L 9 EG 47/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 EG 5/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 47/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg in Ziffer I. vom 10. Februar 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu 1/4 zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Bundeserziehungsgeld (BErzg) für den Zeitraum 03.09.2001 bis 24.09.2001 streitig.

Die 1979 geborene Klägerin, eine verheiratete kasachische Staatsangehörige, reiste am 25.01.1999 als Ehefrau eines Spätaussiedlers (§ 8 Bundesvertriebenengesetz - BVFG) mit ihren Schwiegereltern und ihrem Ehemann E. K. in die Bundesrepublik Deutschland ein. 2000 wurde ihre Tochter V. in W. geboren. Mit Bescheid vom 09.10.2000 bewilligte der Beklagte Erziehungsgeld ab dem Tag der Geburt bis zum 02.12.2000. Das Erziehungsgeld war befristet, weil die Aufenthaltsgenehmigung am 11.11.2000 endete. Am 08.10.2000 wurde die Bescheinigung über die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigung vorgelegt.

Ab 25.09.2001 war die Klägerin wieder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, weshalb mit Bescheid vom 17.10.2001 BErzg ab 25.09.2001 für das zweite Lebensjahr des Kindes bewilligt wurde. Für die vorangegangene Zeit bestehe kein Leistungsanspruch, weil die Klägerin nicht im Besitz eines für das Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) gültigen Aufenthaltstitels war.

Hiergegen erhob die Klägerin am 02.11.2001 Widerspruch. Ihr sei am 20.09.2000 die Geldbörse mit ihren Dokumenten gestohlen worden. Sie habe bei der kasachischen Botschaft sofort einen neuen Reisepass beantragt. Nach Angaben des Ausländeramtes sei sie im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung gewesen. Deshalb beantragte sie weiter Leistungen für den Zeitraum 11.11.2000 bis 25.09.2001. Sie sei deutscher Abstammung und mit einem deutschen Mann (Spätaussiedler) verheiratet, ihre Tochter sei Deutsche, in Deutschland geboren. Sie sei in einer schwierigen finanziellen Lage. Wegen des Kindes habe sie keine Arbeit aufnehmen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2002, abgesandt am 08.03.2002, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Aufenthaltserlaubnis sei bis 11.11.2000 gültig gewesen. Ab 12.11.2000 bis 24.09.2001 sei die Klägerin im Besitz einer von der Ausländerbehörde ausgestellten Bescheinigung gewesen, mit der gem. § 69 Abs.3 Ausländergesetz ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über ihren Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als erlaubt gegolten habe. Dieser Aufenthaltstitel stelle jedoch keines der in § 1 Abs.1a Satz 1 BErzGG geforderten Aufenthaltsrechte dar, mit dem ein Erziehungsgeldanspruch begründet werden könne. Erst seit 25.09.2001 verfüge sie wieder über ein qualifiziertes Aufenthaltsrecht in Form einer Aufenthaltserlaubnis.

