Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 40 AL 1896/00 u.a.
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 421/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.10.2005 in den Ziffern I. - III. sowie die Bescheide der Beklagten vom 10.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2000 werden aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Klägerin zur Rückzahlung des Betrages von 2.974,27 Euro nicht verpflichtet ist.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld sowie die Erstattung von 2.974,27 EUR.
Die 1973 geborene Klägerin war vom 02.03.1998 bis 30.09.1999 bei der T. Kunststofftechnologie GmbH als Montiererin beschäftigt. Laut Arbeitsbescheinigung hat sie von Oktober 1998 bis September 1999 ein versicherungspflichtiges monatliches Bruttoarbeitsentgelt in wechselnder Höhe zwischen 2.856,07 DM und 4.169,94 DM, durchschnittlich 3.658,81 DM, bezogen.
Am 10.09.1999 meldete sie sich arbeitslos und stellte Antrag auf Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 28.10.1999 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab dem 01.10.1999 nach einem Bemessungsentgelt von 1.420,00 DM in Höhe von 602,00 DM wöchentlich nach der Leistungsgruppe C. Nach Anpassung an die Leistungsverordnung 2000 betrug das Arbeitslosengeld ab 01.01.2000 617,26 DM wöchentlich. Im April 2000 erzielte die Klägerin ein Erwerbseinkommen. Daraufhin wurde das Arbeitslosengeld neu berechnet zu Feststellung des Anrechnungsbetrages.
Die Beklagte stellte fest, dass sie bei der Leistungsbewilligung nicht das rechnerisch richtige Bemessungsentgelt von 840,00 DM wöchentlich zugrunde gelegt hatte. Die Klägerin habe vom 01.10.1999 bis 31.05.2000 Arbeitslosengeld in Höhe von 6.446,80 DM zu Unrecht bezogen. Sie habe diese Überzahlung zwar nicht verursacht, sie hätte jedoch erkennen können, dass die Voraussetzungen für die Leistung in dieser Höhe nicht vorlagen. Es wurde auf das Merkblatt für Arbeitslose verwiesen. Dessen Empfang habe die Klägerin unterschriftlich bestätigt. Sie wurde dazu gehört.
Die Klägerin wandte am 27.06.2000 schriftlich ein, dass sie zum ersten Mal Arbeitslosengeld beziehe. Sie sei mehrmals bei der Behörde gewesen. Am 28.10.1999 sei über einen Steuerklassenwechsel gesprochen worden. Hierbei seien die Verdienstbescheinigungen eingesehen worden. Hätte sie weniger Arbeitslosengeld bekommen, hätte sie die Lohnsteuerklasse wechseln können, so dass ihr Ehemann die Klasse III bekommen hätte und somit auch ein wesentlich höheres Nettoentgelt. Bei einem niedrigeren Bezug von Arbeitslosengeld hätte sie Anspruch auf Sozialhilfe ge-habt. Sie sehe keinerlei Rechtfertigung, den geforderten Betrag an die Beklagte zurückzuzahlen.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 10.07.2000 wurde die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 01.10.1999 teilweise in Höhe von 179,76 DM wöchentlich aufgehoben. Es sei ein unrichtiges Bemessungsentgelt bewilligt worden. Dieses sei jedoch so hoch gewesen, dass die Klägerin hätte erkennen können, dass dies nicht richtig sein könne, weil das ausbezahlte Arbeitslosengeld höher war, als der erzielte Nettoverdienst. Die Aufhebung der Entscheidung sei den Umständen nach auch für die Vergangenheit vorzunehmen. Für die von der Aufhebung betroffene Zeit habe die Klägerin 2.362,56 DM ohne Rechtsanspruch erhalten. Dieser Betrag sei zu erstatten.
Mit Bescheid vom gleichen Datum wurde ab 01.01.2000 die Bewilligung von Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 188,09 DM aufgehoben und mit Bescheid vom 19.07.2000 wurde das Arbeitslosengeld ab 01.10.1999 auf wöchentlich 422,24 DM auf der Berechnungsgrundlage eines Bemessungsentgelts von wöchentlich 840,00 DM festgesetzt; ab 01.01.2000 betrage das wöchentliche Arbeitslosengeld 429,17 DM.
