L 2 U 214/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 285/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 214/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 5. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1969 geborene Kläger erlitt am 19. September 2001 bei seiner Tätigkeit als Feinoptiker eine Amputation des linken Ringfingers.

Der Versuch einer Replantation misslang. Der Kläger wurde am 29. September 2001 bei reizlosem Amputationsstumpf aus dem Krankenhaus entlassen. Am 7. November 2001 klagte er nach wie vor über elektrisierende Missempfindungen. Es wurde eine trophische Hautstörung im Bereich der gesamten linken Hand mit Hypersekretion und Hautdurchblutungsstörungen festgestellt, die nach Ansicht des Chirurgen Dr. S. auf eine beginnende Reflexdystrophie (CRPS: Chronisches Regionales Schmerz-Syndrom) hindeuten könnten. Der hinzugezogene Neurologe Dr. P. stellte am 13. November 2001 eine deutliche Schwellung und Spannung im Operationsgebiet fest, eine deutliche Rötung, verstärkte Kälteempfindung und leichte Taubheit. Dr. P. diagnostizierte Hinweise auf Phantombeschwerden und sensible Irritation, leichte Defizite der Hautnerven. Am 21. November 2001 stellte Dr. S. einen deutlichen Rückgang der trophischen Hautstörung fest. Der Amputationsstumpf war noch geschwollen und gerötet. Am 18. Januar 2002 hatten sich die Weichteilverhältnisse weitgehend normalisiert, es fand sich über dem Stumpf noch eine Hypersensibilität. Die Handfunktion war bis auf ein diskretes Defizit beim Faustschluss vollkommen frei.

Der beratende Arzt der Beklagten, der Chirurg Dr. L. , vertrat am 20. Februar 2002 die Auffassung, eine Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit erscheine möglich.

Vom 8. April 2002 bis 21. Juni 2002 wurde der Kläger in der Rehabilitationsklinik E. behandelt. Bei der Aufnahmeuntersuchung waren die Narben reizlos. Es bestand eine Dysästhesie im Stumpfbereich ohne wesentlichen Druckschmerz. Bei einer Besprechung am 30. April 2002 berichtete der Arbeitsmediziner Dr. S. , die berufliche Tätigkeit als Feinoptiker könne wieder ausgeübt werden. Der Fingerstumpf sei vermehrt schmerzempfindlich und, wie auch angrenzende Bereiche, deutlich verfärbt. Der Kläger habe glaubhafte Angst vor Maschinen. Diese Auffälligkeit sei aber gut therapierbar. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. untersuchte den Kläger am 3. Juni 2002. Er stellte eine Hyperpathie im Bereich der linken Hand und des Fingerstumpfes fest. Die Sensibilität sei gut erhalten. Es bestehe eine isolierte Phobie, die sich auf Maschinen mit Verletzungsgefahr beziehe. Darüberhinaus leide der Kläger an einer reaktiven Depression, bedingt durch seine soziale und berufliche Lage. Im Abschlussbericht vom 15. Juli 2002 wurde ausgeführt, die Narben seien reizlos. Es bestehe eine Dysästhesie im Stumpfbereich ohne wesentlichen Druckschmerz, livide Verfärbung und Kälte. Bei maximaler Flexion werde ein Tremor ausgelöst.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 2. Oktober 2002 eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Vorförderkurs.

Im Gutachten vom 8. Oktober 2002 führte der Chirurg Dr. B. aus, entlang des Stumpfes sei der Kläger noch diskret überempfindlich. Die MdE auf chirurgischem Gebiet werde auf 10 v.H. eingeschätzt.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. erklärte im Gutachten vom 7. Oktober 2002, es bestünden eine Hypaesthesie und Hypalgesie an der Ringfingerkuppe mit neuropathischen Schmerzen, Sensibilitätstörungen und leichteren Phantomschmerzen sowie eine chronifizierte traumatische Belastungsstörung mit phobischer Symptomatik. Die MdE sei auf neurologischem Gebiet mit ca. 10 v.H. einzuschätzen. Es sei zu erwarten, dass sich die psychischen Unfallfolgen weitgehend zurückbildeten. Aktuell seien sie mit etwa 20 v.H. einzuschätzen.

