Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 VG 19/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 20/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 5. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1955 geborene Klägerin begehrt gemäß § 1 Abs.1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Verbindung mit § 30 Abs.3 ff. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) Berufsschadensausgleich.
Entsprechend den Feststellungen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht M. (Az.: 126 Js 3083/95) hat M. A. in der Nacht vom 08.01.1995 auf den 09.01.1995 die damals 18-jährige Tochter der Klägerin ermordet, weil sie sich dessen sexuellen Annäherungsversuchen widersetzt hatte. Wegen der hieraus resultierenden "posttraumatischen Belastungsstörung" samt "somatoformer Schmerzsstörung" erhält die Klägerin nach zwei vor dem Sozialgericht München durchgeführten Rechtssteiten (S 30 VG 25/97 und S 30 VG 12/02) laufende Rentenleistungen nach § 1 Abs.1 OEG in Verbindung mit § 30 Abs.1 BVG. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beträgt entsprechend dem Vergleich vor dem Sozialgericht München vom 11.02.2004 ab 01.09.1996 40 v.H. und ab 01.07.2000 50 v.H. In Überprüfung des versorgungsärztlichen Gutachtens von Dr.M. vom 12.02.2001 hat der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr.K. mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 08.05.2003 wegen zwischenzeitlicher Leidensverschlimmerung eine Anhebung der MdE von zuvor 40 v.H. auf 50 v.H. gemäß § 30 Abs.1 BVG befürwortet.
Nachdem die Schwerbeschädigteneigenschaft festgestellt worden ist, hat der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 22.02.2005 eine Höherbewertung der MdE gemäß § 30 Abs.2 BVG wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und auf Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs.3 ff. BVG abgelehnt. Ausgleichsrente gemäß § 32 BVG sowie Ehegattenzuschlag gemäß § 33a BVG ist ebenfalls nicht bewilligt worden. Die Entscheidung ist von Amts wegen ergangen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe die Klägerin nach ihrem Studium nur fünf Jahre in Teilzeit (zehn Wochenstunden) als kaufmännische Angestellte gearbeitet. Wegen der Pflege ihrer Mutter habe sie ab 1989 keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen können; in den Jahren 1993 bis 1995 habe sie im Büro ihres Ehemannes mitgeholfen. Unter Berücksichtigung des beruflichen Werdeganges, des Lebensalters und der wirtschaftlichen Situation sei es daher unwahrscheinlich, dass die Klägerin nunmehr einer geregelten Tätigkeit in leitender Stellung nachgehen würde. Aus diesen Gründen könne eine besondere berufliche Betroffenheit bzw. ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht bejaht werden.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben mit Widerspruchsbegründung vom 27.05.2005 vorgetragen, die Klägerin habe während und nach Beendigung ihres Studiums in den Jahren 1976 bis 1982 nur halbtags als Diplom-Kauffrau bzw. kaufmännische Angestellte gearbeitet, um sich um die im September 1976 geborene Tochter kümmern zu können. Insoweit habe es sich hierbei um Kindererziehungszeiten gehandelt. Eine volle Berufstätigkeit sei erst geplant gewesen, wenn die ermordete Tochter S. erwachsen gewesen wäre. Im Januar 1990 habe die Klägerin einen selbständigen Betrieb mit Hauptschwerpunkt Buchführung, EDV und Unternehmensberatung angemeldet. Um als Diplom-Kauffrau als Steuerberaterin tätig werden zu können, sei eine dreijährige Praxiserfahrung erforderlich. Dieses Erfordernis wäre durch die Durchführung von Buchführungsarbeiten erfüllt gewesen. Um ihr Ziel als Steuerberaterin arbeiten zu können zu erreichen, habe die Klägerin beispielsweise in den Jahren 1992 und 1993 u.a. für Herrn Steuerberater E. Buchhaltungsarbeiten auf selbständiger Basis verrichtet. In der von ihrem Ehemann betriebenen Feuerschutzfirma habe die Klägerin den gesamten kaufmännischen Bereich übernommen. Daneben habe die Klägerin an einem Kurs der Steuerberatervereinigung teilgenommen. Die nötige Hard- und Software sei angeschafft worden. Durch die Erkrankung der Mutter der Klägerin habe die Umsetzung der beruflichen Pläne einstweilen eingestellt bzw. hintenangestellt werden müssen. Das Anwesen K.straße sei behindertengerecht umgebaut worden. Zur Finanzierung desselben sei das Anwesen in H. zum Zwecke der Vermietung renoviert worden. Sämtliche vornehmlich mit einem beträchtlichen Zeitaufwand in Eigenleistung erbrachten baulichen Maßnahmen seien im Sommer 1994 beendet worden. Ab diesem Zeitpunkt habe sich die Klägerin nun ganztags ihrem Betrieb widmen wollen. Um diesen Willen auch tatsächlich in die Tat umsetzen zu können, seien folgende Voraussetzungen geschaffen worden: - Anmeldung der Tochter S. im O. Gymnasium ganztags ab September 1994, - Einstellung einer Pflegekraft für die Mutter der Klägerin ab Oktober 1994, - Aquisition von Steuerberatern und Buchhaltungsfirmen, welche demnächst aus Altersgründen aufgaben bzw. aufgegeben werden sollten und zu denen noch Kontakte des Ehemanns der Klägerin aus seiner Zeit als Angestellter im Rechenzentrum der Firma D. bestanden. Der Mord an der Tochter S. am 08.01.1995 habe die Pläne der Klägerin gänzlich zunichte gemacht. Das Gewerbe sei 1999 rückwirkend zum 31.12.1994 abgemeldet worden. Anfangs habe die Klägerin immer noch die Hoffnung auf Besserung ihres Gesundheitszustandes wie auch ihrer psychischen Verfassung