Hiergegen legte die Klägerin am 26.07.2000 Widerspruch ein. Die Bezüge hätten unter ihrem bisherigen Nettoverdienst gelegen, deshalb sei es ihr nicht möglich gewesen zu erkennen, dass diese zu hoch waren. Sie könne nicht für einen Berechnungsfehler der Beklagten zur Verantwortung gezogen werden. Sie sei zur Kooperation bereit, aber nicht auf die Art und Weise, die vorgeschlagen wurde. Es sei unter keinen Umständen möglich, den geforderten Gesamtbetrag zu überweisen. Des Weiteren sei sie mit der Höhe des geforderten Betrages nicht einverstanden, da sie bei richtiger Berechnung Anspruch auf Sozialhilfe gehabt hätte. Auch hätte ihr Ehemann die Lohnsteuerklasse III in Anspruch nehmen können, was ein höheres Nettoentgelt und somit auch ein besseres Auskommen der Familie zur Folge gehabt hätte.
Die Beklagte wies darauf hin, dass im Allgemeinen in der Bevölkerung bekannt sei, dass das als Lohnersatzleistung gezahlte Arbeitslosengeld im Regelfall ca. ein Drittel niedriger ausfalle, als das zuletzt erzielte Nettoarbeitsentgelt. Durch eine einfache Plausiblitätsprüfung der Höhe des bewilligten Arbeitslosengeldes hätte die Klägerin erkennen können, dass die Höhe des bewilligten Arbeitslosengelds nicht stimmen könne. Auch das Merkblatt Nr.1 für Arbeitslose enthalte Hinweise, wie im Normalfall die Bemessung des Arbeitslosengeldes durchgeführt werde.
Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht. Sie habe aufgrund des Merkblattes ihr Arbeitslosengeld nicht überprüfen können. Aufgrund des Berechnungsfehlers sei ihr Antrag auf Wohngeld vom Wohnungsamt M. abgelehnt worden. Auch habe sie durch die gewählte Steuerklasse einen Verlust erlitten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei einem wöchentlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 1.420,00 DM hätte der Bruttoverdienst 6.153,00 DM betragen müssen. Die Klägerin habe im Bemessungszeitraum ein durchschnittliches Arbeitsentgelt in Höhe von 3.640,00 DM erzielt. Sie könne sich nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, da sie durch eine einfache Plausibilitätsprüfung hätte erkennen können, dass ihr das mit Bescheid vom 28.10.1999 bewilligte Arbeitslosengeld der Höhe nach nicht zustehe.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 27.12.2000 Klage beim Sozialgericht München erhoben. Es sei ihr nicht möglich gewesen festzustellen, ob der Betrag richtig berechnet worden war. Sie habe sich von ihrem Sachbearbeiter über die Wahl der Steuerklasse beraten lassen. Dabei seien ihre Verdienstbescheinigungen stets eingesehen worden. Das durchschnittliche Nettoarbeitsentgelt habe ca. 2.870,00 bei 3.858,00 DM brutto betragen, das Arbeitslosengeld 2.550,00 DM. Warum einem Laien hierbei klar sein sollte, dass dies nicht richtig sei, sei nicht nachvollziehbar.
In der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2005 vor dem SG hat der Beklagtenvertreter das Bemessungsentgelt ab dem 01.10.1999 erneut berichtigt. Es ist mit 930,00 DM festgesetzt worden. Nach der Leistungstabelle für das Jahr 2000 ergebe sich für die streitige Dauer des Leistungsbezugs von 35 Wochen eine Reduzierung des Erstattungsbetrags auf 2.974,27 EUR. Das Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen.
Sie hat die Klage im Übrigen aufrecht erhalten, worauf die Klage durch Urteil abgewiesen worden ist und der Klägerin Verschuldenskosten in Höhe von 200,00 EUR auferlegt worden sind. Die Klägerin habe kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Leistungsbewilligung, weil sie die Rechtswidrigkeit kannte oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannte. Es liege grobe Fahrlässigkeit vor, da sich die Fehlerhaftigkeit bei Anwendung einfachster, jedermann zugänglicher Überlegungen auf-dränge. Da sich die Klägerin über die steuerlichen und leistungsrechtlichen Auswirkungen eines Steuerklassenwechsels beraten ließ, habe sie sich mit der Höhe des Familieneinkommens auseinandergesetzt. Auch ohne Kenntnis der gesetzlichen Be-stimmungen habe sie unschwer Kenntnis davon erlangen und abschätzen können, dass sich ihr Nettoeinkommen um ca. ein Drittel vermindern würde. Die Rechtswidrigkeit sei augenfällig. Es sei nicht ausreichend gewesen, dass sie sich über die Folgen eines Steuerklassenwechsels beraten ließ, denn dabei war nur der sich aus einer anderen Leistungsgruppe ergebende andere Leistungssatz aus der Leistungstabelle zu entnehmen, aber keine erneute Prüfung des Bemessungsentgelts vorzunehmen. Die Verschuldenskosten seien fällig, da die Klage trotz Aussichtslosigkeit und Anerkenntnis aufrecht erhalten worden ist.
