Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 P 61/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 7/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung. Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, ihre Mitglieder über die Möglichkeit der Kostenerstattung nach Einkauf von zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfemitteln in Apotheken oder Sanitätshäusern zu informieren und eine entsprechende Kostenerstattung vorzunehmen.
Mit Beschluss vom 26. Juli 2004 verpflichtet das Sozialgericht Augsburg (S 10 P 43/04 ER) die Beklagte, die Information in der bisherigen Form zu unterlassen.
Die Klägerin hat mit den Spitzenverbänden der Pflegekassen einen Vertrag über die Versorgung der Versicherten mit zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln gemäß § 78 Abs. 1 i.V.m. § 40 Abs. 2 Elftes Sozialgesetzbuch (SGB XI) geschlossen. Der Pflegebedürftige soll selbständig die Art der Versorgung wählen. Zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel dürfen nur vom Leistungserbringer an den Pflegebedürftigen abgegeben werden. Die Aufwendungen für den Pflegebedürftigen dürfen monatlich den Betrag von jeweils 31,00 Euro nicht übersteigen.
Die Klägerin begründete ihre Klage damit, das Gesetz sehe eine Versorgung der Pflegebedürftigen ausschließlich durch Sachleistungen vor, die ausschließlich von zugelassenen Leistungserbringern bzw. von ihr erbracht werden dürften. Die Beklagte erstatte bei Bezug in Apotheken und Sanitätshäusern höhere Kosten, als ihr entstehen würden, wenn sie die Pflegebedürftigen über die Klägerin versorgen würde, denn die mit der Klägerin vereinbarten Preise seien meist niedriger. Dem Sachleistungsprinzip sei absoluter Vorrang einzuräumen. Trotzdem verschicke die Beklagte Rundschreiben, in denen sie die Mitglieder auffordere mitzuteilen, ob die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln entweder über einen der angegebenen Vertragspartner erfolgen solle oder ob die Kostenerstattung nach Vorlage von Quittungen von Apotheken oder Sanitätshäusern vorgezogen werde. Diese Vorgehensweise sei rechtswidrig. Es wurde der Eindruck erweckt, dass Kostenerstattung vorrangige oder zumindest gleichwertige Alternative zum Sachleistungsprinzip sei.
Das von der Klägerin beanstandete Formblatt enthält den Text: "Aufwendungen für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel, z.B. aussagekräftige Quittungen/Kassenbons von Apotheken oder Sanitätshäusern werde ich jeweils nach Ablauf eines Kalendermonats der Pflegekasse zu Kostenerstattung (maximaler Erstattungsbetrag 31,00 Euro) einreichen. Die Versorgung soll über einen Vertragspartner erfolgen. Ich werde dem Vertragspartner schriftlich einmal monatlich einen konkreten Lieferauftrag erteilen." Eine der beiden Alternativen konnte angekreuzt werden.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2004 wies die Beklagte darauf hin, sie habe ihr Informationsschreiben entsprechend dem Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 21. Juli 2004 geändert. Sie übersandte das Formblatt mit dem Text: "Zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel werden als Sachleistung erbracht. Die Versorgung erfolgt über einen unserer Vertragspartner".
Die Klägerin erklärte im Schreiben vom 1. März 2005, die Beklagte habe im Rahmen von Altfällen keinerlei Informationen an die Patienten gegeben und nehme nach wie vor widerrechtlich Erstattungen vor, wie sich aus ihrem Briefwechsel mit einem ihrer Versicherten ergebe.
Die Beklagte führte aus, es handle sich um ein Versehen, für das sie um Entschuldigung bitte. Im Übrigen sei sie nach wie vor der Auffassung, dass aus dem Gesetz nicht eindeutig hervorgehe, zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel könnten ausschließlich als Sachleistung erbracht werden. Zwar gelte in der sozialen Pflegeversicherung der Grundsatz des Sachleistungsprinzips. Anders als in der Krankenversicherung gebe es hiervon jedoch zahlreiche Ausnahmen, begründet durch die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen. Es sei kein Grund ersichtlich, Pflegebedürftige auf die zwingende Inanspruchnahme von Vertragspartnern zu verweisen. Vielmehr sei ihnen größtmögliche Selbstbestimmung zuzusprechen und die Wahl zu lassen, über welche Bezugsquellen sie ihren Bedarf decken wollten. Dies gelte insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass Pflegebedürftige den über 31,00 Euro hinausgehenden Bedarf ohnehin selbst beschaffen müssten. Die Beklagte sei durch den Beschluss vom 21. Juli 2004 nicht verpflichtet worden, ihre Erstattungspraxis auch in den laufenden so genannten "Altfällen" umzustellen. Die Beeinträchtigung von bloßen Erwerbschancen stelle keinen rechtswidrigen Eingriff in das Eigentum dar. Mittlerweile seien ungefähr 1800 Vertragsleistungserbringer auf dem Markt tätig. Die Klägerin habe daher keine derartige Marktdominanz, dass sie Umsatzbeeinträchtigungen in relevanter - geschweige denn existenzgefährdender - Höhe geltend machen könne.
