L 10 AL 360/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 30/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 360/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.10.2007 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2007 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Höhe des Gründungszuschusses. Die 1959 geborene Klägerin, die ab 01.08.2006 arbeitslos war, erhielt von der Beklagten lt. Bewilligungsbescheid vom 03.08.2006 Arbeitslosengeld für 360 Kalendertage ab 01.08.2006 bis 30.07.2007 in Höhe von 1.208,10 EUR. Ab 20.09.2006 wurde ihr Einkommen als Lehrerin (Deutsch für Ausländer) angerechnet, das sie im September in Höhe von 360,00 EUR, im Oktober in Höhe von 660,00 EUR und im November in Höhe von 516,00 EUR erzielte. Zuletzt stellte die Beklagte mit Neufeststellungsbescheid vom 05.01.2007 den Zahlbetrag für Dezember 2006 unter Anrechnung des Nebeneinkommens in Höhe von 600,00 EUR unter Berücksichtigung des Freibetrags von 165,00 EUR auf 773,10 EUR fest. Am 05.12.2006 beantragte die Klägerin einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Übersetzerin/ Lehrerin ab 01.01.2007. Diesen bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 10.01.2007 für die Zeit vom 01.01.2007 bis 01.10.2007 in Höhe von 1.073,10 EUR. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, auf der Grundlage des beanspruchbaren Arbeitslosengeldbetrags von 1.208,10 EUR stehe ihr ein höherer Anspruch zu. Die Beklagte wies den Widerspruch am 30.01.2007 mit der Begründung zurück, die Höhe des Gründungszuschusses orientiere sich lt. Gesetzeswortlaut am zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld (§ 58 Abs 1 SGB III). Beim Bezug von Nebeneinkommen sei der geminderte Arbeitslosengeldsatz maßgebend. Mit ihrer am 07.02.2007 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, ihres Erachtens mindere die Anrechnung nach § 141 SGB III nicht den grundsätzlich beanspruchbaren Arbeitslosengeldzahlungsbetrag. Andernfalls werde sie gegenüber nicht nebenerwerbstätigen Arbeitslosen benachteiligt. Demgegenüber vertrat die Beklagte die Ansicht, der eindeutige Gesetzeswortlaut fordere die Berücksichtigung der tatsächlichen Höhe des Arbeitslosengeldbezugs, abgesehen von gelegentlichen kurzzeitigen Beschäftigungen. Weil auf den Lebensstandard abzustellen sei, könne das Nebeneinkommen nicht unberücksichtigt bleiben. Eigeninitiative des Arbeitslosen sei schließlich rechtlich geboten. Diese Auslegung des § 58 SGB III entspreche der zu § 57 Abs 5 SGB III aF ergangenen Rechtsprechung. Das Sozialgericht Würzburg hat die Beklagte mit Urteil vom 23.10.2007 verurteilt, den Gründungszuschuss in Höhe von 1.508,10 EUR zu leisten. Die Anwendbarkeit der bisherigen Rechtsprechung zu § 57 SGB III aF auf § 58 SGB III sei fraglich, da jetzt als Fördervoraussetzung lediglich das Stammrecht genüge und bei ABM-Teilnehmern auf ein fiktives Arbeitsentgelt abgestellt werden müsse. Dies zeige, dass es nicht auf das "zuletzt bezogene" Arbeitslosengeld ankommen könne. Andernfalls würde dies zu Wertungswidersprüchen führen, da das Arbeitsentgelt, das durch eine ABM-Maßnahme erzielt werde, bei der Berechnung keine Rolle spiele. Diese Auslegung hätte auch zur Konsequenz, dass Existenzgründer, die ihre selbstständige Tätigkeit vorerst im Rahmen einer Nebenbeschäftigung weniger als 15 Stunden wöchentlich ausprobieren wollten, von dieser an sich zulässigen Option Abstand nehmen würden, wenn sie einen verminderten Gründungszuschuss befürchten müssten. In diesen Fällen sei bei der Berechnung des Gründungszuschusses auf den ungeminderten Arbeitslosengeldanspruch abzustellen. Gegen das am 08.11.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.11.2007 Berufung eingelegt und auf den eindeutigen Gesetzestext hingewiesen. Die Förderung sei für den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung des Antragstellers bestimmt, sodass das Abstellen auf den bisherigen Leistungsbezug auch sachgerecht sei. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.10.2007 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2007 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite könne es einen eindeutigen Gesetzestext rechtstechnisch nicht geben. Würde man die Auslegungsfähigkeit der Vorschrift verneinen, wäre sie vor dem Hintergrund des Art 3 Grundgesetz verfassungswidrig. Als zuletzt bezogenes Arbeitslosengeld sei das Arbeitslosengeld anzusetzen, das vor Abzug eventuellen Hinzuverdienstes zustehe. Nur so könne auch die vom Gesetzgeber gewollte aktive Arbeitsmarktpolitik erreicht werden. Eine entsprechende Auslegung müsste mindestens für den Fall herangezogen werden, dass der Existenzgründer aus dieser Nebentätigkeit, die dann zur Existenzgründung geführt habe, die Nebeneinkünfte erzielt habe, die zum reduzierten Auszahlungsbetrag geführt hätten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Akte des Sozialgerichts Würzburg sowie der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und erweist sich als begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.10.2007 kann keinen Bestand haben. Zu Unrecht hat es den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2007 abgeändert. Der Klägerin steht lediglich ein Gründungszuschuss in Höhe von 1.073,10 EUR zu. Der Gründungszuschuss, der aufgrund des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitslose vom 20.07.2006 ab 01.08.2006 beansprucht werden kann, wird für die Dauer von 9 Monaten in Höhe des Betrages geleistet, den der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen hat, zuzüglich von monatlich 300,00 EUR (§ 58 SGB III). Die Klägerin hat zuletzt vor Beginn ihrer selbstständigen Tätigkeit am 01.01.2007 für den Monat Dezember 2006 773,10 EUR als Arbeitslosengeld erhalten. Zuzüglich des Pauschalbetrags von 300,00 EUR zur sozialen Absicherung beläuft sich der Gründungszuschuss sonach auf 1.073,10 EUR. Ohne Anrechnung von Nebeneinkommen beläuft sich der Zahlungsanspruch der Klägerin lt. Bewilligungsbescheid vom 03.08.2006 auf 1.208,10 EUR. An diesen ungeminderten Zahlungsanspruch, das Stammrecht, knüpft § 58 Abs 1 SGB III jedoch nicht an. Der Wortlaut stellt vielmehr auf den tatsächlichen Bezug im letzten Bewilligungszeitraum ab und auch in den Materialien zu § 58 SGB III heißt es, geförderte Personen erhielten einen Zuschuss zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe ihres zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes und einen monatlichen Betrag in Höhe von 300,00 EUR zur sozialen Absicherung (BT-Drucks 16/1696 S.31 zu § 58). Das SGB III unterscheidet bewusst zwischen Bezug und Anspruch auf Arbeitslosengeld, wie sich schon aus der Formulierung des § 57 Abs 2 Nr 1a aF ergibt. Vor diesem Hintergrund kann die Auslegung nicht ohne Weiteres dahingehen, anstelle des Bezugs von Arbeitslosengeld einen fiktiven Anspruch auf Arbeitslosengeld zum Maßstab zu nehmen. Richtig ist, dass das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld dann nicht Anknüpfungspunkt sein kann, wenn Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die nach § 57 Abs 2 Satz 2 Nr 1b SGB III förderfähig sind, Leistungen erhalten. Weil der tatsächliche Bezug von Arbeitslosengeld keine Anspruchsvoraussetzung ist, kann es nötig sein, bei der Errechnung der Förderhöhe nach § 58 Abs 1 SGB III auf das fiktive Arbeitslosengeld abzustellen. Die Verkürzung des Gesetzestextes gegenüber § 57 Abs 5 Satz 1 aF SGB III "oder bei Arbeitslosigkeit hätte beziehen können" kann daher als missglückt bezeichnet werden (Petzold in Hauck/Noftz SGB III, § 58 Rdziff 4). Für diesen Fall ist von einer Regelungslücke auszugehen. Die Klägerin hat jedoch tatsächlich Arbeitslosengeld, wenn auch gemindert durch Nebeneinkommen, bezogen. Die Maßgeblichkeit des tatsächlichen Bezugs hat das Bundessozialgericht selbst für den Fall der Rechtswidrigkeit betont (BSG, 21.03.2007 - B 11a AL 11/06 R -). An dem Umstand des tatsächlichen Bezugs von Leistungen iS des § 57 Abs 2 Nr 1 SGB III ändere sich nichts dadurch, dass zu einem späteren Zeitpunkt die rechtliche Grundlage für die Zahlung durch eine entsprechende Aufhebungsentscheidung wieder beseitigt werde. Entscheidend sei nämlich, dass nur eine am tatsächlichen Leistungsbezug orientierte Betrachtungsweise die Verwirklichung der mit den Vorbezugszeiten verfolgten Zielsetzung des Gesetzgebers zu gewährleisten vermöge. Insoweit stelle der tatsächliche Leistungsbezug ein in der Praxis für die Verwaltung leicht zu handhabendes Merkmal dar, das einen Rückschluss auf die Erforderlichkeit von Leistungen zur Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit sowie auf die voraussichtliche Entlastung der Bundesagentur von der Zahlung weiterer Entgeltersatzleistungen zulasse. Weil der Gründungszuschuss auch der Entlastung der Bundesagentur von zukünftigen Leistungsansprüchen dient, ist der Begriff "Bezug" kein Hinderungsgrund, die Fördervoraussetzungen erweiternd für