Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 331/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 244/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. April 2005 zu Ziff. II und III aufgehoben und der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. November 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 1999 verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1989 eine Verletztenrente nach einer MdE um 70 v.H. statt 60 v.H. zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die außergerichtliche Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 19. Juli 1971.
Der 1955 geborene Kläger hatte am 19. Juli 1971 bei einem Verkehrsunfall einen offenen Trümmerbruch des linken Unterschenkels, einen Schädelbasisbruch sowie diverse Platzwunden und Abschürfungen erlitten. Der linke Unterschenkel wurde amputiert.
Das Sozialgericht München hatte den Beklagten mit Urteil vom 26. März 1993 verurteilt, den Unfall als Versicherungsfall anzuerkennen und dem Kläger ab 1. November 1989 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Az.: S 23 U 797/90). Der Beklagte hatte die hiergegen gerichtete Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (Az.: L 3 U 165/93) zurückgenommen.
Zur Feststellung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) holte der Beklagte ein nervenärztliches Gutachten des Dr. N. vom 24. August 1995 ein, der unter Einbezug eines radiologischen Zusatzgutachtens des Dr. E. als Unfallfolgen posttraumatische Allgemeinbeschwerden im Sinne einer Kopfschmerzneigung, verbunden mit Übelkeit und Schwindel, sowie Stumpfbeschwerden bei Neurombildungen und schmerzhaften Missempfindungen im amputierten linken Unterschenkel und Fuß feststellte. Es sei bei dem Unfall eine substantielle Schädigung an den Strukturen des Schädelinhaltes abgelaufen. Darüber hinausgehende Funktionseinschränkungen lägen von Seiten des erlittenen Schädel-Hirn-Traumas nicht vor. Die MdE sei auf nervenärztlichem Fachgebiet mit 20 v.H. einzuschätzen. Der Chirurg Prof. Dr. B. bewertete die Gesamt-MdE in dem Gutachten vom 16. September 1995 ab 1. November 1989 auf Dauer mit 60 v.H. (Einzel-MdE auf chirurgischem Fachgebiet: 50 v.H.).
Mit Bescheid vom 27. November 1995 gewährte der Beklagte eine Verletztenrente ab 1. November 1989 nach einer MdE um 60 v.H. Als Unfallfolgen erkannte sie an: "Bewegungseinschränkungen im linken Kniegelenk und deutliche Muskelminderung des linken Oberschenkels; Beeinträchtigung des Geh- und Stehvermögens nach prothetisch versorgtem Verlust des linken Unterschenkels mit Hautveränderungen am Unterschenkelstumpf und Phantombeschwerden. Posttraumatische Beschwerden im Sinne einer Kopfschmerzneigung nach Schädelhirntrauma mit Schädelbasisbruch."
Im Widerspruch wandte sich der Kläger u.a. gegen die Höhe der MdE. Insbesondere seien die psychischen Unfallfolgen nicht ausreichend gewürdigt worden. Er legte ein Attest des Psychiaters Dr. P. vom 22. April 1996 vor.
Vom 28. Februar bis 8. März 1996 fand eine stationäre Behandlung im Krankenhaus der Missions-Benediktinerinnen von T. e.V. statt, bei der neben einer aktiven chronischen Gastritis eine psychische Belastungssituation diagnostiziert wurde. Der Durchgangsarzt Prof. Dr. B. bescheinigte am 12. November 1996 eine Wiedererkrankung des Klägers wegen Abszesses in der linken Kniekehle. Die stationäre Behandlung endete am 6. Dezember 1996. Von 15. Januar bis 26. Juli 1997 erfolgte eine stationäre Behandlung in der Psychosomatischen Klinik W. bei rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig mittelgradiger Episode, Agoraphobie mit Panikstörung und Tinnitus aurium beidseits. Wichtige Themenschwerpunkte seien die problematische Partnersituation, die Aufarbeitung der früheren Familiensituation und deren Umgang mit seiner Behinderung gewesen.
