L 4 KR 376/06 ZVW

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 171/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 376/06 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Oktober 2002 und der Bescheide vom 3. Mai 2001 und 7. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2001 verurteilt, der Klägerin die Kosten der Behandlung mit der laserinduzierten Thermotherapie (LITT) in Höhe von EUR 5.604,57 zu erstatten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die September 1939 geborene und bei der Beklagten als Rentnerin versicherte Klägerin litt nach dem Befundbericht des praktischen Arztes Dr. P. vom 23. August 2001 u.a. an einem hepatozellulären Karzinom, das im Februar/März 2001 durch Entnahme einer Leberprobe diagnostiziert wurde. In der Universitätsklinik U. wurde der Befund im April 2001 als inoperabel angesehen, bei der Klägerin eine Chemotherapie begonnen und - nach deren Angaben - wegen Unverträglichkeit wieder abgebrochen. Anschließend beantragte sie am 30. April 2001 die Übernahme der Kosten einer von ihr beabsichtigten, vom Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums F. , Prof. Dr. V. , durchzuführenden ambulanten LITT zur Zerstörung einer Lebermetastase. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit den Bescheiden vom 3. und 7. Mai 2001 ab; bei der LITT handle es sich um eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein.

Während des Widerspruchverfahrens führte Prof. Dr. V. bei der Klägerin am 17. Mai 2001 die LITT ambulant durch. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2001 zurück; der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe sich mangels Antragstellung bisher nicht mit der LITT befasst. Die LITT gehöre nicht zu den von den Krankenkassen zu erbringenden Sachleistungen. Mit der Rechnung vom 6. Juli 2001 hat das Krankenhaus für die Behandlung von der Klägerin 10.961,59 DM gefordert.

Die Klägerin hat hiergegen am 9. Juli 2001 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben. Den beigefügten ärztlichen Bescheinigungenen von Prof. Dr. S. und Dr. B. vom 2. Juli 2001 bzw. 3. Juli 2001 sei zu entnehmen, dass alle bisherigen etablierten therapeutischen Methoden beim hepatozellulären Karzinom eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit zeigten und der Befund inoperabel gewesen sei. Es sei besser, wenn der Tumor durch eine direkte, lokale Einwirkung zerstört werden könne. Eine derartige Therapie sei bei der Klägerin noch nicht durchgeführt worden. Es handle sich hierbei nicht um ein Außenseiterverfahren, sondern um eine unter besten wissenschaftlichen Voraussetzungen durchgeführte kurative Medizin.

Im Arztbrief vom 20. August 2001 hat Prof. Dr. V. dem behandelnden Arzt der Klägerin eine hepatische Vollremission mitgeteilt. Dieser Befund ist in zahlreichen Nachuntersuchungen der Klinik bis August 2002 bestätigt worden.

Das SG hat mit Urteil vom 10. Oktober 2002 die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei zur Kostenerstattung für die neuartige Behandlungsmethode nicht verpflichtet; ein Verfahren vor dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sei bislang noch nicht eingeleitet worden. Zur Prüfung, ob ein Verfahren einzuleiten sei, haben die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung am 18. Januar 2002 ein sogenanntes HTA -Gutachten erstellen lassen, das sich eingehend mit den bisher vorliegenden Veröffentlichungen zur LITT befasst habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ein Wirksamkeitsnachweis noch nicht vorliegt und weitere kontrollierte Studien erforderlich sind.

Auf die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil vom 28. März 2003, mit der sie geltend gemacht hat, eine Operation des Karzinoms sei für sie nicht infrage gekommen und sie habe die Chemotherapie schlecht vertragen, hat der Senat nach Beiziehung der ärztlichen Befunde und Krankenhausunterlagen mit Urteil vom 19. Januar 2006 die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG vom 10. Oktober 2002 und der Bescheide vom 3. Mai 2001 und 7. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. Juni 2001 verurteilt, der Klägerin die Kosten der Behandlung mit der laserinduzierten Thermotherapie (LITT) in Höhe von 5.604,57 Euro zu erstatten. Er hat sich in der Begründung auf die neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 bezogen, wonach es mit der grundgesetzlich garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit, dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht auf Leben nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Der Senat hat sich im Weiteren auf die Angaben der behandelnden Ärzte gestützt. Das hepatozelluläre Karzinom der Klägerin habe nach Angaben des behandelnden Internisten keine günstige Prognose gehabt, falle also in die Gruppe der lebensbedrohlichen Erkrankungen. Die Wirksamkeit der angewandten Behandlungsmethode sei durch den Rückgang des Karzinoms bis zu einer Vollremission nachgewiesen. Der Klägerin habe als Alternative auch keine zweckmäßige Standardtherapie der Schulmedizin zur Verfügung gestanden.