In der Stellungnahme vom 15. Oktober 2002 erklärte Dr. B. , die pathologische Unfallverarbeitung stehe wohl im Vordergrund, die Gesamt-MdE werde auf 20 v.H. eingeschätzt.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 26. November 2002 eine vorläufige Entschädigung wegen einer MdE in Höhe von 20 v.H ... Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Verlust des linken Ringfingers in Höhe des Grundgliedknöpfchens, Gefühlstörungen im Amputationsbereich, Beugebehinderung im Bereich des Mittel- und Kleinfingers links, posttraumatische Belastungsstörung mit phobischer Symptomatik.

Der Kläger machte mit Widerspruch vom 23. Dezember 2002 geltend, er könne seine Tätigkeit als Feinoptiker nicht mehr ausüben. Aufgrund der Verletzungen sei mindestens eine MdE um 40 v.H. gegeben.

Dr. L. erklärte in der Stellungnahme vom 27. Februar 2003, die Gesamt-MdE sei mit 20 v.H. befundgerecht eingeschätzt. Es lägen Überschneidungen aller drei gutachterlich bearbeiteten Fachgebiete vor. Der partielle Fingerverlust allein habe eine MdE von 0 v.H. zur Folge, die übrigen Unfallfolgen seien nervenärztlicher Natur, wobei auch hier sich neurologische und psychiatrische Unfallfolgen überschneiden würden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. April 2003 zurück.

Im Klageverfahren erklärte der Kläger, er sei in seinem Beruf als Feinoptiker auf die volle Funktionsfähigkeit seiner Hand angewiesen. Außerdem habe er die Absicht gehabt, nebenberuflich Gitarrelehrer zu werden. Dies sei jetzt nicht mehr möglich. Die Schmerzbelastung sei massiv anhaltend. Es sei von einer MdE von mindestens 40 v.H. auszugehen. Am rechten Arm habe er wegen Überbelastung erhebliche Schmerzen. Zu berücksichtigen seien auch die massiven Angstzustände.

Im Gutachten vom 13. November 2003 führte Dr. B. aus, der Kläger klage über unvollständigen Faustschluss, Schmerzen bei Berührung am Stumpf des linken Ringfingers, Wetterfühligkeit, Kälteempfindlichkeit, Schmerzen bei Stress und Belastungsschmerzen im rechten Arm. Der Kläger sei Rechtshänder. Die Beschwielung der Handinnenseite links sei deutlich schwächer ausgeprägt als rechts. Es bestehe keine offensichtliche Störung der Hauttrophik und Durchblutung. Das Nagelwachstum sei ungestört. Die Bemuskelung des linken Armes sei diskret gegenüber rechts gemindert. Angegeben werde eine Überempfindlichkeit mit teilweise elektrisierenden Missempfindungen am Fingerstumpf. Bei der Prüfung des Faustschlusses zeige sich eine deutliche Kraftminderung. Der linke Kleinfinger sei in der Beweglichkeit diskret eingeschränkt. Die MdE werde auf chirurgischem Fachgebiet auf 10 v.H. eingeschätzt.

Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. erklärte im Gutachten vom 28. Januar 2004, der Kläger gebe Phantomschmerzen an. Bei Wetterwechsel, bei Kälte und Stress seien die Beschwerden wesentlich stärker. Die Finger würden sich draußen blau verfärben. Er habe weiterhin Angst vor Maschinen, auch beim Autofahren. Bei starken Schmerzen nehme er Tramal, zuletzt vor drei bis vier Wochen, denn er versuche es zu vermeiden. Eine Dauerbehandlung sei nicht mehr erforderlich. Seit März 2003 werde er psychotherapeutisch behandelt. Medikamente nehme er wegen der Ängste nicht, da sie ihm nicht bekommen seien. Außer Missempfindungen im Bereich des Stumpfes und einer Hypaesthesie am kleinen Finger sowie einer Minderung der groben Kraft im Bereich der linken Hand seien neurologische Ausfälle nicht festzustellen. Bei im wesentlichen unauffälligem psychopathologischen Befund seien die geklagten Beschwerden im Sinne von Anpassungsstörungen zu werten, die üblicherweise multifaktoriell entstünden und zu deren Auftreten auch die subjektive Einstellung einem Ereignis gegenüber beteiligt sei. Insofern könne ein Unfallzusammenhang nicht mehr festgestellt werden. Die neurologische MdE betrage 10 v.H ...

