L 2 U 278/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 487/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 278/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Januar 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger bezüglich der ihm aus Anlass seiner Berufskrankheit zu gewährenden Übergangsleistung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger erst für einen späteren Zeitraum, nämlich ab 13. Dezember 1996, die Übergangsleistungen längstens für fünf Jahre nach § 3 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO) und in welcher Höhe zustehen.

Mit Bescheid vom 17. September 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1998 hatte die Beklagte bei dem 1950 geborenen Kläger für den linken Arm das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung in der ab 1. Dezember 1997 geltenden Fassung (BKV) ab dem 13. Dezember 1996 anerkannt. Mit der hiergegen gerichteten Klage beim Sozialgericht München (Az.: S 24 U 930/98) hatte der Kläger eine Vorverlegung des Versicherungsfalls begehrt. Er wollte so gestellt werden, als ob er seine berufliche Tätigkeit bereits im Jahre 1993 aufgegeben hätte. Durch gerichtlichen Vergleich vom 3. Februar 2000 hatte sich die Beklagte verpflichtet, ihre Entscheidung hinsichtlich einer Vorverlegung des Versicherungsfalls erneut zu überprüfen, hatte jedoch mit Bescheid vom 23. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2000 die Vorverlegung abgelehnt.

Im Rahmen eines weiteren Klageverfahrens vor dem Sozialgericht München (Az.: S 41 U 43/01) hatten die Beteiligten mit Vergleich vom 5. März 2003 Folgendes vereinbart:

"Die Beklagte erklärt sich bereit, bei der anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung den Versicherungsfall auf den 05.08.1993 vorzuverlegen."

In Ausführung dieses Vergleichs hatte die Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 23. April 2004 Verletztengeld für die Zeiten der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit ab 5. August 1993 nachbezahlt. Dabei hatte sie bei der Berechnung des Minderverdienstausgleichs ebenfalls auf den einvernehmlich vorverlegten Zeitpunkt des Versicherungsfalls (5. August 1993) abgestellt. Eine Klage vor dem Sozialgericht München auf weitere Vorverlegung des Versicherungsfalls auf den 18. Januar 1983 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 21. Juni 2005 abgewiesen (Az.: S 41 U 415/04). Anhängig ist ferner ein zivilgerichtliches Amtshaftungsverfahren gegen die Beklagte.

Mit Bescheid vom 28. April 2005 billigte die Beklagte dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV für den Zeitraum vom 5. August 1993 bis 4. August 1998 zu. Sie gewährte einen Minderverdienstausgleich für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 4. August 1998 in Höhe von 4.993,56 Eur. Nur in diesem Zeitraum sei dem Kläger ein Minderverdienst entstanden. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2005 zurück. Aufgrund der vergleichsweisen Vorverlegung des Versicherungsfalls sei bei der Berechnung des Minderverdienstausgleichs ebenfalls auf den einvernehmlich vorverlegten Zeitpunkt des Versicherungsfalls, nämlich auf den 5. August 1993, abzustellen. Eine andere Berechnungsweise würde insbesondere bei Berufskrankheiten, die eine Aufgabe der schädigenden Tätigkeit fordern, zu sachwidrigen Ergebnissen führen. Da sich die der Übergangsleistung zugrunde liegende Ausgleichsfunktion aufgrund der nachträglichen Vorverlegung des Versicherungsfalls nur noch bedingt verwirklichen lasse, sei die getroffene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden.

Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht München erhoben. Ihm stünde die Leistung nach § 3 Abs. 2 BKV über fünf Jahre ab 13. Dezember 1996 zu. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 22. Oktober 1998 das erste Mal die vorliegende Berufskrankheit rückwirkend ab dem 13. Dezember 1996 anerkannt. Die Beklagte habe damals nicht wissen können, dass sie die anhängige Klage auf Vorverlegung der Berufskrankheit verlieren würde. Er hat auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, Az.: B 2 U 10/00 R, vom 4. Dezember 2001, Az.: B 2 U 6/01 R und vom 7. September 2004, Az.: B 2 U 1/03) verwiesen. Ausschlaggebend sei die tatsächliche Beendigung der schädigenden Tätigkeit. Der Versicherte habe ab dem Zeitpunkt einen Anspruch auf Leistung nach § 3 BKV, ab dem er seine schädigende Tätigkeit beendet und dies klar gegenüber dem Versicherungsträger zu erkennen gegeben habe.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, es sei bei der Berechnung des Minderverdienstausgleichs auf den vorverlegten Zeitpunkt abzustellen. Eine andere Rechtsanwendung wäre treuwidrig und rechtsmissbräuchlich. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG stehe die Entscheidung über Art, Dauer und Höhe des Minderverdienstausgleichs im pflichtgemäßen Ermessen des Unfallversicherungsträgers. Sie hat im Übrigen auf die rechtlichen Wirkungen des Prozessvergleichs vom 5. März 2003 hingewiesen. Das Urteil des BSG vom 7. September 2004 finde keine Anwendung, da die Beklagte sich zu keinem Zeitpunkt auf die Anwendbarkeit einer Rückwirkungsklausel, über deren Regelungsgehalt vom BSG in dem betreffenden Rechtsstreit entschieden worden sei, berufen habe. Schließlich beziehe der Kläger seit 1. Januar 1997 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung und habe im Rahmen des laufenden zivilrechtlichen Verfahrens u.a. erhebliche Schadensersatzansprüche für die Zeit vom 13. Dezember 1996 bis 10. September 2000 und für die Zeit vom 1. September 2000 bis 19. März 2003 geltend gemacht, die bei der Bemessung des Minderverdienstausgleichs ebenfalls in Abzug zu bringen wären. Die Klage sei daher auch aus diesem Grund abzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. Januar 2007 abgewiesen. Aufgrund des Prozessvergleichs werde der Kläger materiell-rechtlich in jeder Hinsicht so gestellt als ob der Versicherungsfall am 5. August 1993 eingetreten wäre und er die gefährdende Tätigkeit seit dem 5. August 1993 unterlassen habe. Der Zeitpunkt der Unterlassung der Tätigkeit im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2101 der Anlage zur BKV sei identisch mit dem Zeitpunkt des Unterlassens der gefährdenden Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 BKV. Der Kläger sei deshalb so zu stellen, als ob er die gefährdende Tätigkeit ab dem 5. August 1993 unterlassen hätte, so dass auch die in Form der laufenden Leistung bewilligte Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV am 5. August 1993 zu beginnen habe.

Zur Begründung der Berufung hat der Kläger vorgebracht, der Versicherungsfall habe am 18. Januar 1993 mit einer Arbeitsunfähigkeit begonnen. Bereits damals habe er auf das Vorliegen einer Berufskrankheit hingewiesen. Die Beklagte habe laufend Leistungsansprüche abgelehnt. Aufgrund der fehlenden Anerkennung der Berufskrankheit, der fehlenden Rechtssicherheit und der fehlenden finanziellen Unterstützung durch die Beklagte sei es ihm als selbstständigen Zahntechniker nicht möglich gewesen, seine schädigende Tätigkeit zu beenden. Erst nach dem Hinweis im Gutachten des Dr. Fischer vom 12. Dezember 1996 habe er seine schädigende Tätigkeit eingestellt. Seit 1997 habe die Beklagte von der Einstellung der schädigenden Tätigkeit zum 12. Dezember 1996 Kenntnis gehabt. Die Beklagte könne sich nicht ihrer Leistungspflicht entziehen, indem sie diese über acht Jahre verschweige und sich auf einen Vergleich beziehe, der sieben Jahre nach Einstellung der schädigenden Tätigkeit zu einer fiktiven Vorverlegung des Versicherungsfalls geführt habe. Sie hätte von vornherein den Beginn der Berufskrankheit bereits ab dem 18. Januar 1993 anerkennen müssen. Allerdings müsse eine Beendigung der schädigenden Tätigkeit und der Beginn einer Berufskrankheit nicht gleichzeitig zusammenfallen. Der Kläger hat aus der Rechtsprechung des BSG (insb. Urteil vom 7. September 2004, Az.: B 2 U 1/03 R) zitiert. Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2008 hat er zuletzt auf ein anhängiges Verfahren über die Anerkennung einer Berufskrankheit, die den rechten Arm betrifft, hingewiesen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass bei Berufskrankheiten mit Unterlassenszwang der Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe und der Zeitpunkt des Versicherungsfalls zusammenfielen, zumal vorliegend der Versicherungsfall im Verlauf der früheren Klageverfahren im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs einvernehmlich durch Prozessvergleich vorverlegt worden sei. Mit Bescheid vom 28. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2005 habe sie darauf hingewiesen, dass aufgrund des Vergleichs vom 5. März 2003 bei der Berechnung des Minderverdienstausgleichs auf den vorverlegten Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe abgestellt werden müsse. Eine andere Rechtsanwendung wäre in höchstem Maße treuwidrig und rechtsmissbräuchlich. Da der Kläger die Gewährung von Versicherungsleistungen und Schadensersatz ab dem 5. August 1993 bzw. 18. Januar 1993 begehre und er nunmehr bei der Berechnung des Minderverdienstausgleichs auf den ursprünglich von der Beklagten anerkannten Zeitpunkt des Versicherungsfalls zum 13. Dezember 1996 und nicht auf den vergleichsweise vorverlegten Zeitpunkt abstelle, verstoße er gegen den im Sozialrecht anerkannten Grundsatz von Treu und Glauben. Schließlich seien die Rente wegen Berufsunfähigkeit sowie die geltend gemachten, noch offenen Klageforderungen bei der Bemessung des Minderverdienstausgleichs in Abzug zu bringen. Sie habe zutreffend nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 25. Januar 2007 sowie des Bescheides vom 28. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2005 zu verurteilen, ihm Übergangsleistungen nach § 3 BKVO unter Abzug der bereits erbrachten Leistungen ab dem 13. Dezember 1996 zu erbringen bzw. die Beklagte zu verurteilen, hierüber unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakten des Sozialgerichts München sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet.

