L 16 B 791/07 LW

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 LW 10/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 B 791/07 LW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 4. Juni 2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

In dem beim Sozialgericht anhängigen Verfahren war das Bestehen einer Versicherungs- und Beitragspflicht der Beschwerdeführerin (Bf) bei der Beschwerdegegnerin (Bg) in dem Zeitraum vom 01.07.2003 bis 31.05.2004 streitig.

Der Ehegatte der Bf bewirtschaftete in diesem Zeitraum 5,87 ha Wiesen, hielt 6 Mutterschafe sowie 3 Ponys und bezog nach dem Kulturlandschaftsprogramm Fördermittel. Das Finanzamt hatte der Bf sowie ihrem Ehegatten eine Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Zugmaschinen erteilt.

Die Bg stellte mit Bescheid vom 28.10.2004 eine Versicherungspflicht der Bf als Ehegattin eines Landwirts ab 01.07.2003 gemäß § 1 Abs.3 ALG fest, weil das landwirtschaftliche Unternehmen des Ehegatten die festgesetzte Mindestgröße von 5 ha überschreite.

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch, eingegangen bei der Bg am 02.12.2004, trug die Bf vor, dass ihr Ehegatte mangels Absicht der nachhaltigen Gewinnerzielung kein Landwirt sei. Die Schafhaltung und die Landschaftspflege erfolgten als Hobby bzw. Liebhaberei. Auf das Schreiben der Bg vom 06.10.2005 hin, eine Bestätigung des Finanzamtes über die Einstufung des landwirtschaftlichen Unternehmens als Hobby- und Liebhabereibetrieb zu übersenden, teilte die Bf mit, dass das Finanzamt nach dessen Auskunft keine derartigen Negativatteste ausstelle. Es müsse die Vorlage des Einkommensteuerbescheides, wonach keine Veranlagung der Einkünfte aus Landwirtschaft erfolge, genügen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2005 als unzulässig zurückgewiesen, weil die Widerspruchsfrist nicht gewahrt worden sei. Der angefochtene Bescheid vom 28.10.2004 sei am selben Tag zur Post gegeben worden und gelte somit am 31.10.2004 als zugegangen. Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs sei vom 01.11.2004 bis 30.11.2004 gelaufen. Das Widerspruchsschreiben sei daher am 02.12.2004 verspätet eingegangen.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München wandte die Bf dagegen ein, dass ihr der angefochtene Bescheid erst am 02.11.2004 zugegangen sei und daher der Widerspruch rechtzeitig erhoben worden sei. In der Sache wurde das bisherige Vorbringen wiederholt, dass Gewinne bislang noch nie erzielt worden seien und auch nicht erzielt werden könnten. Für den Fall des Bestreitens wurde als Beweismittel ein Sachverständigengutachten angeboten.

Nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage am 08.03.2006 vertagte das Sozialgericht den Rechtsstreit, damit die Bf eine Bescheinigung des Finanzamtes zum Nachweis der Eigenschaft des landwirtschaftlichen Betriebes als Liebhabereibetrieb einholen könne. Nach Vorlage eines Schreibens des Finanzamtes vom 12.07.2006 an die Bf, dass die Art der Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebes sowie dessen Größe nicht dazu dienten, um auf Dauer nachhaltig einen Gewinn zu erzielen, gab die Bg mit Schreiben vom 03.08.2006 ein Anerkenntnis über das Nichtbestehen einer Versicherungspflicht der Bf ab 01.07.2003 ab, das die Bf mit Schreiben vom 04.12.2006 annahm.

Die Bf beantragte mit Schriftsatz vom 30.10.2006 die Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten, weil die Bg im Prozess unterlegen sei. Denn sie habe schon vorprozessual vorgetragen, dass ihr Ehegatte von Anfang an nicht nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen gearbeitet habe und kein landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen sei. Die Frage der landwirtschaftlichen Unternehmereigenschaft hätte vom Gericht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden müssen, so dass sie den Rechtsstreit auch ohne die Stellungnahme des Finanzamtes gewonnen hätte.

Die Bg vertrat die Ansicht, dass sie durch ihr Anerkenntnis der infolge der Vorlage der finanzamtlichen Bestätigung geänderten Sachlage unverzüglich Rechnung getragen habe. Es habe ausschließlich an der Bf gelegen, eine derartige Bestätigung beizubringen, zumal im Rahmen des § 1 Abs.7 ALG die objektive Beweislast bei der Bf liege. Auch habe die Bestätigung des Finanzamtes ausschließlich von der Bf beigebracht werden können. Der Umstand, dass diese erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vorgelegt worden sei, sei von der Bf zu vertreten. Da bis zur Beibringung der finanzamtlichen Bestätigung ein Obsiegen der Bg wahrscheinlich gewesen sei, habe sie der Bf keine Kosten zu erstatten.

Das Sozialgericht lehnte die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Bf mit Beschluss vom 4. Juni 2007 ab, weil ohne Vorlage der Bescheinigung des Finanzamts die Klage erfolglos geblieben wäre. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.03.2006 sei darauf hingewiesen worden, dass die Vorgehensweise der Bg so lange nicht zu beanstanden sei, bis das zuständige Finanzamt eine entsprechende förmliche Feststellung im Sinn des § 1 Abs.7 ALG getroffen habe. Das Gericht könne nur in extremen Fällen, ggf. gestützt auf entsprechende Fachgutachten, ohne Feststellungen anderer Behörden die vollständige Nichteignung von Bodenflächen zu einer auch nur ansatzweisen Bewirtschaftung anerkennen. Die Frage des Bestehens einer Versicherungspflicht sei daher in einem sehr formalen Sinne absolut abhängig von der Erteilung der Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes. Diese Sachlage sei der Bf bereits vor Klageerhebung bekannt gewesen, so dass die Klage weder hilfreich noch notwendig gewesen sei.

