L 3 U 335/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 868/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 335/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 13.07.2006 und unter Abänderung des Bescheids vom 05.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2003 verurteilt, die Rotatorenmanschettenruptur an der rechten Schulter als Unfallfolge anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Folgen des Arbeitsunfalles am 27.2.2003.

Der 1947 geborene Kläger ist Architekt und auf Krankenhausprojekte spezialisiert. Wegen einer Kinderlähmung ist er auf Krccken angewiesen.

Am 27.2.2003 war er geschäftlich in A. im dortigen Klinikum und führte projektbezogene Besprechungen. Auf dem Weg zu einer Besprechung rutschte in der Kantine die rechte Krücke im Umdrehen weg. Der Kläger hielt die Krücke mit ausgestrecktem rechten Arm fest und stürzte seitlich nach rückwärts der Krücke folgend zu Boden. Er hatte sofort starke Schmerzen und wurde im Klinikum A. ambulant versorgt. Im MRT-Befund vom 10.3.2003 wurde eine Rotatorenmanschettenruptur (RMR) festgestellt.

Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte Befundberichte des Prof. Dr. I. (vom 25.03.2003/08.04.2003), Dr. L. (vom 25.03.2003/20.05.2003), Dr. A. (vom 04.04.2003), den H-Arztbericht des Dr. A. (vom 11.03.2003), den D-Arztbericht des PD Dr. H. (vom 24.03.2003) sowie die Schwerbehindertenakten des AVF M. und ein Vorerkrankungsverzeichnis der Techniker-Krankenkasse bei. Ferner lag ihr der Unfallfragebogen des Klägers vom 21.03.2003 mit Lageskizze vor. Die Beklagte holte ein Zusammenhangsgutachten des Prof. Dr. H. vom 21.07.2003 ein. Dieser stellte fest, der Kläger sei mit etwa 50 Grad abgespreiztem Arm von hinten auf die rechte Schulter gefallen. Ein geeigneter Unfallhergang liege nicht vor. Der Kläger habe beim Unfall lediglich eine Schulterprellung erlitten, da im MRT kein Knochenmarksödem sichtbar sei. Ferner hätten erhebliche degenerative Veränderungen beider Schultern vorgelegen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 05.08.2003 eine Rente ab und stellte eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit bis 10.03.2003 fest. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2003 zurück.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG München erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, auf Grund des Ereignisses vom 27.02.2003 die beim Kläger bestehenden Beschwerden an der rechten Schulter anzuerkennen und ihm ab dem frühesten Zeitpunkt Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens des Dr. F. (vom 28.04.2004) und nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eines chirurgisch-orthopädischen des Dr. L. (vom 10.08.2004/ 11.10.2004).

Dr. F. ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die RMR nicht unfallbedingt sei. Der Kläger habe beim Unfall lediglich eine Prellung der rechten Schulter erlitten. Der Unfallmechanismus sei nicht geeignet gewesen, eine RMR zu verursachen, vielmehr habe der Kläger durch einen Sturz auf die rechte Seite ein Anpralltrauma der rechten Schulter erlitten. Aufgrund der nachgewiesenen degenerativen Veränderungen und der fehlenden Leitsymptomatik könne keine unfallbedingte RMR angenommen werden.

Dr. L. stellte fest, dass aufgrund der Verwendung der Krücke und dem plötzlichen Rückwärtsreißen des Armes beim Wegrutschen eine sehr große Zugbelastung der RMR erfolgte aufgrund der "verlängerten" Hebelwirkung bei gestrecktem Ellenbogengelenk. Dies entspreche einem geeignetem Unfallmechanismus. Außerdem habe sich im MRT vom 10.03.2003 ein deutlicher Erguss in der Bursa subacromealis gezeigt, dementsprechend habe auch klinisch eine sichtbare Hämatomverfärbung einen Tag nach dem Unfall vorgelegen. Dies spreche für eine frische Verletzung der RMR. Die Vorschäden seien nicht erheblich, insbesondere fehlten Zeichen eines Oberarmkopfhochstandes mit daraus resultierendem Impingement. Die MdE betrage 20 v.H.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13.07.2006 abgewiesen und insbesondere ausgeführt, dass kein geeigneter Unfallhergang vorliege.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Senat hat zur Ermittlung des Sachverhalts ein orthopädisches Gutachten des Dr. W. vom 04.09.2007 eingeholt. Dieser hat dargelegt, dass ausweislich der Röntgenaufnahme des Klinikums A. vom Unfalltag kein Humerus(Oberarmkopf)hochstand bestand, während sich am 21.07.2003 ein deutlicher Hochstand zeigte. Der Anfangsbefund werde durch die MRT-Aufnahme vom 10.03.2003 bestätigt. Der Unfallhergang sei geeignet, da der Kläger entgegen den Ausführungen der Sachverständigen H. und F. kein Anpralltrauma erlitten habe. Der Unfallhergang sei vielmehr vergleichbar mit einem Treppensturz bei Festhalten der Hand am Geländer. Der anfängliche akute Schmerz spreche für eine erhebliche Schädigung der Schulter durch den Unfall. Degenerative Veränderungen seien bei normaler Gelenkstellung und unauffälligen Knorpelbelägen altersentsprechend, auch ein ggf. vorliegender Schaden im Bereich der Supraspinatussehne. Ein klinisch relevanter Vorschaden sei nicht bekannt. Durch den Unfall habe der Kläger eine erhebliche Schädigung der RMR erlitten. Die MdE betrage 20 v.H.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 13.07.2006 und unter Abänderung des Bescheides vom 05.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2003 zu verurteilen, die Rotatorenmanschettenruptur an der rechten Schulter als Unfallfolge anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.07.2006 zurückzuweisen.