Mit der am 10.04.2002 beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Eine Klagebegründung wurde nicht abgegeben. Durch Urteil vom 10.02.2004 wurde der Beklagte verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 17.10.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2002 der Klägerin auch für die Zeit vom 03.09.2001 bis 24.09.2001 Erziehungsgeld nach dem BErzGG für das Kind V. zu gewähren. Das SG führt aus, dass in der ab dem Jahr 2001 eingeführten gesetzlichen Neuregelung Zeiten, in denen man bis zur Wiederbewilligung einer Aufenthaltserlaubnis sich rechtmäßig über die Fiktion des § 69 Abs.3 Ausländergesetz in Deutschland aufgehalten hat, eine Zugehörigkeit zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem BErzGG mit sich bringen. Zutreffend sei, dass zu der früheren Gesetzeslage auch durch das Bundessozialgericht (BSG) entschieden wurde, dass nur für den Zeitraum, in dem man sich im Besitz des normierten Aufenthaltstitels befand, ein Leistungsanspruch besteht. Demnach wäre im zweiten Lebensjahr des Kindes eine Bewilligung von Erziehungsgeld für die Zeit vor dem 25.09.2001 ausgeschlossen. Weiter sei in § 24 BErzGG geregelt, dass für Kinder, die vor dem 31.12.2000 geboren sind, das BErzGG in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung weiter gelte. Das SG kommt dann zur Überzeugung, dass der Gesetzgeber für die zukünftigen Fälle, in denen aufgrund der zeitlichen Befristung wegen des Ablaufes des Aufenthaltstitels ohnehin eine neue Entscheidung erforderlich sei, eigentlich die Anwendung des neuen Rechtes unmittelbar haben wollte und nicht bedacht hatte, dass auch diese notwendige rechtliche Reaktion an sich von der generell gefassten Übergangsregelung, die eigentlich im Bezug auf die substantiellen Änderungen eingeführt worden war, erfasst würde. Deshalb entspreche es dem Willen des Gesetzgebers, bei der Anwendung des § 1 Abs.1a BErzGG ohne die Übergangsvorschrift des § 24 BErzGG zu entscheiden. Dementsprechend sei zu Unrecht eine Leistungsgewährung für die Zeit vom 03.09.2001 bis 24.09.2001 abgelehnt worden. Der Antrag der Klägerin auf unmittelbare Leistungsgewährung auch für das erste Lebensjahr des Kindes wurde abgelehnt. Hinsichtlich des ersten Lebensjahres wurde der Beklagte verurteilt, eine Entscheidung über den Anspruch der Klägerin zu treffen.

Gegen das am 15.04.2004 zugestellte Urteil des SG hat der Beklagte am 28.04.2004 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er macht im wesentlichen geltend, dass die Vorschrift des § 24 BErzGG anzuwenden ist. Dies führe dazu, dass die Klägerin keinen Anspruch habe, da § 1 Abs.6 Satz 4 BErzGG n.F. für sie nicht gelte. Auch verfassungsrechtliche Bedenken bestünden gegen die Anwendung des § 24 BErzGG nicht. Gleichzeitig hat sich der Beklagte bereit erklärt, über den Zeitraum aus dem ersten Lebensjahr des Kindes zu entscheiden (03.12.2000 bis 02.09.2001). Die Berufungsbeklagte macht geltend, dass sie immer einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis gehabt habe. Lediglich durch den Diebstahl der Geldbörse mit ihrem Reisepass habe sich die Aufenthaltsgenehmigung verzögert. Am 22.07.2003 habe sie die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen.

Der Beklagte hat mit Bescheid vom 16.05.2007 für die Zeit vom 03.12.2000 bis 02.03.2001 und 03.03.2001 bis 02.12.2001 vorläufig Leistungen gewährt.

Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004, 1 BvL 4/97, hat der Beklagte den Anspruch der Klägerin erneut geprüft. Da der Gesetzgeber bis zum 01.01.2006 keine gesetzliche Neuregelung abschließen konnte, sei nach der Entscheidung des BVerfG vom 06.07.2004 das bis zum 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden. Danach sei für den Anspruch eines Ausländers Voraussetzung, dass er "im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis" ist. Die Klägerin habe jedoch nur über eine Bescheinigung nach § 69 Abs.3 Ausländergesetz verfügt, so dass auch nach § 1 Abs.1 Satz 2 BErzGG a.F. kein Anspruch gegeben sei. Hierauf erfolgte keine Äußerung der Klägerin.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.02.2004 unter Ziffer I. aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung des Beklagten und Berufungsklägers zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Akte des Beklagten Bezug genommen, insbesondere auf die prozessuale Korrespondenz der Beteiligten sowie die Niederschrift der Senatssitzung vom 20.03.2008.

