L 11 SO 39/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SO 160/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SO 39/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.04.2007 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 15.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2006 abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Übergang von Ansprüchen einer leistungsberechtigten Person gegen einen Anderen auf den Beklagten.

Der Beklagte gewährte der leistungsberechtigten, seit 30.12.2004 in verschiedenen Seniorenheimen lebenden, nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in Pflegestufe II eingestuften Mutter der Klägerin, E. B. (B.), ab 22.02.2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 42 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von 260,36 EUR, weitere Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 35 Abs 2 SGB XII in Höhe von 88,66 EUR und Hilfe zur Pflege gemäß § 61 SGB XII in Höhe von 382,49 EUR aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 09.03.2005.

Bis zur Heimunterbringung wohnte B. im Haus der Klägerin, das B. aufgrund notariellen Vertrages vom 27.03.1981 der Klägerin u.a. überlassen hatte. Für das dazugehörige Grundstück waren Grundschulden in Höhe von insgesamt 35.200,00 DM eingetragen; tatsächlich bestanden noch Darlehensverpflichtungen in Höhe von 4.040,44 DM, die die Klägerin zurückzahlen sollte. Im Rahmen des materiellen Übergabevertrages ist B. ein sog. Leibgeding eingeräumt worden. Sie konnte mietfrei in drei Zimmern des Hauses wohnen, die Klägerin hatte die hierfür anfallenden Kosten zu tragen und für Wart und Pflege, Besorgung des Arztes und der Heilmittel, Reinigung und Instandhaltung der Kleidung, Wäsche und Schuhe, Reinigung und Instandhaltung der Austragswohnung und das Aufbetten zu sorgen. Gemäß Punkt III. Buchst. b des notariellen Vertrages seien diese Leistungen durch die Klägerin nur im Vertragsanwesen und nur dann zu erbringen, wenn die Berechtigte (B.) wegen Alters oder Krankheit nicht in der Lage sei, diese Arbeiten selbst zu verrichten. Eine Umwandlung in eine Geldleistung sei ausgeschlossen.

Auf Anhörung wegen einer Überleitung von Ansprüchen hin teilte die Klägerin dem Beklagten mit, die Wohnung der B. werde zunächst nicht bewohnt werden, sie müsse renoviert werden.

Mit Bescheid vom 15.04.2005 zeigte der Beklagte der Klägerin gegenüber an, dass der Anspruch der B. aus dem notariellen Vertrag vom 27.03.1981 ab 01.03.2005 auf den Beklagten übergeleitet werde (102,50 EUR wegen Wart und Pflege). Ein Abgeltungsbetrag für das Wohnrecht werde nicht geltend gemacht, solange die Wohnung nicht benutzt werde. Ähnlich einem Leibgedingvertrag sei hier Grundbesitz im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen worden und im Gegenzug sollten Grundbedürfnisse des täglichen Lebens und der Lebensabend abgesichert werden. Eine konkrete Abgeltungsregelung für den Fall einer Unterbringung in einem Pflegeheim sei nicht vereinbart worden. Aus dem Vertragstext und der wirtschaftlichen Situation bei Vertragschluss ergebe sich unzweifelhaft, dass B. einen wesentlichen Teil ihres Vermögens abgegeben habe, um sich im Gegenzug für die Fährnisse des täglichen Lebens und des Alters abgesichert zu wissen. Für die Sicherstellung einer Heimpflege seien somit keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden gewesen. Bei einer derartigen Vertragsgestaltung habe die Klägerin die durch den Wegzug ersparten Aufwendungen zu tragen. Die Existenz eines solchen Abgeltungsanspruches sei nicht von vorneherein ausgeschlossen. Die Überleitung erscheine weder unzumutbar noch unbillig. Der Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII und das Gebot der wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel sei beachtet worden. Das öffentliche Interesse an der Überleitung des Gesamtanspruches überwiege daher. Weitere Gesichtspunkte für die Ausübung des Ermessens zugunsten der Klägerin seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

Den Widerspruch hiergegen begründete die Klägerin damit, Leistungen seien von ihr nur im Vertragsanwesen zu erbringen, eine Umwandlung in eine Geldleistung sei ausgeschlossen worden. Eine rechtskonforme Auslegung des Vertragstextes sei nicht erforderlich. Im Gegenzug zur Übernahme des Grundstückes und Hauses habe sie Darlehensschulden beglichen. Hinsichtlich der Höhe des übergeleiteten Betrages sei der Bescheid nicht begründet.