Mit Urteil vom 7. Dezember 2005 verurteilte das Sozialgericht Augsburg die Beklagte, die bisherige Information zu unterlassen, sondern die Mitglieder zu informieren, dass Pflegehilfsmittel nach Möglichkeit bei Vertragspartnern beschafft werden sollten, unabhängig davon, wann der Versicherungsfall eingetreten sei. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Anspruchsgrundlage sei der Vertrag über die Versorgung der Versicherten mit zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln. Die ausdrückliche Verweisung auf § 40 Abs. 2 des Elften Sozialgesetzbuchs (SGB XI) in § 2 des Vertrages bedeute, dass die Beklagte ihr Verhalten darauf ausrichten müsse, dem Willen des Gesetzgebers nach Möglichkeit Geltung zu verschaffen. Zwar sei in entsprechender Anwendung von § 13 Abs. 3 SGB V eine Kostenerstattung im Einzelfall möglich. Die Beklagte sei auch befugt, hierauf hinzuweisen. Die Form entspreche aber nicht §§ 40 Abs. 2 und 78 SGB XI, denn dort sei das Sachleistungsprinzip vorrangig, eine Kostenerstattung die Ausnahme im Einzelfall. Dies gelte auch in so genannten "Altfällen". Der Klägerin stehe daher nicht nur ein Unterlassungsanspruch zu, sondern auch ein Folgenbeseitigungsanspruch. Soweit die Klage abgewiesen worden sei, betreffe sie das weitergehende Begehren der Klägerin, die Beklagte zu verpflichten, nur noch in Ausnahmesituationen eine Kostenerstattung vorzunehmen.
Mit der Berufung vom 2. Februar 2006 begehrt die Klägerin eine weitergehende Information der Mitglieder der Beklagten. Die Information und Beratung der Beklagten sei fehlerhaft.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg wird in Ziffer I, 2. Absatz aufgehoben und dahingehend abgeändert, dass erkannt wird wie folgt: Die Beklagte wird verpflichtet, ihre Mitglieder gemäß § 13 SGB I in Verbindung mit § 7 Abs. 2 und § 29 Abs. 2 SGB XI dahingehend zu informieren und zu beraten, dass Pflegehilfsmittel bei Vertragspartnern zu beschaffen sind, unabhängig davon, wann der Versorgungsfall eingetreten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Unterlagen der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die Klage ist als vorbeugende Unterlassungsklage in Form der Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, § 54 Rdnr. 42 m.w.N.) statthaft. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin nicht eine vorbeugende Unterlassungsklage, sondern einen Folgenbeseitigungsanspruch im Hinblick auf schon eingetretene Versicherungsfälle geltend macht, weil jedenfalls ein Rechtsschutzbedürfnis für das von der Klägerin geltend gemachte Recht nicht besteht. Für eine vorbeugende Unterlassungklage wäre ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse erforderlich. Ein solches setzt voraus, dass ein besonders schützenwertes Interesse an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, weil ein Zuwarten zu nicht ohne Weiteres revidierbaren Nachteilen führen würde.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Unterlassung der von ihr gerügten Information. Die Voraussetzungen des § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog in Verbindung mit Art. 12 und 3 Grundgesetz (GG) liegen nicht vor.
Eine Verletzung der Art. 12 und 3 GG wäre dann gegeben, wenn die Beklagte durch ihr hoheitliches Verhalten das Recht der freien Berufsausübung oder der Gleichbehandlung im Wettbewerb beeinträchtigen würde.