Auch die weiteren Nachuntersuchungen bei der Klägerin in der Zeit vom März 2003 bis Mai 2006 haben ein Wiederauftreten der Krebserkrankung nicht bestätigt.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten die Revision zugelassen, mit Urteil vom 7. November 2006 das Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 19. Januar 2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit, das Fehlen einer anwendbaren Standardtherapie und das Bestehen einer mehr als bloß ganz entfernt gelegenen Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie sei nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen. Es bedürfe im vorliegenden Fall einer weiteren Sachverhaltsaufklärung.

Der Senat hat noch einmal Befundberichte des behandelnden Arztes Dr. P. , des Internisten Dr. R. , der Kreiskliniken G. und des Universitätsklinikums U. mit Arztbriefen und Nebenbefunden beigezogen. Auch die im Februar 2007 am Klinikum der J.-Universität (F. , Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, Professor Dr. V.) durchgeführte Nachuntersuchung hat keinen Nachweis von neu aufgetretenen Veränderungen ergeben und von einem "extrem erfreulichen Therapieverlauf" gesprochen.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. V. eingeholt, der u.a. zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die LITT-Behandlung nach dem Standard der Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird. Zum Zeitpunkt der Behandlung bei der Klägerin seien bereits ca. 1000 Patienten mittels LITT behandelt worden. Randomisierte Studien im Vergleich zur chirurgischen Resektion hätten mangels entsprechender Bereitschaft der Patienten nicht durchgeführt werden können; fast alle Patienten hätten die LITT vorgezogen. Die Rate an relevanten Komplikationen sei sehr niedrig. Im Jahr 2001 sei die LITT an 18 Kliniken in Deutschland und in mehreren europäischen und außereuropäischen Kliniken durchgeführt worden. Die Klägerin sei im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs neben der dokumentierten medizinischen Aufklärung auch ausführlich über die Kosten der Behandlung aufgeklärt worden. Eine spezielle Anfrage für den Behandlungsfall bei der Ethik-Kommission sei nicht erfolgt; es liege bereits ein allgemeines positives Votum zur Durchführung der LITT vor.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK, Gutachter Dr. T.) vom 14. Mai 2007 eine Kostenerstattung der Behandlung weiterhin abgelehnt. Allenfalls hätte die LITT als vorrangige Methode stationär durchgeführt werden müssen. Die Klägerin hätte auch nach anderen Methoden behandelt werden können, nämlich der Radiofrequenz-Ablation, der transarteriellen Chemoembolisation und der regionalen Chemotherapie. Sie hätte hinsichtlich der ökonomischen Konsequenzen und der anderen Behandlungsmöglichkeiten informiert werden müssen. Im Übrigen wird Kritik an der Auswahl des Sachverständigen geübt.

Der Sachverständige Prof. Dr. V. hat sich hierzu in der ergänzenden Stellungnahme vom 27. Juni 2007 geäußert. Nach Auffassung des Universitätsklinikums U. sei eine Radiofrequenz-Ablation nicht infrage gekommen. Es sei auch eine Überlegenheit der lokalablativen Verfahren gegenüber der regionalen Chemotherapie dokumentiert worden. Es gebe keinerlei Daten, dass die ambulante LITT eine höhere Komplikationsrate habe als eine stationäre. Als einzige Behandlungsmöglichkeit sei die LITT im vorliegenden Fall in Betracht gekommen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Oktober 2002 und die zugrunde liegenden Bescheide der Beklagten vom 3. Mai 2001 und 7. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Behandlung nach der LITT-Methode in Höhe von 5.604,57 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 Euro (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist begründet; wie der Senat bereits entschieden hat, hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der ambulanten Behandlung mit der laserinduzierten Thermotherapie (LITT). Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V (SGB V), wonach die Krankenkasse bei einer rechtswidrigen Leistungsablehnung Kosten der selbstbeschafften Leistung erstatten muss, soweit die Leistung notwendig war.

