Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 216/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 249/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 16.06.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Tinnitus des am 16.07.1999 verstorbenen Versicherten K. S. als Folge einer Berufskrankheit (BK) anzuerkennen ist und Hinterbliebenenleistungen zu gewähren sind.
Der 1945 geborene Versicherte K. S. war seit 02.01.1974 als Kugelflasher bei der Firma K. in E. beschäftigt.
Seit ca. 1985 klagte er über eine Lärmschwerhörigkeit beidseits. Bei der Firma K. war er Lärm durch sogenanntes Kugelflashen von 1974 bis April 1994 ausgesetzt. Bei einer Lärmmessung im Dezember 1992 wurde ein Beurteilungspegel von 98,2 dB (A) festgestellt. Im Oktober 1992 erlitt er einen akuten Hörsturz links (Befundbericht des HNO-Arztes Dr.S. vom 19.07.1994). Ab April 1994 wurde er auf einen lärmberuhigten Arbeitsplatz umgesetzt.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten stellte am 06.10.1994 fest, dass der Versicherte insgesamt 20,3 Jahre lärmgefährdet mit einem Beurteilungspegel von 90 dB (A) und mehr, 9,1 Jahre möglicherweise lärmgefährdet mit einem Beurteilungspegel von 85 bis 89 dB (A) beruflich eingesetzt war.
Die Beklagte veranlasste ein Gutachten des HNO-Arztes Dr.M. vom 06.12.1994. Dieser stellte eine doppelseitige recruitment-negative pancochleare Schallempfindungsschwerhörigkeit mit zischendem Ohrgeräusch rechts mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) - ohne Rücksicht auf die Ursache - von 30 bis 35 vH fest. Die pancochleare Hörstörung spreche gegen eine Lärmschwerhörigkeit. Es bestehe kein Anhalt für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Lärmexposition am Arbeitsplatz und der hier vorliegenden Schallempfindungsschwerhörigkeit.
Mit Bescheid vom 27.01.1995 stellte die Beklagte fest, dass ein Anspruch auf Entschädigung wegen einer Lärmschwerhörigkeit als BK nach Nr 2301 der Anlage 1 zur BeKV nicht bestehe.
Am 16.07.1999 ist der Versicherte durch Selbsttötung verstorben.
Die Witwe des Versicherten, die Klägerin E. A. , stellte im Juli 2002 Antrag auf Hinterbliebenenrente. Sie trug vor, bei ihrem verstorbenen Mann habe eine BK vorgelegen. Er habe Suizid infolge unerträglichen Tinnitus bei gleichzeitiger Einwirkung von Petroleum im Packraum der Firma F. begangen. Petroleum sei ein Nervengift.
In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 09.01.2003 führte der HNO-Arzt Prof. Dr.T. aus, dass der Versicherte einer ganz erheblichen beruflichen Lärmexposition ausgesetzt gewesen sei. Eine lärmbedingte Verursachung des Hörsturzes im Jahre 1992 könne aber nicht angenommen werden. Auch die rapide Verschlechterung im Jahr 1994 sei nicht auf den Lärm zu beziehen. Das beim Versicherten bestehende Ohrgeräusch müsse lärmunabhängigen Faktoren zugerechnet werden. Insbesondere lasse sich die Entwicklung der Schwerhörigkeit mit hörsturzartigen Ereignissen und Schwindel sowie die audiometrische Befundkonstellation und der dokumentierte Verlauf nicht mit einer lärmbedingten Hörminderung vereinbaren. Im Rahmen einer massiven und aufgrund der hörsturzartigen Entwicklung und der Befundkonstellation sicher lärmunabhängigen Schwerhörigkeit könne auch das Ohrgeräusch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Lärmarbeit zurückgeführt werden. Eine berufsbedingte MdE sei nicht nachzuweisen. Ein Zusammenhang des Suizids mit einer lärmbedingten Erkrankung sei nicht zu sichern.