gehabt. Nachdem die erhoffte Besserung jedoch ausgeblieben sei, sei der Klägerin nichts Anderes übrig geblieben, als das Gewerbe abzumelden. Die mehrfach auch von dem Beklagten diagnostizierte Schmerzsymptomatik sowie der anhaltend schlechte psychische Zustand der Klägerin hätten dieser zwar erlaubt, mit hohem Kräfteaufwand und entsprechendem Verschleiß den Verein "O. e.V." in Teilzeit zu leiten. Die Kräfte hätten für die Pflege der Mutter sowie die Bestellung des Familienhaushaltes jedoch nicht mehr ausgereicht. Auf die Stellungnahme von Frau Dr.E. vom 19.02.1997 werde Bezug genommen. Diese habe in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin, auch wenn es sich nach außen so darstelle, als wäre sie voll belastbar, seit sie sich intensiv und mit Öffentlichkeitswirkung um den Opferschutz kümmere, die notwendige Energie ausschließlich in diesem Bereich aufbringen könne. Weiter habe Dr.E. ausgeführt, dass alle andern Lebensbereiche von einem enormen Sinnverlust überschattet seien und von der Antragstellerin nur unter großer Disziplin und mit zusätzlichem Kraftaufwand ausgefüllt werden könnten. Hieran habe sich auch in den letzten vier Jahren nichts geändert. In ihrem psychiatrischen Gutachten vom 12.02.2001 habe Dr.M. darauf hingewiesen, dass eine Hilfe zur Bewältigung des erlittenen Traumas der von der Klägerin gegründete Verein "O. e.V." darstelle. Diese Arbeit ermögliche es ihr, ihrem Leben wieder eine Perspektive und einen Sinn zu geben. Ferner habe Dr.M. zutreffend darauf hingewiesen, dass die Aktivitäten der Klägerin in ihrem Verein nicht geeignet seien, um daraus Schlüsse auf eine wesentliche Besserung der psychischen und körperlichen Problematik abzuleiten.
Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 22.08.2005 an seiner gegenteiligen Auffassung festgehalten. Eine Prüfung sei durch die Hauptfürsorgestelle bei der Regierung von Oberbayern in Verbindung mit dem Arbeitsamt eingeleitet, aber nicht abgeschlossen worden, da von Seiten der Klägerin wenig bzw. kein Interesse an einer beruflichen Rehabilitation bestanden habe. Bereits mit Bescheid vom 22.02.2005 sei dargelegt worden, dass die Klägerin ab 1989 keiner geregelten Arbeit mehr nachgegangen sei und in den Jahren 1993 bis 1995 nur noch im Büro ihres Ehemannes mitgeholfen habe, ohne dass diese Tätigkeit versicherungspflichtig gewesen sei. Verantwortlich hierfür sei die Pflegetätigkeit für die Mutter gewesen, die auch heute noch ausgeführt werde. Es sei somit nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls welche berufliche Tätigkeit unter Berücksichtigung der privaten schädigungsunabhängigen Verhältnisse und mit welchem Zeitaufwand überhaupt in Betracht gekommen wäre. Der Nachweis eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes sei nicht zu führen. (Aktenkundig hat die Klägerin als Geschäftsführerin des von ihr geleiteten Vereins "O. e.V." im Dezember 2004 2.300,00 EUR brutto bzw. 1.560,63 EUR netto in Teilzeittätigkeit erhalten.)
In dem sich anschließenden Rechtsstreit hat das Sozialgericht München mit Urteil vom 05.10.2006 vor allem darauf abgestellt, dass eine besondere berufliche Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG nicht vorliege, da in der Biographie der Klägerin vor dem Januar 1995 keine zielgerichtete Aktivität in Richtung einer selbständigen Berufstätigkeit als Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin erkennbar sei. Auch bei Pflege der Mutter und während der Erziehung eines nicht mehr ganz kleinen Kindes wäre für die Anerkennung einer ernsthaften Tendenz dieser Richtung zu verlangen, dass die Klägerin nach der Gewerbeanmeldung 1990 beispielsweise in gewisser Regelmäßigkeit einige Stunden pro Woche solche Tätigkeiten entgeltlich ausgeübt hätte. Die nur sehr seltene Mitarbeit in der Kanzlei eines Steuerberaters genüge für den Nachweis einer solchen Tendenz ebensowenig wie die unentgeltliche familienhafte Mithilfe im Betrieb des Ehemannes. Noch deutlicher fehle jedoch das Tatbestandselement der besonderen beruflichen Betroffenheit in dem Sinne, dass die Klägerin genau die zitierten Berufsfelder schädigungsbedingt nicht mehr abdecken könne. Eine besondere berufliche Betroffenheit müsse nach der Logik des § 30 Abs.2 BVG über die allgemeine Betroffenheit hinausgehen, die bereits mit der Grundrente entschädigt werde. Für den gegenständlichen Bereich psychischer Beeinträchtigungen fehle eine solche Anschaulichkeit der besonderen Betroffenheit. In freier Würdigung möglicher Beeinträchtigungen bei verschiedenen Berufsausübungen könne aber angenommen werden, dass gerade die in selbständiger Tätigkeit, freier Zeiteinteilung und relativer Isolation und ohne emotionale Beteiligung zu erbringenden Arbeiten eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters durchaus von einem Menschen erbracht werden könnten, der dauernd oder phasenweise stark mit sich und seinem Leiden beschäftigt sei. Da die Klägerin vor dem schädigenden Ereignis keine Einkünfte aus einem geschützten Beruf bezogen habe, die durch die Schädigung abgesenkt worden oder entfallen seien, fehle für die Berechnung eines Berufsschadensausgleiches nach § 30 Abs.3 BVG jede Grundlage.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 06.12.2006 ging am selben Tag beim Bayerischen Landessoialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des BayLSG wurden die Versorgungs-Akten des Beklagten sowie drei Band Akten des Sozialgerichts München beigezogen.
