L 3 U 199/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 151/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 199/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14.02.2006 abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2004 verurteilt, dem Kläger Heilbehandlung und Verletztengeld dem Grunde nach unter Anrechnung seines Arbeitsentgelts bis einschließlich 04.09.2003 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Heilbehandlung und Verletztengeld wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 21.08.2003.

Der 1978 geborene Kläger, Lizenzspieler beim Fußballklub S. , erlitt am 21.08.2003 einen Arbeitsunfall, als er beim Kampf um den Ball mit einem anderen Spieler zusammengestoßen ist.

Dr.H. , Arzt für Sportmedizin, diagnostizierte im H-Arzt-Bericht vom 25.08.2003 eine Muskelläsion rectus abdominis rechts. Arbeitsunfähigkeit bescheinigte er bis zum 13.09.2003. Am 09.12.2003 erfolgte im Krankenhaus St. J. , R. , wegen einer Adduktorenansatzendopathie am Oberschenkel rechts eine Adduktorenansatztenotomie.

Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die einschlägigen Röntgen- und Kernspinaufnahmen sowie Berichte des Dr.H. vom 12.09.2003 und 18.11.2003 bei und holte eine Stellungnahme des beratenden Arztes Dr.B. vom 01.12.2003 ein.

Dr.B. stellte fest, dass der Kläger durch den Unfall vom 21.08.2003 eine Bauchmuskelprellung rechts erlitten habe, die keiner besonderen Behandlung oder Krankschreibung bedurfte. Die fortgesetzten Beschwerden in diesem Bereich und in dem Bereich der rechtsseitigen Adduktoren seien vordergründig überlastungsbedingt.

Mit Bescheid vom 10.12.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Heilbehandlung und Verletztengeld aus Anlass des Unfalls vom 21.08.2003 ab. Als Folge des Versicherungsfalls erkannte sie eine Bauchmuskelprellung rechts an, nicht eine Verletzung des Musculus rectus abdominis und einen Muskelfaserriss der Adduktorengruppe.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2004 als unbegründet zurück.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2004 zu verurteilen, beim Kläger als weitere Folge des Unfalls vom 21.08.2003 die Gesundheitsstörungen "Bauchmuskelverletzung, Musculus rectus abdominis, Muskelfaserriss Adduktorengruppe" festzustellen und verletzungsbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis mindestens Ende Januar 2004 anzuerkennen und die entsprechenden Leistungen zu gewähren.

Das SG hat ein Gutachten des Prof.Dr.A. , Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, vom 12.05.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 05.08.2005 eingeholt. Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Prof.Dr.H. vom 02.06.2005 vorgelegt.

Prof.Dr.A. hat ausgeführt, dass durch das Unfallereignis eine Muskelverletzung in der rechten Leiste nach Pressschlag entstanden sei. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit habe über die Erstdiagnostik und Erstbehandlung hinaus bestanden.

Prof.Dr.H. hat dargelegt, dass beim Kläger eine Bauchdecken-prellung erfolgt sei, die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum 01.09.2003 begründet habe. Eine Muskelverletzung sowie eine Verletzung der rechten Leiste habe nicht bestanden, was sich aus der Kernspintomographie vom 01.09.2003 ergebe.

Mit Urteil vom 14.02.2006 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2004 verurteilt, beim Kläger wegen der Gesundheitsstörung "Bauchmuskelprellung rechts" als Folge des Arbeitsunfalls vom 21.08.2003 unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis einschließlich 01.09.2003 anzuerkennen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die durch den Unfall verursachte Bauchmuskelprellung habe Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit entsprechend der Stellungnahme des Prof.Dr.H. bis einschließlich 01.09.2003 begründet. Die darüber hinausgehende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit sei nicht als unfallursächlich anzuerkennen, weil sie auf unfallfremden Verletzungen bzw. Veränderungen der Adduktorengruppe beruhten. Im Bereich der Leiste und des Beckens bestünden Verschleißerscheinungen und Überlastungsschäden. Dem Gutachten des Prof.Dr.A. sei nicht zu folgen, da darin nicht zwischen der Bauchmuskelprellung einerseits und den Tendinosen andererseits differenziert werde. Das Gutachten genüge auch nicht den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätskriterien.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat sich dabei auf das Gutachten des Prof.Dr.A. gestützt.

Der Senat hat die einschlägigen Röntgen- und Kernspinaufnahmen beigezogen und ein Gutachten des Dr.L. , Chirurg, Unfallchirurg, vom 27.12.2006 eingeholt.