Auf die beigezogenen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung der RMR an der rechten Schulter als Unfallfolge und auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H.

Die Zahlung einer Verletztenrente (§ 56 SGB VII) setzt voraus, dass eine MdE von mindestens 20 v.H. Folge eines Versicherungsfalles, d.h. des Arbeitsunfalles vom 27.02.2003, ist (§§ 7, 8 SGB VII). Der Arbeitsunfall muss also wesentlich an der Entstehung der Gesundheitsstörung, die die MdE verursacht, mitgewirkt haben. Davon ist auszugehen, wenn er neben anderen Bedingungen bei wertender Betrachtung diejenige ist, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat (Theorie der wesentlichen Bedingung, ständ. Rspr., vgl. z.B. BSGE 63, 277).

Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben dem Arbeitsunfall auch die Gesundheitsstörung, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (Vollbeweis). Ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch darf keinen Zweifel mehr haben (BSGE 7, 103, 106). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigendem Ereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Es genügt, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).

Zur Überzeigung des Senates steht fest, dass ein geeigneter Unfallhergang vorliegt. Der Kläger hat bereits in seiner ersten ausführlichen Unfallschilderung mit Skizze dargestellt, dass er mit ausgestrecktem Arm der Krücke folgend nach schräg hinten gestürzt ist. Dabei wurde der Arm plötzlich nach oben gerissen, so dass eine heftige Kraft auf die RMR einwirkte, vergleichbar mit einem Treppensturz bei Einhalten am Geländer. Damit treffen die Annahmen von Dr. F. und Prof. H. nicht zu. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auf das Schulterblatt gestürzt ist und nur ein "Anschlagtrauma" vorliegt.

Die RMR ist auch wesentlich durch den Sturz verursacht worden. Dr. L. und Dr. W. weisen übereinstimmend darauf hin, dass keine schwerwiegenden degenerativen Veränderungen nachgewiesen werden konnten. So ist röntgenologisch ein Oberarmkopf-(Humeruskopf-)hochstand ausgeschlossen. Dies haben die im Klinikum A. am Unfalltag angefertigten Röntgenaufnahmen eindeutig ergeben. Auch am 10.03.2003 (MRT Radiologie München-Süd) war der subacromiale Raum noch ausreichend weit. Der am 21.07.2003 bestehende Humeruskopfhochstand hat sich erst in der Folge der RMR entwickelt. Bei normaler Gelenkstellung und unauffälligen Knorpelbelägen ist nicht von einer wesentlich über das altersnormale Ausmaß degenerativer Veränderungen zum Unfallzeitpunkt auszugehen. Ab 1996 (einmalige Kur) sind keine Beschwerden an den Schultern belegt.

Der Beschwerdeverlauf entspricht ebenfalls einer akuten traumatischen Verletzung, da der Kläger sofort schwerste Schmerzen hatte, die im Verlauf besser wurden, nicht wie bei degenerativen Schäden umgekehrt.

Ferner ist die eineinhalb Tage nach dem Unfall auftretende Hämatomverfärbung ein sicheres klinisches Indiz für eine Gelenksverletzung frischen Datums. Dementsprechend ließ sich im MRT vom 10.03.2003 ein deutlicher Erguss in der Bursa subacromialis nachweisen. Diese Indizien belegen eine frische RMR.

Im Ergebnis folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen des Dres L. und W ... Die Darlegungen des Prof. Dr. H. und des Dr. F. vermögen demgegenüber die Überzeugung des Senats nicht zu beeinflussen, da die Gutachter einen falschen Unfallhergang zugrundelegen und die Vorschäden überbetonen.

Die Höhe der MdE ist nachvollziehbar, der Senat folgt insoweit den Sachverständigen. Damit war der Berufung des Klägers stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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