Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 349/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 298/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordung-BKV (BK 2108).
Der 1957 geborene Kläger war in der Zeit von Juli 1977 bis Juni 1996 als Galvanikarbeiter, von Juni 1996 bis Februar 2001 als Maschinenbediener und von Februar 2001 bis November 2001 an einem Leichtarbeitsplatz als Drahthakenbieger bei der Firma W. , Metallwarenfabrik GmbH, L. , tätig. Seit Ende 2001 ist er arbeitslos.
Mit Schreiben vom 07.11.2002 beantragte der Kläger die Feststellung einer Berufskrankheit aufgrund seiner Erkrankungen an der Wirbelsäule.
Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte eine Auskunft des Klägers vom 25.11.2002, eine Auskunft der Firma W. vom 07.07.2003, ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Bayern sowie Befundberichte der Dres.K. , Fachärzte für Allgemeinmedizin, vom 07.05.2003 bei und holte eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 18.09.2003 sowie eine gewerbeärztliche Stellungnahme des Dr.K. , Facharzt für Arbeitsmedizin, Gewerbeaufsichtsamt A. , vom 26.11.2003 ein.
Nach den Ausführungen des TAD war eine BK-relevante Exposition nicht gegeben, da keine gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK Nr.2108 ausgeführt worden sei.
Dr. K. führte aus, dass der Kläger an einem Lendenwirbelsäulen (LWS)-, Halswirbelsäulen (HWS)- und Brustwirbelsäulen (BWS) - Syndrom erkrankt sei. Da die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien, seien BKen nach den Nrn.2108 und 2109 der Anlage zur BKV nicht anzuerkennen.
Mit Bescheid vom 10.02.2004 lehnte die Beklagte das Vorliegen einer Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage zur BKV sowie Leistungen nach § 3 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) ab. Es seien weder schwere Lasten über einen Zeitraum von wenigstens zehn Jahren mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten getragen oder gehoben worden noch sei eine Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung ausgeführt worden. Da die Erkrankung nicht beruflich verursacht sei, sei auch eine Anerkennung nach § 9 Abs.2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) nicht möglich. Auch Leistungen nach § 3 der BKV seien nicht zu erbringen, weil die Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit bei einer Weiterbeschäftigung im jetzigen Beruf nicht wahrscheinlich sei.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2004 als unbegründet zurück.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2004 zu verurteilen, beim Kläger eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen sowie Leistungen nach § 3 der BKV zu bewilligen.
Das SG hat die einschlägigen Röntgen- und Kernspinaufnahmen, Befundberichte des Dr.H. , Internist, vom 26.04.2002, des Dr.B. , Facharzt für Anästhesiologie, vom 16.07.2002, des Dr.B. , Facharzt für Orthopädie, vom 18.02.2004, der Dres. E./E. , Ärzte für Chirurgie, vom 17.03.2004, und ein Gutachten des Dr.H. , Arzt für Orthopädie, vom 22.11.2002, das in einem Rechtsstreit gegen die Landesversicherungsanstalt Schwaben eingeholt wurde, beigezogen und hat ein Gutachten auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Dr.S. , Arzt für Orthopädie, vom 29.11.2005 (enthalten in der Akte S 8 U 350/04) eingeholt.
Dr.S. hat ausgeführt, dass im Ergebnis die Erkrankungen des Klägers an der Wirbelsäule nicht durch die berufliche Exposition verursacht seien. Eine Berufskrankheit liege nicht vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.08.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Dr.S. habe bestätigt, dass die Erkrankungen mit großer Wahrscheinlichkeit durch berufliche Belastungen entstanden seien. Es werde nochmals beantragt, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2004 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKV vorliegt sowie die Beklagte zu verurteilen, Leistungen nach § 3 der BKV zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakten, der Akten unter den Az.: S 8 U 350/04, L 3 U 298/06, S 6 RJ 939/01, S 2 R 641/03 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz ).
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage zur BKV und keinen Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV.
Die Feststellungsklage hinsichtlich der Anerkennung der BK (vgl. BSG, Urteil vom 28.04.2004, B 2 U 21/03 R, SozR 4-5671 Anlage 1 Nr.5101 Nr.2) ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Erkrankung als BK Nr.2108. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da die Berufskrankheit vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten sein soll und der Kläger die Gewährung von Leistungen vor dem 01.01.1997 geltend macht (Art.36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG -, §§ 212, 214 SGB VII).