Die Beklagte hat gemäß §§ 7 Abs. 2 und 12 Abs. 2 SGB XI ihre Mitglieder insbesondere über die Leistungen der Pflegeversicherung sowie über Leistungen und Hilfe anderer Sozialversicherungszweige zu unterrichten und zu beraten, die zur Verfügung stehenden Hilfen zu koordinieren und sicher zustellen, dass im Einzelfall ärztliche Behandlung, Behandlungspflege, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung nahtlos und störungsfrei ineinandergreifen. Auch gemäß §§ 14 und 15 SGB I besteht die Verpflichtung, die Mitglieder über alle sozialen Angelegenheiten nach diesem Gesetzbuch zu informieren. Gegenstand der Aufklärung ist auch die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung. Die Beklagte hat eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung ihrer Mitglieder zu gewährleisten. Die Versorgung muss ausreichend und zweckmäßig sein und in der fachlich gebotenen Qualität wirtschaftlich erbracht werden. Welche Leistungserbringung wirtschaftlich ist, hat der Gesetzgeber bewusst den Regulierungen durch den Markt überlassen. Eine wirtschaftliche Leistungserbringung kann sich an den Leistungsangeboten der einzelnen Leistungserbringer orientieren und unterliegt ständigen Änderungen und Anpassungen. In diesem Zusammenhang entspricht die Information der Mitglieder über die Möglichkeit der Kostenerstattung dem gesetzlichen Auftrag der Beklagten.
Denn gemäß § 2 SGB XI sollen die Leistungen der Pflegeversicherung den Pflegebedürftigen helfen, ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Gemäß § 2 Abs. 2 SGB XI können die Pflegebedürftigen zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen. Ihren Wünschen zur Gestaltung der Hilfe soll, soweit sie angemessen sind, im Rahmen des Leistungsrechts entsprochen werden. Das Wahlrecht bezieht sich unter anderem auch auf die Leistungsarten: häusliche Pflege (Geld- oder Sachleistung), teilstationär oder stationär (Kurzzeitpflege, Heim). Schon die Möglichkeit der Wahl zwischen Geld- oder Sachleistung zeigt, dass die Geltung des Sachleistungsprinzips im SGB XI nicht uneingeschränkt gegeben ist. So haben die Pflegebedürftigen auch die Möglichkeit, Pflegeeinrichtungen zu wählen, mit denen eine vertragliche Regelung der Pflegevergütung nicht besteht. Sie können den Preis unmittelbar mit der Pflegeeinrichtung vereinbaren. Die ihnen von der Einrichtung berechneten Kosten werden erstattet, allerdings mit der Einschränkung, dass die Erstattung 80 v.H. des Betrages nicht überschreiten darf, den die Pflegekasse für den einzelnen Pflegebedürftigen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit zu leisten hat (§ 91 Abs. 2 SGB XI). Auch hierin liegt eine Ausnahme vom Sachleistungsprinzip unter Berücksichtigung des Rechtes des Pflegebedürftigen auf Selbstbestimmung.
Die Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen findet allerdings ihre Grenze im Wirtschaftlichkeitsgebot. Gemäß § 29 SGB XI müssen die Leistungen wirksam und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Leistungen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, können Pflegebedürftige nicht beanspruchen, dürfen die Pflegekassen nicht bewilligen und dürfen die Leistungserbringer nicht zu Lasten der sozialen Pflegeversicherung bewirken.
Soweit aber die vom Pflegebedürftigen gewählte Leistung dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht, kann er sie auch im Wege der Kostenerstattung gegenüber der Beklagten geltend machen. Anhaltspunkte dafür, dass ein Bezug von zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln bei Apotheken oder Sanitätshäusern mit anschließender Kostenerstattung durch die Beklagte unwirtschaftlich wäre, sind nicht gegeben. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass auch Apotheken in vielen Fällen zu den Vertragspartnern gehören. Ob der Pflegebedürftige diese Hilfsmittel im Versandhandel oder in einem Sanitätshaus kauft, soll im Rahmen der Selbstbestimmung ihm überlassen bleiben.
Eine Schlechterstellung oder Diskriminierung der Klägerin als zugelassene Leistungserbringerin liegt in diesem Verhalten der Beklagten nicht. Das Recht der freien Berufsausübung oder der Gleichbehandlung im Wettbewerb ist damit nicht beeinträchtigt, denn es handelt sich lediglich um den Hinweis auf eine gesetzlich vorgesehene Möglichkeit. Es ist nicht ersichtlich und die Klägerin hat auch nicht dargelegt, inwiefern sie einen wirtschaftlichen Nachteil durch die Art der Beratung der Mitglieder der Beklagten erlitten hätte.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 197a SGG. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung. Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, ihre Mitglieder über die Möglichkeit der Kostenerstattung nach Einkauf von zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfemitteln in Apotheken oder Sanitätshäusern zu informieren und eine entsprechende Kostenerstattung vorzunehmen.
