L 3 U 65/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5019/03 L
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 65/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.12.2004 wird aufgehoben.
II. Die Klage gegen den Bescheid vom 12.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2003 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Unfall des Klägers am 01.06.2002 von der Beklagten als Arbeitsunfall zu entschädigen ist.

Der Kläger ist Landmaschinenmechaniker-Meister und führt neben seinem Wohnhaus einen Betrieb mit Verkaufsraum und Werkstatt. Der Betrieb ist bei der Süddeutschen Metallberufsgenossenschaft versichert. Der Kläger hat keine freiwillige Unternehmerversicherung.

Am Samstag, den 01.06.2002, legte die 1922 geborene Zeugin K. B. , Gras auf. Da beim Abladen der Kratzboden des 1978 gebauten Ladewagens der Firma F. nicht funktionierte, fuhr sie zunächst zur Werkstätte der Firma B. , wo sie niemanden antraf. Anschließend fuhr sie weiter zur Firma des Klägers. Als sie auf den Hof der Werkstätte kam, bat sie den das Wohnhaus verlassenden Kläger, ihr zu helfen. Während die Zeugin auf dem Schlepper sitzen blieb, kroch der Kläger unter den Ladewagen. Während der Überprüfung stürzte ihm eine Eisenstange ins Gesicht und verletzte den Kläger schwer. Er verlor das rechte Auge und erlitt einen Schädelbasisbruch.

In der Unfallanzeige vom 15.07.2002 gab der Kläger an, als Helfer im landwirtschaftlichen Betrieb der Zeugin B. tätig geworden zu sein.

Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte diverse medizinische Unterlagen bei, unter anderem einen Nachschaubericht der Klinik für Unfall-, Hand-, Wiederherstellungs- und Wirbelsäulenchirurgie, Chefarzt O. , vom 17.09.2002. Aus diesem ergibt sich, dass der Kläger bis zum Unfall als selbständiger Landmaschinenmechaniker-Meister tätig war. Ein Hausbesuch ergab, dass im Gewerbebetrieb neben dem Kläger vier Gesellen und zwei Lehrlinge tätig waren. Im Unfalluntersuchungsbericht vom 20.08.2002 erklärte der Kläger, dass die Zeugin B. am Samstagvormittag zu ihm gekommen sei und ihn gebeten habe, ihm zu helfen, da der Ladewagen nicht funktionierte. Da er die Zeugin gut kenne, habe er ihr seine Hilfe zugesagt. Die Zeugin B. erklärte, sie sei mit ihrem Gespann zunächst zur Werkstätte der Firma B. gefahren. Da sie dort niemanden antraf, sei sie zum Betrieb des Klägers gefahren, der sich bereit erklärt habe, ihr zu helfen.

Mit Bescheid vom 12.11.2002 lehnte die Beklagte eine Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Die unfallbringende Tätigkeit, die Reparatur des Ladewagens, sei dem gewerblichen Unternehmen des Klägers, der Landmaschinenwerkstatt, zuzurechnen und nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb der Zeugin. Den hiergegen eingelegten Widerspruch - der Kläger sei nach § 2 Abs.2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) tätig geworden, weil er der Zeugin als Nachbar helfen wollte - wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2003 zurück. Da die Klägerin zur Werkstätte des Klägers gekommen sei, habe sie den Kläger nicht als Nachbarin, sondern als Fachmann aufgesucht.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 12.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. In der mündlichen Verhandlung am 15.12.2004 erklärte der Kläger, dass die Zeugin B. bei der Bewirtschaftung ihres landwirtschaftlichen Unternehmens größtenteils auf sich allein gestellt sei und er ihr bei bestimmten Gelegenheiten aushelfe. Daraufhin hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2003 verurteilt, den Kläger bestimmungsgemäß zu entschädigen. Der Kläger sei nach § 2 Abs.2 Satz 1 SGB VII versichert. Seine Motivation und Handlungstendenz sei von uneigennützigen Interessen geprägt. Er habe schon des Öfteren im landwirtschaftlichen Unternehmen der Zeugin B. ausgeholfen, ohne dabei gewerbsmäßig aufzutreten.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Versicherungsschutz nach § 2 Abs.2 Satz 1 SGB VII scheide aus, da der Kläger nicht arbeitnehmerähnlich, sondern als Unternehmer tätig geworden sei. Die unfallversachende Tätigkeit sei mit der Berufstätigkeit des Klägers als Unternehmer identisch.