Da auch die Beklagte von einer lebensbedrohlichen Erkrankung bei der Klägerin ausgegangen ist, aus der von der Klägerin der Beklagten mit dem Kostenübernahmeantrag vorgelegten Dokumentation ("Ratgeber Gesundheit") ersichtlich war, dass neben einer Operation bzw. Chemotherapie eine schonendere Behandlungsmethode mit der LITT existiert und die Beklagte im Bescheid vom 7. Mai 2001 die Kostenübernahme für die beantragte Behandlung nach der LITT wegen Fehlens einer Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens abgelehnt hat, wäre sie verpflichtet gewesen (§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), die noch vor der Operation vorgelegte umfassende Dokumentation über die beantragte neuartige Behandlung einer medizinischen Beurteilung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu unterziehen und die Klägerin auf andere, von ihr entweder als Sachleistung oder im Wege der Kostenerstattung zu übernehmende Behandlungsmöglichkeiten hinzuweisen (§ 14 Sozialgesetzbuch I). Hierzu hätte auch ein Hinweis auf die stationäre Durchführung der LITT an einer Universitätsklinik gehört, da die Beklagte, wie ihrer letzten Stellungnahme vom 21. Mai 2007 zu entnehmen ist, gegen die Durchführung der streitigen Behandlung im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung wohl keine durchgreifenden Bedenken hatte. Da die Klägerin die Kostenübernahme für die LITT rechtzeitig beantragt hatte, wäre die Begutachtung durch den MDK noch vor der Operation möglich gewesen. Dies hat die Beklagte unterlassen, sondern erst mehr als sechs Jahre nach der Antragstellung die Kostenübernahme auch mit der Begründung abgelehnt, als schulmedizinische, nicht operative Behandlungsmethode wäre auch die Radiofrequenz-Ablation infrage gekommen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 4. April 2006, BSGE 96, 161; Urteil vom 9. März 1982, BSGE 53, 144; Urteil vom 18. Februar 1981, USK 8123; Urteil vom 28. November 1979 SozR 2200, § 182 RVO Nr. 57) ist eine Krankenkasse verpflichtet, bei der Auslegung eines Antrags sich danach zu richten, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen. Ist das von den Krankenkassen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben auf einem Gebiet bereitgestellte Leistungsangebot für die Versicherten so unübersichtlich, dass sich im Einzelfall nicht vermeiden lässt, einen konkreten Weg aufzuzeigen, der zu den gesetzlich möglichen Leistungen führt, ist dieses geboten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich aus dem Verhalten eines Versicherten ergibt, dass er über die gesetzlichen Möglichkeiten nicht ausreichend informiert ist. Die Behörde hat alle aufgrund des Sachverhalts zu Gunsten des Antragstellers in Betracht kommenden rechtlichen Möglichkeiten innerhalb ihrer Zuständigkeit zu erwägen und notfalls auf eine Klärung des Verfahrensgegenstandes durch den Antragsteller hinzuwirken.

Aufgrund der konkreten Antragstellung, die die Klägerin im Widerspruchsverfahren präzisiert hat, und im Hinblick auf die lebensbedrohliche Erkrankung und die weiteren Erschwernisse einer schulmedizinische Behandlung, nämlich die Unverträglichkeit der Chemotherapie sowie die fehlende Operationsmöglichkeit des Leberkarzinoms, wäre es Sache der Beklagten gewesen, der Klägerin einen Behandlungsweg aufzuzeigen, der nach ihren Vorstellungen zur Schulmedizin zählt und eine Kostenübernahme als Sachleistung gestattet. Es besteht überdies kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die Klägerin die Behandlung nach der LITT zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in der für die Beklagten teureren stationären Behandlungsform hätte durchführen lassen, da sie in diesem Fall die Behandlungskosten nicht hätte vorfinanzieren müssen. In diesem Verhalten der Beklagten liegt ein Systemversagen, das durch den Kostenerstattungsanspruch zu schließen ist. Die Klägerin war somit berechtigt, in Anbetracht ihrer lebensbedrohlichen Erkrankung und fehlenden Kenntnisse über eine zweckmäßige und schonende Behandlungsalternative von der LITT Gebrauch zu machen.

Die streitige Behandlung nach der LITT war notwendig (§ 13 Abs. 3 i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB V). Nach dieser grundlegenden Vorschrift des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Mit dieser Regelung wird einerseits sichergestellt, dass die Behandlung einen Mindeststandard erfüllt, d.h. Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genügt, den medizinischen Fortschritt berücksichtigt (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) und nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt (§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB V). Andererseits bezweckt diese Vorschrift die Vermeidung überflüssiger, nicht dem genannten Qualitätsstandard entsprechender und auch zu teurer Leistungen.