Mit Beschluss vom 26. Juli 2004 verpflichtet das Sozialgericht Augsburg (S 10 P 43/04 ER) die Beklagte, die Information in der bisherigen Form zu unterlassen.
Die Klägerin hat mit den Spitzenverbänden der Pflegekassen einen Vertrag über die Versorgung der Versicherten mit zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln gemäß § 78 Abs. 1 i.V.m. § 40 Abs. 2 Elftes Sozialgesetzbuch (SGB XI) geschlossen. Der Pflegebedürftige soll selbständig die Art der Versorgung wählen. Zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel dürfen nur vom Leistungserbringer an den Pflegebedürftigen abgegeben werden. Die Aufwendungen für den Pflegebedürftigen dürfen monatlich den Betrag von jeweils 31,00 Euro nicht übersteigen.
Die Klägerin begründete ihre Klage damit, das Gesetz sehe eine Versorgung der Pflegebedürftigen ausschließlich durch Sachleistungen vor, die ausschließlich von zugelassenen Leistungserbringern bzw. von ihr erbracht werden dürften. Die Beklagte erstatte bei Bezug in Apotheken und Sanitätshäusern höhere Kosten, als ihr entstehen würden, wenn sie die Pflegebedürftigen über die Klägerin versorgen würde, denn die mit der Klägerin vereinbarten Preise seien meist niedriger. Dem Sachleistungsprinzip sei absoluter Vorrang einzuräumen. Trotzdem verschicke die Beklagte Rundschreiben, in denen sie die Mitglieder auffordere mitzuteilen, ob die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln entweder über einen der angegebenen Vertragspartner erfolgen solle oder ob die Kostenerstattung nach Vorlage von Quittungen von Apotheken oder Sanitätshäusern vorgezogen werde. Diese Vorgehensweise sei rechtswidrig. Es wurde der Eindruck erweckt, dass Kostenerstattung vorrangige oder zumindest gleichwertige Alternative zum Sachleistungsprinzip sei.
Das von der Klägerin beanstandete Formblatt enthält den Text: "Aufwendungen für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel, z.B. aussagekräftige Quittungen/Kassenbons von Apotheken oder Sanitätshäusern werde ich jeweils nach Ablauf eines Kalendermonats der Pflegekasse zu Kostenerstattung (maximaler Erstattungsbetrag 31,00 Euro) einreichen. Die Versorgung soll über einen Vertragspartner erfolgen. Ich werde dem Vertragspartner schriftlich einmal monatlich einen konkreten Lieferauftrag erteilen." Eine der beiden Alternativen konnte angekreuzt werden.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2004 wies die Beklagte darauf hin, sie habe ihr Informationsschreiben entsprechend dem Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 21. Juli 2004 geändert. Sie übersandte das Formblatt mit dem Text: "Zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel werden als Sachleistung erbracht. Die Versorgung erfolgt über einen unserer Vertragspartner".
Die Klägerin erklärte im Schreiben vom 1. März 2005, die Beklagte habe im Rahmen von Altfällen keinerlei Informationen an die Patienten gegeben und nehme nach wie vor widerrechtlich Erstattungen vor, wie sich aus ihrem Briefwechsel mit einem ihrer Versicherten ergebe.
Die Beklagte führte aus, es handle sich um ein Versehen, für das sie um Entschuldigung bitte. Im Übrigen sei sie nach wie vor der Auffassung, dass aus dem Gesetz nicht eindeutig hervorgehe, zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel könnten ausschließlich als Sachleistung erbracht werden. Zwar gelte in der sozialen Pflegeversicherung der Grundsatz des Sachleistungsprinzips. Anders als in der Krankenversicherung gebe es hiervon jedoch zahlreiche Ausnahmen, begründet durch die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen. Es sei kein Grund ersichtlich, Pflegebedürftige auf die zwingende Inanspruchnahme von Vertragspartnern zu verweisen. Vielmehr sei ihnen größtmögliche Selbstbestimmung zuzusprechen und die Wahl zu lassen, über welche Bezugsquellen sie ihren Bedarf decken wollten. Dies gelte insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass Pflegebedürftige den über 31,00 Euro hinausgehenden Bedarf ohnehin selbst beschaffen müssten. Die Beklagte sei durch den Beschluss vom 21. Juli 2004 nicht verpflichtet worden, ihre Erstattungspraxis auch in den laufenden so genannten "Altfällen" umzustellen. Die Beeinträchtigung von bloßen Erwerbschancen stelle keinen rechtswidrigen Eingriff in das Eigentum dar. Mittlerweile seien ungefähr 1800 Vertragsleistungserbringer auf dem Markt tätig. Die Klägerin habe daher keine derartige Marktdominanz, dass sie Umsatzbeeinträchtigungen in relevanter - geschweige denn existenzgefährdender - Höhe geltend machen könne.