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der BK wäre demnach bis zum 31.12.1996 § 551 RVO. Für die Zeit danach der ihn auf Grund des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom 07.08.1996 ablösende § 9 SGB VII, der sich jedoch hinsichtlich der hier relevanten Regelungsinhalte nicht unterscheidet. Denn die BK Nr.2108 ist durch Art.1 Nr.4 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18.12.1992 (BGBl.I 2343) eingeführt und mit derselben Umschreibung in die Anlage der bis heute geltenden Berufskrankheiten-Verordnung vom 31.10.1997 (BGBl.I 2623) übernommen worden.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit Nr.2108 müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein.
Mit der Aufnahme einer Krankheit in die Liste der Berufskrankheiten wird indessen nur die mögliche Ursächlichkeit einer beruflichen Schädigung generell anerkannt und die Erkrankung als solche für entschädigungswürdig befunden. Im Einzelfall ist für das Vorliegen des Tatbestands der Berufskrankheit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreicht (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2000, B 2 U 29/99 R).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die bei dem Kläger vorliegenden Erkrankungen der Wirbelsäule keine Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage zur BKV. Es fehlt bereits an den arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit. Erforderlich ist insoweit ein langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder eine langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung. Voraussetzung hinsichtlich der ersten Alternative ist das Heben und Tragen von Lastgewichten in gewisser Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten. Eine Überbelastung für die Lendenwirbelsäule wird bei Überschreiten der im Merkblatt für die ärztliche Untersuchung angegebenen Grenzwerte diskutiert. Aus präventivmedizinischen Gründen sind schwere Lasten bei Männern bei beidhändigem Heben bei einer Last von 20 kg gegeben. Die Lastgewichte müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit, d.h. Häufigkeit und Dauer pro Schicht, gehoben oder getragen worden sein, um als Ursache von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule in Frage kommen zu können. Dies begründet sich mit epidemiologischen Studien in den Berufsgruppen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Wirbelsäule durch Heben oder Tragen schwerer Lasten, die beschreiben, dass die entsprechenden Lastgewichte mit einer gewissen Regelmäßigkeit pro Schicht getragen wurden. Als Anhaltspunkt für die Bewertung gilt eine Häufigkeit von ca. 250 Hebe- oder Umsetzvorgängen pro Tag oder eine Gesamttragedauer von ca. 30 Minuten pro Tag. Diese Belastungen müssen in einer erheblichen Zahl der Arbeitsschichten pro Jahr vorgelegen haben. Als Anhaltspunkt gelten in der Regel 60 Schichten mit relevanter Wirbelsäulenbelastung pro Jahr (vgl. Merkblatt zu der BK Nr.2108 der Anlage zur BKV, BArbBl 10-2006, S.30 ff.).
Der Kläger war nach den Feststellungen des TAD als Galvanikarbeiter in der Zeit von 1992 bis 2001 lediglich mit dem Transport von Kleinteilen mit einem Gewicht von weniger als 1 kg befasst. In der Zeit von 1977 bis 1992 war er mit der Bestückung von Warenträgern mit Rosten, Gittern, Körben und Untergestellen beschäftigt. Die vom Kläger transportierten Gegenstände wie z. B. Roste und Gitter, hatten ein Gewicht von weniger als 10 kg, die Körbe ebenfalls ein Gewicht von weniger als 10 kg, lediglich die Untergestelle hatten ein Gewicht von 10 bis 15 kg. Diese Hebevorgänge wurden nach den Angaben des Arbeitgebers in ca. 44 Arbeitsschichten pro Jahr durchgeführt. Hebe- und Tragevorgänge von 20 kg sind demnach nach den Feststellungen des TAD nach Ortsbesichtigung für die Tätigkeit des Klägers nicht belegt. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen. Soweit der Kläger dagegen lediglich vorträgt, er habe gelegentlich auch Lastgewichte von 20 kg getragen, ist dies nicht substantiiert dargelegt und könnte auch dann keine andere Beurteilung rechtfertigen, wenn man dies als zutreffend unterstellt. Ein regelmäßiges Tragen von Gewichten in dieser Größenordnung, was allein relevant ist, hat auch der Kläger nicht vorgebracht. Das Vorliegen von besonderen Arbeitsbedingungen mit ungünstigen Körperhaltungen und eingeschränkten Ausführungsbedingungen hat der TAD nicht festgestellt. Auch der Kläger hat keine besonderen Umstände des Einzelfalles dargelegt, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Der Kläger hat demnach nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt, da kein Heben und Tragen schwerer Lasten im Sinne der BK 2108 vorliegt.