Der Beklagte holte ein nervenfachärztliches Gutachten des Dr. K. vom 24. März 1998 ein. Psychiatrische Unfallfolgen seien danach zwar möglich, es könne jedoch nicht die Aussage getroffen werden, dass die in den Jahren 1986 bis 1991 und seit 1996 manifestierten seelischen Störungen mit Wahrscheinlichkeit unfallbedingt seien. Es lägen konkurrierende Einwirkungen vor; wie diese anteilsmäßig anzurechnen seien, könne nicht sicher entschieden werden. Auch schließe die lange Latenz von 15 Jahren bis zur ersten psychiatrischen Untersuchung im Jahre 1986 einen Zusammenhang aus. Eine unfallbedingte Verschlimmerung liege nicht vor.
Prof. Dr. B. berichtete in einem weiteren Gutachten vom 2. Juni 1998, im Vergleich zur Vorbegutachtung von 1995 hätten sich keine wesentlichen Änderungen der Unfallfolgen eingestellt. Allerdings sei 1996 eine Abszessspaltung im Bereich der Kniekehle durchgeführt worden. Die derzeitig vorliegende Beschwerdesymptomatik spreche für ein chronisches Infektgeschehen im Weichteilbereich der Kniekehle. Ferner sei die Diagnose eines Neurinoms im Bereich des Nervus peronaeus superficialis gestellt worden. Dadurch sei jedoch keine wesentliche Änderung der Funktion des linken Beins zu begründen. Die Gesamt-MdE betrage weiterhin 60 v.H. (auf chirurgischem Fachgebiet: 50 v.H., auf neurologischem Fachgebiet 20 v.H.).
Prof. Dr. B. diagnostizierte am 10. September 1998 als Durchgangsarzt einen Abszess im Stumpfbereich, der zu einer Wiedererkrankung führte. Ferner legte der Kläger einen Bericht des Schmerzzentrums T. v. 21. September 1998 sowie der Praktischen Ärztin und Psychotherapeutin F. vom 8. Oktober 1998 vor. Seit 1996 befindet er sich dort in psychotherapeutischer Behandlung. Die rezidivierenden depressiven Episoden und sozialen Ängste des Klägers stünden in Zusammenhang mit dem Unfalltrauma. Ferner legte er ein psychiatrisches Privatgutachten des Dr. P. vom 19. Oktober 1998 vor, der die Ansicht vertrat, eine Zunahme der psychischen Beschwerden stehe im Zusammenhang mit dem Unfall. Die Gesamt-MdE betrage 70 v.H.
Dr. K. sah sich in einer ergänzenden Stellungnahme vom 11. Dezember 1998 nicht zu einer Änderung seiner Auffassung veranlasst. Die üblichen MdE-Tabellen enthielten bereits normale psychische Reaktionsweisen.
Vom 5. Dezember 1998 bis 15. Januar 1999 und ab 7. Februar 1999 fanden weitere stationäre Behandlungen auf chirurgischem Fachgebiet in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. statt.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 1999 zurück.
Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht München, das Befundbericht einholte und den Neurologen und Psychiater Dr. M. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 21. August 2000 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, einen Verdacht auf Agoraphobie mit Panikstörung, Phantomschmerzen und Stumpfbeschwerden bei Zustand nach Unterschenkelamputation links fest. Der psychische Befund sei stabil und regelrecht. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Störungen auf psychiatrischem bzw. psychologischem Fachgebiet sei möglich, aber nicht wahrscheinlich. Unfallbedingt seien deshalb allein die posttraumatischen Allgemeinbeschwerden und Stumpfbeschwerden sowie die Phantomschmerzen. Die MdE betrage 30 v.H.
Dagegen gelangte der gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Psychiater Privatdozent Dr. W. (Max-Planck-Institut für Psychiatrie) in dem Gutachten vom 27. Mai 2001 zu dem Ergebnis, dass zwar die Paniksymptomatik, die 1995 im Zusammenhang mit dem Tod der Mutter aufgetreten sei, nicht unfallbedingt sei. Allerdings sei die depressive Symptomatik in Zusammenhang mit der Schmerzsymptomatik zu sehen. Der Kläger schildere glaubhaft depressive Erscheinungen seit dem Unfallereignis. Zusätzlich sei deshalb eine leicht- bis mittelschwere depressive Symptomatik anzuerkennen (Einzel-MdE 20 v.H.); die Gesamt-MdE betrage 70 v.H ...
Der Beklagte lehnte eine Anerkennung unter Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Dr. W. ab.
