L 17 U 289/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 52/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 289/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden der Bescheid vom 24.11.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2004 sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 06.07.2005 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Übergangsleistungen gemäß § 3 Abs 2 Berufskrankheitenverordnung dem Grunde nach zu gewähren.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Übergangsleistungen streitig.

Die 1968 geborene Klägerin war bei der Universität W. von November 1989 bis Ende April 2002 als Medizinisch-Technische Assistentin (MTA) tätig. Dabei war sie u.a. Xylol, Formalin, Aceton und anderen Gefahrstoffen ausgesetzt und musste Latexhandschuhe bei der Arbeit benutzen. Die Arbeitsverträge waren zeitlich befristet. Ab dem 01.05.2002 war die Klägerin arbeitslos. Vom 05.12.2002 bis 05.03.2003 nahm sie an einem Reha-vorbereitenden Lehrgang teil. Vom 06.03.2003 bis 19.01.2005 absolvierte sie eine Umschulung zur Industriekauffrau. Seit Mai 2005 arbeitet sie als ärztliche Schreibkraft auf 400,00 EURO-Basis.

Seit 1993 hatte die Klägerin Beschwerden beim Kontakt mit Latex-Handschuhen. Diese äußerten sich in rissigen, rauhen Händen mit eitrigen Pusteln. Ein Kontaktekzem trat 1995 auf. Seit Juli 1997 benutzte die Klägerin latexfreie Handschuhe. Auch wurde Latex aus dem Labor des Pathologischen Institutes entfernt. Im Befundbericht der Klinik und Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten der Universität W. vom 27.11.1997 wurden keine Hautveränderungen mehr festgestellt. Der Betriebsarzt der Universität stellte im Arztbericht vom 19.05.1998 fest, dass das Auftreten einer Latex-Allergie bei der Klägerin nicht mehr zu erwarten sei.

Einen Antrag der Klägerin auf Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr 5101 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.10.1998 ab. Das Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg war erfolglos (Urteil vom 21.03.2002). Im Berufungsverfahren holte der Senat ein Gutachten von Frau Prof.B. vom 18.02.2003 ein. Diese stellte eine berufsbedingte Hauterkrankung der Typ-I-Allergie auf Latex fest. Eine schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankung verneinte sie. Ein Zwang zur Unterlassung der Tätigkeit bestehe nicht, da das allergisierende Material rechtzeitig durch latexfreie Stoffe ersetzt worden sei.

Die Klägerin nahm die Berufung in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2003 zurück, beantragte aber zugleich die Gewährung von berufsfördernden Maßnahmen mit Übergangsleistungen gemäß § 3 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Dr.H. vom Gewerbsaufsichtsamt W. teilte der Beklagten auf deren Anfrage mit Stellungnahme vom 11.08.2003 mit, dass bei der Klägerin zwar eine Latex-Allergie und zusätzlich eine endogene (atopische Diathese) Hauterkrankung vorliege. Durch die Umstellung der bisher verwendeten Latex-Handschuhe in Nicht-Latex-Handschuhe sei ein tatsächlicher Zwang zur Tätigkeitsaufgabe aber nicht begründet worden. Die konkrete Gefahr der Entstehung einer BK könne wegen des Austausches der Handschuhe im gesamten Laborbereich nicht geltend gemacht werden.

Mit Bescheid vom 24.11.2003 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von berufsfördernden Maßnahmen mit Übergangsleistungen ab. Zur Begründung führte sie an, § 3-Maßnahmen in Form von Übernahme der Umschulungskosten sowie die Gewährung von Übergangsleistungen kämen deshalb nicht in Betracht, weil durch den Austausch der Handschuhe im gesamten Laborbereich die Latexeinwirkung und damit die Gefahr des Entstehens einer BK habe beseitigt werden können. Die von der Klägerin in der Zwischenzeit in Anspruch genommene Umschulung zur Europakauffrau könne daher weder übernommen noch bezuschusst werden, ebenso entfalle die Gewährung von Übergangsleistungen (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 13.02.2004).