Der Kläger verrichtete auch keine Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung. Insoweit sind Arbeiten in Arbeitsräumen zu verstehen, die niedriger als 100 cm sind und damit eine ständig gebeugte Körperhaltung erzwingen. Weiterhin sind unter extremer Rumpfbeugehaltung Arbeiten gemeint, bei denen der Oberkörper aus der aufrechten Haltung um mehr als 90 Grad gebeugt wird, beispielsweise bei Stahlbetonbauern im Hochbau (Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung (BKV), Kommentar, M2108, S.8). Entsprechende Rumpfbeugehaltungen wurden vom Kläger nicht ausgeführt.
Ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ist somit nicht hinreichend wahrscheinlich. Es überwiegen vielmehr die gegen einen Zusammenhang sprechenden Umstände.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf vorbeugende Maßnahmen nach § 3 BKV. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen einer konkret-individuellen Gefahr für das Eintreten der Berufskrankheit. Dies erfordert u.a. den Nachweis beruflicher Wirbelsäulenbelastungen, die nach Art und Intensität die Voraussetzungen der BK-Nr.2108/2109 erfüllen. Lediglich die geforderte Mindestdauer der Einwirkung muss nicht bereits vorliegen.
Dementsprechend sind die Voraussetzungen für vorbeugende Maßnahmen nach § 3 BKV in der Regel nur gegeben, wenn eine Anerkennung einer BK nach den Nrn.2108/2109 ausgeschlossen ist, weil ein Zwang zum Unterlassen der gefährdenden Tätigkeiten - noch - nicht vorliegt oder der die übrigen Tatbestandsmerkmale noch nicht vollständig erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gem. § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordung-BKV (BK 2108).
Der 1957 geborene Kläger war in der Zeit von Juli 1977 bis Juni 1996 als Galvanikarbeiter, von Juni 1996 bis Februar 2001 als Maschinenbediener und von Februar 2001 bis November 2001 an einem Leichtarbeitsplatz als Drahthakenbieger bei der Firma W. , Metallwarenfabrik GmbH, L. , tätig. Seit Ende 2001 ist er arbeitslos.
Mit Schreiben vom 07.11.2002 beantragte der Kläger die Feststellung einer Berufskrankheit aufgrund seiner Erkrankungen an der Wirbelsäule.
Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte eine Auskunft des Klägers vom 25.11.2002, eine Auskunft der Firma W. vom 07.07.2003, ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Bayern sowie Befundberichte der Dres.K. , Fachärzte für Allgemeinmedizin, vom 07.05.2003 bei und holte eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 18.09.2003 sowie eine gewerbeärztliche Stellungnahme des Dr.K. , Facharzt für Arbeitsmedizin, Gewerbeaufsichtsamt A. , vom 26.11.2003 ein.
Nach den Ausführungen des TAD war eine BK-relevante Exposition nicht gegeben, da keine gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK Nr.2108 ausgeführt worden sei.
Dr. K. führte aus, dass der Kläger an einem Lendenwirbelsäulen (LWS)-, Halswirbelsäulen (HWS)- und Brustwirbelsäulen (BWS) - Syndrom erkrankt sei. Da die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien, seien BKen nach den Nrn.2108 und 2109 der Anlage zur BKV nicht anzuerkennen.
Mit Bescheid vom 10.02.2004 lehnte die Beklagte das Vorliegen einer Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage zur BKV sowie Leistungen nach § 3 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) ab. Es seien weder schwere Lasten über einen Zeitraum von wenigstens zehn Jahren mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten getragen oder gehoben worden noch sei eine Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung ausgeführt worden. Da die Erkrankung nicht beruflich verursacht sei, sei auch eine Anerkennung nach § 9 Abs.2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) nicht möglich. Auch Leistungen nach § 3 der BKV seien nicht zu erbringen, weil die Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit bei einer Weiterbeschäftigung im jetzigen Beruf nicht wahrscheinlich sei.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2004 als unbegründet zurück.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2004 zu verurteilen, beim Kläger eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen sowie Leistungen nach § 3 der BKV zu bewilligen.