Die Bevollmächtigten der Klägerin hoben mit Berufungsbegründung vom 16.04.2007 hervor, dass das Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG niemals das Begehren der Klägerin gewesen sei, weder vorrangig noch nach-rangig. Dieser gehe es ausnahmslos um die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs. Insoweit habe das erstinstanzliche Gericht verkannt, dass § 30 Abs.5 Satz 1 BVG auch die Möglichkeit biete, von einem anderen Beruf auszugehen, wenn festgestellt werden könne, dass der Beschädigte diesen Beruf ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich ausgeübt hätte. Hierbei handele es sich um eine Prognoseentscheidung, zu deren Entscheidungsfindung die allgemeinen Beweismittel zur Sachaufklärung zur Verfügung stünden. Wie bereits dargelegt, habe die Klägerin im Jahre 1990 begonnen, ihren beruflichen Wiedereinstieg vorzubereiten, indem sie im Januar 1990 einen selbständigen Betrieb mit Hauptschwerpunkt Buchführung, EDV und Unternehmensberatung angemeldet habe. Um das Ziel, als Steuerberaterin arbeiten zu können zu erreichen, habe die Klägerin beispielsweise in den Jahren 1992, 1993 u.a. für Herrn Steuerberater E. Buchhaltungsarbeiten auf selbständiger Basis verrichtet. Diese Mitarbeit als auch die Übernahme der Buchhaltung im Betrieb ihres Ehemannes würde vielmehr im Sinne von § 30 Abs.5 Satz 1 BVG belegen, dass ein entsprechender Arbeits- und Ausbildungswille bestanden habe. Dieser Wille sei auch nicht aufgegeben worden, als die Mutter der Klägerin schwer erkrankt sei. Es werde als wenig emphatisch empfunden, einer Mutter, deren einziges Kind ermordet worden sei, gewissermaßen vorzuhalten, sie habe sich zu viel um ihr Kind und zu wenig um ihren beruflichen Aufstieg gekümmert. Hätte die Klägerin gewusst, wie wenig Zeit ihr mit ihrer Tochter tatsächlich verbleiben würde, hätte sie ihr gemeinsames Leben sicherlich ganz anders gestaltet. Abschließend werde auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.07.1968 - 8 RV 373/67 - verwiesen, in welchem zur Wahrscheinlichkeit der Berufsbetroffenheit ausgeführt werde: "Für die Feststellung des anspruchsbegründenden Sachverhalts bedarf es insoweit nicht des Nachweises, d.h. für die Bildung der richterlichen Überzeugung war nicht die an Gewissheit grenzende, jeden vernünftigen Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit erforderlich; es genügt vielmehr die "Wahrscheinlichkeit". Diese ist zu bejahen, wenn bei Abwägung aller bedeutsamen Umstände mehr für als gegen eine der in Betracht kommenden Möglichkeiten spricht."
In der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2008 beantragt die Bevollmächtigte der Klägerin, das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.10.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 22.02.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2005 insoweit aufzuheben, als der Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin ab Antragstellung Berufsschadensausgleich nach einem Vergleichseinkommen für eine selbständige Steuerberaterin einerseits bzw. leitende kaufmännische Angestellte in Vollzeit andererseits zu gewähren.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.10.2006 - S 30 VG 19/05 - als unbegründet zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnnung (ZPO) sowie entsperchend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- unnd fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich gemäß § 1 Abs.1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Verbindung mit § 30 Abs.3 ff. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), weder als selbständige Steuerberaterin noch als leitende kaufmännische Angestellte in Vollzeit.
Wenn die Klägerseite isoliert auf § 30 Abs.5 Satz 1 BVG abstellt, ist dies unbehelflich. Denn nach § 30 Abs.5 Satz 1 BVG errechnet sich das Vergleichseinkommen nach den Sätzen 2 bis 6 aus dem monatlichen Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, die der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Begrifflich wie systematisch setzt § 30 Abs.5 Satz 1 BVG voraus, dass einem rentenberechtigten Beschädigten (hier der Klägerin) ein Berufsschadensausgleich dem Grunde nach zusteht (§ 30 Abs.3 und 4 BVG). Insoweit sind allein die gesundheitlichen Schäden der Kausalbeurteilung zugrunde zu legen (Urteil des BSG vom 09.10.1987 - 9a RV 46/85 - Breithaupt 1988, 405 bis 407). Auch Förster (Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage, Rz.52 zu § 30 BVG) hält eine Prüfung "dem Grunde nach" ohne Berechnung nach § 30 Abs.4 BVG für erforderlich, ob ein Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs.3 BVG vorliegt.