Gegen das am 03.11.2005 zugestellte Urteil des SG legt die Klägerin am 10.11.2005 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht ein. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass grobe Fahrlässigkeit nicht vorgelegen habe, geschweige denn eine mutwillige Rechtsverfolgung. Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bewilligung von Leistungen sei dem Mitarbeiter des Arbeitsamtes von der Klägerin mitgeteilt worden, dass sie beabsichtige, die Lohnsteuerklasse zu wechseln. Dies, damit ihr Mann dann höhere Leistungen erhalte. Daraufhin habe der Mitarbeiter des Arbeitsamtes konkret nach den Einkünften des Ehemanns gefragt, hierbei insbesondere nach der Vergütung der Klägerin in der Tabelle nachgesehen. Er habe dann die Leistungen der Klägerin detailliert ausgerechnet und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass, wenn sie den beabsichtigten Lohnsteuerklassenwechsel vornehme, sie nach seiner Berechnung ca. 30 bis 40 % weniger Leistungen erhalten würde und sie deshalb auf jeden Fall nicht die Steuerklasse wechseln sollte, auch wenn der Mann dann im Ergebnis 20 % mehr erhalte. Des Weiteren habe die Klägerin immer nur Monatsvergütungen erhalten, für die Beurteilung der Leistungen waren auch Bescheinigungen der vorausgehenden insgesamt sieben Jahre vorgelegt worden. Eine genaue Kenntnis davon, woraus sich genau nun das Bemessungsentgelt ergebe, habe die Klägerin gehabt.
Die Beklagte hat nochmals darauf hingewisen, dass das Arbeitslosengeld augenfällig zu hoch gewesen sei. Es bestehe eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 21.10.2005 werden die Bescheide vom 10.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2000 aufgehoben. Ferner beantragt sie, die Verschuldenskosten aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.10.2005 zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Beklagte konnte den Bewilligungsbescheid nicht gemäß § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 SGB X für die Vergangenheit aufheben.
Der Bewilligungsbescheid war zwar objektiv rechtswidrig, da das Bemessungsentgelt unstreitig zu hoch festgesetzt worden war. Die Höhe des zugrunde zu legenden Bemessungsentgelts wurde im Rahmen eines Teilanerkenntnisses im ersten Rechtszug rechtsverbindlich geregelt. Es fehlt jedoch an der "groben Fahrlässigkeit" i.S.v. § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X.
Gemäß § 330 Abs.2 SGB III ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X vorliegen. Gemäß § 45 Abs.2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen unter bestimmten Voraussetzungen nicht berufen. Hier kommt nur die Nr.3 in Betracht. Danach kann sich auf Vertrauen nicht berufen, wer die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Bezugspunkt der Kenntnis oder des Kennen-Müssens ist die "Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes". Sie liegt vor, soweit der Begünstigte weiss oder wissen muss, dass die ihn begünstigende Regelung vom geltenden Recht nicht gedeckt ist. Grundlage dieser Kenntnis ist danach der Verwaltungsakt mit seinem gegebenenfalls zu überprüfenden Verfügungssatz und dessen Unvereinbarkeit mit der Rechtslage. Zunächst ohne Bedeutung ist das Wissen um fehlerhafte Sachverhaltsannahmen. Solches Wissen wird erst relevant, wenn daraus der Schluss auf die Rechtswidrigkeit der Begünstigung gezogen wird oder zu ziehen gewesen wäre. Entscheidend ist danach die Abschätzung nicht der dem Verwaltungsakt zugrunde gelegten Tatsachen, sondern seiner Rechtsfolgen. Dafür genügt eine Parallelwertung in der Laiensphäre. Auf dieser Ebene besteht die erforderliche Kenntnis, wenn der Begünstigte weiß oder wissen muss, dass ihm die zuerkannte Leistung oder anderweitige Begünstigung so nicht zusteht (vgl. Schütze in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, § 45, Rdnr.55).