Der Anspruch auf Übergangsleistung richtet sich nach der bis zum 30. November 1997 geltenden Regelung des § 3 Abs. 2 der BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721), zuletzt geändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2243 - 2. ÄndVO BKVO). Allerdings bestehen hinsichtlich der Grundvoraussetzungen keine Äbweichungen zu dem anschließend geltenden und diese Norm ablösenden § 3 Abs. 2 BKV (s.a. BSG v.07.09.2004, Az.: B 2 U 1/03 R).

Besteht für einen Versicherten die Gefahr, dass eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, so hat der Träger der Unfallversicherung mit allen geeigneten Mitteln dieser Gefahr entgegenzuwirken, § 3 Abs. 1 S. 1 BKVO. Ist die Gefahr für den Versicherten nicht zu beseitigen, hat der Träger der Unfallversicherung ihn aufzufordern, die gefährdende Tätigkeit zu unterlassen, § 3 Abs. 1 S. 2 BKVO. Stellt der Versicherte die Tätigkeit ein, weil die Gefahr für ihn nicht zu beseitigen ist, so hat ihm der Träger der Unfallversicherung zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren, § 3 Abs. 2 S. 1 BKVO. Das setzt einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang einerseits zwischen der drohenden Berufskrankheit und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und andererseits zwischen dieser Einstellung und der Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile voraus (u.a. BSG Urteil vom 20. Februar 2001, Az.: B 2 U 10/00 R).

Als Übergangsleistung wird ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt (Satz 2 der Regelung). Auf die Übergangsleistung besteht dem Grunde nach ein Anspruch des Versicherten, wenn die genannten Voraussetzungen gegeben sind. Die Entscheidung über Art, Dauer und Höhe der Leistungen steht hingegen im pflichtgemäßen Ermessen des Unfallversicherungsträgers (BSGE 78, 261, 262 = SozR 3-5670 § 3 Nr 2 mwN). Da der Beklagten somit insoweit ein Ermessen eingeräumt ist, scheidet ein Anspruch auf Gewährung von Übergangsleistungen aus. Begründet ist allerdings ein Anspruch auf Erlass eines Verbescheidungsurteils. Hierbei ist das Gericht darauf beschränkt zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 54 Abs. 2 S. 2 SGG).

Voraussetzung für die Gewährung von Übergangsgeld ist, dass eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert (§ 3 Abs 1 Satz 1 BKVO). Der Anspruch auf die Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 BKVO ist kein Leistungsfall aufgrund eines zuvor oder zeitgleich eingetretenen Versicherungsfalls einer bestimmten Berufskrankheit (BSG, a.a.O.). § 3 BKVO regelt vielmehr einen eigenen Versicherungsfall. Daraus folgt, dass dieser den Eintritt des Versicherungsfalls einer Berufskrankheit nicht voraussetzt (BSG a.a.O. mit Hinweis auf BSG SozR 2200 § 551 Nr. 35). Die Zielrichtung ist dabei zukunftgerichtet auf die Vorbeugung und Krankheitsverhütung. § 3 BKVO ist damit kein Entschädigungsanspruch.