Die Beklagte führte wegen der Angaben der Klägerin, dass ihr verstorbener Mann auch Einwirkungen von Petroleum im Packraum bei der Firma F. ausgesetzt gewesen sei, zusätzlich ein Verwaltungsverfahren durch zur Prüfung, ob die Voraussetzungen der BK Nr 1303/1317 vorlägen. Darin führte der behandelnde Nervenarzt Dr.K. in seinem Befundbericht vom 25.03.2003 aus, dass bei dem Versicherten eine vegetative Erschöpfung mit depressiven Elementen im Jahr 1999 bereits unverkennbar gewesen sei. Er habe an einem chronischen Tinnitus rechts mit Innenohrschwerhörigkeit beidseits gelitten. Auf Grund des Tinnitus habe sich eine depressive Symptomatik entwickelt. Der TAD der Beklagten führte mit Schreiben vom 08.05.2003 aus, dass der Versicherte während seiner Beschäftigung in der Kugelflasherei keiner Einwirkung im Sinne der BK Nrn 1303/1317 ausgesetzt gewesen sei. Eine relevante Exposition gegenüber neurotoxischen Inhaltsstoffen habe nicht vorgelegen, da zum einen nur ein geringer Anteil von Petroleum vorgelegen habe und zum anderen ausschließlich eine Freisetzung nach natürlicher Verdunstung habe erfolgen können. Es habe auch keinen direkten Hautkontakt gegeben. In der Verpackerei habe nur eine geringfügige Einwirkung durch n-Hexan und aromatische Kohlenwasserstoffe bestanden. Auf Veranlassung der Beklagten verfasste der Arbeitsmediziner Prof. Dr.N. am 18.02.2004 ein Gutachten, in dem er eine BK der Nrn 1303/1317 der Anlage zur BKV ausschloss. Der Versicherte habe an einem chronischen Tinnitus bei Zustand nach Hörsturz und depressiver Reaktion gelitten. Hinweise auf eine neurologische Systemerkrankung ließen sich nicht finden. Auch habe keine berufsbedingte Lärmschädigung des Gehörs nachgewiesen werden können.
Mit Bescheid vom 26.05.2004 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen ab (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 21.07.2004).
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes ihres Ehemannes zu gewähren. Sie hat ausgeführt, dass eine berufliche Lärmbelastung unbestreitbar sei. Ihr Ehemann habe wegen der Lärmentwicklung am Arbeitsplatz auch bereits Anspruch auf ein Hörgerät gehabt. 1992 sei es hintereinander zu zwei Gehörstürzen gekommen. Ab 1994 habe die Belastung mit Petroleumdämpfen dazu geführt, dass sich der Tinnitus verschlimmert habe. Auch das Gehör habe sich verschlechtert. Die beruflich zustande gekommene Tinnituserkrankung sei wesentliche Ursache des Suizids gewesen. Der Versicherte habe es mit dieser psychischen Belastung nicht mehr ausgehalten.
Das SG Würzburg hat mit Gerichtsbescheid vom 16.06.2005 die Klage abgewiesen, da nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei, dass der Suizid des Versicherten wesentlich durch die Folgen einer BK (Tinnitus) verursacht worden sei. Das Vorliegen einer BK nach Nrn 2301/1303/ 1317 sei nicht nachgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, dass sich der Versicherte eine berufsbedingte Schwerhörigkeit im entschädigungspflichtigen Ausmaß zugezogen habe.
Der Senat hat Befundberichte des HNO-Arztes Dr.W. vom 01.09.2005, des Allgemeinarztes Dr.S. vom 21.10.2005 und des Orthopäden Dr.N. vom 24.11.2005, die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes W. (Gutachten des Dr.N. vom 15.03.1999), eine Auskunft über Erkrankungen des Versicherten von der Deutschen BKK vom 12.09.2005 sowie die Akte der Staatsanwaltschaft B. über die Selbsttötung des Versicherten beigezogen.
Die Klägerín beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Würzburg vom 16.06.2005 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 26.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2004 zu verurteilen, Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes des Versicherten K. S. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 16.06.2005 zurückzuweisen.
Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Akten des Versorgungsamtes W. und der Staatsanwaltschaft B. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
Es besteht kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen an Hinterbliebene, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind (§ 63 Abs 1 iVm §§ 7, 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -).