Mit Urteil vom 7. Dezember 2005 verurteilte das Sozialgericht Augsburg die Beklagte, die bisherige Information zu unterlassen, sondern die Mitglieder zu informieren, dass Pflegehilfsmittel nach Möglichkeit bei Vertragspartnern beschafft werden sollten, unabhängig davon, wann der Versicherungsfall eingetreten sei. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Anspruchsgrundlage sei der Vertrag über die Versorgung der Versicherten mit zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln. Die ausdrückliche Verweisung auf § 40 Abs. 2 des Elften Sozialgesetzbuchs (SGB XI) in § 2 des Vertrages bedeute, dass die Beklagte ihr Verhalten darauf ausrichten müsse, dem Willen des Gesetzgebers nach Möglichkeit Geltung zu verschaffen. Zwar sei in entsprechender Anwendung von § 13 Abs. 3 SGB V eine Kostenerstattung im Einzelfall möglich. Die Beklagte sei auch befugt, hierauf hinzuweisen. Die Form entspreche aber nicht §§ 40 Abs. 2 und 78 SGB XI, denn dort sei das Sachleistungsprinzip vorrangig, eine Kostenerstattung die Ausnahme im Einzelfall. Dies gelte auch in so genannten "Altfällen". Der Klägerin stehe daher nicht nur ein Unterlassungsanspruch zu, sondern auch ein Folgenbeseitigungsanspruch. Soweit die Klage abgewiesen worden sei, betreffe sie das weitergehende Begehren der Klägerin, die Beklagte zu verpflichten, nur noch in Ausnahmesituationen eine Kostenerstattung vorzunehmen.
Mit der Berufung vom 2. Februar 2006 begehrt die Klägerin eine weitergehende Information der Mitglieder der Beklagten. Die Information und Beratung der Beklagten sei fehlerhaft.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg wird in Ziffer I, 2. Absatz aufgehoben und dahingehend abgeändert, dass erkannt wird wie folgt: Die Beklagte wird verpflichtet, ihre Mitglieder gemäß § 13 SGB I in Verbindung mit § 7 Abs. 2 und § 29 Abs. 2 SGB XI dahingehend zu informieren und zu beraten, dass Pflegehilfsmittel bei Vertragspartnern zu beschaffen sind, unabhängig davon, wann der Versorgungsfall eingetreten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Unterlagen der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die Klage ist als vorbeugende Unterlassungsklage in Form der Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, § 54 Rdnr. 42 m.w.N.) statthaft. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin nicht eine vorbeugende Unterlassungsklage, sondern einen Folgenbeseitigungsanspruch im Hinblick auf schon eingetretene Versicherungsfälle geltend macht, weil jedenfalls ein Rechtsschutzbedürfnis für das von der Klägerin geltend gemachte Recht nicht besteht. Für eine vorbeugende Unterlassungklage wäre ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse erforderlich. Ein solches setzt voraus, dass ein besonders schützenwertes Interesse an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, weil ein Zuwarten zu nicht ohne Weiteres revidierbaren Nachteilen führen würde.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Unterlassung der von ihr gerügten Information. Die Voraussetzungen des § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog in Verbindung mit Art. 12 und 3 Grundgesetz (GG) liegen nicht vor.
Eine Verletzung der Art. 12 und 3 GG wäre dann gegeben, wenn die Beklagte durch ihr hoheitliches Verhalten das Recht der freien Berufsausübung oder der Gleichbehandlung im Wettbewerb beeinträchtigen würde.
