L 16 R 688/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 R 1366/06 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 688/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichts- bescheid des Sozialgerichts Landshut vom 11. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI (Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch) streitig.

Der 1963 geborene Kläger besitzt die Staatsangehörigkeit von Bosnien und Herzegowina und lebt in seinem Heimatland. In seinem Rentenantrag vom 14.10.2002 gab er an, dass er keine Berufsausbildung zurücklegte. In Deutschland hat er insgesamt 71 Monate mit Pflichtbeiträgen in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitraum vom 15.10.1991 bis zum 01.08.1997 durchgehend belegt. Für die Jahre 1980 bis 1982 bestätigte der bosnisch-herzegowinische Versicherungsträger Versicherungszeiten von insgesamt 1 Jahr 4 Monaten und 14 Tagen, unter Berücksichtigung einer Unterbrechung von August 1980 bis April 1981. In seinem Heimatland bezieht der Kläger seit dem 03.04.2003 eine Pension.

Am 03.04.2003 wurde der Kläger von der Invalidenkommission in M. durch die Ärzte Dr.S. und Dr.S. untersucht. Diese stellten in ihrem Gutachten fest, dass der Kläger im alkoholisierten Zustand von einem Barhocker gefallen sei, wobei er sich am Kopf verletzt habe. In der Folgezeit sei er mehrere Male stationär behandelt worden und es habe sich eine psychische Erkrankung entwickelt. Deshalb sei er dauerhaft berufs- und arbeitsunfähig. Er könne nur noch weniger als zwei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten.

Der Beklagten lagen im Verwaltungsverfahren verschiedene ärztliche Unterlagen aus dem Jahr 2002 vor, aus denen sich ergab, dass der Kläger am 02.02.2002 alkoholbedingt gestürzt sei und sich dabei am Kopf verletzt habe.

Mit Bescheid vom 27.04.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit der Begründung ab, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung am 02.02.2002 nicht erfüllt seien. Zwar habe er die allgemeine Wartezeit erfüllt, aber im maßgeblichen Zeitraum vom 02.02.1997 bis zum 01.02.2002 seien lediglich sieben Kalendermonate an Pflichtbeitragszeiten enthalten.

Am 11.05.2004 bat der Kläger um Mitteilung, ob er für die fehlenden Beitragszeiten freiwillig Beiträge in Deutschland oder in seiner Heimat nachentrichten könne und ob die Tatsache, dass er in Bosnien und Herzegowina als Invalide anerkannt sei, einen Einfluss auf seine Rentenangelegenheit habe.

Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht durch eine freiwillige Beitragszahlung erfüllt werden könnten. Eine nachträgliche Beitragsentrichtung sei nicht möglich. Der Bezug einer Invaliditätsrente in seiner Heimat habe keinen Einfluss auf die Rentenangelegenheit in Deutschland.

Am 24.04.2006 erhielt die Beklagte ein Schreiben des Klägers vom 12.04.2006, in dem dieser an die Erledigung seines Widerspruchs vom 16.06.2004 erinnerte. Das entsprechende Widerspruchsschreiben vom 16.06.2004 fügte der Kläger als Anlage bei. In diesem Schreiben machte er erstmals eine unterbliebene Beratung über die Aufrechterhaltung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen geltend und war der Meinung, dass ein Beratungsfehler vorliege. Bei entsprechender Beratung hätte er freiwillige Beiträge entrichtet.

Die Beklagte bat den Kläger daraufhin um einen Nachweis, wann er sein Widerspruchsschreiben zur Post gegeben hatte. Sie wies den Kläger darauf hin, dass das vorgelegte Widerspruchsschreiben vom 16.06.2004 bisher nicht bei der Beklagten eingegangen sei.

Auf diese Nachfrage hin äußerte sich der Kläger nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unzulässig zurück, da der Widerspruch verfristet eingelegt worden sei. Der Bescheid vom 27.04.2004 sei nachweislich spätestens am 11.05.2004 dem Kläger zugegangen. Die Widerspruchsfrist habe daher am 11.08.2004 geendet. Erstmalig sei der Widerspruch vom 16.06.2004 am 24.04.2006 eingegangen. Einen Nachweis für einen rechtzeitigen Versand habe der Kläger nicht vorgelegt. Hilfsweise wurde der Widerspruch mangels Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen als unbegründet zurückgewiesen.

Am 19.12.2006 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Landshut und legte eine beglaubigte Kopie einer Empfangsbestätigung für ein Einschreiben an die Beklagte vom 05.07.2004 vor. Zur Klagebegründung verwies er weiterhin auf einen Beratungsfehler.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.06.2007 wies das Sozialgericht Landshut die Klage gegen den Bescheid vom 27.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2006 ab. Die zulässige Klage sei unbegründet. Auf Grund der im Klageverfahren vorgelegten Empfangsbestätigung sei das Gericht zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen, dass dieser die Widerspruchsfrist nicht versäumt habe. Allerdings sei die Zurückweisung des Widerspruches im Ergebnis nicht zu beanstanden gewesen, da der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung habe. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung am 02.02.2002 habe der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Diese seien letztmals im September 1997 erfüllt gewesen. Auch ein Beratungsfehler der Beklagten sei nicht ersichtlich, da die Sonderregelung des § 241 Abs.2 SGB VI für den Kläger nicht anwendbar sei, weil er vor dem 01.01.1984 nicht die allgemeine Wartezeit erfüllt habe.

Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut hat der Kläger am 07.09.2007 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung der Berufung trägt er vor, dass die Beklagte ihn nicht beraten habe und daher ein Beratungsfehler vorliege. Er hätte die Beiträge vom 02.02.1997 bis zum 01.02.2002 entrichtet, wenn er über die Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft beraten worden wäre. Im Übrigen weist er darauf hin, dass er vor dem 01.01.1984 die Wartezeit von fünf Jahren nicht habe erfüllen können, da er 1984 erst 20 Jahre alt gewesen wäre. Daher sei er der Meinung, dass es nicht seine Schuld sei, dass er die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfülle.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Auffassung des Klägers, er wäre wegen der notwendigen Aufrechterhaltung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht beraten worden, nicht relevant sei, da er selbst durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge nicht die Anspruchsvoraussetzungen des § 241 Abs.2 SGB VI erfüllen könne.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 11.06.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm ab dem 01.10.2002 eine Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht Landshut hat zu Recht die Klage abgewiesen.

Das Sozialgericht konnte auch in der Sache selbst entscheiden. Zwar war die Zurückweisung des Widerspruches als unzulässig durch die Beklagte nicht richtig, da der Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren eine Empfangsbestätigung über eine Einschreibesendung an die Beklagte vorgelegt hat. Im Widerspruchsbescheid selbst hat aber die Beklagte hilfsweise zum Ausdruck gebracht, dass die begehrte Rente auch in der Sache selbst nicht zu gewähren ist. Daher musste das Sozialgericht den Widerspruchsbescheid nicht aufheben und die Beklagte verpflichten, über den fristgerecht erhobenen Widerspruch erneut zu entscheiden (vgl. hierzu Schlegel in Hennig, SGG, § 84 Rdnr.22). Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid vom 19.09.2006 auch hilfsweise über die Anwendung des materiellen Rechts entschieden, somit konnte das Sozialgericht in der Sache selbst entschieden.

Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (vgl. § 300 Abs.2 SGB VI).

Nach § 43 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäfti gung oder Tätigkeit haben und 3. vor dem Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Warte zeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden bzw. mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl. § 43 Abs.1 und 2 Sätze 1 und 2 SGB VI).

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass beim Kläger der Eintritt der Erwerbsminderung am 02.02.2002 mit dem Sturz vom Barhocker und der dadurch zugezogenen Kopfverletzung eingetreten ist. Davon geht auch die Beklagte aus und auch der Kläger macht nichts anderes geltend. Dieser Eintritt der Erwerbsminderung ergibt sich aus dem ärztlichen Gutachten, das der bosnisch-herzegowinische Versicherungsträger am 03.04.2003 in M. eingeholt hat.

Zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung am 02.02.2002 hat jedoch der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Kläger hat den letzten Pflichtbeitrag, auch unter Berücksichtigung von Beiträgen in seiner Heimat, im August 1997 entrichtet. Im maßgeblichen Zeitraum vom 02.02.1997 bis zum 01.02.2002 liegen daher nur sieben Kalendermonate deutsche Pflichtbeiträge vor. Eine Erwerbsminderung des Klägers müsste spätestens im September 1999 eingetreten sein, damit die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt sind. Hierfür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Der Kläger trägt auch nichts Entsprechendes vor.

Vielmehr weist der Kläger darauf hin, dass er bei entsprechender Beratung freiwillige Beiträge entrichtet hätte. Hier verkennt der Kläger, dass die Sonderregelung des § 241 Abs.2 SGB VI für ihn nicht anwendbar ist. Nach § 241 Abs.2 SGB VI sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 an bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Beitragszeiten oder gleichgestellten Zeiten belegt ist. Der Kläger hat unstreitig die allgemeine Wartezeit nach den §§ 50 Abs.1, 51 Abs.1 SGB VI am 01.01.1984 nicht erfüllt.

Aus diesem Grund ist die Sonderregelung des § 241 Abs.2 SGB VI auf den Kläger nicht anwendbar. Über diese Vorschrift konnte der Kläger zu keinem Zeitpunkt die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen.

§ 241 SGB VI ist als Übergangsvorschrift durch Art.1 Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 eingeführt worden und war ursprünglich eine Übergangsvorschrift für die Erwerbsunfähigkeitsrente nach altem Recht. Sie sollte für langjährig Versicherte die Möglichkeit bieten, ihren Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten. Der Schutzzweck dieser Vorschrift galt zum Zeitpunkt der Einführung der Rechtsänderung durch das Rentenreformgesetz 1992 langjährig Versicherten, denen ein erleichterter Zugang zu den Renten wegen Erwerbsunfähigkeit erhalten bleiben sollte. Der Kläger gehört nicht zu dem Kreis dieser langjährig Versicherten. Daher kann er sich nicht auf diese Übergangsvorschrift berufen.

Die Beklagte musste aus diesem Grund den Kläger nicht über diese Vorschrift beraten.

Bezüglich der Prüfung eines eventuell früheren Eintritts der Erwerbsminderung beim Kläger und den Auswirkungen des Bezugs einer Invaliditätsrente durch den Versicherungsträger in Bosnien und Herzegowina wird nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung abgesehen, da die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Erwägung, dass der Kläger mit seiner Berufung ohne Erfolg geblieben ist (§§ 183, 193 SGG).

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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