Aktives Wissen in diesem Sinne hat, wer die Unbegründetheit der zuerkannten Begünstigung positiv erkannt hat. Dies liegt bei der Klägerin nach einhelliger Ansicht aller nicht vor.
Wissen müssen ist dem zuzuschreiben, der die Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Sie liegt nach der Legaldefinition des Abs.2 Satz 3 Nr.3 Halbsatz 2 vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend ist dafür ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat danach verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), Urteil vom 31.08.1976 BSGE 42, 184). Das misst sich zunächst nach den Sorgfaltsanforderungen, die dem Begünstigten eines möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach seiner Pflichtenstellung im Sozialrechtsverhältnis (Kennen-"Müssen") bei dessen Überprüfung gestellt sind.
Das BSG hat mit Urteil vom 08.02.2001 SozR 3-1300 § 45 Nr.45 = SGb 2001, 381 entschieden, dass zwar eine Obliegenheit besteht, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. In verschiedenen Zusammenhängen hat das BSG aus dem Sozialrechtsverhältnis hergeleitet, dass die Beteiligten "sich gegenseitig vor vormeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren" haben. In die gleiche Richtung deutet die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Allerdings dürfte ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörden, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen und dies Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen. Eine Bescheidbegründung, die den zugrundegelegten Sachverhalt wieder gibt, macht im Übrigen gegebenenfalls auch die mit einer bestimmten Rechtsmaterie nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam, dass der Bewilligungsbescheid nicht in Ordnung ist, z.B. weil der zugrundegelegte Sachverhalt nicht dem angegebenen und wahren entspricht. Letztlich liegt es jedoch - wie stets bei der Würdigung eines Verhaltens als grobe Fahrlässigkeit - auf tatsächlichem Gebiet, in wieweit der Begünstigte Bewilligungsbescheide zum Anlass für Richtigkeitsüberlegungen und Vorstellungen oder Hinweise gegenüber der Behörde zu nehmen hat.
In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass die Klägerin nur die Zahlbeträge der Bewilligungsbescheide zur Kenntnis genommen hat. Die Klägerin, nach wie vor der deutschen Sprache nicht in vollen Umfang mächtig, erkannte nicht die fehlerhafte Zuordnung von Tatsachen zu gesetzlichen Merkmalen. Das Bemessungsentgelt wird durch komplizierte Berechnungen festgestellt. Von einer groben Fahrlässigkeit könnte deshalb nur ausgegangen werden, wenn diese Berechnungen durch einen erklärenden Langtext hinreichend verständlich sind. Im Bescheid selbst wird die Berechnung des Bemessungentgelts nicht fallbezogen dargestellt. Die Beklagte verweist insoweit auf ihr Merkblatt. Der Klägerin, die die fehlerhafte Berechnung nicht aus der Bescheidbegründung erkennen kann, wäre daher grobe Fahrlässigkeit nur vorzuwerfen, wenn der Fehler bei ihren subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu "in die Augen springt". Davon könnte nach der Entscheidung des BSG nur auszugehen sein, wenn die bewilligte Lohnersatzleistung beispielsweise offensichtlich außer Verhältnis zu dem zugrundeliegenden Arbeitsentgelt stände. Da der Zahlbetrag von Arbeitslosengeld immer noch unter dem durchschnittlichen Monatsnettoeinkommen lag, war die Rechtswidrigkeit des Zahlbetrages nicht so offensichtlich, dass sie der Klägerin, die keine Erfahrung mit dem Bezug von Arbeitslosengeld hatte, ins Auge springen musste.
Darüber hinaus hat sich die Klägerin während des Bezugs von Arbeitslosengeld bei der Beklagten über einen Steuerklassenwechsel beraten lassen. Sie sah wohl deshalb auch keinen Anlass, das Bemessungsentgelt selbst nachzurechnen.
Die Voraussetzungen des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sind nicht erfüllt. Die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Vergangenheit erfolgte zu Unrecht.
Im Übrigen hatte sich die Beklagte selbst nochmals in der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug hinsichtlich der Berechnung des Bemessungsentgelts berichtigen müssen. Von einem ins Auge springenden Fehler kann auch deshalb nicht die Rede sein.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang hat die Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu übernehmen. Da die Berufung der Klägerin erfolgreich war, waren auch die im ersten Rechtszug verhängten Verschuldenskosten aufzuheben.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Es wird festgestellt, dass die Klägerin zur Rückzahlung des Betrages von 2.974,27 Euro nicht verpflichtet ist.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld sowie die Erstattung von 2.974,27 EUR.