Hinterbliebene haben Anspruch auf Leistungen bei Tod iS des § 63 SGB VII, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Der Versicherungsfall ist nur dann Todesursache im Rechtssinne, wenn er mit Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Bedingung des Todes war. Der Tod muss nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Lehre der wesentlichen Bedingung durch den Versicherungsfall wesentlich, d.h. zumindest gleichwertig (mit-)verursacht worden sein. Es muss eine sachliche Verbindung mit der versicherten Tätigkeit bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, dass das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzuordnen ist. Wie das SG zu Recht ausführt, sind bei einem Suizid die Beweggründe des Selbstmordes entscheidend, d.h. die Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer BK müssen die wesentlichen Ursachen für den Entschluss und die Durchführung des Suizids sein.
Es ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass der Suizid des Versicherten wesentlich durch die Folgen einer BK verursacht worden ist. Dies gilt sowohl für die BK Nr 2301 (Lärmschwerhörigkeit) als auch für eine BK Nr 1302 und 1317. Unstreitig ist, dass der Versicherte einer ganz erheblichen beruflichen Lärmexposition ausgesetzt war. Dies lässt sich bereits der Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 06.10.1994 entnehmen. Der Versicherte war insgesamt 20,3 Jahre (bis April 1994) lärmgefährdet (Beurteilungspegel von 90 dB und mehr) sowie insgesamt 9,1 Jahre möglicherweise lärmgefährdet (Beurteilungspegel 85 bis 89 dB ) exponiert. Prof. Dr.T. führt in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 09.01.2003 in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr.M. vom 06.12.1994 aus, dass der beim Versicherten vorliegende Tinnitus nicht durch eine berufliche Lärmexposition und eine insoweit anzuerkennende BK verursacht worden ist. Dr.M. ging beim Nachweis einer mittelgradigen pancochlearen Schallempfindungsschwerhörigkeit davon aus, dass praktisch alle überschwelligen Methoden gegen eine recruitment-positive Lärmschwerhörigkeit sprechen, auch die pancochleare Hörstörung.
Die rapide Verschlechterung, die offensichtlich nach dem Hörsturzereignis 1992 im Jahr 1994 auftrat, lässt sich nicht auf den Lärm zurückführen. Eine entsprechende audiometrische Konstellation liegt nicht vor. Bekanntlich schreitet eine lärmbedingte Schwerhörigkeit kontinuierlich und nicht - wie beim Versicherten - in hörsturzartigen Schritten voran. Allenfalls könnte die geringfügige C5-Senke als Hinweis auf eine Teillärmgenese angesehen werden. Sie ist aber von völlig untergeordneter Bedeutung, bewirkt keinerlei messbare MdE und geht im lärmunabhängigen Gesamtschaden unter. Im Ürigen schreitet eine Lärmschwerhörigkeit nicht mehr fort, wenn der Versicherte nicht mehr im Lärmbereich tätig ist (Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2301, S 32).
Aus diesem Grunde muss auch der Tinnitus den hier vorherrschenden lärmunabhängigen Faktoren zugerechnet werden. Er ist im Zusammenhang mit der massiven Hörverschlechterung, die als lärmunabhängig zu deklarieren ist, aufgetreten und hat sich dabei vertieft, so dass eine Zuordnung zum Lärm nicht möglich ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Versicherte - wie die Klägerin unterstellt - wegen des Ohrgeräusches Suizid begangen hat, kann dies nicht dem beruflichen Lärm angelastet werden. Eher standen andere, nämlich nervliche und psychische Faktoren im Vordergrund, wie es bereits der behandelnde Nervenarzt Dr.K. in seinem Befundbericht vom 25.03.2003 ausführte. Er empfahl beim letzten Besuch des Versicherten am 14.04.1999 dringend eine stationäre Behandlung in einer Nervenklinik, da eine vegetative Erschöpfung mit depressiven Elementen bereits unverkennbar war. Auch der behandelnde Orthopäde Dr.N. hat auf ein psycho-vegetatives Erschöpfungssyndrom hingewiesen (Befundbericht vom 24.11.2005).