Den Widerspruch wies die Regierung von Oberfranken mit Wider-spruchsbescheid vom 24.10.2006 zurück. Das Bestehen des Anspruches auf Abgeltung sei nicht offensichtlich ausgeschlossen. Der konkrete Abgeltungsbetrag in Höhe von 102,50 EUR ergebe sich aus der Halbierung des nach Pflegestufe I zustehenden Pflegegeldes. Die zivilrechtliche Existenz des Anspruches auf Abgeltung sei vor Zivilgerichten zu klären. Das Ermessen habe der Beklagte ausgeübt.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Der Text des notariellen Vertrages sei keiner Auslegung zugänglich. Leistungen an B. habe die Klägerin nur im Vertragsanwesen zu erbringen. Eine Umwandlung in eine Geldleistung sei ausgeschlossen.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.04.2007 hat das SG den Bescheid vom 15.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2006 aufgehoben. Eine Überleitung sei nur dann ausgeschlossen, wenn der übergeleitete Anspruch nach materiellem Recht offensichtlich nicht bestehe. Dies sei hier der Fall. Die Wegzugsklausel sei nicht sittenwidrig, da sie nicht in der Absicht vereinbart worden sei, dem Sozialhilfeträger die Leistungslast aufzubürden. Eine Nichtigkeit der Klausel liege nur dann vor, wenn beim Verzicht Bedürftigkeit bereits vorlag oder als sicher bevorstehend erkannt worden sei. Den Beteiligten müssten die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründeten, bekannt gewesen sein. Dies sei hier jedoch nicht der Fall gewesen, zumal B. auch über weiteres Bareinkommen verfügt habe. Ein Angewiesensein auf öffentliche Leistungen nach Ablauf von mehr als 20 Jahren sei bei Vertragschluss nicht absehbar gewesen. Auch eine Schenkung könne nur bis zum Ablauf von zehn Jahren rückgängig gemacht werden.

Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Beklagte vorgetragen, die Frage der Wirksamkeit von Wegzugsklauseln sei zivilrechtlich zumindest umstritten. Ein materiell-rechtlicher Anspruch sei jedoch nicht offensichtlich ausgeschlossen. Rückforderungsansprüche gemäß §§ 528 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seien von ihm nicht geltend gemacht worden. Der Beklagte hat u.a. drei Urteile der Amtsgerichte Forchheim, Lichtenfels und Bamberg zu ähnlichen Vertragsgestaltungen übersandt.

Der Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 26.04.2007 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 15.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2006 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig und auch begründet. Der Gerichtsbescheid vom 26.04.2007 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 15.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2006 ist abzuweisen. Die Anzeige der Überleitung ist rechtmäßig. Die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt.

Dahingestellt bleiben kann, ob eine Entscheidung durch das SG in Form eines Gerichtsbescheides gemäß § 105 SGG zulässig war. Der Rechtsstreit weist allerdings durchaus Schwierigkeiten rechtlicher Art auf, wie sich bereits aus der umfangreichen, wenn auch nicht zutreffenden Begründung der Entscheidung ergibt.

Hat eine leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, einen Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger i.S. des § 12 des Ersten Buches (Sozialgesetzbuch -SGB I-) ist, kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht (§ 93 Abs 1 Satz 1 SGB XII). § 93 SGB XII hat dabei den Zweck, den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) wiederherzustellen. Die Regelung entspricht weitgehend dem ehemaligen § 90 Bundessozialhilfegesetz (vgl. hier: Münder in LPK-SGB XII, § 93 Rdnr 1 und 2).

Die Voraussetzungen für den Übergang von Ansprüchen liegen hier vor. B. hat als leistungsberechtigte Person seit 22.02.2005 u.a. Hilfe zur Pflege vom Beklagten erhalten. Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bewilligung bestehen nicht, so dass offen gelassen werden kann, ob Voraussetzung für den Übergang von Ansprüchen die Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung ist. Unstreitig ist auch die zeitliche Deckungsgleichheit und die Tatsache, dass Hilfe zur Pflege nicht zu erbringen ist, wenn die Klägerin zur Leistung verpflichtet ist (kausale Verknüpfung, § 93 Abs 1 Satz 3 SGB XII).

Bei den übergegangenen Ansprüchen handelt es sich auch um Ansprüche der leistungsberechtigten Person, nämlich der B. gegenüber einem Anderen (hier: der Klägerin), der kein Leistungsträger i.S. des § 12 SGB I ist.

Streitig ist allerdings zwischen den Beteiligten, ob der überzuleitende Anspruch offensichtlich nicht besteht. Eine Überleitung ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil der übergeleitete Anspruch nicht besteht. Nur wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist, könnte eine dennoch erlassene, erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige rechtswidrig sein (vgl. hierzu: BVerwGE 92, 281; LSG NRW, Beschluss vom 09.11.2005 - L 20(12) B 38/05 SO ER -). Hinsichtlich der Frage, ob tatsächlich und ggf. in welcher Höhe ein Anspruch der B. gegen die Klägerin besteht, ist eine Zuständigkeit der Zivilgerichte gegeben, so dass eine Überleitungsanzeige nur dann rechtswidrig sein kann, wenn sie sinnlos wäre. Dies ist allenfalls dann gegeben, wenn der übergeleitete Anspruch ganz offensichtlich nicht gegeben ist. Ein Fall dieser sog. Negativ- evidenz liegt hier jedoch - entgegen der Auffassung des SG - nicht vor.