Die 1973 geborene Klägerin war vom 02.03.1998 bis 30.09.1999 bei der T. Kunststofftechnologie GmbH als Montiererin beschäftigt. Laut Arbeitsbescheinigung hat sie von Oktober 1998 bis September 1999 ein versicherungspflichtiges monatliches Bruttoarbeitsentgelt in wechselnder Höhe zwischen 2.856,07 DM und 4.169,94 DM, durchschnittlich 3.658,81 DM, bezogen.
Am 10.09.1999 meldete sie sich arbeitslos und stellte Antrag auf Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 28.10.1999 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab dem 01.10.1999 nach einem Bemessungsentgelt von 1.420,00 DM in Höhe von 602,00 DM wöchentlich nach der Leistungsgruppe C. Nach Anpassung an die Leistungsverordnung 2000 betrug das Arbeitslosengeld ab 01.01.2000 617,26 DM wöchentlich. Im April 2000 erzielte die Klägerin ein Erwerbseinkommen. Daraufhin wurde das Arbeitslosengeld neu berechnet zu Feststellung des Anrechnungsbetrages.
Die Beklagte stellte fest, dass sie bei der Leistungsbewilligung nicht das rechnerisch richtige Bemessungsentgelt von 840,00 DM wöchentlich zugrunde gelegt hatte. Die Klägerin habe vom 01.10.1999 bis 31.05.2000 Arbeitslosengeld in Höhe von 6.446,80 DM zu Unrecht bezogen. Sie habe diese Überzahlung zwar nicht verursacht, sie hätte jedoch erkennen können, dass die Voraussetzungen für die Leistung in dieser Höhe nicht vorlagen. Es wurde auf das Merkblatt für Arbeitslose verwiesen. Dessen Empfang habe die Klägerin unterschriftlich bestätigt. Sie wurde dazu gehört.
Die Klägerin wandte am 27.06.2000 schriftlich ein, dass sie zum ersten Mal Arbeitslosengeld beziehe. Sie sei mehrmals bei der Behörde gewesen. Am 28.10.1999 sei über einen Steuerklassenwechsel gesprochen worden. Hierbei seien die Verdienstbescheinigungen eingesehen worden. Hätte sie weniger Arbeitslosengeld bekommen, hätte sie die Lohnsteuerklasse wechseln können, so dass ihr Ehemann die Klasse III bekommen hätte und somit auch ein wesentlich höheres Nettoentgelt. Bei einem niedrigeren Bezug von Arbeitslosengeld hätte sie Anspruch auf Sozialhilfe ge-habt. Sie sehe keinerlei Rechtfertigung, den geforderten Betrag an die Beklagte zurückzuzahlen.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 10.07.2000 wurde die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 01.10.1999 teilweise in Höhe von 179,76 DM wöchentlich aufgehoben. Es sei ein unrichtiges Bemessungsentgelt bewilligt worden. Dieses sei jedoch so hoch gewesen, dass die Klägerin hätte erkennen können, dass dies nicht richtig sein könne, weil das ausbezahlte Arbeitslosengeld höher war, als der erzielte Nettoverdienst. Die Aufhebung der Entscheidung sei den Umständen nach auch für die Vergangenheit vorzunehmen. Für die von der Aufhebung betroffene Zeit habe die Klägerin 2.362,56 DM ohne Rechtsanspruch erhalten. Dieser Betrag sei zu erstatten.
Mit Bescheid vom gleichen Datum wurde ab 01.01.2000 die Bewilligung von Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 188,09 DM aufgehoben und mit Bescheid vom 19.07.2000 wurde das Arbeitslosengeld ab 01.10.1999 auf wöchentlich 422,24 DM auf der Berechnungsgrundlage eines Bemessungsentgelts von wöchentlich 840,00 DM festgesetzt; ab 01.01.2000 betrage das wöchentliche Arbeitslosengeld 429,17 DM.