Die Beklagte hat gemäß §§ 7 Abs. 2 und 12 Abs. 2 SGB XI ihre Mitglieder insbesondere über die Leistungen der Pflegeversicherung sowie über Leistungen und Hilfe anderer Sozialversicherungszweige zu unterrichten und zu beraten, die zur Verfügung stehenden Hilfen zu koordinieren und sicher zustellen, dass im Einzelfall ärztliche Behandlung, Behandlungspflege, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung nahtlos und störungsfrei ineinandergreifen. Auch gemäß §§ 14 und 15 SGB I besteht die Verpflichtung, die Mitglieder über alle sozialen Angelegenheiten nach diesem Gesetzbuch zu informieren. Gegenstand der Aufklärung ist auch die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung. Die Beklagte hat eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung ihrer Mitglieder zu gewährleisten. Die Versorgung muss ausreichend und zweckmäßig sein und in der fachlich gebotenen Qualität wirtschaftlich erbracht werden. Welche Leistungserbringung wirtschaftlich ist, hat der Gesetzgeber bewusst den Regulierungen durch den Markt überlassen. Eine wirtschaftliche Leistungserbringung kann sich an den Leistungsangeboten der einzelnen Leistungserbringer orientieren und unterliegt ständigen Änderungen und Anpassungen. In diesem Zusammenhang entspricht die Information der Mitglieder über die Möglichkeit der Kostenerstattung dem gesetzlichen Auftrag der Beklagten.
Denn gemäß § 2 SGB XI sollen die Leistungen der Pflegeversicherung den Pflegebedürftigen helfen, ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Gemäß § 2 Abs. 2 SGB XI können die Pflegebedürftigen zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen. Ihren Wünschen zur Gestaltung der Hilfe soll, soweit sie angemessen sind, im Rahmen des Leistungsrechts entsprochen werden. Das Wahlrecht bezieht sich unter anderem auch auf die Leistungsarten: häusliche Pflege (Geld- oder Sachleistung), teilstationär oder stationär (Kurzzeitpflege, Heim). Schon die Möglichkeit der Wahl zwischen Geld- oder Sachleistung zeigt, dass die Geltung des Sachleistungsprinzips im SGB XI nicht uneingeschränkt gegeben ist. So haben die Pflegebedürftigen auch die Möglichkeit, Pflegeeinrichtungen zu wählen, mit denen eine vertragliche Regelung der Pflegevergütung nicht besteht. Sie können den Preis unmittelbar mit der Pflegeeinrichtung vereinbaren. Die ihnen von der Einrichtung berechneten Kosten werden erstattet, allerdings mit der Einschränkung, dass die Erstattung 80 v.H. des Betrages nicht überschreiten darf, den die Pflegekasse für den einzelnen Pflegebedürftigen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit zu leisten hat (§ 91 Abs. 2 SGB XI). Auch hierin liegt eine Ausnahme vom Sachleistungsprinzip unter Berücksichtigung des Rechtes des Pflegebedürftigen auf Selbstbestimmung.
Die Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen findet allerdings ihre Grenze im Wirtschaftlichkeitsgebot. Gemäß § 29 SGB XI müssen die Leistungen wirksam und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Leistungen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, können Pflegebedürftige nicht beanspruchen, dürfen die Pflegekassen nicht bewilligen und dürfen die Leistungserbringer nicht zu Lasten der sozialen Pflegeversicherung bewirken.
Soweit aber die vom Pflegebedürftigen gewählte Leistung dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht, kann er sie auch im Wege der Kostenerstattung gegenüber der Beklagten geltend machen. Anhaltspunkte dafür, dass ein Bezug von zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln bei Apotheken oder Sanitätshäusern mit anschließender Kostenerstattung durch die Beklagte unwirtschaftlich wäre, sind nicht gegeben. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass auch Apotheken in vielen Fällen zu den Vertragspartnern gehören. Ob der Pflegebedürftige diese Hilfsmittel im Versandhandel oder in einem Sanitätshaus kauft, soll im Rahmen der Selbstbestimmung ihm überlassen bleiben.
Eine Schlechterstellung oder Diskriminierung der Klägerin als zugelassene Leistungserbringerin liegt in diesem Verhalten der Beklagten nicht. Das Recht der freien Berufsausübung oder der Gleichbehandlung im Wettbewerb ist damit nicht beeinträchtigt, denn es handelt sich lediglich um den Hinweis auf eine gesetzlich vorgesehene Möglichkeit. Es ist nicht ersichtlich und die Klägerin hat auch nicht dargelegt, inwiefern sie einen wirtschaftlichen Nachteil durch die Art der Beratung der Mitglieder der Beklagten erlitten hätte.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 197a SGG. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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