Insoweit hat die Klägerin gegenüber Dr.K. im Rahmen der Untersuchung vom 05.05.2003 berichtet, dass sie nicht mehr in psychiatrischer Behandlung sei. Manchmal nehme sie wenn es ihr nicht gut gehe das Medikament Stilnox ein, wenn sie nicht schlafen könne, wenn sie im Stress sei oder wenn sie eine ihrer depressiven Phasen habe. Diese depressiven Phasen würden allerdings nicht mehr häufig auftreten und seien ihrer Meinung nach auch nicht behandlungsbedürftig. Wenn sie das Medikament Stilnox ein paar Tage genommen habe, gehe es ihr wieder besser. Vor allen Dingen könne sie nicht länger als drei Stunden hintereinander sitzen. Wenn sie sich hinlege, gehe es besser. Ihr Tagesablauf sehe so aus, dass sie sich vorrangig in dem Verein, den sie selber gegründet habe, beschäftige. Sie sei mittlerweile in einem zeitlichen Umfang von 16 Stunden pro Woche dort angestellt. Sie habe auch viel Beratungstätigkeit. Man müsse allerdings aufpassen, die Leute, die echt krank seien zu trennen von den Leuten, die nur eine Krankheit vorgeben würden. Hobbymäßig gehe sie nach wie vor Tennis spielen, wenn es irgendwie gehe. Im März 2003 sei sie mit ihrem Mann in Andalusien gewesen, dies habe aber keinen Einfluss auf ihre Beschwerden gehabt. Ansonsten gehe es ihr im Vergleich zu der Untersuchung bei Dr.M. unverändert. In psychischer Hinsicht gehe es ihr schlecht, wenn der Geburts- oder der Todestag von S. herannahe. Sie habe immer dann Phasen von ein paar Wochen, wo es ihr nicht gut gehe. Sie brauche aber keine professionelle Hilfe und könne sich eigentlich selber relativ gut über diese Phasen hinweghelfen. Der psychiatrische Untersuchungsbefund hat eine mittlerweile 48-jährige Frau, wach, bewusstseinsklar bei unauffälligem gepflegten äußeren Erscheinungsbild ergeben. Die Berichterstattung ist sachlich kritisch, eine deutliche Tendenz zur Somatisierung ist anzunehmen. Im Affekt ist die Klägerin bedrückt, depressiv und bemüht, die Fassade zu bewahren. Die innere Anspannung ist deutlich. Es besteht eine Tendenz zur Rationalisierung mit Betonung des "Funktionierens" auf der selbst gewählten Ebene. Dr.K. hat die Möglichkeit der Entwicklung eigener Kompensationsmöglichkeiten gesehen, ebenso dabei teilweise auftretende Schuldgefühle.
Aus der Sicht des erkennenden Senats ist von Bedeutung, dass die Klägerin nach dem dramatischen Ereignis vom 08.01.1995 ihr Leben völlig neu gestaltet hat, indem sie bewusst den Verein "O. e.V." gegründet hat und dort teilzeitbeschäftigt ist. Auch wenn diese Tätigkeit der Kompensation der Ermordung ihrer Tochter dient, wäre sie entsprechend den Ausführungen von Dr.M. mit Gutachten vom 12.02.2001 auch in der Lage gewesen, den erlernten Beruf einer Diplom-Kauffrau auszuüben. Dies korrespondiert mit den Feststellungen von Dr.K. mit nervenärztlichem Gutachten vom 08.05.2003, der eine Tendenz zur Rationalisierung und Betonung des "Funktionierens" auf der selbst gewählten Ebene festgestellt hat.
Im Rahmen der sozialrechtlichen Kausalitätsbeurteilung ist daher nicht entscheidungserheblich, dass das Leben der Klägerin aufgrund der tragischen Ermordung ihrer Tochter S. am 08.01.1995 einen völlig anderen Verlauf genommen hat als ursprünglich vorgestellt. Es kommt vielmehr daruf an, ob die Klägerin schädigungsbedingt ihren ehemaligen Beruf als Diplom-kauffrau bzw. den glaubhaft angstrebten Beruf einer Steuerberaterin nicht mehr ausgeübt hat. Dagegen spricht, dass die Klägerin ihren weiteren Lebensweg selbst gewählt hat und auf der selbst gewählten Ebene "funktioniert", um die Worte von Dr.K. mit Gutachten vom 08.05.2003 zu wiederholen.
Im Übrigen ist dem erstinstanzlichen Gericht vollinhaltlich beizupflichten (§ 153 Abs.2 SGG), dass das Fehlen einer besondeen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG ein gewichtiges Indiz dafür darstellt, dass auch ein Berufsschadensausgleich im Sinne von § 30 Abs.3 ff. BVG nicht zusteht. Denn der Gesetzgeber hat in § 30 Abs.3 BVG u.a. das Tatbestandsmerkmal "nach Anwendung des Abs.2" aufgenommen, auch wenn das Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG nicht zwingend Voraussetzung für die Bewilligung eines Berufsschadensausgleichs ist.
Auch die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Klägerin vor der Gewalttat vom 08.01.1995 sprechen gegen die Bewilligung eines Berufsschadensausgleichs gemäß § 30 Abs.3 ff. BVG. Denn die Klägerin hat sich im Wesentlichen dafür entschieden, ihre Tochter zu betreuen und zu erziehen bzw. sich um ihre kranke Mutter zu kümmern (behindertengerechter Anbau des Anwesens Keyserlingstraße 37 bzw. Revovierung des Anwesens in Hartmanshofen einschließlich Sommer 1994). Die damals glaubhaft bestandene Absicht, sich später wieder in dem erlernten Beruf zu engagieren, stellt nur eine von mehreren möglichen Zukunftsperspektiven dar. Dies ist aber in Hinblick auf § 30 Abs.3 BVG und die dort geforderte "Wahrscheinlichkeit" nicht ausreichend.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.10.2006 - S 30 VG 19/05 - als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.1 Nrn.1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1955 geborene Klägerin begehrt gemäß § 1 Abs.1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Verbindung mit § 30 Abs.3 ff. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) Berufsschadensausgleich.
Entsprechend den Feststellungen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht M. (Az.: 126 Js 3083/95) hat M. A. in der Nacht vom 08.01.1995 auf den 09.01.1995 die damals 18-jährige Tochter der Klägerin ermordet, weil sie sich dessen sexuellen Annäherungsversuchen widersetzt hatte. Wegen der hieraus resultierenden "posttraumatischen Belastungsstörung" samt "somatoformer Schmerzsstörung" erhält die Klägerin nach zwei vor dem Sozialgericht München durchgeführten Rechtssteiten (S 30 VG 25/97 und S 30 VG 12/02) laufende Rentenleistungen nach § 1 Abs.1 OEG in Verbindung mit § 30 Abs.1 BVG. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beträgt entsprechend dem Vergleich vor dem Sozialgericht München vom 11.02.2004 ab 01.09.1996 40 v.H. und ab 01.07.2000 50 v.H. In Überprüfung des versorgungsärztlichen Gutachtens von Dr.M. vom 12.02.2001 hat der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr.K. mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 08.05.2003 wegen zwischenzeitlicher Leidensverschlimmerung eine Anhebung der MdE von zuvor 40 v.H. auf 50 v.H. gemäß § 30 Abs.1 BVG befürwortet.
Nachdem die Schwerbeschädigteneigenschaft festgestellt worden ist, hat der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 22.02.2005 eine Höherbewertung der MdE gemäß § 30 Abs.2 BVG wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und auf Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs.3 ff. BVG abgelehnt. Ausgleichsrente gemäß § 32 BVG sowie Ehegattenzuschlag gemäß § 33a BVG ist ebenfalls nicht bewilligt worden. Die Entscheidung ist von Amts wegen ergangen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe die Klägerin nach ihrem Studium nur fünf Jahre in Teilzeit (zehn Wochenstunden) als kaufmännische Angestellte gearbeitet. Wegen der Pflege ihrer Mutter habe sie ab 1989 keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen können; in den Jahren 1993 bis 1995 habe sie im Büro ihres Ehemannes mitgeholfen. Unter Berücksichtigung des beruflichen Werdeganges, des Lebensalters und der wirtschaftlichen Situation sei es daher unwahrscheinlich, dass die Klägerin nunmehr einer geregelten Tätigkeit in leitender Stellung nachgehen würde. Aus diesen Gründen könne eine besondere berufliche Betroffenheit bzw. ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht bejaht werden.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben mit Widerspruchsbegründung vom 27.05.2005 vorgetragen, die Klägerin habe während und nach Beendigung ihres Studiums in den Jahren 1976 bis 1982 nur halbtags als Diplom-Kauffrau bzw. kaufmännische Angestellte gearbeitet, um sich um die im September 1976 geborene Tochter kümmern zu können. Insoweit habe es sich hierbei um Kindererziehungszeiten gehandelt. Eine volle Berufstätigkeit sei erst geplant gewesen, wenn die ermordete Tochter S. erwachsen gewesen wäre. Im Januar 1990 habe die Klägerin einen selbständigen Betrieb mit Hauptschwerpunkt Buchführung, EDV und Unternehmensberatung angemeldet. Um als Diplom-Kauffrau als Steuerberaterin tätig werden zu können, sei eine dreijährige Praxiserfahrung erforderlich. Dieses Erfordernis wäre durch die Durchführung von Buchführungsarbeiten erfüllt gewesen. Um ihr Ziel als Steuerberaterin arbeiten zu können zu erreichen, habe die Klägerin beispielsweise in den Jahren 1992 und 1993 u.a. für Herrn Steuerberater E. Buchhaltungsarbeiten auf selbständiger Basis verrichtet. In der von ihrem Ehemann betriebenen Feuerschutzfirma habe die Klägerin den gesamten kaufmännischen Bereich übernommen. Daneben habe die Klägerin an einem Kurs der Steuerberatervereinigung teilgenommen. Die nötige Hard- und Software sei angeschafft worden. Durch die Erkrankung der Mutter der Klägerin habe die Umsetzung der beruflichen Pläne einstweilen eingestellt bzw. hintenangestellt werden müssen. Das Anwesen K.straße sei behindertengerecht umgebaut worden. Zur Finanzierung desselben sei das Anwesen in H. zum Zwecke der Vermietung renoviert worden. Sämtliche vornehmlich mit einem beträchtlichen Zeitaufwand in Eigenleistung erbrachten baulichen Maßnahmen seien im Sommer 1994 beendet worden. Ab diesem Zeitpunkt habe sich die Klägerin nun ganztags ihrem Betrieb widmen wollen. Um diesen Willen auch tatsächlich in die Tat umsetzen zu können, seien folgende Voraussetzungen geschaffen worden: - Anmeldung der Tochter S. im O. Gymnasium ganztags ab September 1994, - Einstellung einer Pflegekraft für die Mutter der Klägerin ab Oktober 1994, - Aquisition von Steuerberatern und Buchhaltungsfirmen, welche demnächst aus Altersgründen aufgaben bzw. aufgegeben werden sollten und zu denen noch Kontakte des Ehemanns der Klägerin aus seiner Zeit als Angestellter im Rechenzentrum der Firma D. bestanden. Der Mord an der Tochter S. am 08.01.1995 habe die Pläne der Klägerin gänzlich zunichte gemacht. Das Gewerbe sei 1999 rückwirkend zum 31.12.1994 abgemeldet worden. Anfangs habe die Klägerin immer noch die Hoffnung auf Besserung ihres Gesundheitszustandes wie auch ihrer psychischen Verfassung gehabt. Nachdem die erhoffte Besserung jedoch ausgeblieben sei, sei der Klägerin nichts Anderes übrig geblieben, als das Gewerbe abzumelden. Die mehrfach auch von dem Beklagten diagnostizierte Schmerzsymptomatik sowie der anhaltend schlechte psychische Zustand der Klägerin hätten dieser zwar erlaubt, mit hohem Kräfteaufwand und entsprechendem Verschleiß den Verein "O. e.V." in Teilzeit zu leiten. Die Kräfte hätten für die Pflege der Mutter sowie die Bestellung des Familienhaushaltes jedoch nicht mehr ausgereicht. Auf die Stellungnahme von Frau Dr.E. vom 19.02.1997 werde Bezug genommen. Diese habe in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin, auch wenn es sich nach außen so darstelle, als wäre sie voll belastbar, seit sie sich intensiv und mit Öffentlichkeitswirkung um den Opferschutz kümmere, die notwendige Energie ausschließlich in diesem Bereich aufbringen könne. Weiter habe Dr.E. ausgeführt, dass alle andern Lebensbereiche von einem enormen Sinnverlust überschattet seien und von der Antragstellerin nur unter großer Disziplin und mit zusätzlichem Kraftaufwand ausgefüllt werden könnten. Hieran habe sich auch in den letzten vier Jahren nichts geändert. In ihrem psychiatrischen Gutachten vom 12.02.2001 habe Dr.M. darauf hingewiesen, dass eine Hilfe zur Bewältigung des erlittenen Traumas der von der Klägerin gegründete Verein "O. e.V." darstelle. Diese Arbeit ermögliche es ihr, ihrem Leben wieder eine Perspektive und einen Sinn zu geben. Ferner habe Dr.M. zutreffend darauf hingewiesen, dass die Aktivitäten der Klägerin in ihrem Verein nicht geeignet seien, um daraus Schlüsse auf eine wesentliche Besserung der psychischen und körperlichen Problematik abzuleiten.
Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 22.08.2005 an seiner gegenteiligen Auffassung festgehalten. Eine Prüfung sei durch die Hauptfürsorgestelle bei der Regierung von Oberbayern in Verbindung mit dem Arbeitsamt eingeleitet, aber nicht abgeschlossen worden, da von Seiten der Klägerin wenig bzw. kein Interesse an einer beruflichen Rehabilitation bestanden habe. Bereits mit Bescheid vom 22.02.2005 sei dargelegt worden, dass die Klägerin ab 1989 keiner geregelten Arbeit mehr nachgegangen sei und in den Jahren 1993 bis 1995 nur noch im Büro ihres Ehemannes mitgeholfen habe, ohne dass diese Tätigkeit versicherungspflichtig gewesen sei. Verantwortlich hierfür sei die Pflegetätigkeit für die Mutter gewesen, die auch heute noch ausgeführt werde. Es sei somit nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls welche berufliche Tätigkeit unter Berücksichtigung der privaten schädigungsunabhängigen Verhältnisse und mit welchem Zeitaufwand überhaupt in Betracht gekommen wäre. Der Nachweis eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes sei nicht zu führen. (Aktenkundig hat die Klägerin als Geschäftsführerin des von ihr geleiteten Vereins "O. e.V." im Dezember 2004 2.300,00 EUR brutto bzw. 1.560,63 EUR netto in Teilzeittätigkeit erhalten.)
In dem sich anschließenden Rechtsstreit hat das Sozialgericht München mit Urteil vom 05.10.2006 vor allem darauf abgestellt, dass eine besondere berufliche Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG nicht vorliege, da in der Biographie der Klägerin vor dem Januar 1995 keine zielgerichtete Aktivität in Richtung einer selbständigen Berufstätigkeit als Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin erkennbar sei. Auch bei Pflege der Mutter und während der Erziehung eines nicht mehr ganz kleinen Kindes wäre für die Anerkennung einer ernsthaften Tendenz dieser Richtung zu verlangen, dass die Klägerin nach der Gewerbeanmeldung 1990 beispielsweise in gewisser Regelmäßigkeit einige Stunden pro Woche solche Tätigkeiten entgeltlich ausgeübt hätte. Die nur sehr seltene Mitarbeit in der Kanzlei eines Steuerberaters genüge für den Nachweis einer solchen Tendenz ebensowenig wie die unentgeltliche familienhafte Mithilfe im Betrieb des Ehemannes. Noch deutlicher fehle jedoch das Tatbestandselement der besonderen beruflichen Betroffenheit in dem Sinne, dass die Klägerin genau die zitierten Berufsfelder schädigungsbedingt nicht mehr abdecken könne. Eine besondere berufliche Betroffenheit müsse nach der Logik des § 30 Abs.2 BVG über die allgemeine Betroffenheit hinausgehen, die bereits mit der Grundrente entschädigt werde. Für den gegenständlichen Bereich psychischer Beeinträchtigungen fehle eine solche Anschaulichkeit der besonderen Betroffenheit. In freier Würdigung möglicher Beeinträchtigungen bei verschiedenen Berufsausübungen könne aber angenommen werden, dass gerade die in selbständiger Tätigkeit, freier Zeiteinteilung und relativer Isolation und ohne emotionale Beteiligung zu erbringenden Arbeiten eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters durchaus von einem Menschen erbracht werden könnten, der dauernd oder phasenweise stark mit sich und seinem Leiden beschäftigt sei. Da die Klägerin vor dem schädigenden Ereignis keine Einkünfte aus einem geschützten Beruf bezogen habe, die durch die Schädigung abgesenkt worden oder entfallen seien, fehle für die Berechnung eines Berufsschadensausgleiches nach § 30 Abs.3 BVG jede Grundlage.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 06.12.2006 ging am selben Tag beim Bayerischen Landessoialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des BayLSG wurden die Versorgungs-Akten des Beklagten sowie drei Band Akten des Sozialgerichts München beigezogen.