Bei der letzten HNO-ärztlichen Begutachtung durch Dr.N. für das Versorgungsamt W. am 15.03.1999, also ca. 4 Monate vor dem Tod des Versicherten, hat dieser über eine Schwerhörigkeit beidseits und Ohrgeräusche rechts geklagt. Für einen ursächlichen Zusammenhang der Ohrgeräusche mit der beruflichen Lärmexposition lassen sich aus diesem Gutachten aber keine Schlüsse ziehen.
Auch für eine BK nach den Nrn 1303 bzw. 1317 der Anlage zur BKV, die zum Suizid geführt haben sollen, finden sich keine Nachweise. Es fehlt bereits an den arbeitstechnischen Voraussetzungen. Nach der Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 08.05.2003 lässt sich eine relevante Exposition gegenüber neuro-toxischen Inhaltsstoffen nicht nachweisen. Zum einen lag nur ein geringer Anteil an Petroleum vor, zum anderen konnte hinsichtlich des Petroleums eine Freisetzung durch natürliche Verdunstung erfolgen. Darüber hinaus war kein direkter Hautkontakt nachweisbar. Dies wird auch durch das Gutachten des Arbeitsmediziners Prof. Dr.N. vom 18.02.2004 bestätigt. Danach ergeben sich aus den gesamten Unterlagen keinerlei Hinweise auf eine neurologische Erkrankung des Versicherten während seiner Tätigkeit als Kugelflasher oder Kugelverpacker. Außerdem erzeugt Petroleum nach den heutigen arbeitsmedizinischen Erkenntnissen weder einen Tinnitus noch verstärkt es ein derartiges Krankheitsbild in seiner Intensität.
Im Hinblick auf diese Sach- und Rechtslage bestand für den Senat kein Anlass, den Anträgen auf eine Zeugeneinvernahme und eine Rekonstruktion der Lärmbelastung am Arbeitsplatz 1999 nachzugehen. Ebenso bestand keine Veranlassung zur Einholung eines weiteren Gutachtens.
Nach alledem kann der Suizid des Versicherten infolge Ohrgeräusche keiner BK zugerechnet werden. Die Berufung muss als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Tinnitus des am 16.07.1999 verstorbenen Versicherten K. S. als Folge einer Berufskrankheit (BK) anzuerkennen ist und Hinterbliebenenleistungen zu gewähren sind.
Der 1945 geborene Versicherte K. S. war seit 02.01.1974 als Kugelflasher bei der Firma K. in E. beschäftigt.
Seit ca. 1985 klagte er über eine Lärmschwerhörigkeit beidseits. Bei der Firma K. war er Lärm durch sogenanntes Kugelflashen von 1974 bis April 1994 ausgesetzt. Bei einer Lärmmessung im Dezember 1992 wurde ein Beurteilungspegel von 98,2 dB (A) festgestellt. Im Oktober 1992 erlitt er einen akuten Hörsturz links (Befundbericht des HNO-Arztes Dr.S. vom 19.07.1994). Ab April 1994 wurde er auf einen lärmberuhigten Arbeitsplatz umgesetzt.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten stellte am 06.10.1994 fest, dass der Versicherte insgesamt 20,3 Jahre lärmgefährdet mit einem Beurteilungspegel von 90 dB (A) und mehr, 9,1 Jahre möglicherweise lärmgefährdet mit einem Beurteilungspegel von 85 bis 89 dB (A) beruflich eingesetzt war.
Die Beklagte veranlasste ein Gutachten des HNO-Arztes Dr.M. vom 06.12.1994. Dieser stellte eine doppelseitige recruitment-negative pancochleare Schallempfindungsschwerhörigkeit mit zischendem Ohrgeräusch rechts mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) - ohne Rücksicht auf die Ursache - von 30 bis 35 vH fest. Die pancochleare Hörstörung spreche gegen eine Lärmschwerhörigkeit. Es bestehe kein Anhalt für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Lärmexposition am Arbeitsplatz und der hier vorliegenden Schallempfindungsschwerhörigkeit.
Mit Bescheid vom 27.01.1995 stellte die Beklagte fest, dass ein Anspruch auf Entschädigung wegen einer Lärmschwerhörigkeit als BK nach Nr 2301 der Anlage 1 zur BeKV nicht bestehe.