Das SG hat die einschlägigen Röntgen- und Kernspinaufnahmen, Befundberichte des Dr.H. , Internist, vom 26.04.2002, des Dr.B. , Facharzt für Anästhesiologie, vom 16.07.2002, des Dr.B. , Facharzt für Orthopädie, vom 18.02.2004, der Dres. E./E. , Ärzte für Chirurgie, vom 17.03.2004, und ein Gutachten des Dr.H. , Arzt für Orthopädie, vom 22.11.2002, das in einem Rechtsstreit gegen die Landesversicherungsanstalt Schwaben eingeholt wurde, beigezogen und hat ein Gutachten auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Dr.S. , Arzt für Orthopädie, vom 29.11.2005 (enthalten in der Akte S 8 U 350/04) eingeholt.
Dr.S. hat ausgeführt, dass im Ergebnis die Erkrankungen des Klägers an der Wirbelsäule nicht durch die berufliche Exposition verursacht seien. Eine Berufskrankheit liege nicht vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.08.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Dr.S. habe bestätigt, dass die Erkrankungen mit großer Wahrscheinlichkeit durch berufliche Belastungen entstanden seien. Es werde nochmals beantragt, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2004 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKV vorliegt sowie die Beklagte zu verurteilen, Leistungen nach § 3 der BKV zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakten, der Akten unter den Az.: S 8 U 350/04, L 3 U 298/06, S 6 RJ 939/01, S 2 R 641/03 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz ).
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage zur BKV und keinen Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV.
Die Feststellungsklage hinsichtlich der Anerkennung der BK (vgl. BSG, Urteil vom 28.04.2004, B 2 U 21/03 R, SozR 4-5671 Anlage 1 Nr.5101 Nr.2) ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Erkrankung als BK Nr.2108. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da die Berufskrankheit vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten sein soll und der Kläger die Gewährung von Leistungen vor dem 01.01.1997 geltend macht (Art.36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG -, §§ 212, 214 SGB VII).
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der BK wäre demnach bis zum 31.12.1996 § 551 RVO. Für die Zeit danach der ihn auf Grund des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom 07.08.1996 ablösende § 9 SGB VII, der sich jedoch hinsichtlich der hier relevanten Regelungsinhalte nicht unterscheidet. Denn die BK Nr.2108 ist durch Art.1 Nr.4 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18.12.1992 (BGBl.I 2343) eingeführt und mit derselben Umschreibung in die Anlage der bis heute geltenden Berufskrankheiten-Verordnung vom 31.10.1997 (BGBl.I 2623) übernommen worden.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit Nr.2108 müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein.
Mit der Aufnahme einer Krankheit in die Liste der Berufskrankheiten wird indessen nur die mögliche Ursächlichkeit einer beruflichen Schädigung generell anerkannt und die Erkrankung als solche für entschädigungswürdig befunden. Im Einzelfall ist für das Vorliegen des Tatbestands der Berufskrankheit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreicht (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2000, B 2 U 29/99 R).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die bei dem Kläger vorliegenden Erkrankungen der Wirbelsäule keine Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage zur BKV. Es fehlt bereits an den arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit. Erforderlich ist insoweit ein langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder eine langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung. Voraussetzung hinsichtlich der ersten Alternative ist das Heben und Tragen von Lastgewichten in gewisser Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten. Eine Überbelastung für die Lendenwirbelsäule wird bei Überschreiten der im Merkblatt für die ärztliche Untersuchung angegebenen Grenzwerte diskutiert. Aus präventivmedizinischen Gründen sind schwere Lasten bei Männern bei beidhändigem Heben bei einer Last von 20 kg gegeben. Die Lastgewichte müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit, d.h. Häufigkeit und Dauer pro Schicht, gehoben oder getragen worden sein, um als Ursache von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule in Frage kommen zu können. Dies begründet sich mit epidemiologischen Studien in den Berufsgruppen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Wirbelsäule durch Heben oder Tragen schwerer Lasten, die beschreiben, dass die entsprechenden Lastgewichte mit einer gewissen Regelmäßigkeit pro Schicht getragen wurden. Als Anhaltspunkt für die Bewertung gilt eine Häufigkeit von ca. 250 Hebe- oder Umsetzvorgängen pro Tag oder eine Gesamttragedauer von ca. 30 Minuten pro Tag. Diese Belastungen müssen in einer erheblichen Zahl der Arbeitsschichten pro Jahr vorgelegen haben. Als Anhaltspunkt gelten in der Regel 60 Schichten mit relevanter Wirbelsäulenbelastung pro Jahr (vgl. Merkblatt zu der BK Nr.2108 der Anlage zur BKV, BArbBl 10-2006, S.30 ff.).