In der Sitzung am 17.10.2007 hat der Senat die Zeugin B. vernommen. Sie hat erklärt, dass sie den Kläger schon vor dem Unfall aus der Werkstatt gekannt habe. In der Landwirtschaft habe ihr der Kläger nie geholfen. Im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Die Parteien haben einer Entscheidung durch Einzelrichter zugestimmt.

Der Kläger beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.12.2004 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.12.2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2003 abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die beigezogene Beklagtenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.12.2004 ist begründet. Das Urteil war aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2003 abzuweisen, da der Kläger keinen Versicherungsschutz nach § 2 Abs.2 Satz 1 SGB VII genießt und damit der Unfall vom 01.06.2002 nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Der Senat konnte durch Einzelrichter entscheiden, da die Parteien zugestimmt haben (§ 155 Abs.3 und 4 SGG).

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs.1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 und 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Der Kläger war nicht Arbeitnehmer der Zeugin B. bzw. der landwirtschaftlichen Unternehmerin, der Tochter der Zeugin B ... Er war aber auch nicht nach § 2 Abs.2 Satz 1 SGB VII versichert, weil er nicht wie ein nach § 2 Abs.1 Nr.1 SGB VII Versicherter tätig wurde. Zur Überzeugung des Senats steht vielmehr fest, dass der Kläger bei seiner Hilfe für die Zeugin B. unternehmerähnlich tätig wurde.

Gemäß § 2 Abs.2 Satz 1 SGB VII sind Personen versichert, die "wie" nach Abs.1 Nr.1 Versicherte - wenn auch nur vorübergehend - tätig werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17.03.1992, SozR 3-2200 § 539 Nr.16) setzt ein solcher Versicherungsschutz voraus, dass es sich um eine dem in Betracht kommenden Unternehmen dienende Tätigkeit handelt, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und sonst ihrer Art nach von Personen verrichtet werden kann, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen. Sie muss ferner unter solchen Umständen geleistet werden, dass sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. Eine Eingliederung in das Unternehmen ist dabei ebenso wenig erforderlich wie die persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom Unternehmer. Auch wenn die Arbeit von geringem wirtschaftlichen Wert ist, und sie unentgeltlich geleistet wird, steht dies der Anwendung von § 2 Abs.2 Satz 1 SGB VII entgegen. Wurde der Verletzte jedoch wie ein Selbständiger tätig, wird kein Versicherungsschutz begründet. Ob eine Tätigkeit im konkreten Einzelfall unter Beachtung dieser Grundsätze als arbeitnehmer- oder unternehmerähnlich zu qualifizieren ist, richtet sich nach den tatsächlichen und den rechtlichen Verhältnissen, unter denen sie verrichtet wurde. Da meistens einige Umstände für und andere gegen ein beschäftigungsähnliches Verhältnis sprechen, ist das Gesamtbild der Tätigkeit entscheidend (Ricke in: Kasseler Kommentar, § 2 SGB VII Rdnr.4; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 2 Anm.34.12).