Nach Einholung ergänzender Stellungnahmen des Dr. M. sowie des PD Dr. W. holte das Sozialgericht weitere Befundberichte ein und beauftragte den Neurologen und Psychiater Dr. P. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser vertrat in dem Gutachten vom 29. September 2004 die Auffassung, die Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet seien mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall hervorgerufen. Es lägen spezielle Faktoren vor, die eine adäquate psychische Verarbeitung des Traumas erschwerten bzw. unmöglich machten. Nach dem Unfall habe eine depressive Entwicklung eingesetzt, die Ende der achtziger Jahre ein krankheitswertiges Ausmaß erreicht hätten. Hierfür sei eine MdE von 10 v.H. anzusetzen. Die Gesamt-MdE betrage dennoch unverändert 60 v.H., da wesentliche Überschneidungen hinsichtlich der auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet festgestellten Gesundheitsstörungen bestünden. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 6. Dezember 2004 bekräftigte Dr. P. diese Ansicht. Insgesamt seien unterschiedliche psychiatrische Störungen abgrenzbar, für die auf dem Boden anlagebedingter Faktoren zum einen bezüglich der Angst- und Panikstörungen lebensgeschichtlich bedeutsame Ereignisse verantwortlich seien, zum anderen bezüglich der depressiven Entwicklung jedoch das Unfallerleben.
Der Kläger übersandte noch eine gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie M. vom 19. Februar 2005, der die Einzel-MdE für das depressive Syndrom mit 20 v.H. einstufte.
Nachdem die Beteiligten einen Teilvergleich hinsichtlich des ebenfalls umstrittenen Jahresarbeitsverdienstes abgeschlossen hatten, verurteilte das Sozialgericht den Beklagten mit Urteil vom 21. April 2005, als weitere Folge des Unfalls vom 19. Juli 1971 depressive Störungen anzuerkennen und dem Kläger insoweit Heilbehandlung zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab. Es stützte sich auf das Gutachten des Dr. P ...
Zur Begründung der Berufung hat sich der Kläger auf das Gutachten des PD Dr. W. bezogen, der, wie auch Herr M. , die MdE mit 20 v.H. einschätzte. Auch Dr. M. habe die MdE hinsichtlich der vorhandenen depressiven Störung mit 30 v.H. bewertet.
Der Senat hat ein nervenärztliches Gutachten der Dr. P. vom 3. Juli 2007 eingeholt, die eine rezidivierende depressive Störung, z.Z. leichte depressive Episode, eine posttraumatische organisch asthenische Störung, Stumpfbeschwerden und Phantomschmerz sowie eine gemischte Angststörung diagnostiziert hat. Es sei zu berücksichtigen, dass durch die Depressionsneigung und Vulnerabilität des Klägers in den zwischenmenschlichen Situationen die letzten Jahrzehnte auch die alltägliche Lebensgestaltung nachhaltig beeinflusst hätten. Es sei daher zumindest die untere Grenze des vorgegebenen Spielraums mit einer MdE von 20 v.H. angemessen. Bei einer MdE von 20 v.H. für die organisch asthenische Störung, einer MdE von 50 v.H. für den Schmerzkomplex sowie die chirurgisch-orthopädischen Unfallfolgen und einer MdE von 20 v.H. für die psychische Dauerbeeinträchtigung mit schwerpunktmäßiger Depressivität sei eine Gesamt-MdE von 70 v.H. angemessen. Hierbei seien bereits leichte Überschneidungen zwischen den einzelnen Symptomkomplexen berücksichtigt. Entgegen der Auffassung des Dr. K. habe auch kein fünfjähriges beschwerdefreies Intervall bestanden. Die großen Aktivitäten des Klägers seien als überfordernde Verhaltensweisen zur Abwehr der als quälend erlebten Depression mit Rückzugsneigung zu verstehen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, durch das Gutachten hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. Die Gesamt-MdE betrage lediglich 60 v.H. Von 1991 bis 1995 habe ein nahezu beschwerdefreies Intervall vorgelegen. Die nachfolgende schwere Episode stehe im Zusammenhang mit dem Tod der Mutter bzw. mit Partnerschaftsverlusten, nicht jedoch mit Unfallfolgen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 21. April 2005 zu Ziffer II und III zu verurteilen, ihm ab 1. November 1989 Verletztenrente nach einer MdE von 70 v.H. zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte des Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet.