Die Beklagte entzog mit Bescheid vom 11. März 2004 die vorläufige Entschädigung mit Ablauf des Monats März 2004. Ein Anspruch auf Rente auf unbestimmte Zeit anstelle der vorläufigen Rente bestehe nicht. Die Erwerbsfähigkeit werde nicht mehr in rentenberechtigendem Grad gemindert.

Der Allgemeinmediziner Dr. H. berichtete am 15. Oktober 2003, der Kläger klage jetzt über rezidivierende Schmerzen. Weiter wurden Berichte des Allgemeinarztes Dr. K. beigezogen.

Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr. L. führte im Gutachten von 22. Juni 2005 aus, nach dem Unfall habe man eine beginnende Reflexdystrophie vermutet; der Neurologe Dr. P. habe diese Diagnose aber nicht bestätigt. Der Fingerstumpf sei schlank, ohne Schwellung, die Hautfarbe sei ebenfalls gesund und ohne Unterschied zu den Nachbarfingern. Die Fingernägel der gesunden Finger wüchsen regelrecht ohne trophische Störungen. Bei Betastung sei der Ringfingerstumpf reizlos, erst nach einer Weile gebe der Kläger einen lokalen Druckschmerz an der Stumpfspitze an. Die Beweglichkeit des Stumpfes sei frei. Der Gewebsturgor sei gesund und spannkräftig. Auf den Röntgenaufnahmen zeige sich der Ringfingerstumpf reizlos. Die Stumpfspitze sei von gesunden Weichteilen bedeckt. Es sei allenfalls eine minimale Kalksalzminderung am Schaft und der Basis zu erkennen. An den übrigen Langfingern der linken Hand zeige sich ein regelrechter Kalksalzgehalt. Insgesamt sei ein gesunder und völlig frei beweglicher Ringfingergrundgliedstumpf mit gesunder, mechanisch belastbarer Weichteildeckung gegeben. Die beiden benachbarten Finger seien mit Ausnahme einer minimalen Faustschlussstörung voll funktionstüchtig. Es bestünden weder klinisch noch radiologisch Zeichen eines Mindergebrauchs der linken Hand. Die MdE sei von unfallchirurgischer Seite mit 0 v.H. zu bewerten. Eine psychische Unfallfolge sei nicht zu erkennen; eine posttraumatische Belastungsstörung komme sicher nicht in Betracht. Dr. P. habe zwar eine neurotische Fehlverarbeitung angenommen, dabei aber außer Acht gelassen, dass diese psychische Problematik nicht auf den Unfallfolgen beruhe, sondern auf einer in der Persönlichkeit des Klägers begründeten Eigenart. Die Einholung eines Gutachtens auf anderem Fachgebiet sei nicht notwendig.

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. führte im Gutachten vom 18. Januar 2006 aus, es bestehe eine durchgängig nachweisbare vermehrte Schmerzhaftigkeit mit Überempfindlichkeit, Verfärbung, vermehrte Kälteempfindlichkeit sowie verminderte Temperatur. Diese Auffälligkeiten seien bereits zwei Monate nach dem Unfall festgestellt worden. Es zeige sich ein leichter Tremor der linken Hand. Diese Symptome ließen sich zwanglos einem CRPS zuordnen und seien durchaus glaubhafte Folgen einer Gewebeschädigung. Auch der vermehrte Schmerzmittelbedarf und der neuromartige Schmerz seien darauf zurückzuführen. Auf psychischem Gebiet zeige sich eine deutliche Einengung des Denkens auf die Folgen des Unfalls und Entwicklung einer Angstproblematik. Eine posttraumatische Belastungsreaktion sei nicht anzunehmen. Bei CRPS spiele auch die psychische Alteration eine wichtige Rolle. Es handle sich hier im eigentlichen Sinn nicht um eine Phobie oder Verarbeitungsstörung im Sinne einer Neurose, sondern um einen Teil der Diagnose CRPS. Eine adäquate Therapie sei bislang nicht durchgeführt worden. Die MdE auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet sei mit 30 v.H. einzuschätzen.

Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme von Dr. K. vom 6. März 2006. Der von Dr. D. erwähnte vermehrte Schmerzmittelbedarf werde nicht näher erläutert. Bei der Untersuchung am 22. Dezember 2003 habe der Kläger angegeben, er nehme nur sporadisch Tramadol ein, letztmals drei bis vier Wochen vor der Untersuchung. Es sei davon auszugehen, dass übliche Schmerzen vorlägen, da eine ständige und intensive Schmerzbehandlung nicht erforderlich sei. Das Vorliegen eines CRPS Grad I sei nicht mit der nötigen Sicherheit zu bestätigen. Dr. D. habe einen Amputationsstumpf festgestellt, der kühler gewesen sei als die übrigen Finger und rötlich-livide verfärbt. Lokale Veränderungen am Stumpf seien nicht ungewöhnlich, begründeten aber nicht zwangsläufig die Diagnose einer CRPS. Die Kalksalzminderung sei mit einer Inaktivitätsatrophie vereinbar, die aber nicht für ein CRPS beweisend sei. Dr. D. beschreibe ein Zittern der linken Hand, das am 23. Dezember 2003 nicht festzustellen gewesen sei. Bei einem CRPS könne Zittern auftreten, dann müsse aber ein entsprechend ausgeprägter, objektiv erkennbarer Befund vorliegen, der auch angrenzende Bereiche des Amputationsstumpfes erfasse. Dies sei hier nicht der Fall. Zudem sei das Zittern erst mit deutlicher Latenz zum Unfall aufgetreten. Möglicherweise handle es sich hier um eine funktionelle Überlagerung. Unter Berücksichtigung der tatsächlich vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen könne eine höhere MdE als 10 v.H. nicht vorgeschlagen werden. Die Ausdehnung psychischer Beschwerden und Ängste auf Bereiche, die mit dem Unfall in keinem Zusammenhang stünden, weise auf psychische Reaktionen hin, die im Kläger selbst begründet seien und nicht mit der Verletzung in Zusammenhang stünden.

Mit Urteil vom 5. Dezember 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. L. gestützt. Eine Höherbewertung gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) komme nicht in Betracht.

Zur Begründung der Berufung führte der Kläger aus, aufgrund der medizinischen Feststellungen sei eine Höherbewertung der MdE begründet. Zu berücksichtigen sei auch die besondere berufliche Betroffenheit. Die Einholung von Gutachten auf chirurgischem und nervenärztlichem Fachgebiet sei dringend erforderlich.

Der Kläger stellte den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts München vom 5. Dezember 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides am 20. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2003 sowie des Bescheides vom 11. März 2004 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalles vom 19. September 2001 vorläufige Rente bzw. Rente auf unbestimmte Zeit in Höhe von 40 v.H. der Vollrente für die Zeit ab 21. Oktober 2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Dabei bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises, d.h. sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben. Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als der ursächliche Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie der Zusammenhang betroffen ist, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Verletzung bestehen muss (vgl. Krasney, VSSR 1993,81, 114).

Beim Kläger ist es zu keiner bleibenden Gesundheitsstörung, die eine MdE von wenigstens 20 v.H. der Vollrente bedingen würde, gekommen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem schlüssigen Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr. L. sowie aus den im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachten der Dr. B. , Dr. P. und Dr. K ...

Die Bemessung der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Die ärztlichen Meinungsäußerungen hierzu haben zwar keine verbindliche Wirkung, sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Dabei ist zu beachten, dass auch eine MdE unter 20 v.H., auch wenn sie ohne eine stützende Rente keinen Anspruch auf Verletztenrente begründet, mit einer entsprechenden Einbuße der Erwerbsfähigkeit verbunden sein muss. Verletzungsfolgen ohne klinische Auswirkungen bedingen allein wegen der Diagnose noch keine MdE.

Dr. L. hat im Gutachten vom 22. Juni 2005 überzeugend dargelegt, dass auf unfallchirurgischem Fachgebiet keine wesentlichen Gesundheitsstörungen, die eine MdE bedingen würden, verblieben sind. Er stellte einen gesunden und völlig frei beweglichen Ringfinger-Grundgliedstumpf mit gesunder, mechanisch belastbarer, dicker Weichteildeckung der Stumpfspitze fest. Auch die beiden benachbarten Finger waren mit Ausnahme einer minimalen Faustschlussstörung voll funktionstüchtig. Es bestanden weder klinisch noch radiologisch Zeichen eines Mindergebrauches der linken Hand.