Hiergegen legte die Klägerin am 26.07.2000 Widerspruch ein. Die Bezüge hätten unter ihrem bisherigen Nettoverdienst gelegen, deshalb sei es ihr nicht möglich gewesen zu erkennen, dass diese zu hoch waren. Sie könne nicht für einen Berechnungsfehler der Beklagten zur Verantwortung gezogen werden. Sie sei zur Kooperation bereit, aber nicht auf die Art und Weise, die vorgeschlagen wurde. Es sei unter keinen Umständen möglich, den geforderten Gesamtbetrag zu überweisen. Des Weiteren sei sie mit der Höhe des geforderten Betrages nicht einverstanden, da sie bei richtiger Berechnung Anspruch auf Sozialhilfe gehabt hätte. Auch hätte ihr Ehemann die Lohnsteuerklasse III in Anspruch nehmen können, was ein höheres Nettoentgelt und somit auch ein besseres Auskommen der Familie zur Folge gehabt hätte.
Die Beklagte wies darauf hin, dass im Allgemeinen in der Bevölkerung bekannt sei, dass das als Lohnersatzleistung gezahlte Arbeitslosengeld im Regelfall ca. ein Drittel niedriger ausfalle, als das zuletzt erzielte Nettoarbeitsentgelt. Durch eine einfache Plausiblitätsprüfung der Höhe des bewilligten Arbeitslosengeldes hätte die Klägerin erkennen können, dass die Höhe des bewilligten Arbeitslosengelds nicht stimmen könne. Auch das Merkblatt Nr.1 für Arbeitslose enthalte Hinweise, wie im Normalfall die Bemessung des Arbeitslosengeldes durchgeführt werde.
Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht. Sie habe aufgrund des Merkblattes ihr Arbeitslosengeld nicht überprüfen können. Aufgrund des Berechnungsfehlers sei ihr Antrag auf Wohngeld vom Wohnungsamt M. abgelehnt worden. Auch habe sie durch die gewählte Steuerklasse einen Verlust erlitten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei einem wöchentlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 1.420,00 DM hätte der Bruttoverdienst 6.153,00 DM betragen müssen. Die Klägerin habe im Bemessungszeitraum ein durchschnittliches Arbeitsentgelt in Höhe von 3.640,00 DM erzielt. Sie könne sich nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, da sie durch eine einfache Plausibilitätsprüfung hätte erkennen können, dass ihr das mit Bescheid vom 28.10.1999 bewilligte Arbeitslosengeld der Höhe nach nicht zustehe.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 27.12.2000 Klage beim Sozialgericht München erhoben. Es sei ihr nicht möglich gewesen festzustellen, ob der Betrag richtig berechnet worden war. Sie habe sich von ihrem Sachbearbeiter über die Wahl der Steuerklasse beraten lassen. Dabei seien ihre Verdienstbescheinigungen stets eingesehen worden. Das durchschnittliche Nettoarbeitsentgelt habe ca. 2.870,00 bei 3.858,00 DM brutto betragen, das Arbeitslosengeld 2.550,00 DM. Warum einem Laien hierbei klar sein sollte, dass dies nicht richtig sei, sei nicht nachvollziehbar.
In der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2005 vor dem SG hat der Beklagtenvertreter das Bemessungsentgelt ab dem 01.10.1999 erneut berichtigt. Es ist mit 930,00 DM festgesetzt worden. Nach der Leistungstabelle für das Jahr 2000 ergebe sich für die streitige Dauer des Leistungsbezugs von 35 Wochen eine Reduzierung des Erstattungsbetrags auf 2.974,27 EUR. Das Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen.
Sie hat die Klage im Übrigen aufrecht erhalten, worauf die Klage durch Urteil abgewiesen worden ist und der Klägerin Verschuldenskosten in Höhe von 200,00 EUR auferlegt worden sind. Die Klägerin habe kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Leistungsbewilligung, weil sie die Rechtswidrigkeit kannte oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannte. Es liege grobe Fahrlässigkeit vor, da sich die Fehlerhaftigkeit bei Anwendung einfachster, jedermann zugänglicher Überlegungen auf-dränge. Da sich die Klägerin über die steuerlichen und leistungsrechtlichen Auswirkungen eines Steuerklassenwechsels beraten ließ, habe sie sich mit der Höhe des Familieneinkommens auseinandergesetzt. Auch ohne Kenntnis der gesetzlichen Be-stimmungen habe sie unschwer Kenntnis davon erlangen und abschätzen können, dass sich ihr Nettoeinkommen um ca. ein Drittel vermindern würde. Die Rechtswidrigkeit sei augenfällig. Es sei nicht ausreichend gewesen, dass sie sich über die Folgen eines Steuerklassenwechsels beraten ließ, denn dabei war nur der sich aus einer anderen Leistungsgruppe ergebende andere Leistungssatz aus der Leistungstabelle zu entnehmen, aber keine erneute Prüfung des Bemessungsentgelts vorzunehmen. Die Verschuldenskosten seien fällig, da die Klage trotz Aussichtslosigkeit und Anerkenntnis aufrecht erhalten worden ist.