Der Senat verweist bei dem hier vorliegenden Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung wieder auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (SozR 4-2500 § 27 Nr. 5), dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Versicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine dem allgemein anerkannten, medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Vefügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das BSG hat hierzu in der o.g. Entscheidung vom 7. November 2006 (Die Sozialgerichtsbarkeit 2007, 33) konkretisierend ausgeführt, dass zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten auch bei neuen Behandlungsmethoden der Arztvorbehalt (§ 15 Abs. 1 SGB V) und die Regeln der ärztlichen Kunst (§ 28 Abs. 1 SGB V) einzuhalten sind.

Aufgrund der beigezogenen ärztlichen Befunde und des ärztlichen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. V. (Klinikum der J.-Universität F. - Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie) vom 11. April 2007 sowie dessen ergänzender Stellungnahme vom 27. Juni 2007 steht fest, dass die bei der Klägerin durchgeführte LITT dem medizinischen Standard und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen hat (§§ 2 Abs. 1 Satz 3, 28 Abs. 1 SGB V). In diesem Zusammenhang ist schon darauf hinzuweisen, dass die Universitätskliniken in Deutschland allgemein den Behandlungsstandard der wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnisse, d.h. der Schulmedizin, und der Regeln der ärztlichen Kunst repräsentieren. Sie sind kraft Gesetzes zugelassene Einrichtungen (§§ 107, 108 SGB V). Der Senat hat den behandelnden Arzt als Sachverständigen gewählt (§ 106 Abs. 1 Nr. 5 SGG), da er über die speziellen Kenntnisse und Erfahrungen über die streitige Behandlung verfügt.

Die Beweiserhebung durch den Senat, insbesondere die Ausführungen des Sachverständigen haben ergeben, dass das hepatozelluläre Karzinom eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung ist, wenn der Tumor nicht durch Resektion (chirurgische Entfernung) oder Ablation therapiert werden kann. Der Sachverständige hat die Klägerin im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs am 27. April 2001 neben der dokumentierten medizinischen Aufklärung auch über die Kosten der Behandlung informiert, ferner erfolgte eine zweite Aufklärung am 17. Mai 2001. Es gibt keine Langzeitüberlebenden bei der Chemotherapie und supportiven Therapie. Von den anderen Behandlungsmöglichkeiten wie chirurgische Resektion, Lebertransplantation, lokale Tumorablation mit Laser, Radiofrequenz-Ablation, Mikrowelle, lokale Alkoholinstallation, systemische Chemotherapie und transarteriellen Chemoembolisation ist nach der medizinischen Einschätzung des behandelnden Arztes Prof. Dr. V. , auch im Hinblick auf die erfolglosen Vorbehandlungen, als Behandlungsoption mit der besten Aussicht auf Erfolg für die Klägerin lediglich ein ablatives Verfahren in Betracht gekommen. Nach dem Sachverständigen weist die Chemotherapie bei einem hepatozellulären Karzinom eine sehr eingeschränkte Wirksamkeit auf und ermöglicht nur eine sehr begrenzte Lebenserwartung. Damit bestand die Auswahlmöglichkeit zwischen Laser-Ablation, Radiofrequenz-Ablation und Mikrowellen-Ablation. Diese Behandlungsmethoden waren zur Therapie des hepatozellulären Karzinoms in gleicher Weise geeignet. Bei der vom behandelnden Arzt gewählten laserinduzierten Thermotherapie (LITT) wird das Tumorgewebe bzw. werden die tumorösen Zellen durch eine Erhitzung auf ca. 100° bis 120°C irreversibel geschädigt und zerstört. Damit wird ein Weiterwachsen des Tumors verhindert. Bereits im Zeitpunkt der Durchführung der strittigen Behandlung bestanden an der Klinik Erfahrungen mit ca. 1000 Patienten, die mittels LITT behandelt wurden. Auch zahlreiche internationale Studien haben ergeben, dass die lokale Ablation (LITT oder Radiofrequenz-Ablation) eine sichere und dauerhafte Destruktion von Tumorgewebe ermöglicht.