Nicht überzeugen konnte dagegen das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. vom 18. Januar 2006, soweit er ein CRPS als Unfallfolge angenommen hat. Die von Dr. D. zur Begründung angeführten Symptome wie vermehrte Schmerzempfindlichkeit, leicht verminderte Kraft beim Faustschluss und nicht kompletter Faustschluss, veränderte Hautfarbe und veränderte Hauttemperatur sowie leichte Osteopenie reichen für die Diagnose eines CRPS nicht aus. Zwar wurde bereits im Krankenhaus Schongau am 7. November 2001 eine trophische Hautstörung mit Hypersekretion und Hautdurchblutungsstörungen erwähnt. Der hinzugezogene Neurologe Dr. P. hat aber eine Reflexdystrophie nicht diagnostiziert. Im übrigen berichteten die Chirurgen am 18. Januar 2002, dass sich die Weichteilverhältnisse weitgehend normalisiert hatten. Es fand sich nur noch eine Hypersensibilität. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. erwähnte am 5. Juni 2002 nur die psychische Problematik des Klägers, keine CRPS-spezifischen Symptome. Laut Abschlussbericht vom 15. Juli 2002 bestanden reizlose Weichteilverhältnisse, Dysaesthesie, Temperaturempfindlichkeit sowie eine livide Verfärbung. Diese Befunde sind aber, wie Dr. K. in Übereinstimmung mit Dr. L. erläutert hat, nicht beweisend für ein CRPS. Dr. D. hat einen Amputationsstumpf festgestellt, der kühler war als die übrigen Finger und livide verfärbt. Dies ist, so Dr. K. , für einen Amputationsstumpf nicht ungewöhnlich. Die von Dr. L. erwähnte Kalksalzminderung ist nur geringfügig, mit einer Inaktivitätsatrophie vereinbar und gleichfalls nicht beweisend für ein CRPS. Dr. D. hat ein Zittern beschrieben, das nur im Bericht vom 15.07.2002 bei maximaler Flexion erwähnt wurde. Zwar kann bei einem CRPS auch Zittern auftreten, es ist aber, wie Dr. K. betont, sehr ungewöhnlich, wenn mit deutlicher Latenz zum Unfall ein solches Symptom festgestellt wird, ohne dass sich wesentliche Gewebeveränderungen feststellen ließen. Plausibel wäre ein zeitnah zum Unfall aufgetretenes Zittern, das sich im Laufe der Zeit eher bessern sollte.

Wesentliche psychische Unfallfolgen hat auch Dr. D. nicht festgestellt. Er verweist auf eine Einengung des Denkens auf die Folgen des Unfalls, die Entwicklung einer Angstproblematik, die die Kriterien einer phobischen Störung erfülle. Als Unfallfolge hat er diese Beschwerden nicht gesondert beurteilt, sondern im Rahmen des CRPS gesehen. Dr. L. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die psychische Problematik auf einer neurotischen Fehlverarbeitung, die ihre Ursache in der Persönlichkeit des Klägers hat, beruht. So hat auch Dr. K. im Gutachten vom 28. Januar 2004 einen im wesentlichen unauffälligen psychopathologischen Befund festgestellt. Die angegebenen Beschwerden sind, so Dr. K. , i.S.v. Anpassungsstörungen zu werten, die üblicherweise multifaktoriell entstehen und deren Auftreten auch durch die subjektive Einstellung einem Unfall gegenüber bedingt ist. Auffällig ist auch, dass der Kläger nicht regelmäßig Medikamente zur Behandlung der psychischen Beschwerden einnimmt. Dies spricht gegen einen wesentlichen Leidensdruck.

Die Voraussetzungen für die Annahme eines besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII sind nicht erfüllt.

