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.05.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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