Unter Berücksichtigung der Art 7, 8 und 18 des Bayer. Ausführungsgesetzes zum BGB (AGBGB BY) sowie unter Berücksichtigung der von dem Beklagten zitierten Rechtsprechung der Zivilgerichte (u.a. Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels vom 18.04.2007 - 1 C 465/06 -, Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 18.04.2007 - 0104 C 2429/06 -, Urteil des Amtsgerichts Forchheim vom 06.12.2005 - 70 C 731/04 -) ist ein überleitbarer Zahlungsanspruch der B. jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen. Die Verpflichtung zu höchstpersönlichen Leistungen aus dem notariellen Vertrag kann sich in eine Zahlungsverpflichtung gewandelt haben.

Offen ist, ob die im notariellen Vertrag vom 27.03.1981 verwendete Klausel sittenwidrig ist und somit gemäß § 138 Abs 1 BGB nichtig ist. Dabei ist nicht nur dann von einer Sittenwidrigkeit auszugehen, wenn beim Verzicht Bedürftigkeit des Verzichtenden bereits vorlag oder als sicher bevorstehend erkannt wurde (in diesem Sinne auch nicht die vom SG zitierte Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 17.09.1986 -IV b ZR 59/85- in MDR 1986, 1003; vgl. zum Ganzen: Rosendorfer in MittBayNot. 2005, 1 ff).

Es handelt sich bei dieser Vertragsklausel zwar nicht um einen Vertrag zu Lasten Dritter, die Wirkungen sind jedoch mit einem solchen identisch. Diese Regelung sollte gerade für den Fall der kostenintensiven Pflegeheimunterbringung eine Leistungspflicht der Klägerin ausschließen, so dass, soweit kein weiteres Vermögen und ausreichendes Einkommen bei B. vorhanden ist, auf jeden Fall der Sozialhilfeträger einspringen müsste. Gerade dies ist jedoch die Absicht, die hinter der getroffenen Regelung steckt. Ein anderer Grund für diese Art der Vereinbarung ist nicht zu erkennen. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass zum Zeitpunkt des Vertragschlusses 1981 Regelungen zum Pflegegeld noch nicht vorgelegen haben. Es kam also zum damaligen Zeitpunkt als einziger Leistungsträger der Beklagte als Sozialhilfeträger in Betracht. Nachdem B. einen Großteil ihres Vermögens mit diesem notariellen Vertrag weggegeben hatte und ihr Einkommen aus Rentenbezug nicht ausreicht, um einen Pflegeheimaufenthalt zu finanzieren (B. bezieht von der LVA Oberfranken und Mittelfranken eine Versichertenrente in Höhe von 141,68 EUR sowie eine Hinterbliebenenrente in Höhe von 181,77 EUR), war es bereits zum damaligen Zeitpunkt für die vertragschließenden Parteien offensichtlich, dass jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkt die Träger der Sozialhilfe einspringen müssen, soweit B. keine Ansprüche gegen die Klägerin bei Unterbringung in einem Pflegeheim haben sollte.

Von einem offensichtlichen Nichtbestehen eines Anspruches der B. gegen die Klägerin beim Aufenthalt in einem Pflegeheim kann damit nicht ausgegangen werden. Dies ergibt sich aber auch bereits aus den umfangreichen Ausführungen des SG zur Frage, ob hier ein Fall der Negativevidenz vorliegt.

Der Beklagte hat auch das ihm zustehende Ermessen ausgeübt. Er hat bei seiner Entscheidung sowohl das öffentliche Interesse an einer Überleitung der Ansprüche wie auch die Interessen der Klägerin berücksichtigt. Der Beklagte hat ausgeführt, eine Überleitung erscheine weder unzumutbar noch unbillig. Weitere im Rahmen der Ermessenerwägungen zu berücksichtigende Gesichtspunkte hat die Klägerin nicht vorgetragen. Ihre eigene Leistungsfähigkeit ist erst im Rahmen einer zivilrechtlichen Geltendmachung um Durchsetzbarkeit der Abgeltungsansprüche zu berücksichtigen. Mangels anderweitiger bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigender Gesichtspunkte ist dem Nachranggrundsatz der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) vorliegend zutreffend die entscheidende Bedeutung durch den Beklagten beigemessen worden (intendiertes Ermessen, vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 93, 16; BVerwGE 92, 281).

Die für eine Rückforderung von Schenkungen im Gesetz vorgesehene Frist von zehn Jahren (§ 529 BGB) hat für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung. Ein Vertrauensschutz kann der Klägerin nicht zugesprochen werden, nachdem die getroffene Regelung gerade dazu dient, eine Leistungspflicht der Träger der Sozialhilfe tatsächlich herbeizuführen.

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten der Gerichtsbe-scheid des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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