Gegen das am 03.11.2005 zugestellte Urteil des SG legt die Klägerin am 10.11.2005 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht ein. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass grobe Fahrlässigkeit nicht vorgelegen habe, geschweige denn eine mutwillige Rechtsverfolgung. Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bewilligung von Leistungen sei dem Mitarbeiter des Arbeitsamtes von der Klägerin mitgeteilt worden, dass sie beabsichtige, die Lohnsteuerklasse zu wechseln. Dies, damit ihr Mann dann höhere Leistungen erhalte. Daraufhin habe der Mitarbeiter des Arbeitsamtes konkret nach den Einkünften des Ehemanns gefragt, hierbei insbesondere nach der Vergütung der Klägerin in der Tabelle nachgesehen. Er habe dann die Leistungen der Klägerin detailliert ausgerechnet und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass, wenn sie den beabsichtigten Lohnsteuerklassenwechsel vornehme, sie nach seiner Berechnung ca. 30 bis 40 % weniger Leistungen erhalten würde und sie deshalb auf jeden Fall nicht die Steuerklasse wechseln sollte, auch wenn der Mann dann im Ergebnis 20 % mehr erhalte. Des Weiteren habe die Klägerin immer nur Monatsvergütungen erhalten, für die Beurteilung der Leistungen waren auch Bescheinigungen der vorausgehenden insgesamt sieben Jahre vorgelegt worden. Eine genaue Kenntnis davon, woraus sich genau nun das Bemessungsentgelt ergebe, habe die Klägerin gehabt.
Die Beklagte hat nochmals darauf hingewisen, dass das Arbeitslosengeld augenfällig zu hoch gewesen sei. Es bestehe eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 21.10.2005 werden die Bescheide vom 10.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2000 aufgehoben. Ferner beantragt sie, die Verschuldenskosten aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.10.2005 zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Beklagte konnte den Bewilligungsbescheid nicht gemäß § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 SGB X für die Vergangenheit aufheben.
Der Bewilligungsbescheid war zwar objektiv rechtswidrig, da das Bemessungsentgelt unstreitig zu hoch festgesetzt worden war. Die Höhe des zugrunde zu legenden Bemessungsentgelts wurde im Rahmen eines Teilanerkenntnisses im ersten Rechtszug rechtsverbindlich geregelt. Es fehlt jedoch an der "groben Fahrlässigkeit" i.S.v. § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X.
Gemäß § 330 Abs.2 SGB III ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X vorliegen. Gemäß § 45 Abs.2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen unter bestimmten Voraussetzungen nicht berufen. Hier kommt nur die Nr.3 in Betracht. Danach kann sich auf Vertrauen nicht berufen, wer die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Bezugspunkt der Kenntnis oder des Kennen-Müssens ist die "Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes". Sie liegt vor, soweit der Begünstigte weiss oder wissen muss, dass die ihn begünstigende Regelung vom geltenden Recht nicht gedeckt ist. Grundlage dieser Kenntnis ist danach der Verwaltungsakt mit seinem gegebenenfalls zu überprüfenden Verfügungssatz und dessen Unvereinbarkeit mit der Rechtslage. Zunächst ohne Bedeutung ist das Wissen um fehlerhafte Sachverhaltsannahmen. Solches Wissen wird erst relevant, wenn daraus der Schluss auf die Rechtswidrigkeit der Begünstigung gezogen wird oder zu ziehen gewesen wäre. Entscheidend ist danach die Abschätzung nicht der dem Verwaltungsakt zugrunde gelegten Tatsachen, sondern seiner Rechtsfolgen. Dafür genügt eine Parallelwertung in der Laiensphäre. Auf dieser Ebene besteht die erforderliche Kenntnis, wenn der Begünstigte weiß oder wissen muss, dass ihm die zuerkannte Leistung oder anderweitige Begünstigung so nicht zusteht (vgl. Schütze in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, § 45, Rdnr.55).