Der Kläger war nach den Feststellungen des TAD als Galvanikarbeiter in der Zeit von 1992 bis 2001 lediglich mit dem Transport von Kleinteilen mit einem Gewicht von weniger als 1 kg befasst. In der Zeit von 1977 bis 1992 war er mit der Bestückung von Warenträgern mit Rosten, Gittern, Körben und Untergestellen beschäftigt. Die vom Kläger transportierten Gegenstände wie z. B. Roste und Gitter, hatten ein Gewicht von weniger als 10 kg, die Körbe ebenfalls ein Gewicht von weniger als 10 kg, lediglich die Untergestelle hatten ein Gewicht von 10 bis 15 kg. Diese Hebevorgänge wurden nach den Angaben des Arbeitgebers in ca. 44 Arbeitsschichten pro Jahr durchgeführt. Hebe- und Tragevorgänge von 20 kg sind demnach nach den Feststellungen des TAD nach Ortsbesichtigung für die Tätigkeit des Klägers nicht belegt. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen. Soweit der Kläger dagegen lediglich vorträgt, er habe gelegentlich auch Lastgewichte von 20 kg getragen, ist dies nicht substantiiert dargelegt und könnte auch dann keine andere Beurteilung rechtfertigen, wenn man dies als zutreffend unterstellt. Ein regelmäßiges Tragen von Gewichten in dieser Größenordnung, was allein relevant ist, hat auch der Kläger nicht vorgebracht. Das Vorliegen von besonderen Arbeitsbedingungen mit ungünstigen Körperhaltungen und eingeschränkten Ausführungsbedingungen hat der TAD nicht festgestellt. Auch der Kläger hat keine besonderen Umstände des Einzelfalles dargelegt, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Der Kläger hat demnach nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt, da kein Heben und Tragen schwerer Lasten im Sinne der BK 2108 vorliegt.
Der Kläger verrichtete auch keine Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung. Insoweit sind Arbeiten in Arbeitsräumen zu verstehen, die niedriger als 100 cm sind und damit eine ständig gebeugte Körperhaltung erzwingen. Weiterhin sind unter extremer Rumpfbeugehaltung Arbeiten gemeint, bei denen der Oberkörper aus der aufrechten Haltung um mehr als 90 Grad gebeugt wird, beispielsweise bei Stahlbetonbauern im Hochbau (Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung (BKV), Kommentar, M2108, S.8). Entsprechende Rumpfbeugehaltungen wurden vom Kläger nicht ausgeführt.
Ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ist somit nicht hinreichend wahrscheinlich. Es überwiegen vielmehr die gegen einen Zusammenhang sprechenden Umstände.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf vorbeugende Maßnahmen nach § 3 BKV. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen einer konkret-individuellen Gefahr für das Eintreten der Berufskrankheit. Dies erfordert u.a. den Nachweis beruflicher Wirbelsäulenbelastungen, die nach Art und Intensität die Voraussetzungen der BK-Nr.2108/2109 erfüllen. Lediglich die geforderte Mindestdauer der Einwirkung muss nicht bereits vorliegen.
Dementsprechend sind die Voraussetzungen für vorbeugende Maßnahmen nach § 3 BKV in der Regel nur gegeben, wenn eine Anerkennung einer BK nach den Nrn.2108/2109 ausgeschlossen ist, weil ein Zwang zum Unterlassen der gefährdenden Tätigkeiten - noch - nicht vorliegt oder der die übrigen Tatbestandsmerkmale noch nicht vollständig erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 23.08.2006 war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gem. § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
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