Entscheidungsgründe:

Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gem. § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Berufung des Beklagten ist in der Sache begründet. Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin entscheiden, da diese in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung nach § 126 SGG hingewiesen wurde (§ 110 Abs.1 Satz 2 i.V.m. § 153 SGG).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bundeserziehungsgeld für den Zeitraum 03.09.2001 bis 24.09.2001. Entgegen der Rechtsauffassung des SG ist hier nicht die Rechtslage für Geburten ab 01.01.2001 zu berücksichtigen. Nach § 1 Abs.6 Satz 4 BErzGG in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des BErzGG vom 01.12.2000 (BGBl I 1426) - BErzGG n.F. -, wird im Falle der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis Erziehungsgeld rückwirkend bewilligt, wenn der Aufenthalt nach § 69 Abs.3 Ausländergesetz als erlaubt gegolten hat. Gemäß § 24 Abs.1 des Gesetzes sind die Vorschriften dieses Gesetzes in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung weiter anzuwenden für Kinder, die vor dem 01. Januar 2001 geboren sind. Da die Tochter der Klägerin 2000 geboren ist, ist die neue Gesetzeslage nicht anwendbar.

Es bleibt vielmehr bei der alten Regelung, nach der für den Anspruch eines Ausländers Voraussetzung ist, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis ist (§ 1 Abs.1 BErzGG in der Fassung vom 21.01.1992). Das Bundesverfassungsgericht hat am 06.07.2004 entschieden (Az.: 1 BvL 4/97), dass das bis zum 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden ist.

Der Senat vertritt weiter die Auffassung, dass das Urteil des BSG vom 11.12.2003, B 10 EG 4/02 R, zu keiner anderen Rechtsauffassung führt. Strittig war in diesem Fall, ob die Neufassung des § 1 Abs.7 Satz 2 BErzGG im Wege der Auslegung bereits für Geburten vor dem 01.01.2001 angewendet werden kann, obwohl nach § 24 BErzGG n.F. für die vor dem 01.01.2001 geborenen Kinder die Vorschriften des BErzGG in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung weiter anzuwenden sind. In der genannten Entscheidung des BSG wurde dies ausnahmsweise für zulässig angesehen, da die Gesetzesänderung im Rahmen des § 1 Abs.7 Satz 2 BErzGG nur eine Klarstellung der Rechtslage darstellt.

§ 1 Abs.6 Satz 4 BErzGG n.F. stellt jedoch nicht nur eine redaktionelle Klarstellung im Vergleich zu § 1 Abs.1a BErzGG a.F. dar, sondern bringt einen weitergehenden materiellen Anspruch. Ebenso enthält § 1 BErzGG a.F. keine Regelungslücke (BSG Urteil vom 02.10.1997, B 14 R EG 1/97). Der Fall, dass auf eine Aufenthaltserlaubnis die beantragte nächste Aufenthaltserlaubnis nicht nahtlos folgt, sondern sich eine zeitliche Lücke ergibt, kommt ebenso wie bei anderen Formen der Aufenthaltsgenehmigung in der Praxis der Ausländerbehörden nicht selten vor. Es kann daher nicht angenommen werden, dass dieser Umstand beim Gesetzgebungsverfahren außer Acht geblieben ist. Aus den Gesetzesmaterialien lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass dem Gesetzgeber die ausländerrechtliche Praxis nicht geläufig gewesen wäre. Vielmehr sollten durch die Gesetzesänderung für Geburten ab 01.01.2001 zukünftig Härtefälle vermieden und der Anspruch erweitert werden.

Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung des § 24 BErzGG. Der Gesetzgeber war nicht daran gehindert, die Gesetzesänderung in der gewählten Form vorzunehmen. Die Nutzung eines Stichtages zur Festlegung unterschiedlicher Sozialleistungen verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG.

Gegen den ausdrücklichen Gesetzeswortlaut kann nicht das neue Recht angewendet werden. Dass der Klägerin rein materiell ein Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung zugestanden hat, ändert daran nichts. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen zum Aufenthaltsstatus sind nicht vom Beklagten zu prüfen, sondern von der Ausländerbehörde. Die Klägerin hat unverschuldet eine Lücke in ihrem Aufenthaltsstatus. Dies kann jedoch nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers abgeändert werden.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Regelungen der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang hat der Beklagte 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten, da die Klägerin hinsichtlich einer Neuverbescheidung für das erste Lebensjahr obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich. Das anstehende Urteil wirft eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art nicht auf, es weicht auch von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts nicht ab.
Rechtskraft
Aus
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