Aktives Wissen in diesem Sinne hat, wer die Unbegründetheit der zuerkannten Begünstigung positiv erkannt hat. Dies liegt bei der Klägerin nach einhelliger Ansicht aller nicht vor.
Wissen müssen ist dem zuzuschreiben, der die Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Sie liegt nach der Legaldefinition des Abs.2 Satz 3 Nr.3 Halbsatz 2 vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend ist dafür ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat danach verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), Urteil vom 31.08.1976 BSGE 42, 184). Das misst sich zunächst nach den Sorgfaltsanforderungen, die dem Begünstigten eines möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach seiner Pflichtenstellung im Sozialrechtsverhältnis (Kennen-"Müssen") bei dessen Überprüfung gestellt sind.
Das BSG hat mit Urteil vom 08.02.2001 SozR 3-1300 § 45 Nr.45 = SGb 2001, 381 entschieden, dass zwar eine Obliegenheit besteht, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. In verschiedenen Zusammenhängen hat das BSG aus dem Sozialrechtsverhältnis hergeleitet, dass die Beteiligten "sich gegenseitig vor vormeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren" haben. In die gleiche Richtung deutet die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Allerdings dürfte ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörden, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen und dies Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen. Eine Bescheidbegründung, die den zugrundegelegten Sachverhalt wieder gibt, macht im Übrigen gegebenenfalls auch die mit einer bestimmten Rechtsmaterie nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam, dass der Bewilligungsbescheid nicht in Ordnung ist, z.B. weil der zugrundegelegte Sachverhalt nicht dem angegebenen und wahren entspricht. Letztlich liegt es jedoch - wie stets bei der Würdigung eines Verhaltens als grobe Fahrlässigkeit - auf tatsächlichem Gebiet, in wieweit der Begünstigte Bewilligungsbescheide zum Anlass für Richtigkeitsüberlegungen und Vorstellungen oder Hinweise gegenüber der Behörde zu nehmen hat.
In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass die Klägerin nur die Zahlbeträge der Bewilligungsbescheide zur Kenntnis genommen hat. Die Klägerin, nach wie vor der deutschen Sprache nicht in vollen Umfang mächtig, erkannte nicht die fehlerhafte Zuordnung von Tatsachen zu gesetzlichen Merkmalen. Das Bemessungsentgelt wird durch komplizierte Berechnungen festgestellt. Von einer groben Fahrlässigkeit könnte deshalb nur ausgegangen werden, wenn diese Berechnungen durch einen erklärenden Langtext hinreichend verständlich sind. Im Bescheid selbst wird die Berechnung des Bemessungentgelts nicht fallbezogen dargestellt. Die Beklagte verweist insoweit auf ihr Merkblatt. Der Klägerin, die die fehlerhafte Berechnung nicht aus der Bescheidbegründung erkennen kann, wäre daher grobe Fahrlässigkeit nur vorzuwerfen, wenn der Fehler bei ihren subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu "in die Augen springt". Davon könnte nach der Entscheidung des BSG nur auszugehen sein, wenn die bewilligte Lohnersatzleistung beispielsweise offensichtlich außer Verhältnis zu dem zugrundeliegenden Arbeitsentgelt stände. Da der Zahlbetrag von Arbeitslosengeld immer noch unter dem durchschnittlichen Monatsnettoeinkommen lag, war die Rechtswidrigkeit des Zahlbetrages nicht so offensichtlich, dass sie der Klägerin, die keine Erfahrung mit dem Bezug von Arbeitslosengeld hatte, ins Auge springen musste.
Darüber hinaus hat sich die Klägerin während des Bezugs von Arbeitslosengeld bei der Beklagten über einen Steuerklassenwechsel beraten lassen. Sie sah wohl deshalb auch keinen Anlass, das Bemessungsentgelt selbst nachzurechnen.
Die Voraussetzungen des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sind nicht erfüllt. Die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Vergangenheit erfolgte zu Unrecht.
Im Übrigen hatte sich die Beklagte selbst nochmals in der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug hinsichtlich der Berechnung des Bemessungsentgelts berichtigen müssen. Von einem ins Auge springenden Fehler kann auch deshalb nicht die Rede sein.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang hat die Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu übernehmen. Da die Berufung der Klägerin erfolgreich war, waren auch die im ersten Rechtszug verhängten Verschuldenskosten aufzuheben.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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