Am 16.07.1999 ist der Versicherte durch Selbsttötung verstorben.
Die Witwe des Versicherten, die Klägerin E. A. , stellte im Juli 2002 Antrag auf Hinterbliebenenrente. Sie trug vor, bei ihrem verstorbenen Mann habe eine BK vorgelegen. Er habe Suizid infolge unerträglichen Tinnitus bei gleichzeitiger Einwirkung von Petroleum im Packraum der Firma F. begangen. Petroleum sei ein Nervengift.
In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 09.01.2003 führte der HNO-Arzt Prof. Dr.T. aus, dass der Versicherte einer ganz erheblichen beruflichen Lärmexposition ausgesetzt gewesen sei. Eine lärmbedingte Verursachung des Hörsturzes im Jahre 1992 könne aber nicht angenommen werden. Auch die rapide Verschlechterung im Jahr 1994 sei nicht auf den Lärm zu beziehen. Das beim Versicherten bestehende Ohrgeräusch müsse lärmunabhängigen Faktoren zugerechnet werden. Insbesondere lasse sich die Entwicklung der Schwerhörigkeit mit hörsturzartigen Ereignissen und Schwindel sowie die audiometrische Befundkonstellation und der dokumentierte Verlauf nicht mit einer lärmbedingten Hörminderung vereinbaren. Im Rahmen einer massiven und aufgrund der hörsturzartigen Entwicklung und der Befundkonstellation sicher lärmunabhängigen Schwerhörigkeit könne auch das Ohrgeräusch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Lärmarbeit zurückgeführt werden. Eine berufsbedingte MdE sei nicht nachzuweisen. Ein Zusammenhang des Suizids mit einer lärmbedingten Erkrankung sei nicht zu sichern.
Die Beklagte führte wegen der Angaben der Klägerin, dass ihr verstorbener Mann auch Einwirkungen von Petroleum im Packraum bei der Firma F. ausgesetzt gewesen sei, zusätzlich ein Verwaltungsverfahren durch zur Prüfung, ob die Voraussetzungen der BK Nr 1303/1317 vorlägen. Darin führte der behandelnde Nervenarzt Dr.K. in seinem Befundbericht vom 25.03.2003 aus, dass bei dem Versicherten eine vegetative Erschöpfung mit depressiven Elementen im Jahr 1999 bereits unverkennbar gewesen sei. Er habe an einem chronischen Tinnitus rechts mit Innenohrschwerhörigkeit beidseits gelitten. Auf Grund des Tinnitus habe sich eine depressive Symptomatik entwickelt. Der TAD der Beklagten führte mit Schreiben vom 08.05.2003 aus, dass der Versicherte während seiner Beschäftigung in der Kugelflasherei keiner Einwirkung im Sinne der BK Nrn 1303/1317 ausgesetzt gewesen sei. Eine relevante Exposition gegenüber neurotoxischen Inhaltsstoffen habe nicht vorgelegen, da zum einen nur ein geringer Anteil von Petroleum vorgelegen habe und zum anderen ausschließlich eine Freisetzung nach natürlicher Verdunstung habe erfolgen können. Es habe auch keinen direkten Hautkontakt gegeben. In der Verpackerei habe nur eine geringfügige Einwirkung durch n-Hexan und aromatische Kohlenwasserstoffe bestanden. Auf Veranlassung der Beklagten verfasste der Arbeitsmediziner Prof. Dr.N. am 18.02.2004 ein Gutachten, in dem er eine BK der Nrn 1303/1317 der Anlage zur BKV ausschloss. Der Versicherte habe an einem chronischen Tinnitus bei Zustand nach Hörsturz und depressiver Reaktion gelitten. Hinweise auf eine neurologische Systemerkrankung ließen sich nicht finden. Auch habe keine berufsbedingte Lärmschädigung des Gehörs nachgewiesen werden können.
Mit Bescheid vom 26.05.2004 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen ab (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 21.07.2004).