Dr.L. hat ausgeführt, dass es als Folge des Unfalls zu einer Bauchdeckenprellung gekommen sei. Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit sei unfallbedingt bis 04.09.2003 gegeben. Weitergehende Gesundheitsschäden seien durch den Unfall nicht eingetreten. Bei der Computertomographie vom 01.09.2003 sowie der Kernspintomographie vom 16.09.2003 seien ein Muskelfaserriss der Adduktorengruppe sowie ein Muskelfaserriss des Musculus rectus abdominis auszuschließen gewesen. Die weiteren Beschwerden mit der anschließenden Operation hätten sich anlagebedingten Veränderungen in Form einer beginnenden medialen Hernie (sog. "weiche Leiste" bzw. "Sportlerleiste") gewidmet.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 14.02.2006 und des Bescheides vom 10.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2004 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21.08.2003 Verletztengeld und Heilbehandlung bis einschließlich Juni 2004 gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14.02.2006 zurückzuweisen, soweit Ansprüche über den 04.09.2003 hinaus geltend gemacht werden.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakte und der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist überwiegend unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14.02.2006 ist lediglich insoweit abzuändern, als der Kläger gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Verletztengeld und Heilbehandlung bis einschließlich 04.09.2003 hat. Darüber hinaus bestehen keine Ansprüche des Klägers.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz ) zulässig. Ein einzelnes Element eines Rechtsverhältnisses (hier Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit) kann nur ausnahmsweise Gegenstand einer Feststellungsklage sein (Elementenfeststellungsklage), wenn durch sie der Streit der Beteiligten im Ganzen bereinigt wird (SozR 3-2500 § 124 Nr.9; offen gelassen von BSG SozR 3-2600 § 58 Nr.9; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage § 55 Rdnr.9a). Eine Verurteilung war vorliegend dem Grunde nach möglich (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage § 130 Rdnr.2a).

Verletztengeld wird nach § 45 Abs.1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) erbracht, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist.

Ein Anspruch auf Heilbehandlung besteht gemäß §§ 26, 27 SGB VII bei unfallbedingter Behandlungsbedürftigkeit.

Arbeitsunfähigkeit sowie Behandlungsbedürftigkeit und die zu Grunde liegenden Gesundheits- und Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann, und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, das heißt nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger am 21.08.2003 einen Arbeitsunfall erlitt, der keine Gesundheitsstörungen zur Folge hatte, die Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit über die Dauer von zwei Wochen ab dem Unfall hinaus begründet haben. Über die von der Beklagten bereits anerkannte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis zum 04.09.2003 hinaus bestehen daher keine Ansprüche des Klägers. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aus dem Gutachten des Dr.L. vom 27.12.2006.

Über den 04.09.2003 hinaus besteht kein Anspruch des Klägers auf Leistungen der Beklagten, da der Kläger nicht infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig oder behandlungsbedürftig war.

Es ist bei dem Unfall zu einer Prellung der Bauchdecke gekommen. Die dadurch entstandenen Beschwerden sind nach den Ausführungen des Dr. L. innerhalb von zwei Wochen ausgeheilt gewesen. Weitere Gesundheitsschäden, insbesondere ein Muskelfaserriss der Adduktorengruppe sowie ein Muskelfaserriss des Musculus rectus abdominis sind nicht eingetreten. Derartige Verletzungen sind vielmehr auf Grund der vorliegenden Computertomographie vom 01.09.2003 sowie der Kernspintomographie vom 16.09.2003 auszuschließen. Bei der Kernspintomographie vom 16.09.2003 zeigten sich außerdem unauffällige Verhältnisse im Bereich des linken großen Gesäßmuskels sowie eine normale Bildgebung im Bereich der Adduktorenmuskulatur, wie bereits in der Computertomographie vom 01.09.2003.

Eine weitergehende unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit ist nicht anzuerkennen. Die beim Kläger über den 04.09.2003 hinausgehende Beschwerdeproblematik ist anlagebedingten Leiden zuzuordnen. Der Kläger leidet an einer Adduktorenansatztendopathie des rechten Oberschenkels und einer sog. weichen Leiste bzw. einer Sportlerleiste (beginnende mediale Hernie) rechts. Die Sportlerleiste ist jedoch nicht Folge einer Primärverletzung, sondern Ergebnis einer entsprechenden konstitutionellen Veranlagung. Dr.L. hat zudem darauf hingewiesen, dass ein Muskelfaserriss der Adduktorengruppe nicht zu einer gleichzeitigen Adduktorenansatztendopathie führen kann. Auf Grund dieser Leiden fand auch die Operation im Caritas-Krankenhaus St.J. am 19.12.2003 statt. Diese widmete sich ausschließlich diesen konstitutionellen Veränderungen sowie den Folgen der Lokalbehandlung im Adduktorenbereich. Bei der Operation wurden eine Adduktorenansatztenotomie und eine Ansatzdenervierung und ein sog. Bruchlückenverschluss durchgeführt. Ein Unfallzusammenhang kann nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Der Unfall war zwar möglicherweise der Anlass dafür, dass diese Leiden beim Kläger zu akuten Erscheinungen und entsprechender Behandlungsbedürftigkeit geführt haben. Die wesentliche Ursache dafür war der Unfall indessen nicht, es lagen vielmehr anlagebedingte Erkrankungen vor.

Dem Gutachten des Prof.Dr.A. konnte sich der Senat nicht anschließen. Prof.Dr.A. hat weder die Befunde zutreffend festgestellt noch eine klare Abgrenzung von Unfallfolgen und Überlastungsschäden vorgenommen, die sowohl den Kernspinaufnahmen als auch den Operationsunterlagen zu entnehmen waren.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14.02.2006 war somit zurückzuweisen, soweit Ansprüche auf Heilbehandlung und Verletztengeld dem Grunde nach über den 04.09.2003 hinaus beansprucht wurden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits, der aufgrund der überwiegenden Erfolglosigkeit des Rechtsmittels eine Kostenaufteilung nicht rechtfertigt.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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