Im Rahmen dieser Vorschrift werden bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte, von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigenden Nachteile liegen im Rahmen des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII dann vor, wenn unter Wahrung des in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde. Selbst wenn der Versicherte seinen erlernten Beruf infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr ausüben kann, muss dies daher nicht zwangsläufig zur Erhöhung der MdE führen (vgl. BSGE 39,31). Auch dass erst bei einer Erhöhung der MdE ein Verletztenrentenanspruch begründet werden könnte, stellt für sich noch keine unbillige Härte dar (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 18 m.w.N.).

Als wesentliche Merkmale für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist, hat das BSG insbesondere das Alter des Verletzten, die Dauer der Ausbildung sowie vor allem die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit und auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete. Aus diesen Merkmalen und den außerdem zu beachtenden sonstigen besonderen Umständen des Einzelfalles kann sich eine höhere Bewertung der MdE ergeben, wenn der Versicherte infolge eines Arbeitsunfalls einen Lebensberuf aufgeben muss und die ihm verbliebenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur nach Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens verwerten kann (vgl. BSGE 70,47). Verfügt der Versicherte über sonstige Fähigkeiten, die geeignet sind, die unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr in vollem Umfang nutzbaren besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen auszugleichen, kommt eine Erhöhung der MdE nicht in Betracht, sofern ihm die Nutzung dieser Fähigkeiten zugemutet werden kann; dies schließt die zumutbare Aneignung solcher Fähigkeiten durch eine Umschulung ein. So hat das BSG im Urteil vom 31.10.1972 (2 RU 169/70) bei einem Versicherten, der mit 42 Jahren einen Arbeitsunfall erlitten hat, die besondere berufliche Betroffenheit verneint, weil in diesem Alter eine berufliche Anpassung zumutbar sei. Diese Zumutbarkeit schließe eine Umschulung nicht aus, selbst wenn damit erhebliche Schwierigkeiten und somit auch persönliche Opfer verbunden seien.

Die vom Senat vorzunehmende Einzelfallprüfung führt nicht zur Annahme einer unbilligen Härte. Maßgeblich ist die Summe der einzelnen Merkmale, die in ihrer Gesamtheit keinen Nachteilsausgleich im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII rechtfertigen (vgl. Bereiter-Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 Anm. 12.2 m.w.N.). Der Kläger hat bis zum Unfall den Beruf des Feinoptikers ausgeübt. Die Annahme einer besonderen beruflichen Betroffenheit erfordert grundsätzlich die erzwungene Aufgabe einer spezifischen, nicht alltäglichen Berufstätigkeit mit einem verhältnismäßig engen Einsatzbereich, wobei in erster Linie an künstlerische und sonstige schöpferische Fähigkeiten gedacht ist (vgl. Kasseler Kommentar, § 56 SGB VII Rn. 29 m.w.N.). Die Ausübung des Berufs muss aufgrund der Dauer und Intensität oder aufgrund besonderer Begabung nicht nur ein spezielles Fachwissen, sondern auch besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt haben, die die Stellung im Erwerbsleben wesentlich begünstigt haben. Derartige besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem sehr spezifischen Beruf hat der Kläger während seiner Ausbildung und Tätigkeit als Feinoptiker nicht erlangt. Eine herausragende Stellung im Erwerbsleben war damit nicht verbunden. Der Kläger hatte zudem zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls mit 32 Jahren noch kein Alter erreicht, in dem nicht eine berufliche Neuorientierung erfolgen könnte. So hat die Beklagte ihm auch eine Umschulung zum Informatiker möglich gemacht. Im Hinblick darauf, dass sich die vom Kläger erworbenen beruflichen Erfahrungen und Kenntnisse in seinem Beruf nicht in so besonderem Maße von üblichen beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen abheben, dass deshalb die Unfallfolgen zu einer außergewöhnlichen Härte geführt hätten, ist die Anwendung des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII zu Gunsten des Klägers nicht veranlasst. Wenn man, wie das BSG fordert (vgl.BSG SozR 2200 § 581 Nr. 18), nicht auf die konkrete Beeinträchtigung des Verletzten in seinem Beruf, sondern auf den Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten vor und nach dem Unfall abstellt, so ergibt sich keine unbillige Härte. Denn der Kläger kann den vorgeschlagenen Beruf des Informatikers zumutbar und ohne die Gefahr eines sozialen Abstiegs ausüben.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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