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes ihres Ehemannes zu gewähren. Sie hat ausgeführt, dass eine berufliche Lärmbelastung unbestreitbar sei. Ihr Ehemann habe wegen der Lärmentwicklung am Arbeitsplatz auch bereits Anspruch auf ein Hörgerät gehabt. 1992 sei es hintereinander zu zwei Gehörstürzen gekommen. Ab 1994 habe die Belastung mit Petroleumdämpfen dazu geführt, dass sich der Tinnitus verschlimmert habe. Auch das Gehör habe sich verschlechtert. Die beruflich zustande gekommene Tinnituserkrankung sei wesentliche Ursache des Suizids gewesen. Der Versicherte habe es mit dieser psychischen Belastung nicht mehr ausgehalten.
Das SG Würzburg hat mit Gerichtsbescheid vom 16.06.2005 die Klage abgewiesen, da nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei, dass der Suizid des Versicherten wesentlich durch die Folgen einer BK (Tinnitus) verursacht worden sei. Das Vorliegen einer BK nach Nrn 2301/1303/ 1317 sei nicht nachgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, dass sich der Versicherte eine berufsbedingte Schwerhörigkeit im entschädigungspflichtigen Ausmaß zugezogen habe.
Der Senat hat Befundberichte des HNO-Arztes Dr.W. vom 01.09.2005, des Allgemeinarztes Dr.S. vom 21.10.2005 und des Orthopäden Dr.N. vom 24.11.2005, die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes W. (Gutachten des Dr.N. vom 15.03.1999), eine Auskunft über Erkrankungen des Versicherten von der Deutschen BKK vom 12.09.2005 sowie die Akte der Staatsanwaltschaft B. über die Selbsttötung des Versicherten beigezogen.
Die Klägerín beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Würzburg vom 16.06.2005 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 26.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2004 zu verurteilen, Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes des Versicherten K. S. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 16.06.2005 zurückzuweisen.
Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Akten des Versorgungsamtes W. und der Staatsanwaltschaft B. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
Es besteht kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen an Hinterbliebene, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind (§ 63 Abs 1 iVm §§ 7, 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -).
Hinterbliebene haben Anspruch auf Leistungen bei Tod iS des § 63 SGB VII, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Der Versicherungsfall ist nur dann Todesursache im Rechtssinne, wenn er mit Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Bedingung des Todes war. Der Tod muss nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Lehre der wesentlichen Bedingung durch den Versicherungsfall wesentlich, d.h. zumindest gleichwertig (mit-)verursacht worden sein. Es muss eine sachliche Verbindung mit der versicherten Tätigkeit bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, dass das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzuordnen ist. Wie das SG zu Recht ausführt, sind bei einem Suizid die Beweggründe des Selbstmordes entscheidend, d.h. die Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer BK müssen die wesentlichen Ursachen für den Entschluss und die Durchführung des Suizids sein.
Es ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass der Suizid des Versicherten wesentlich durch die Folgen einer BK verursacht worden ist. Dies gilt sowohl für die BK Nr 2301 (Lärmschwerhörigkeit) als auch für eine BK Nr 1302 und 1317. Unstreitig ist, dass der Versicherte einer ganz erheblichen beruflichen Lärmexposition ausgesetzt war. Dies lässt sich bereits der Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 06.10.1994 entnehmen. Der Versicherte war insgesamt 20,3 Jahre (bis April 1994) lärmgefährdet (Beurteilungspegel von 90 dB und mehr) sowie insgesamt 9,1 Jahre möglicherweise lärmgefährdet (Beurteilungspegel 85 bis 89 dB ) exponiert. Prof. Dr.T. führt in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 09.01.2003 in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr.M. vom 06.12.1994 aus, dass der beim Versicherten vorliegende Tinnitus nicht durch eine berufliche Lärmexposition und eine insoweit anzuerkennende BK verursacht worden ist. Dr.M. ging beim Nachweis einer mittelgradigen pancochlearen Schallempfindungsschwerhörigkeit davon aus, dass praktisch alle überschwelligen Methoden gegen eine recruitment-positive Lärmschwerhörigkeit sprechen, auch die pancochleare Hörstörung.