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum SG Würzburg erhoben und beantragt, die Beklagte zu verpflichten, Übergangsleistungen gemäß § 3 BKV zu gewähren. Sie hat vorgetragen, dass eine Hauterkrankung im Raum stehe. Die Hauterkrankung habe dazu geführt, dass der bisherige Beruf nicht habe weiter ausgeführt werden können. Am Ende ihrer Tätigkeit in dem Institut für Pathologie im April 2002 sei die Latexfreiheit schon nicht mehr gegeben gewesen, da die Anordnung des Professors bereits in Vergessenheit geraten gewesen sei. Neuere Mitarbeiter hätten schon wieder Latex verwendet.

Mit Urteil vom 06.07.2005 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die notwendige Kausalität zwischen der Hauterkrankung und der Beendigung der Tätigkeit als MTA nicht gegeben sei. Noch im Februar 2003 zum Zeitpunkt der Begutachtung durch die Uni-Klinik habe kein Zwang zur Unterlassung aller Tätigkeiten bestanden, da an dem Arbeitsplatz rechtzeitig latexfreie Materialien eingesetzt worden seien. Im Übrigen sei die Aufgabe der Tätigkeit als MTA in der Pathologie ausschließlich aus arbeitsrechtlichen Gründen mit Ablauf des Zeitarbeitsvertrages erfolgt. Ihr Zeitarbeitsvertrag sei nicht verlängert worden, weil sonst ein Anspruch auf Festanstellung bestanden hätte. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei allein aus arbeitsrechtlichen Gründen erfolgt.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie hat vorgetragen, die Tatsache, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis zur damaligen Zeit ausgelaufen sei, sei nicht von Bedeutung. Die Beendigung sei ausschließlich auf die Hautbeschwerden zurückzuführen, die nicht hätten bewältigt werden können. Ihre Haut habe auch bereits auf latexfreie Handschuhe reagiert. Der längerfristige Kontakt mit Latex bei der Arbeit sei nicht vergleichbar mit der durchgeführten Epikutan-Testung. Die Behauptung, dass aus arbeitsrechtlichen Gründen die Tätigkeit beendet worden sei, treffe nicht zu.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 06.07.2005 und des Bescheides vom 24.11.2003 idF des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2004 zu verurteilen, Übergangsleistungen gemäß § 3 Abs 2 BKV dem Grunde nach zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Würzburg vom 06.07.2005 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Akte des Arbeitsamtes W. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist begründet. Der Klägerin stehen Übergangsleistungen nach § 3 Abs 2 BKV dem Grunde nach zu.

Nach § 3 Abs 2 Satz 1 BKV (gültig ab 01.12.1997) haben Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr (der Entstehung einer BK) fortbesteht, zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen.

Übergangsleistungen sind keine echten Entschädigungsleistungen, sondern Maßnahmen der Vorbeugung und Krankheitsverhütung, die das Bestehen eines Entschädigungsanspruchs nicht voraussetzen. Zweck der Übergangsleistung ist, den Versicherten zur Aufgabe der ihn gefährdenden Tätigkeit zu veranlassen, indem die wirtschaftlichen Folgen dieses Schrittes zumindest teilweise ausgeglichen werden.

Erste Voraussetzung für einen Anspruch auf Übergangsleistungen ist das Bestehen einer konkret individuellen Gefahr der Entstehung, des Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer BK (Brackmann/Krasney, SGB VII, 12.Aufl, § 9 Rdnr 64 mwN). Diese Voraussetzung ist bei der Klägerin erfüllt. Bei der Klägerin bestand infolge einer beruflichen Schadstoffeinwirkung die individuelle konkrete Gefahr, an einer BK nach Nr 5101 der Anlage zur BKV zu erkranken.

Der Senat bejaht auch den gemäß § 3 Abs 2 Satz 1 BKV erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen der drohenden BK und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit. Zwar ist vorliegend auf eine betriebsbedingte Beendigung eine Arbeitslosigkeit mit Bezug von Arbeitslosengeld gefolgt und ist im Regelfall zu erwarten, dass die bloß zeitweilige Abwesenheit von einem gefährdenen Arbeitsplatz durch Aufnahme der entsprechenden beruflichen Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber beendet wird. Eine solche bloße Unterbrechung der gefährdenden Tätigkeit stellt kein Unterlassen i.S.d. § 3 Abs 2 BKV dar (so BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 5 zu dem bis 30.11.1997 geltenden § 3 Abs 2 BKV, der seinem Inhalt nach nicht wesentlich von dem seit 01.12.1007 geltenden § 3 Abs 2 BVK abweicht).