Unternehmerähnlich sind Tätigkeiten, die eher mit einem anderen Vertragstyp als mit einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, d.h. einem Dienstvertrag, vergleichbar sind. So verpflichten sich die Unternehmer (Hersteller) beim Werkvertrag zur Herstellung eines versprochenen Werkes, d.h. zur Herbeiführung eines bestimmten Erfolges gegen Vergütung, nicht lediglich zur Bereitstellung ihrer Arbeitskraft. Wird keine Vergütung vereinbart, so sind in diesem Fall die Voraussetzungen eines Auftrages mit Werkvertragscharakter erfüllt (BSG, Urteil vom 27.10.1987, HV-Info 3/88, 213). Unternehmerähnlichkeit liegt auch vor, wenn der Betroffene nach außen wie ein Unternehmer handelt (BSGE 42, 121), d.h. dann, wenn die Betätigung der eines Architekten, Ingenieurs oder Handwerksmeisters gleichzustellen ist (Bereiter-Hahn/Mehrtens, § 2 SGB VII Anm.34.14).

Ausgehend vom Gesamtbild der Vorgänge am 01.06.2002 ist der Senat der Auffassung, dass der Kläger als Handwerksmeister am Samstagvormittag der Zeugin B. bei der Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit des Ladewagens helfen und hierbei seine Fachkenntnisse einbringen sollte. Damit steht die Unternehmerähnlichkeit dieser Tätigkeit im Vordergrund (vgl. Keller, Arbeitnehmerähnliche oder unternehmerähnliche Tätigkeit? Ein Beitrag zur Rechtsanwendung des § 2 Abs.2 SGB VII, NZS 2001, 188, 193). Nach Auffassung des Senates erteilte die Zeugin B. dem Kläger einen Auftrag mit Werkvertragscharakter, so dass die Unternehmerähnlichkeit zu bejahen ist. Letztendlich war der zum Unfallzeitpunkt knapp 80-jährigen Zeugin nicht daran gelegen, einen weisungsabhängigen Helfer zur Reparatur des Ladewagens zu bekommen, sondern lediglich daran, dass die Gebrauchsfähigkeit des defekten Ladewagens wieder hergestellt wurde. Dies zeigt sich bereits an der unstreitigen Tatsache, dass sie während des Reparaturversuchs durch den Kläger auf dem Schlepper sitzen blieb. Sie benötigte also nicht die Arbeitskraft des Klägers, sondern dessen Fachkenntnisse als Landmaschinenmechaniker. Auch der Umstand, dass sich die Klägerin zunächst an die von ihren Feldern aus etwas günstiger gelegene Firma B. wandte und erst, als sie dort niemanden antraf, zum Kläger fuhr, spricht dafür, dass die Zeugin dem Kläger einen Auftrag mit Werkvertragscharakter erteilte. Ihr ging es darum, die Funktionsfähigkeit des Ladewagens durch einen Fachmann wiederherstellen zu lassen.

Die Entscheidung des 3. Senates des Bayer. Landessozialgerichts vom 11.10.2001, L 3 U 403/00, kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Im 2001 zu entscheidenden Fall hatte der zum Unfallzeitpunkt 17-jährige Kläger lediglich viel Interesse an landwirtschaftlichen Arbeiten, jedoch keine Spezialkenntnisse, die mit denen eines Landmaschinenmechanikers wie dem Kläger vergleichbar sind. Er konnte also nur seine Arbeitskraft, nicht jedoch sein Fachwissen zur Verfügung stellen. Damit lag kein Auftrag mit Werkvertragscharakter vor, der für eine unternehmerähnliche Tätigkeit spricht.

Für den Senat war außerdem von Bedeutung, dass die Zeugin B. den Kläger lediglich aufgrund einiger Werkstattbesuche kannte. Die Angaben des Klägers, er habe der Klägerin öfter in ihrer Landwirtschaft geholfen, sind damit widerlegt. Vielmehr stellt sich die Situation so dar, dass die Zeugin B. auf dem Betriebsgelände des Klägers dessen besondere Fachkenntnisse als Landmaschinenmechaniker in Anspruch nahm. Hinweise darauf, dass der Kläger wie in einem Beschäftigungsverhältnis tätig wurde, ergeben sich nicht. Im Ergebnis war das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.12.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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