L 2 P 42/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 134/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 42/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 2. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II ab Mai 2006.

Der 1950 geborene Kläger bezog auf seinen Antrag vom 14. Dezember 1994 nach einem Wirbelbruch mit Markverletzung Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Er hatte am 4. Juni 2003 einen Höherstufungsantrag gestellt. Die Beklagte hatte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Bayern vom 9. September 2003 nach Hausbesuch eingeholt. Danach hatte aufgrund eines Zustandes nach Brustwirbelkörper (BWK)-12-Kompressionsfraktur mit komplettem Querschnittssyndrom ab L1 und Harn- und Stuhlinkontinenz sowie Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma mit subduralem Hämatom ein Zeitbedarf für den Bereich Grundpflege in Höhe von 60 Minuten pro Tag (Körperpflege 34 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität 26 Minuten) bestanden, für hauswirtschaftliche Versorgung von ebenfalls 60 Minuten pro Tag. Die Beklagte hatte den Kläger auf die Sozialhilfeverwaltung verwiesen.

Am 5. Mai 2006 beantragte er erneut eine Höherstufung. Der MDK gelangte in einer Stellungnahme vom 26. Mai 2006 zu dem Ergebnis, dass sich der Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege auf 77 Minuten (Körperpflege 38 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität 39 Minuten) erhöhte. Als weitere pflegebegründende Diagnosen seien ein Zustand nach Teilabriss des Musculus biceps am linken Oberarm vom September 2003 mit schmerzhaft eingeschränkter Belastbarkeit des linken Oberarmes, ein Zustand nach Femurfraktur links mit osteosynthetischer Versorgung (Februar 2005) sowie ein Zustand nach Entfernung des Osteosynthesematerials bei Lockerung (März 2005) mit seither 4 cm Beinverkürzung links hinzugekommen. Die Beklagte lehnte eine Höherstufung mit Bescheid vom 1. Juni 2006 ab.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte sie eine erneute Stellungnahme des MDK nach Aktenlage vom 13. Juli 2006 ein. Auch bei Berücksichtigung eines Hilfebedarfs beim Toilettengang (21 Minuten) betrage der Gesamtzeitbedarf lediglich 98 Minuten. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 zurück.

Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Nürnberg begehrte der Kläger Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II rückwirkend ab Mai 2006. Das Sozialgericht zog einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr. F. vom 4. November 2006 bei und beauftragte den Medizinaloberrat Dr. L. mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach dem Gutachten vom 17. März 2007 besteht bei dem Kläger zusätzlich zu den genannten Diagnosen eine Schuppenflechte. Der erforderliche Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege betrage 101 Minuten (Körperpflege 35 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität 66 Minuten), für hauswirtschaftliche Versorgung 45 Minuten. Zu den klägerischen Einwendung nahm der Gutachter am 6. Mai 2007 Stellung. Unstreitig seien seit 1995 weitere Gesundheitsschäden hinzugetreten, jedoch lasse sich eine höhere Pflegestufe nicht begründen.

Der Kläger wies darauf hin, dass die Pflege tatsächlich nicht unter zwei Stunden täglich durchgeführt werden könne.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 2. Juli 2007 ab. Es folgte dabei weitgehend dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme des Dr. L ... Gravierende dauerhafte Verschlechterungen mit einer einschneidenden Erhöhung des Hilfebedarfs hätten sich nicht ergeben.

Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, eine Pflege sei in dem vom Sozialgericht bzw. dem Gutachter angenommenen Zeitrahmen nicht möglich. Der pflegerische Aufwand sei im Bereich der Grundpflege und Mobilisation deutlich höher; die Zeitkorridore im Gutachten würden nicht ausreichen. Hierzu übersandte er auch eine Stellungnahme der Katholischen Sozialstation vom 30. Januar 2008 und ein Attest des Hausarztes Dr. F. vom 30. Januar 2008.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 2. Juli 2007 sowie den Bescheid vom 1. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen der Pflegestufe II rückwirkend ab Mai 2006 unter Anrechnung der erbrachten Leistungen der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).

Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.

Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der in diesen Bestimmungen aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).

Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen, hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) zu verstehen.

Zur Grundpflege zählen: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Bla senentleerung; 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung; 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Trep pensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

Zutreffend ging das Sozialgericht davon aus, dass kein Anspruch auf Höherstufung ab Mai 2006 besteht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Soweit der Kläger zur Begründung der Berufung erneut vorträgt, dass eine vorschriftsmäßige Grundpflege in einer Zeit von weniger als 120 Minuten bei ihm tatsächlich nicht möglich sei, vermag diese Einschätzung, die auch auf Äußerungen des behandelnden Hausarztes und des Katholischen Sozialverbandes gestützt werden, nicht zu überzeugen. Der Sachverständige Dr. L. gelangte nach Hausbesuch lediglich zu einem Zeitbedarf für die Grundpflege von 101 Minuten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die oberen Gliedmaßen in der Beweglichkeit nicht eingeschränkt sind. Selbst unter vollständiger Berücksichtigung der Angaben des Klägers ergibt sich nach den Pflegekorridoren der Pflegerichtlinien, die für das Gericht zwar nicht bindend sind, jedoch eine fachliche Bewertung des zeitlichen Hilfebedarfs darstellen, dass der Hilfebedarf für die Grundpflege deutlich unter zwei Stunden liegt. Die Einschätzung des Gutachters deckt sich dabei im Wesentlichen auch mit den Schätzungen des MDK, der auch in der Stellungnahme vom 13. Juli 2006, bei dem zutreffend auch ein Hilfebedarf beim Toilettengang berücksichtigt wurde, nur zu einem etwas geringerem Hilfebedarf (98 Minuten) gelangt. Im Einzelnen äußerte sich der Gutachter unter Zugrundelegung der Pflegerichtlinien und einer Plausibilitätsprüfung auch zu den Einwendungen des Klägers. Für den Transfer setzte er demgemäß 10 Minuten täglich an, für das An- und Auskleiden 56 Minuten (8 x 7 Minuten). Nach den Pflegerichtlinien sind beispielsweise bei vollständiger Übernahme zwei bis drei Minuten für das Entkleiden und fünf bis sechs Minuten für das Ankleiden anzusetzen. Der Kläger kann hierbei allerdings auch nach eigenen Angaben noch mithelfen, so dass ein vollständiges Ausschöpfen des Zeitrahmens nicht gerechtfertigt ist.

Das Eincremen als krankheitsspezifische Pflegemaßnahme berücksichtigte der Sachverständige zutreffend, wenn es im Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege (hier: Toilettengang) steht. Der vom Kläger angegebene Zeitwert von jeweils fünf Minuten erscheint allerdings nicht plausibel.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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