den Fall auszulegen, dass der aktuelle Leistungsanspruch im Zeitpunkt der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit wegen Eintritts einer Sperrzeit geruht hat (BSG, Urteil vom 17.10.1990 in SozR 3 4100 § 55a AFG Nr 2 S.13). Weil das Stammrecht während des Ruhens erhalten bleibt, könnte der Arbeitslose nach der Unterbrechung des Leistungsbezugs weiterhin Arbeitslosengeld beanspruchen, falls die Förderung nicht stattfände. Mit diesem Fall ist der der Klägerin hingegen nicht vergleichbar, da die Entwicklung der Lehrtätigkeit der Klägerin ab September 2006 erwarten ließ, dass die Leistungsverpflichtung der Beklagten nur im beschränkten Umfang weiter bestehen würde. Die wortgetreue Auslegung des § 58 Abs 1 SGB III wird also der Entlastungsfunktion des Gründungszuschusses gerecht. Diese Auslegung trägt auch dem Sinn des Gründungszuschusses Rechnung, den Lebensunterhalt zu sichern und die soziale Sicherung zu gewährleisten. Die Sicherung des Lebensunterhalts zu Beginn der selbstständigen Tätigkeit stellt das größte Problem für Gründungen aus Arbeitslosigkeit dar. Das wegfallende Arbeitslosengeld muss daher kompensiert werden, da die Erträge aus der Selbstständigkeit dazu in der Regel noch nicht ausreichen (BT-Drucks 16/1696 S.30 zu § 57 Abs 1). An die Stelle des Arbeitslosengelds tritt daher mit Beginn der Selbstständigkeit ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das den bisherigen Lebensstandard sichern soll. Mit der Leistung in Höhe von 1.073,10 EUR monatlich wird diesem Zweck Rechnung getragen. Gerade weil der Gesetzgeber die Förderung auch für solche Arbeitslose vorgesehen hat, die ihre nebenberufliche Selbstständigkeit in eine hauptberufliche umwandeln wollen (BT-Drucks 16/1696 S.30 zu § 57 Abs 1), ist die mit dem Gründungszuschuss intendierte Kompensation des Arbeitslosengeldes auf den letzten Bezug beschränkt. Um Unbilligkeiten zu vermeiden, ist es ausreichend, entsprechend den Weisungen der Beklagten gelegentliche kurzzeitige Beschäftigungen bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen. Die hier vorgenommene Auslegung führt nicht zu den von Dr.L. im Hinblick auf Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beklagten Wertungswidersprüchen (SGb 2007, S.23). Zwar spielt das dort erzielte Arbeitsentgelt überhaupt keine Rolle für die Berechnung des Gründungszuschusses. Dieses Arbeitsentgelt ist jedoch mit dem Nebeneinkommen der Klägerin nicht vergleichbar, denn es wird auf dem 2. Arbeitsmarkt mit Unterstützung durch die Bundesagentur erzielt. Es erscheint nicht sachwidrig, bei der Bemessung des Gründungszuschusses nicht an der Höhe des entfallenden Lohnkostenzuschusses im Sinn des § 264 SGB III, sondern an den fiktiven Arbeitslosengeldanspruch anzuknüpfen, der nach Beendigung der von vornherein befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zusteht. Es mag sein, dass Existenzgründer, die ihre selbstständige Tätigkeit vorerst im Rahmen einer Nebenbeschäftigung weniger als 15 Stunden wöchentlich "ausprobieren" wollen, einen verminderten Gründungszuschuss befürchten müssen. Dem Ziel, Existenzgründungen zu fördern, läuft dies zuwider. Es muss jedoch dem Gesetzgeber überlassen bleiben, zu entscheiden, in welchem Umfang er Existenzgründung fördern will. Hätte er in besonderer Weise die Umwandlung einer nebenberuflichen Selbstständigkeit in eine selbstständige Tätigkeit fördern wollen, hätte er dies im Gesetz zum Ausdruck bringen müssen. Der Zweck des Gründungszuschusses, die Arbeitsverwaltung zu entlasten und den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung zu gewährleisten, wird jedenfalls mit der Berechnung des Gründungszuschusses auf der Grundlage des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes erreicht. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Klägerin zumindest im Hinblick auf den ihr zugestandenen Freibetrag in der Anfangsphase der Selbstständigkeit über ein höheres Einkommen verfügte als ein Existenzgründer, der zuletzt den ungeminderten Arbeitslosengeldanspruch geltend machen konnte, andererseits aber auch nicht bereits auf einen Kundenstamm zurückgreifen konnte. Von einer "Bestrafung" der Nebenbeschäftigung, die zudem der gesetzlichen Verpflichtung zu Eigenbemühungen entspricht, kann daher nicht die Rede sein.

Aus diesen Gründen war das Urteil des Sozialgerichts Würzburg aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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