Die rapide Verschlechterung, die offensichtlich nach dem Hörsturzereignis 1992 im Jahr 1994 auftrat, lässt sich nicht auf den Lärm zurückführen. Eine entsprechende audiometrische Konstellation liegt nicht vor. Bekanntlich schreitet eine lärmbedingte Schwerhörigkeit kontinuierlich und nicht - wie beim Versicherten - in hörsturzartigen Schritten voran. Allenfalls könnte die geringfügige C5-Senke als Hinweis auf eine Teillärmgenese angesehen werden. Sie ist aber von völlig untergeordneter Bedeutung, bewirkt keinerlei messbare MdE und geht im lärmunabhängigen Gesamtschaden unter. Im Ürigen schreitet eine Lärmschwerhörigkeit nicht mehr fort, wenn der Versicherte nicht mehr im Lärmbereich tätig ist (Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2301, S 32).
Aus diesem Grunde muss auch der Tinnitus den hier vorherrschenden lärmunabhängigen Faktoren zugerechnet werden. Er ist im Zusammenhang mit der massiven Hörverschlechterung, die als lärmunabhängig zu deklarieren ist, aufgetreten und hat sich dabei vertieft, so dass eine Zuordnung zum Lärm nicht möglich ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Versicherte - wie die Klägerin unterstellt - wegen des Ohrgeräusches Suizid begangen hat, kann dies nicht dem beruflichen Lärm angelastet werden. Eher standen andere, nämlich nervliche und psychische Faktoren im Vordergrund, wie es bereits der behandelnde Nervenarzt Dr.K. in seinem Befundbericht vom 25.03.2003 ausführte. Er empfahl beim letzten Besuch des Versicherten am 14.04.1999 dringend eine stationäre Behandlung in einer Nervenklinik, da eine vegetative Erschöpfung mit depressiven Elementen bereits unverkennbar war. Auch der behandelnde Orthopäde Dr.N. hat auf ein psycho-vegetatives Erschöpfungssyndrom hingewiesen (Befundbericht vom 24.11.2005).
Bei der letzten HNO-ärztlichen Begutachtung durch Dr.N. für das Versorgungsamt W. am 15.03.1999, also ca. 4 Monate vor dem Tod des Versicherten, hat dieser über eine Schwerhörigkeit beidseits und Ohrgeräusche rechts geklagt. Für einen ursächlichen Zusammenhang der Ohrgeräusche mit der beruflichen Lärmexposition lassen sich aus diesem Gutachten aber keine Schlüsse ziehen.
Auch für eine BK nach den Nrn 1303 bzw. 1317 der Anlage zur BKV, die zum Suizid geführt haben sollen, finden sich keine Nachweise. Es fehlt bereits an den arbeitstechnischen Voraussetzungen. Nach der Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 08.05.2003 lässt sich eine relevante Exposition gegenüber neuro-toxischen Inhaltsstoffen nicht nachweisen. Zum einen lag nur ein geringer Anteil an Petroleum vor, zum anderen konnte hinsichtlich des Petroleums eine Freisetzung durch natürliche Verdunstung erfolgen. Darüber hinaus war kein direkter Hautkontakt nachweisbar. Dies wird auch durch das Gutachten des Arbeitsmediziners Prof. Dr.N. vom 18.02.2004 bestätigt. Danach ergeben sich aus den gesamten Unterlagen keinerlei Hinweise auf eine neurologische Erkrankung des Versicherten während seiner Tätigkeit als Kugelflasher oder Kugelverpacker. Außerdem erzeugt Petroleum nach den heutigen arbeitsmedizinischen Erkenntnissen weder einen Tinnitus noch verstärkt es ein derartiges Krankheitsbild in seiner Intensität.
Im Hinblick auf diese Sach- und Rechtslage bestand für den Senat kein Anlass, den Anträgen auf eine Zeugeneinvernahme und eine Rekonstruktion der Lärmbelastung am Arbeitsplatz 1999 nachzugehen. Ebenso bestand keine Veranlassung zur Einholung eines weiteren Gutachtens.
Nach alledem kann der Suizid des Versicherten infolge Ohrgeräusche keiner BK zugerechnet werden. Die Berufung muss als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
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