Hinsichtlich des Fehlens aussagekräftiger randomisierter Studien über die LITT hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass alle Patienten die Randomisation in den chirurgischen Therapien verweigert haben und stattdessen die minimalinvasive LITT als Therapieverfahren wünschten. Im Übrigen sind auch bei der von der Beklagten offensichtlich favorisierten Resektion von Lebertumoren bislang keinerlei randomisierte Studien publiziert, so dass im Hinblick auf den medizinischen Behandlungsstandard und die Regeln der ärztlichen Kunst sowie die hohe Patientenzahl die LITT den gleichen Anspruch auf Wirksamkeit erheben kann. Auch bei der Durchführung der LITT ist im vorliegenden Fall nach den Regeln der ärztlichen Kunst verfahren worden. Zum einen ist nach den Ausführungen des Sachverständigen die Rate der relevanten Komplikationen sehr niedrig und zum anderen werden im allgemeinen die Patienten routinemäßig nach der Intervention mindestens sechs Stunden überwacht. Nach den Erfahrungen des behandelnden Arztes und Sachverständigen werden relevante Komplikationen in diesem Zeitraum erfasst. Sollten in dieser Zeitspanne klinisch relevante Komplikation auftreten, wird der Patient routinemäßig stationär aufgenommen. Eine stationäre Behandlung mittels LITT wird nach seinen Ausführungen ferner nur durchgeführt, wenn der Patient signifikant erhöhte Risikofaktoren aufweist, wie z.B. eine deutlich eingeschränkte Blutgerinnung oder sehr schlechte Laborwerte. Beides lag bei der Klägerin nicht vor. Dass die Behandlung nach der LITT den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen hat, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass sie an einer Universitätsklinik durchgeführt wurde und im Übrigen seit dem Jahr 2001 18 weitere Kliniken in Deutschland und zahlreiche europäische und außereuropäische Kliniken nach dieser Methode behandeln. Dies wird vom Senat als ein zusätzliches Indiz für den bereits im Operationszeitpunkt bestehenden Behandlungstandard gewertet. Die vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen dokumentieren, dass mit lokalablativen Verfahren auch eine sehr gute lokale Tumorkontrolle erreicht werden kann. Für die Durchführung der Behandlung nach der LITT gibt es ein allgemeines positives Kommissionsvotum der Ethik-Kommission, so dass eine spezielle Anfrage nicht mehr erfolgte. Aber auch vom MDK wird eingeräumt, dass im vorliegenden Fall ein Ethikvotum nicht einzuholen war, da die Klägerin nicht im Rahmen einer Studie behandelt wurde.

Soweit sich die Beklagte demgegenüber auf die Stellungnahme des MDK vom 14. Mai 2007 beruft, kann dies zu keiner anderen Entscheidung führen. Insbesondere der Hinweis des MDK, dass bei der Klägerin auch eine Radiofrequenzablation hätte durchgeführt werden können, mag zwar zutreffend sein, aber es wäre, wie oben ausgeführt wurde, die Angelegenheit der Beklagten gewesen, die Klägerin noch vor (!) Durchführung der streitigen Behandlung auf die mögliche Kostenübernahme mittels dieser Behandlungsmethode oder der stationären Behandlung nach einer schonenden Behandlungsmethode hinzuweisen. Der Sachverständige hat in der ergänzenden Stellungnahme zudem ausgeführt, dass die Klägerin vom Universitätsklinikum U. zur Durchführung der LITT überwiesen wurde, weil der Tumor nicht resektabel, nicht mittels Thermoablation behandelbar war und eine Radiofrequenz- oder Mikrowellenablation mangels entsprechender Möglichkeiten im Universitätsklinikum U. nicht verfügbar waren. Überdies besteht der Vorteil der LITT, die unter MR-Steuerung durchgeführt wird, gegenüber der Radiofrequenzablation darin, dass mit der LITT auch Tumore behandelt werden können, die der Radiofrequenzablation nicht zugänglich sind. Aufgrund des Berichts des Universitätsklinikums U., das eine Radiofrequenzablation nicht für indiziert gehalten hat, kam für den behandelnden Arzt ein Vorgehen nur nach der LITT infrage. Da die Universitätsklinik F. nach Angaben des Sachverständigen mit Abstand die größte Erfahrung in der Ablation von komplexen Leberläsionen hat, war aus der Sicht des behandelnden Arztes Prof. Dr. V. die Überweisung an seine Klinik verständlich. Damit hat der Sachverständige zur Genüge dargelegt, dass in der konkreten Behandlungssituation für die Klägerin keine gleichwertigen Therapieoptionen zur Verfügung standen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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