Gleichwohl hat die Klägerin ihre gefährdende Tätigkeit wegen der Gefahr, an einer BK zu erkranken, i.S.d. § 3 Ab 2 Satz 1 BKV auf Dauer eingestellt. Eine solche Einstellung kann nämlich auch dadurch vorgenommen werden, dass sich ein Versicherter während einer vorübergehenden Unterbrechung der gefährdenen Tätigkeit entschließt, diese für immer aufzugeben (BSG aaO). Die vom BSG aaO aufgestellten Kriterien für eine Einstellung bzw. Unterlassung der Tätigkeit sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat den Entschluss wegen der drohenden BK auf Dauer keine Arbeit mehr auf einem gefährdenden Arbeitsplatz zu verrichten, durch die Umschulung zur Bürokauffrau im Wege der Rehabilitation nach außen klar erkennbar gemacht.

Es hatte auch tatsächlich noch die freie Wahl zwischen einem gefährdenden und einem gesundheitlich unbedenklichen Arbeitsplatz bestanden, denn dem verlassenen gefährdenden Arbeitsplatz einer MTA stand auf dem Arbeitsmarkt ein entsprechender Arbeitsplatz zweifelsohne zur Verfügung und die Klägerin wäre auch persönlich noch in der Lage gewesen, die Anforderungen eines solchen gefährdenden Arbeitsplatzes zu erfüllen. Die Klägerin hat auch durch die Arbeitsaufnahme als Schreibkraft ihre Entscheidung bestätigt, keine gefährdende Tätigkeit mehr zu verrichten. Allerdings hat die Klägerin erst mit dem beim Arbeitsamt gestellten Antrag auf berufliche Rehabilitation hinreichend deutlich gemacht, dass sie wegen einer drohenden BK nicht wieder im erlernten Beruf beschäftigt werden wollte. Ein Anspruch auf Übergangsleistungen kann daher erst an diesem Tag entstanden sein (ebenso BSG aaO).

Nach den insoweit überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof.Dr.B. liegt bei der Klägerin als berufsbedingte Erkrankung eine Typ-I-Sensibilisierung auf Latex vor. Zwar war das für eine BK Nr 5101 tatbestandlich geforderte Krankheitsbild nach Form und Beschwerdebild sowie Ausdehnung noch nicht - vollständig - erfüllt, es lagen aber bereits Symptome vor, die nach medizinischen Erkenntnissen unter Berücksichtigung der festgestellten gefährdenden Einwirkung das Risiko des Eintritts bzw. Verschlimmerung dieser Erkrankung im Vergleich zu anderen Versicherten bei einer vergleichbaren Beschäftigung erhöhen (Mehrtens/Brandenburg Die Berufungskrankheiten-Verordnung G § 3 Anm 2.2). Am Arbeitsplatz der Klägerin im Pathologischen Institut wurden zwar zunächst latexfreie Materialien eingesetzt. Dadurch konnte die Gefahr der Entstehung der Berufskrankheit eingedämmt werden. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass bei der Epikutan-Testung von Nitril-Handschuhen anlässlich der Begutachtung keine positive Reaktion hervorgerufen worden ist. Wie die Klägerin aber überzeugend ausführte, war zwar im Institut ab Februar 1998 Latexfreiheit eingeführt worden. Diese wurde aber später nicht durchgehalten. Vielmehr brachten neue Mitarbeiter wieder Latex-Handschuhe mit, mit denen die Klägerin in Berührung kam. Auch musste die Klägerin häufig andere Labors aufsuchen, wo Latex-Handschuhe getragen wurden (indirekter Latexhautkontakt). Die Gefahr der Entstehung einer BK Nr 5101 lag deshalb immer noch vor, da Latexfreiheit nicht vollständig gewährleistet war.

Ein Ursachenzusammenhang zwischen der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und einem Minderverdienst bzw. wirtschaftlichen Nachteil hat ebenfalls vorgelegen. Die Klägerin befand sich in Reha und arbeitete anschließend nur auf 400,00 EURO-Basis.

Die Bescheide der Beklagten und das Urteil des SG sind daher aufzuheben. Die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf Übergangsleistungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved