L 16 AS 178/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AS 934/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 178/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 19. April 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozial-gesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 29.03.2005 streitig.

Der am 18.09.1948 geborene Kläger, der in seinem beruflichen Leben fortlaufend Pflichtbeiträge entrichtet hatte, bezog ab März 1998 bis 31.12.2004 ununterbrochen Leistungen der Bundes-agentur für Arbeit. Er bewohnt ab dem streitigen Zeitraum zu-sammen mit seinen volljährigen Söhnen D. (geb. 1981), M.(geb. 1985) sowie T (geb. 1986) und ab August 2006 auch mit seinem 1988 geborenen Sohn Deine Doppelhaushälfte mit einer Wohnfläche von 125 Quadratmetern, die er 1989 zusammen mit seiner damali-gen, seit 1995 geschiedenen Ehefrau gekauft sowie bezogen hatte und die seit 07.10.1998 in seinem Alleineigentum steht. Nach den Angaben des Klägers hat D. eigene Lohneinkünfte, M. bezieht Arbeitslosengeld und T. erhält ein Auszubildendengehalt. Dem Sohn D1., der bis Juli 2006 bei seiner Mutter wohnte, ge-währte der Kläger bis zu dessen Einzug in sein Haus monatlich einen Barunterhalt, der bis November 2005 EUR 220,88, danach zwi-schen EUR 82 und EUR 162 schwankte und ab März 2006 EUR 136,- betrug.

Der Kläger beglich zum Zeitpunkt der Antragstellung am 29.03.2005 zur Finanzierung des Hauses monatlich Schuldzinsen in Höhe von EUR 398, Heizkosten in Höhe von EUR 122,-, Nebenkosten in Höhe von EUR 181,85, Beiträge zur X Lebensversiche- rung AG in Höhe von insgesamt EUR 87,99, zur Y. Lebensversiche- rung in Höhe von EUR 82,26 sowie zu weiteren Versicherungen (Gebäude- und Kfz-Versicherung). Er erhält von seiner Mutter zumindest ab Antrag-stellung monatliche Überweisungsgutschriften in Höhe von EUR 255,65. Aus den vorgelegten Kontoauszügen von März bis Mai 2005 und von Oktober 2005 bis März 2006 ergeben sich monatliche Bar-einzahlungen des Klägers in schwankender Höhe zwischen EUR 1000 und EUR 2.500. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung lebte er ab März 2005 bis März 2008 von finanziellen Zuwendun-gen von Verwandten und Freunden, die ihm auf Grund mündlicher Vereinbarungen "Darlehen" ohne Verzinsung sowie Sicherheit und ohne Benennung eines konkreten Rückzahlungszeitpunktes (Bezug der Altersrente oder Fälligkeit der Versicherungen) gewährt hätten.

Zum Antragszeitpunkt verfügte der Kläger über insgesamt drei kapitalbildende, nicht steuerlich geförderte Lebensversicherun-gen mit Überschussbeteiligung - zwei bei der Y. Lebensversiche-rung und eine bei der X Lebensversicherung AG - und eine Ren-tenversicherung bei der X Lebensversicherung AG.

Er hatte bei der Y. Lebensversicherung zwei kapitalbildende Lebensversicherungen mit einem am 05.06.2005 nur vom Kläger erklärten Verwertungsausschluss in Höhe von EUR 200 pro Lebens-jahr, maximal EUR 13.000 abgeschlossen:
- Nr. 18094802031: Laufzeit von März 1973 bis März 2008 und Rückkaufswert zum 01.09.2005 in Höhe von EUR 23.986,45 (Höhe der eingezahlten Beiträge zum Rückkaufsdatum: EUR 14.458,64).
- Nr. 18094802033: Laufzeit von September 1987 bis September 2013 und Rückkaufswert zum 01.09.2005 in Höhe von EUR 10.891,10 (Höhe der eingezahlten Beiträge zum Rückkaufsdatum: EUR 8875,30).

Bei der X Lebensversicherung AG bestanden folgende zwei Versi-cherungen des Klägers mit beidseitig vereinbartem Verwertungs-ausschluss vom 30.08.2005:
- Nr. 5953712: aufgeschobene Rentenversicherung mit einer Lauf- zeit von März 1996 bis 01.03.2013) und einem Rückkaufswert zum 30.08.2005 in Höhe von EUR 3.819,90 (Höhe der eingezahlten Bei-träge zum Rückkaufsdatum: EUR 4.141,76
- Nr. 1354294: kapitalbildende Lebensversicherung mit einer Laufzeit von Dezember 1974 bis 01.12.2013 und einem Rückkaufs-wert zum 30.08.2005 in Höhe von EUR 13.240,95 (Höhe der einge-zahlten Beiträge zum Rückkaufsdatum: EUR 16.108,95).

Der Kläger beantragte am 29.03.2005 die Gewährung von Leistun-gen nach dem SGB II. Zu seinen persönlichen und wirtschaftli-chen Verhältnissen erklärte er im Formblatt, dass er kein über den Betrag von EUR 4.850,- hinausgehendes Vermögen besitze und kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erziele. Auf Grund der re-gelmäßigen Gutschriften auf dessen Konto sollte der Kläger nä-her dargelegte leistungserhebliche Fragen zu seinem Einkommen und Vermögen beantworten sowie entsprechende Nachweise unter Fristsetzung vorlegen. Mangels entsprechender Mitwirkung des Klägers lehnte die Beklagte dessen Antrag zunächst mit be-standskräftigem Bescheid vom 09.08.2005 ab.

Nach Vorlage der fehlenden Unterlagen am 18.10.2005 und darauf-hin von der Beklagten weiterer angeforderter Unterlagen am 10.05.2006 (weitere Kontoauszüge und Bescheinigungen über seine vier Lebensversicherungen etc.) lehnte die Beklagte mit Be-scheid vom 31.05.2006 den Antrag vom 29.03.2005 in der Sache ab, weil der Kläger ab dem grundsätzlich beginnenden Bewilli-gungsabschnitt am 18.10.2005 (Eingang der geforderten Unterla-gen) nicht hilfebedürftig sei. Er verfüge über ein zu berück-sichtigendes Vermögen in Höhe von EUR 15.147,45. Die beiden Y. Lebensversicherungen seien unter Berücksichtigung eines Freibe-trages in Höhe von EUR 11.400 (EUR 200 x 57 Jahre) gemäß § 12 Abs.2 Nr. 3 SGB II in Höhe von EUR 23.477,55 anzurechnen. Die X Lebens-versicherung mit der Nummer 1354294 sei nicht als Vermögen zu berücksichtigen, weil deren Verwertung bei einem Verlust von 17,8 % beim Rückkauf offensichtlich unwirtschaftlich wäre. Zu berücksichtigen sei nur die weitere X Lebensversicherung in Höhe von EUR 3.819,90. Aus der Summe dieser zu berücksichtigenden Lebensversicherungen in Höhe von EUR 27.297,45 seien Freibeträge nach § 12 Abs.2 Nr. 1 und 4 SGB II in Höhe von EUR 12.150 abzu-setzen. Da die Lebensversicherungen zumindest im Wege der Be-leihungen sofort verwertbar seien, komme eine Leistungsgewäh-rung in Form eines Darlehens gemäß § 23 Abs.5 SGB II nicht in Betracht.

Zur Begründung des dagegen erhobenen Widerspruchs legte der Kläger insbesondere Änderungsbescheide der Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich des Bezuges von Arbeitslosenhilfe von Okto-ber 2003 bis Dezember 2004 vor, wonach die Lebensversicherungen in Höhe von EUR 14.585,67 unter Berücksichtigung eines Freibe-trags in Höhe von EUR 11.200 der Bedürftigkeit des Klägers nicht entgegenstehen würden. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchs-bescheid vom 08.11.2006 als unbegründet zurückgewiesen. Über die im angefochtenen Bescheid vom 31.05.2006 genannten Versi-cherungen hinaus sei auch die X Lebensversicherung mit der Num-mer 1354294 in Höhe von EUR 13.240,95 als Vermögen zu berücksich-tigen. Deren sofortige Verwertung durch den Rückkauf sei trotz eines Verlustes von 17,8 % nicht offensichtlich unwirtschaft-lich. Der Einsatzpflichtige müsse gewisse Verluste hinnehmen; lediglich eine Verschleuderung von Vermögen könne nicht abver-langt werden (BSG, Urteil vom 25.04.2002, Az. B 11 AL 69/01 R). Maßgeblich sei nicht die objektive Sichtweise eines normalen und ökonomisch handelnden Menschen, sondern die Sichtweise ei-ner Person, die zunächst alles Erforderliche veranlassen müsse, um die Abhängigkeit von Sozialleistungen zu vermeiden (SG Ber-lin, Urteil vom 13.12.2005, Az. S 1 AS 430/05). Es seien Ver-luste bei der Vermögensverwertung um bis zu 30 v.H. hinzunehmen (vgl. SG Augsburg, Urteil vom 24.01.2006, Az. S 1 AS 430/05 und SG Berlin, Urteil vom 02.08.2005, Az. S 63 AS 2117/05). Dies entspreche in erster Linie der Selbsthilfeverpflichtung, sich zunächst selbst nach Kräften zu helfen und die Hilfebedürftig-keit zu beseitigen (§ 3 Abs.3 SGB II). Der Einsatzpflichtige habe grundsätzlich auch die Substanz seines Vermögens für sei-nen Lebensunterhalt zu verwerten, bevor er öffentliche Mittel in Anspruch nehme. Es sei daher der das geschützte Vermögen übersteigende Betrag von EUR 28.388,40 vorrangig zur Deckung des Hilfebedarfs einzusetzen. Dies schließe eine Hilfebedürftigkeit so lange aus, wie das ungeschützte Vermögen tatsächlich nicht bedarfsdeckend eingesetzt werde, weil es insoweit dem in der Regel monatlichen Bedarf immer wieder zur Deckung zur Verfügung stehe.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg verfolgte der Kläger sein Ziel der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts weiter mit der Begründung, dass die vier Versicherungsverträge der Alterssicherung dienen wür-den. Vorgelegt wurden erstmals zwei Vereinbarungen vom 30.08.2005 über einen Verwertungsausschluss der Rentenversiche-rung Nr. 5953712 und der Lebensversicherung Nr. 1354294 bei der X Lebensversicherung AG. Dem Kläger sei eine sofortige Kündi-gung und Verwertung seiner Versicherungsverträge nicht zumut-bar, weil er in einem Alter von derzeit 58,5 Jahren keine rea-listische Chance mehr habe, neues Vermögen zur Alterssicherung aufzubauen. Auch erhalte er nicht einmal die von ihm gezahlten Beiträge zurück; Einkommensverluste von bis zu 30 % seien nicht hinnehmbar. Da die Rente aus der gesetzlichen Rentenversiche-rung seit Einführung der Riester-Rente nach der Rentenformel um einen jeweils fiktiven Betrag privater Altersvorsorge gemindert sei, sei er mittelbar gezwungen gewesen, privat entsprechend vorzusorgen. Dieses Ergebnis seiner Bemühungen dürfe durch die Zwangsverwertung nicht entwertet werden. Andernfalls wäre der Gleichheitsgrundsatz verletzt, weil die rentenrechtliche Gleichbehandlung privater Vorsorge gegenüber den unangetasteten Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gewährleistet wäre.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 19. April 2007 ab. Die Beklagte habe von den vier Lebensversicherungen mit einem Rückkaufswert in Höhe von insgesamt EUR 51.938,40 zu Recht ein Schonvermögen zum Zeitpunkt der Antragstellung in Höhe von EUR 23.550 errechnet. Die Verwertung der Versicherungen, soweit das Schonvermögen überstiegen werde, sei nicht offensichtlich unwirtschaftlich im Sinn von § 12 Abs.3 Satz 1 Nr. 6 SGB II. Bei den vom Kläger zu verkraftenden Verlustquoten zwischen 7 und 17,8 % liege kein offensichtliches Missverhältnis zum wirk-lichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes vor. Die Verwertung der Lebensversicherungen stelle für den Kläger auch keine besondere Härte im Sinn des § 12 Abs.3 Satz 1 Nr. 6 SGB II dar. Eine besondere Härte liege nur vor, wenn durch die Ver-wertung insoweit ein atypisches Ergebnis geschaffen werde, als es dem Leitgedanken des Gesetzgebers aus § 12 Abs.2 und Abs.3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB II nicht mehr entspräche (so Bayerisches LSG, Urteil vom 02.12.2005, Az. L 7 AS 51/05). Eine derartige atypische Situation könne sich nur aus den Umständen des Ein-zelfalles, vor allem aus den besonderen Lebensumständen des Hilfebedürftigen wie z.B. Alter, Familienstand, besondere Be-einträchtigungen (z.B. Behinderungen) sowie Art, Schwere und Dauer der Hilfebedürftigkeit ergeben. Das Alter des Klägers begründete noch keine atypische Situation. Eine besondere Härte läge für den Kläger nur vor, wenn er in Kürze in Altersrente ginge und dann zwingend auf die Beträge aus der Lebensversiche-rung zur Existenzsicherung angewiesen wäre, d.h. wenn absehbar wäre, dass der Kläger dann auch auf Leistungen der Grundsiche-rung angewiesen wäre. Da der Kläger derzeit über ein Schonver-mögen in Höhe von EUR 23.950,- verfüge, Miteigentümer (richtiger-weise Alleineigentümer) eines Einfamilienhauses sei und Renten-ansprüche gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung habe, sei nicht erkennbar, dass dieser nicht in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt im Alter selbst zu sichern. Die Pflicht zur Verwertung der Lebensversicherungen stelle auch keinen Ver-stoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Denn der Gesetzgeber habe die Lebensversicherungen grundsätzlich als verwertbares Vermögen behandelt. Soweit er die sog. Riester-Rente nicht den privaten Lebensversicherungen gleichgestellt habe, obliege dies seinem weiten Gestaltungsspielraum (so bayerisches LSG, Urteil vom 18.08.2006, Az. L 7 AS 61/06).

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Zum einen rügt er, dass die Beklagte keine Absetzung nach § 12 Abs.2 Nr. 2 SGB II vorgenommen habe, obwohl seine Lebensversicherungen der Alters-vorsorge dienten. Eine konkrete staatliche Förderung der jewei-ligen Altersvorsorge sei vom Gesetz nicht gefordert. Der Wort-laut des Gesetzes knüpfe die Berücksichtigung vielmehr aus-drücklich allein an die "Höhe" der staatlich geförderten Al-tersvorsorge; Riester-Anlageformen seien nicht erforderlich. Zum anderen seien die Absetzungen nach § 12 SGB II willkürlich und würden gegen Art. 3 Abs.1 GG verstoßen. Nach § 12 Abs.3 Nr. 3 SGB II würden von der Versicherungspflicht in der gesetzli-chen Rentenversicherung Befreite von jeglicher Verwertungsver-pflichtung freigestellt und somit erheblich besser behandelt als gesetzlich Versicherte. Nach Mecke in Eicher/Spellbrink, § 12 Rdnr. 68 bleibe bei einem von der Rentenversicherungs-pflicht Befreiten ein Vermögen in Höhe von mindestens EUR 240.000 unangetastet, während er auf die Freibeträge des § 12 Abs.2 SGB II beschränkt werde. Ferner kämen den von der Versicherungs-pflicht Befreiten ebenfalls noch die Freibeträge nach § 12 Abs.2 Nr. 2 und 3 SGB II zugute. Da er am 23.08.2005 eine Ren-tenanwartschaft in Höhe von nur brutto EUR 856,21 habe, sei er dringend auf seine Lebensversicherungen angewiesen. Im Gegen-satz zu den von der gesetzlichen Rentenversicherung Befreiten müsse er sein über Jahre angespartes Vermögen zugunsten einer kurzfristigen Behebung seiner aktuellen Notlage verschleudern.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 19.04.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2006 aufzuheben und die Be-klagte zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung Leistun-gen nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchs-bescheides und Urteils.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tat-bestands auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte sowie statt-hafte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht entschieden, dass dem Kläger für den Zeitraum ab 29.03.2005 kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff. SGB II zusteht. Der Kläger ist ab 29.03.2005 nicht hilfebedürftig im Sinn des § 9 Abs.1 SGB II.

Nach dieser Vorschrift ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensun-terhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkom-men oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen erhält.

I. Die Beklagte kann im Hinblick auf den bestandskräftigen Ver-sagungsbescheid vom 09.08.2005 nachträglich Leistungen ab An-tragstellung ganz oder teilweise gemäß § 67 SGB I erbringen. Die insoweit erforderliche Ermessensentscheidung hinsichtlich der Gewährung von Arbeitslosengeld II für den Zeitraum ab An-tragstellung am 29.03.2005 bis zum Eingang der angeforderten Unterlagen am 17.10.2005 hat die Beklagte nicht getroffen. Sie hat ohne Anstellen von Ermessenserwägungen das Vorliegen der Hilfebedürftigkeit des Klägers erst ab dem Eingang der angefor-derten Unterlagen (Nachholung der Mitwirkung) am 18.10.2005 in der Sache geprüft.

II. Eine Hilfebedürftigkeit des Klägers für die Zeit ab Antrag-stellung am 29.03.2005 bis jetzt ist bereits wegen seines zu berücksichtigenden verwertbaren bzw. ab 01.04.2006 wegen seines tatsächlichen Vermögens nicht zur Überzeugung des Senats nach-gewiesen. Ab April 2008 steht dem Kläger tatsächlich ein Vermö-gen in Höhe von EUR 23.986,45 zur Verfügung, weil seine Lebens-versicherung Nr. 18094802031 bei der Y. Lebensversicherung mit Fristablauf im März 2008 ausbezahlt wurde. Im Zeitraum von der Antragstellung bis März 2006 war er in der Lage, seinen Lebens-unterhalt bereits durch die Verwertung seines zu berücksichti-genden Vermögens, das am 31.08.2005 EUR 28.788,40 betrug, selbst zu sichern (§ 12 Abs.1 SGB II). Maßgeblich für die Berechnung des zu berücksichtigenden Vermögens ist der Verkehrswert zur Zeit der Antragstellung bzw. des späteren Erwerbs (§ 12 Abs.4 Satz 1 und 2 SGB II), wobei der erzielbare Gegenwert aus einer Veräußerung bereits ab Antragstellung anzurechnen ist (vgl. etwa Bayerisches LSG, Urteil vom 17.02.2006, Az. L 7 AS 8/05). Von den Versicherungen des Klägers ist nur der Rückkaufswert anzusetzen, weil nur dieser bei einer Kündigung des Versiche-rungsvertrags durch den Versicherungsnehmer vom Versicherer zu erstatten ist (§§ 165, 176 VVG); nur insoweit liegt ein ver-wertbares Vermögen im Sinn von § 12 Abs.1 SGB II vor.

Vom Vermögen des Klägers sind folgende Freibeträge abzusetzen:

1. Grundfreibetrag nach § 12 Abs.2 Nr. 1 SGB II:

- 29.03.2005 bis 17.09.2005: EUR 200 x 56 Jahre = EUR 11.200
- 18.09.2005 bis 31.07.2006: EUR 200 x 57 Jahre = EUR 11.400
- 01.08.2006 bis 17.09.2006: EUR 150 x 57 Jahre = EUR 8.550
- 18.09.2006 bis 17.09.2007: EUR 150 x 58 Jahre = EUR 8.700
- 18.09.2007 bis 17.09.2008: EUR 150 x 59 Jahre = EUR 8.850

Da der Kläger nicht vor dem 01.01.1948 geboren ist, war kein Freibetrag in Höhe von EUR 520,- pro Lebensjahr nach der Über-gangsvorschrift des § 65 Abs.5 SGB II festzusetzen.

2. Freibetrag nach § 12 Abs.2 Nr. 4 SGB II: EUR 750

3. Freibetrag nach § 12 Abs.2 Nr. 3 SGB II:

- 29.03.2005 bis 17.09.2005: EUR 200 x 56 Jahre = EUR 11.200
- 18.09.2005 bis 31.07.2006: EUR 200 x 57 Jahre = EUR 11.400
- 01.08.2006 bis 17.09.2006: EUR 250 x 57 Jahre = EUR 14.250
- 18.09.2006 bis 17.09.2007: EUR 250 x 58 Jahre = EUR 15.000
- 18.09.2007 bis 17.09.2008: EUR 250 x 59 Jahre = EUR 17.250

Dieser Freibetrag kann nur bei der Lebensversicherung Nr. 1354294 bei der X Lebensversicherung AG mit einem Rückkaufswert am 31.08.2005 in Höhe von EUR 13.240,95 und der Rentenversiche-rung Nr. 5953712 bei der X Lebensversicherung AG mit einem Rückkaufswert am 31.08.2005 in Höhe von EUR 3.819,90, d.h. in Höhe von insgesamt EUR 17.060,85 berücksichtigt werden.

Die Lebensversicherung Nr. 118094802031 bei der Y. Lebensversi-cherung dient wegen ihrer Laufzeit bis März 2008 und somit ih-rer Beendigung vor dem 60. Lebensjahr des Klägers nicht dessen Altersvorsorge. Voraussetzung ist nämlich der Ausschluss der Verfügbarkeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres (so etwa Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 12 Rdnr. 52).

Hinsichtlich der Lebensversicherung Nr. 18094802033 bei der Y. Lebensversicherung wurde kein wirksamer Verwertungsausschluss im Sinn des § 165 Abs.3 VVG vereinbart. Die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses stellt einen zivilrechtlichen Vertrag dar, mit dem sich Versicherungsnehmer und Versicherungsgeber durch übereinstimmende Willenserklärungen über eine Rechtsfol-ge, nämlich den Ausschluss der Verwertung der Lebensversiche-rung vor Eintritt in den Ruhestand, einigen. Die vom Kläger vorgelegte Vereinbarung über den Verzicht der Verwertung vom 05.06.2005 wurde lediglich vom Kläger am 05.06.2005 unter-schrieben. Mangels entsprechender Erklärung des Versicherungs-gebers und somit mangels Einigung kam kein derartiger Vertrag zustande.

Mit dem FortentwG vom 20.07.2006 wurden die Freibeträge in § 12 Abs.2 Nr. 1 SGB II von EUR 200,- auf EUR 150,- und von EUR 13.000,- auf EUR 9.750,- herabgesetzt und gleichzeitig die Freibeträge nach § 12 Abs.2 Nr. 3 SGB II von EUR 200,- auf EUR 250,- sowie von EUR 13.000,- auf EUR 16.250,- mit Wirkung ab 01.08.2006 angehoben.

Die Höhe dieses Freibetrages verstößt im Vergleich zur Höhe des Altersvorsorgeschonvermögens für von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung Befreite nach § 12 Abs.3 Nr. 3 SGB II nicht gegen Art. 3 GG. Der allgemeine Gleichheits-satz ist dann verletzt, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwi-schen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (s. statt vieler BVerfGE 104, 126, 144). Der Wert des nicht zu berücksichtigenden Altersvorsorgevermö-gens nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 SGB II wird lediglich durch dessen Angemessenheit begrenzt, weil sich von der gesetzlichen Renten-versicherung Befreite die Altersvorsorge privat aufbauen müssen und die unterschiedliche Behandlung daher durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Das angemessene Altersvor-sorgevermögen orientiert sich am Standardrentner mit 45 Bei-tragsjahren und einem errechneten Kapitalbedarf bei Eintritt in den Ruhestand von ca. EUR 241.000 (s. Eicher/Spellbrink a.a.O. § 12 Rdnr. 68). Der Kläger hat jedoch in seinem Berufsleben fortlaufend Pflichtbeiträge an die gesetzliche Rentenversiche-rung entrichtet und so eine angemessene Altersversorgung in Höhe von ca. EUR 900 entsprechend der Höhe seiner entrichteten Beiträge erworben.

4. Auf den Freibetrag nach § 12 Abs.2 Nr. 2 SGB II kann sich der Kläger nicht berufen, weil die von ihm abgeschlossenen Ver-sicherungen keine Riester-Anlageformen - nur diese werden nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge gefördert (§§ 10 a, 79 f 11 EStG) - sind (so BT-Drucks 15/1516 S.53; vgl. auch Ei-cher/Spellbrink a.a.O. § 12 Rdnr. 44).

5. Die Verwertung der Versicherungen des Klägers ist auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich und bedeutet für den Kläger keine besondere Härte im Sinn des § 12 Abs.3 Satz 1 Nr. 6 SGB II.

a) Hinsichtlich des Begriffs der offensichtlichen Unwirtschaft-lichkeit ist eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise gebo-ten. Der gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert, der sich aus den auf den Lebensversicherungsvertrag eingezahlten Beiträgen ergibt, gegenüber zu stellen. Die Verwertung wäre erst dann offensichtlich unwirtschaftlich, wenn der durch eine Verwertung des Vermögens erlangte bzw. zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes stehen würde. Insoweit ist lediglich die Verschleuderung von Vermögenswerten unzumutbar, wobei gewisse Verluste hinzunehmen sind (so BSG, Az. B 7a AS 52/06 R). Die im früheren Recht der Arbeitslosenhilfe gezogene Verlustgrenze von 10 Prozent ist im Rahmen des SGB II nicht mehr maßgeblich. Verluste von mehr als 10 Prozent liegen noch im Bereich des Wirtschaftlichen (BSG, Urteil vom 06.09.2007, Az. B 14/7b AS 66/06 R).

Bei den beiden Y. Lebensversicherungen ist der Rückkaufswert jeweils höher als der Wert der eingezahlten Beiträge, so dass sich bei einer sofortigen Verwertung keine Verluste errechnen. Bei der Rentenversicherung mit der Nummer 5953712 der X Lebens-versicherung ergibt sich bei einem Rückkaufswert von EUR 3.819,90 und einem Beitragswert von EUR 4.141,76 am 31.08.2005 ein Verlust in Höhe von 7,77 Prozent, der wirtschaftlich durchaus vertret-bar ist. Bei der Lebensversicherung Nr. 1354294 der X Lebens-versicherung würde sich zwar ein Verlust von 17,8 Prozent erge-ben, der sich aber aufgrund des bei dieser Versicherung zu be-rücksichtigenden Freibetrags in Höhe EUR 11.200 am 31.08.2005 (s. hierzu oben) nur unwesentlich in Höhe von EUR 363 auswirken wür-de.

b) Die Verwertung der Versicherungen stellt unter Berücksichti-gung aller Umstände des Einzelfalles auch keine besondere Härte für den Kläger dar. Der Kläger, der über eine allein in seinem Eigentum stehende Doppelhaushälfte, die bei Eintritt in das Rentenalter abgezahlt sein dürfte, verfügt und mit einer Rente wegen Alters in Höhe von mindestens EUR 900,- von der deutschen Rentenversicherung Bund rechnen kann, ist der Lebensunterhalt im Alter gesichert. Es liegt kein atypischer Lebens- oder Ver-sicherungsverlauf des Klägers vor, der eine besondere Schonung des Altersvorsorgevermögen erforderlich erscheinen lässt. Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts wird insoweit Bezug genommen und gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.