Dagegen hat die Bf Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass die Klage auch ohne Vorlage der finanzamtlichen Bescheinigung erfolgreich gewesen wäre. Tatsächlich sei nie ein Gewinn erzielt worden, weil die Unkosten höher gewesen seien als die Fördergelder. Das Sozialgericht hätte ein entsprechendes Sachverständigengutachten zur Frage des Vorliegens einer Gewinnerziehungsabsicht, wie beantragt, einholen müssen. Die Beweislast für das Vorliegen einer Gewinnerziehungsabsicht müsse die Bg, die dies nie ernsthaft geprüft habe, tragen.

Die Bg trägt vor, dass nach der bisher zur Regelung des § 1 Abs.7 ALG ergangenen Rechtsprechung bis zur Vorlage der finanzamtlichen Bestätigung zwingend eine Versicherungspflicht bestanden habe, weil der Ehegatte der Bf landwirtschaftliche Fördermittel in Anspruch genommen habe. Die von der Bf geforderte Besichtigung vor Ort wäre nicht zielführend gewesen, da durch eine Besichtigung der örtlichen Gegebenheiten nicht das Vorliegen einer Gewinnerziehungsabsicht beurteilt werden könne. Für das Fehlen der Gewinnerziehungsabsicht sei die Bf beweispflichtig.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, weil die Bg vor Erteilung der Bestätigung des Finanzamts keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Verfügung gehabt habe, um eine landwirtschaftliche Unternehmertätigkeit zu verneinen, und die Akten dem Bayerischen Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Bg ist nicht verpflichtet, der Bf die im Verfahren vor dem Sozialgericht München entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird (§ 193 Abs. 1 SGG). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist über die Frage der Kostenerstattung nach freiem richterlichen Ermessen unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalles sowie unter Beachtung des Gedankens der Billigkeit zu entscheiden (Rechtsgedanke des § 91a ZPO und des § 161 Abs. 2 VwGO). Dabei ist grundsätzlich auf den vermutlichen Verfahrensausgang, der nach dem zum Zeitpunkt der Erledigung vorliegenden Sach- und Streitstand zu beurteilen ist, abzustellen (vgl. BSG SozR Nr. 4 zu § 193 SGG). Auch sind die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung zu prüfen (s. etwa Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 193 Rdnr. 13 m.w.N.). Es ist angemessen, die Beklagte zu einer (ggf. auch teilweisen) Kostenerstattung zu verpflichten, wenn sie durch ihr Verhalten den Rechtsstreit veranlasst hat. Die teilweise oder vollständige Freistellung des Klägers von den ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten entspricht in einem solchen Fall dem Gedanken der Billigkeit (vgl. BSGE 17,84). Berücksichtigt werden kann ferner, ob die Kosten durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind (so etwa Meyer-Ladewig/Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr. 13c).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Sozialgericht zu Recht die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Bf durch die Bg abgelehnt. Denn die Klage hatte unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Vorlage der finanzamtlichen Bestätigung keine Erfolgsaussicht. Die Bf wäre als Ehegattin eines Landwirts gemäß § 1 Abs.3 ALG versicherungspflichtig gewesen, weil tatsächlich ein landwirtschaftliches Unternehmen unter Überschreitung der festgesetzten Mindestgröße von 5 ha betrieben wurde. Der Begriff des Landwirts nach § 1 Abs. 2 ALG stellt allein auf die Bodenbewirtschaftung ab, die hier durch Abweiden und Bewirtschaften der Wiesen (Heugewinnung) erfolgte. Nach Absatz 7 dieser Vorschrift sind Liebhabereibetriebe ohne die Absicht der nachhaltigen Gewinnerzielung ausgeschlossen, deren Qualifizierung sich im wesentlichen an den finanzamtlichen Feststellungen orientiert. Die Beweislast für das Vorliegen dieses Ausschlusstatbestandes (als Einwendung) trägt der Versicherte. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht wies die Bf erst durch Vorlage der finanzamtlichen Bescheinigung im Klageverfahren nach. Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts wird insoweit ergänzend Bezug genommen.

Die Bg hat auch keinen Anlass für die Klageerhebung gegeben, weil sie die Bf bereits im Widerspruchsverfahren mit Schreiben vom 06.10.2005 auf die Möglichkeit der Vorlage einer finanzamtlichen Bescheinigung über die fehlende Gewinnerziehungsabsicht nach § 1 Abs.7 ALG hingewiesen hatte. Die anfängliche Weigerung des zuständigen Finanzamtes zur Ausstellung einer derartigen Bescheinigung hat die Bg nicht zu vertreten. Sie war auch nicht verpflichtet, von Amts wegen eine derartige Bescheinigung oder ein Gutachten hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer Gewinnerziehungsabsicht einzuholen. Denn für das Vorliegen dieses Ausschlusstatbestandes nach § 1 Abs.7 ALG, der sich ausschließlich nach dem Steuerrecht beurteilt, ist die Bf beibringungs- und beweispflichtig.

Diese Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung ergehen konnte (§ 176 i.V.m. § 124 Abs.3 SGG), ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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