Die Bevollmächtigten der Klägerin hoben mit Berufungsbegründung vom 16.04.2007 hervor, dass das Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG niemals das Begehren der Klägerin gewesen sei, weder vorrangig noch nach-rangig. Dieser gehe es ausnahmslos um die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs. Insoweit habe das erstinstanzliche Gericht verkannt, dass § 30 Abs.5 Satz 1 BVG auch die Möglichkeit biete, von einem anderen Beruf auszugehen, wenn festgestellt werden könne, dass der Beschädigte diesen Beruf ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich ausgeübt hätte. Hierbei handele es sich um eine Prognoseentscheidung, zu deren Entscheidungsfindung die allgemeinen Beweismittel zur Sachaufklärung zur Verfügung stünden. Wie bereits dargelegt, habe die Klägerin im Jahre 1990 begonnen, ihren beruflichen Wiedereinstieg vorzubereiten, indem sie im Januar 1990 einen selbständigen Betrieb mit Hauptschwerpunkt Buchführung, EDV und Unternehmensberatung angemeldet habe. Um das Ziel, als Steuerberaterin arbeiten zu können zu erreichen, habe die Klägerin beispielsweise in den Jahren 1992, 1993 u.a. für Herrn Steuerberater E. Buchhaltungsarbeiten auf selbständiger Basis verrichtet. Diese Mitarbeit als auch die Übernahme der Buchhaltung im Betrieb ihres Ehemannes würde vielmehr im Sinne von § 30 Abs.5 Satz 1 BVG belegen, dass ein entsprechender Arbeits- und Ausbildungswille bestanden habe. Dieser Wille sei auch nicht aufgegeben worden, als die Mutter der Klägerin schwer erkrankt sei. Es werde als wenig emphatisch empfunden, einer Mutter, deren einziges Kind ermordet worden sei, gewissermaßen vorzuhalten, sie habe sich zu viel um ihr Kind und zu wenig um ihren beruflichen Aufstieg gekümmert. Hätte die Klägerin gewusst, wie wenig Zeit ihr mit ihrer Tochter tatsächlich verbleiben würde, hätte sie ihr gemeinsames Leben sicherlich ganz anders gestaltet. Abschließend werde auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.07.1968 - 8 RV 373/67 - verwiesen, in welchem zur Wahrscheinlichkeit der Berufsbetroffenheit ausgeführt werde: "Für die Feststellung des anspruchsbegründenden Sachverhalts bedarf es insoweit nicht des Nachweises, d.h. für die Bildung der richterlichen Überzeugung war nicht die an Gewissheit grenzende, jeden vernünftigen Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit erforderlich; es genügt vielmehr die "Wahrscheinlichkeit". Diese ist zu bejahen, wenn bei Abwägung aller bedeutsamen Umstände mehr für als gegen eine der in Betracht kommenden Möglichkeiten spricht."
In der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2008 beantragt die Bevollmächtigte der Klägerin, das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.10.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 22.02.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2005 insoweit aufzuheben, als der Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin ab Antragstellung Berufsschadensausgleich nach einem Vergleichseinkommen für eine selbständige Steuerberaterin einerseits bzw. leitende kaufmännische Angestellte in Vollzeit andererseits zu gewähren.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.10.2006 - S 30 VG 19/05 - als unbegründet zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnnung (ZPO) sowie entsperchend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- unnd fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich gemäß § 1 Abs.1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Verbindung mit § 30 Abs.3 ff. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), weder als selbständige Steuerberaterin noch als leitende kaufmännische Angestellte in Vollzeit.
Wenn die Klägerseite isoliert auf § 30 Abs.5 Satz 1 BVG abstellt, ist dies unbehelflich. Denn nach § 30 Abs.5 Satz 1 BVG errechnet sich das Vergleichseinkommen nach den Sätzen 2 bis 6 aus dem monatlichen Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, die der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Begrifflich wie systematisch setzt § 30 Abs.5 Satz 1 BVG voraus, dass einem rentenberechtigten Beschädigten (hier der Klägerin) ein Berufsschadensausgleich dem Grunde nach zusteht (§ 30 Abs.3 und 4 BVG). Insoweit sind allein die gesundheitlichen Schäden der Kausalbeurteilung zugrunde zu legen (Urteil des BSG vom 09.10.1987 - 9a RV 46/85 - Breithaupt 1988, 405 bis 407). Auch Förster (Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage, Rz.52 zu § 30 BVG) hält eine Prüfung "dem Grunde nach" ohne Berechnung nach § 30 Abs.4 BVG für erforderlich, ob ein Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs.3 BVG vorliegt.
Insoweit hat die Klägerin gegenüber Dr.K. im Rahmen der Untersuchung vom 05.05.2003 berichtet, dass sie nicht mehr in psychiatrischer Behandlung sei. Manchmal nehme sie wenn es ihr nicht gut gehe das Medikament Stilnox ein, wenn sie nicht schlafen könne, wenn sie im Stress sei oder wenn sie eine ihrer depressiven Phasen habe. Diese depressiven Phasen würden allerdings nicht mehr häufig auftreten und seien ihrer Meinung nach auch nicht behandlungsbedürftig. Wenn sie das Medikament Stilnox ein paar Tage genommen habe, gehe es ihr wieder besser. Vor allen Dingen könne sie nicht länger als drei Stunden hintereinander sitzen. Wenn sie sich hinlege, gehe es besser. Ihr Tagesablauf sehe so aus, dass sie sich vorrangig in dem Verein, den sie selber gegründet habe, beschäftige. Sie sei mittlerweile in einem zeitlichen Umfang von 16 Stunden pro Woche dort angestellt. Sie habe auch viel Beratungstätigkeit. Man müsse allerdings aufpassen, die Leute, die echt krank seien zu trennen von den Leuten, die nur eine Krankheit vorgeben würden. Hobbymäßig gehe sie nach wie vor Tennis spielen, wenn es irgendwie gehe. Im März 2003 sei sie mit ihrem Mann in Andalusien gewesen, dies habe aber keinen Einfluss auf ihre Beschwerden gehabt. Ansonsten gehe es ihr im Vergleich zu der Untersuchung bei Dr.M. unverändert. In psychischer Hinsicht gehe es ihr schlecht, wenn der Geburts- oder der Todestag von S. herannahe. Sie habe immer dann Phasen von ein paar Wochen, wo es ihr nicht gut gehe. Sie brauche aber keine professionelle Hilfe und könne sich eigentlich selber relativ gut über diese Phasen hinweghelfen. Der psychiatrische Untersuchungsbefund hat eine mittlerweile 48-jährige Frau, wach, bewusstseinsklar bei unauffälligem gepflegten äußeren Erscheinungsbild ergeben. Die Berichterstattung ist sachlich kritisch, eine deutliche Tendenz zur Somatisierung ist anzunehmen. Im Affekt ist die Klägerin bedrückt, depressiv und bemüht, die Fassade zu bewahren. Die innere Anspannung ist deutlich. Es besteht eine Tendenz zur Rationalisierung mit Betonung des "Funktionierens" auf der selbst gewählten Ebene. Dr.K. hat die Möglichkeit der Entwicklung eigener Kompensationsmöglichkeiten gesehen, ebenso dabei teilweise auftretende Schuldgefühle.
Aus der Sicht des erkennenden Senats ist von Bedeutung, dass die Klägerin nach dem dramatischen Ereignis vom 08.01.1995 ihr Leben völlig neu gestaltet hat, indem sie bewusst den Verein "O. e.V." gegründet hat und dort teilzeitbeschäftigt ist. Auch wenn diese Tätigkeit der Kompensation der Ermordung ihrer Tochter dient, wäre sie entsprechend den Ausführungen von Dr.M. mit Gutachten vom 12.02.2001 auch in der Lage gewesen, den erlernten Beruf einer Diplom-Kauffrau auszuüben. Dies korrespondiert mit den Feststellungen von Dr.K. mit nervenärztlichem Gutachten vom 08.05.2003, der eine Tendenz zur Rationalisierung und Betonung des "Funktionierens" auf der selbst gewählten Ebene festgestellt hat.
Im Rahmen der sozialrechtlichen Kausalitätsbeurteilung ist daher nicht entscheidungserheblich, dass das Leben der Klägerin aufgrund der tragischen Ermordung ihrer Tochter S. am 08.01.1995 einen völlig anderen Verlauf genommen hat als ursprünglich vorgestellt. Es kommt vielmehr daruf an, ob die Klägerin schädigungsbedingt ihren ehemaligen Beruf als Diplom-kauffrau bzw. den glaubhaft angstrebten Beruf einer Steuerberaterin nicht mehr ausgeübt hat. Dagegen spricht, dass die Klägerin ihren weiteren Lebensweg selbst gewählt hat und auf der selbst gewählten Ebene "funktioniert", um die Worte von Dr.K. mit Gutachten vom 08.05.2003 zu wiederholen.
Im Übrigen ist dem erstinstanzlichen Gericht vollinhaltlich beizupflichten (§ 153 Abs.2 SGG), dass das Fehlen einer besondeen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG ein gewichtiges Indiz dafür darstellt, dass auch ein Berufsschadensausgleich im Sinne von § 30 Abs.3 ff. BVG nicht zusteht. Denn der Gesetzgeber hat in § 30 Abs.3 BVG u.a. das Tatbestandsmerkmal "nach Anwendung des Abs.2" aufgenommen, auch wenn das Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG nicht zwingend Voraussetzung für die Bewilligung eines Berufsschadensausgleichs ist.
Auch die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Klägerin vor der Gewalttat vom 08.01.1995 sprechen gegen die Bewilligung eines Berufsschadensausgleichs gemäß § 30 Abs.3 ff. BVG. Denn die Klägerin hat sich im Wesentlichen dafür entschieden, ihre Tochter zu betreuen und zu erziehen bzw. sich um ihre kranke Mutter zu kümmern (behindertengerechter Anbau des Anwesens Keyserlingstraße 37 bzw. Revovierung des Anwesens in Hartmanshofen einschließlich Sommer 1994). Die damals glaubhaft bestandene Absicht, sich später wieder in dem erlernten Beruf zu engagieren, stellt nur eine von mehreren möglichen Zukunftsperspektiven dar. Dies ist aber in Hinblick auf § 30 Abs.3 BVG und die dort geforderte "Wahrscheinlichkeit" nicht ausreichend.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.10.2006 - S 30 VG 19/05 - als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.1 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
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