6. Selbst wenn man der Ansicht von Mecke in Eicher/Spellbrink a.a.O. § 12 Rdnr. 49 folgen würde, dass durch den strikten Aus-schluss der Verwertbarkeit der Lebensversicherungen des Klägers bei der X Lebensversicherung AG vor dem Eintritt in den Ruhe-stand insoweit bereits kein - über den Freibetrag hinaus - zu berücksichtigendes Vermögen vorläge, weil die zur Altersvorsor-ge bestimmte Vermögensmasse mangels rechtlicher Verfügungsbe-fugnis in keiner Form zum Beheben der gegenwärtigen Notlage verwertet werden könne, so ändert dies am Ergebnis der Zurech-nung dieses Vermögens auf Grund der Anwendung der Vorschrift des § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II nichts. Denn der Kläger verminder-te sein zu berücksichtigendes Vermögen durch Abschluss der Klausel über den Ausschluss einer Verwertung vor Erreichen des Ruhestandes am 30.08.2005, d.h. nach der Antragstellung.

Von den vier Versicherungen des Klägers mit einem Rückkaufswert am 31.08.2005 bzw. 01.09.2005 in Höhe von insgesamt EUR 51.938,40 sind Freibeträge in Höhe von insgesamt EUR 23.150 abzusetzen, so dass dem Kläger am 31.08.2005 bzw. 01.09.2005 ein verwertbares Vermögen in Höhe von EUR 28.788,40 zuzurechnen ist. Im Hinblick auf diesen weit die Grenze der Hilfebedürftigkeit des Klägers überschreitenden Betrag wird auf weitere konkrete Differenzie-rungen nach dem jeweiligen Lebensalter des Klägers sowie dem jeweils geltenden Gesetz (FortentwG) unter Berücksichtigung der jeweils diesen Zeitpunkten angepassten Rückkaufswerte der Ver-sicherungen, die sich mit zunehmender Zeit erhöhen und so die Verlustquote verringern, verzichtet.

III. Der Kläger hat im Übrigen in dem Zeitraum ab Antragstel-lung bis März 2006 die erforderliche Hilfe von anderen im Sinn des § 9 Abs. 1 Satz 1, 2. Var. SGB II erhalten, so dass er auch aus diesem Grund nicht hilfebedürftig war. Die laufenden finan-ziellen Zuwendungen sind als Einkommen des Klägers zu berück-sichtigen. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgehen würde, dass seine Angehörigen und Freunde ihm diese Zuwendungen bis zur Fälligkeit seiner Lebensversicherung(en) bzw. bis zum Bezug der Altersrente zinslos überlassen hätten, so sind diese mündlichen Vereinbarungen zum einen nicht als Darlehensverträge im Sinn des § 488 BGB zu qualifizieren. Denn schriftliche Ver-träge mit einer konkreten Rückzahlungspflicht zu einem bestimm-ten oder bestimmbaren Zeitpunkt, mit einer Zinspflicht sowie einer bestimmten Sicherheit waren nicht geschlossen worden, wie dies unter Dritten üblich ist. Sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten müssen dem zwischen Fremden Üblichem entsprechen (sog. Fremdvergleich im Steuerrecht – etwa BFHE 190, 173 m.w.N. - , der auch hier anzustellen ist). Auch konnte der Kläger die Darlehensgeber nicht namentlich benennen. Zum anderen stehen diese Zuwendungen aufgrund einer Rückerstat-tungspflicht des Klägers erst nach dem Bezugszeitraum von Ar-beitslosengeld II einer Anrechnung als Einkommen nicht entge-gen.

Offen konnte schließlich bei dieser eindeutigen Sachlage blei-ben, ob und ggf. wie sich die auf Grund der Neuregelung ab 01.07.2006 bestehende Bedarfsgemeinschaft des Klägers mit sei-nen volljährigen Söhnen auswirkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Erwägung, dass die Beru-fung keinen Erfolg hatte (§ 193).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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