Der Kläger stellte die selbstständige Tätigkeit mit Ablauf des 12. Dezember 1996 ein. Es ist gefestigte Rechtsprechung, dass § 3 Abs. 2 BKVO weder einen Antrag noch eine Aufforderung des Unfallversicherungsträgers zum Einstellen der Tätigkeit voraussetzt (vgl. BSGE 26, 84 sowie die Begründung zur 7. BKVO, BR-Drucks 128/68, Begründung zu § 3).

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass, bezogen auf den hier maßgeblichen linken Arm des Klägers, eine Berufskrankheit nach Ziff. 2101 der Anlage zur BKV - Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können - bestanden hat, deren Vorliegen die Beklagte zunächst ab 13. Dezember 1996 festlegte. Entscheidend ist für einen Anspruch auf Ausgleich der Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 BKVO, dass eine konkrete individuelle Gefahr der drohenden Berufskrankheit vorlag und der Kläger subjektiv die gefährdende Tätigkeit aufgegeben hat (BSG vom 7. September 2004, a.a.O.). Die Aufgabe der Tätigkeit erfolgte jedoch erst am 13. Dezember 1996. Die Beklagte führte auch im Berufungsverfahren nochmals aus, dass die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit ab dem 13. Dezember 1996 erfolgte. Erst ab diesem Zeitpunkt liegen damit die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BKVO vor.

Eine Vorverlegung dieses Zeitpunktes auf ein früheres Datum und die entsprechende Berechnung des Minderverdienstausgleichs ist rechtswidrig. Mit Vergleich vom 5. März 2003 erklärte sich die Beklagte zwar bereit, den Versicherungsfall auf den 5. August 1993 vorzuverlegen. Dabei bezieht sich dieser Vergleich gemäß seinem ausdrücklichen Wortlaut und bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont auf den Versicherungsfall der Berufskrankheit im Sinne der §§ 7, 9 SGB VII. Hieraus ergibt sich die Verpflichtung der Beklagten, bestimmte Leistungen zu erbringen (sog. Leistungsfall), deren Beginn mit dem Eintritt des Versicherungsfalls zusammenfallen können (wie häufig beim Verletztengeld gemäß § 46 Abs. 1 SGB VII), aber auch erst später beansprucht werden können (z.B. Beginn der Verletztenrente nach § 56 Abs. 1 S 1 SGB VII). Eine Vorverlegung des Leistungsfalls auf den 5. August 1993 ist jedoch gemäß dem Wortlaut des Vergleichs nicht erfolgt. Da es sich bei § 3 BKVO um einen eigenständigen Versicherungsfall handelt, ist dessen Vorliegen grundsätzlich losgelöst vom Eintritt des Versicherungsfalls einer Berufskrankheit zu beurteilen.

Die vergleichsweise Vorverlegung des Versicherungsfalls auf den 5. August 1993 betrifft somit nur den Versicherungsfall Berufskrankheit nach Ziff. 2101 der Anlage zur BKV und ist vor dem Hintergrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu sehen. Da es sich um verschiedene Versicherungsfälle handelt, ist der Anspruch nach § 3 Abs. 2 BKVO unmittelbar davon nicht berührt. Die Doppelnatur des Prozessvergleichs betrifft nur den Versicherungsfall Berufskrankheit.

Aus der Tatsache, dass das Vorliegen der Berufskrankheit nach Ziff. 2101 der Anlage zur BKV vergleichbar wie in § 3 Abs. 2 BKVO einen Zwang zur Unterlassung aller Tätigkeiten fordert, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, ergibt sich nichts anderes: Dabei weicht bereits die Formulierung in § 3 Abs 2 Satz 1 BKVO von der des Unterlassungszwangs in der Berufskrankheit nach Ziff. 2101 der Anlage zur BKVO ab. Dies ist damit zu begründen, dass bei der Übergangsleistung im Gegensatz zum Unterlassungszwang nicht die Entschädigung des Versicherten im Vordergrund steht, sondern der präventive Anreiz für den Versicherten, die gefährdende Tätigkeit einzustellen. Doch ergibt sich daraus häufig, dass grundsätzlich der Versicherungsfall dieser Berufskrankheit und des Übergangsgeldes gleichzeitig eintreten - jedoch ist dies nicht zwangsläufig der Fall. Wird wie vorliegend der Beginn des Versicherungsfalls auf einen früheren Zeitpunkt fiktiv vorverlegt, hat dies aufgrund der Trennung der beiden Versicherungsfälle nicht automatisch auch eine Vorverlegung des Zeitpunktes für den Beginn des Übergangsgeldes zur Folge (so für den Fall der Rückwirkungsregelungen des § 9 BKVO bzw. § 6 BKV: BSG vom 7. September 2004, a.a.O.). Die Vorverlegung des Versicherungsfalls erfolgte vorliegend wegen eines angenommenen Beratungsfehlers durch die Beklagte über das Vorliegen einer Berufskrankheit. Zweck des hier zur Anwendung gelangten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist, dem Kläger die Entschädigungsleistungen ab einem früheren Zeitpunkt zukommen zu lassen. Wie dargelegt handelt es sich bei § 3 Abs. 2 BKVO jedoch nicht um eine Entschädigungsleistung, sondern um eine zukunftsbezogene, präventive Leistung. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass er als Selbstständiger dem existentiellen Risiko ausgesetzt gewesen wäre, bereits 1993 seine Tätigkeit aufzugeben, ohne dass - wegen des Beratungsfehlers der Beklagten - ein Berufskrankheitenverfahren eingeleitet worden wäre. Es zeigt sich damit die selbstständige Funktion dieses Versicherungsfalls, so dass eine Rückwirkung der Übergangsleistung auf den 5. August 1993 nicht gerechtfertigt wäre.

Auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, wie er sich entsprechend § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ergibt, kann eine Vorverlegung des Zeitpunkts für das Übergangsgeld auf den 5. August 1993 nicht abgeleitet werden. Zwar ist die Argumentation der Beklagten nachvollziehbar, dass aufgrund der angenommenen Vorverlegung der Berufskrankheit alle sich daraus ergebenden Ansprüche einheitlich nach dem fingierten Datum richten sollen. Dies mag auch - bewusst oder unbewusst - der Wille der Beklagten bei Abschluss des Vergleichs gewesen sein. Abzustellen ist jedoch bei der Auslegung von Willenserklärungen auf den objektiven Empfängerhorizont, d.h. wie ein objektiver Dritter die Erklärung verstehen durfte. Da zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses zum einen nur die Vorverlegung des Versicherungsfalls Berufskrankheit und damit zusammenhängend die Gewährung von Verletztengeld streitgegenständlich war und zum anderen, wie dargelegt, zwischen Berufskrankheit und Übergangsleistungen nach § 3 BKVO rechtlich zu unterscheiden ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass nach dem objektiven Empfängerhorizont auch diese Leistungen von der Rückdatierung umfasst sein sollten.

Im August 1993 sind darüber hinaus tatsächlich die Voraussetzungen für die Gewährung der präventiven Leistungen nach § 3 BKVO nicht erfüllt gewesen, da der Kläger die Tätigkeit nicht eingestellt hatte. Der Kläger hat hierzu seine nachvollziehbaren Gründe dargelegt, nämlich vor allem das Risiko, einerseits die Tätigkeit aufzugeben, andererseits finanziell nicht abgesichert zu sein. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben scheidet deshalb aus. Vielmehr liegt umgekehrt ein Verstoß der Beklagten gegen diesen Grundsatz nahe, wenn diese dem Kläger tatsächlich zunächst präventive Leistungen nicht gewährte mit der Folge, dass dieser - trotz materiell-rechtlichem Bestehen der Voraussetzung der Berufskrankheit - von einem Unterlassen der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit absieht und die Beklagte später aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs den Versicherungsfall für die Berufskrankheit zurückverlegt. Das berufliche und finanzielle Risiko bei der Entscheidung über die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit träfe dann allein den Versicherten, obwohl der Beratungsfehler bei dem Unfallversicherungsträger lag. Im Übrigen fehlt es auch zwangsläufig an der Aufforderung durch den Unfallversicherungsträger nach § 3 Abs. 1 S. 2 BKVO, die gefährdende Tätigkeit zu unterlassen.

Damit besteht dem Grunde nach ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKVO ab 13. Dezember 1996. Über die Art, Dauer und Höhe der Leistungen hat die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Einwendungen der Beklagten über die bezogene Erwerbsminderungsrente sowie die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung betreffen nicht den Anspruch nach dem Grunde, sondern vor allem die Höhe des Anspruchs. Hierüber hat die Beklagte für den nun zu bewertenden Zeitraum bislang noch nicht entschieden. Der Kläger hat Anspruch auf eine nach dem Ermessen der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles festzusetzenden Übergangsleistung ab 13. Dezember 1996 (BSGE 40, 146, 150).

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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