Die Berufung beschränkt sich auf den im Klageverfahren gestellten Antrag auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 70 v.H.; insoweit hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Soweit es den Beklagten verurteilte, als weitere Folge des Unfalls depressive Störungen anzuerkennen und insoweit dem Kläger Heilbehandlung zu gewähren, liegt keine Anschlussberufung des Beklagten vor. Zu entscheiden ist damit nur mehr über die Höhe der MdE im Rahmen eines Anspruchs auf Rente. Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ferner nach Abschluss des Teilvergleichs die Frage des zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes.
Die Entscheidung richtet sich nach den bis 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der streitige Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 1. Januar 1997 zu entscheiden ist (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII in Verbindung mit § 580 RVO).
Ein Anspruch auf Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls setzt nach §§ 580, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Bewertung der MdE sind die von der Rechtsprechung und von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung in jedem Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22 m.w.N.).
Die Sachverständige Dr. P. führt überzeugend aus, dass die rezidivierende depressive Störung, die nach dem Urteil des Sozialgerichts als Unfallfolge anzuerkennen ist - ebenso wie eine posttraumatische organisch asthenische Störung - als restliche Schwerpunktsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung in die Bewertung der MdE mit einfließen muss.
Beim Kläger wurde der linke Unterschenkel im oberen Drittel amputiert. Der Beklagte erkannte mit Bescheid vom 27. November 1995 Bewegungseinschränkungen im linken Kniegelenk, eine deutliche Muskelminderung des linken Oberschenkels, eine Beeinträchtigung des Geh- und Stehvermögens nach prothetisch versorgtem Verlust des linken Unterschenkels mit Hautveränderungen am Unterschenkelstumpf und Phantombeschwerden sowie posttraumatische Beschwerden im Sinne einer Kopfschmerzneigung nach Schädelhirntrauma mit Schädelbasisbruch als Unfallfolgen an und gewährte eine Verletztenrente ab 1. November 1989 nach einer MdE von 60 v.H. Die Einzel-MdE setzt sich aus einer MdE für das chirurgische Fachgebiet in Höhe von 50 v.H. und für das nervenärztliche Fachgebiet in Höhe von 20 v.H. zusammen. Die weitere Unfallfolge "depressive Störungen" sind hierin noch nicht eingeflossen. Eine Erhöhung der bei Unterschenkelamputation chirurgisch bedingten MdE bei schlechten Narbenverhältnissen, Stumpfbeschwerden, schlechter Weichteildeckung oder anderen Störungen wie z.B. bei Schmerzen oder den hier aufgetretenen Beschwerden auf nervenärztlichem Fachgebiet entspricht der Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 759).
Die beim Kläger festgestellte Depression wechselnden Ausmaßes mit Rückzugsneigung und Vulnerabilität ist nach Ansicht des Senats mit einer Einzel-MdE um 20 v.H. zu bewerten. Psychische Beeinträchtigungen in Form stärker behindernder Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sind nach der Fachliteratur mit einer MdE zwischen 20 bis 40 v.H. einzustufen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 246). Die Anamnese der Sachverständigen hat ergeben, dass der Kläger "ein bis zwei düstere Tage pro Woche" hat, häufig mit einem Abendtief. Er versucht, durch teilweise überfordernde Verhaltensweisen der als quälend erlebten Depression mit Rückzugsneigung zu entgehen. Gefördert wird die Depression durch andauernde Schmerzbelastung bei erheblichen Stumpfproblemen. Wiederholt sind ambulante und stationäre Behandlungen erforderlich geworden. Die Depressionsneigung und Vulnerabilität bezogen sich auf die letzten Jahrzehnte; sie berühren nicht nur die Erwerbsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern auch die alltägliche Lebensgestaltung.
Die psychische Dauerbeeinträchtigung mit schwerpunktmäßiger Depressivität ist mit einer Einzel-MdE von 20 v.H. sowie einer Gesamt-MdE von 70 v.H. ab 1. November 1989 eingestuft. Aufgrund der von der Gutachterin geschilderten Schwere der Depressivität folgte der Senat nicht der Einschätzung des vom Sozialgericht herangezogenen Gutachtensergebnis des Dr. P. , der für die depressive Entwicklung eine Einzel-MdE von lediglich 10 v.H. ansetzte. Dabei stützte sich dieser auf die niedrige Dosierung von Antidepressiva und auf fehlende psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlungen. Die Sachverständige Dr. P. führte jedoch überzeugend aus, dass ein erheblich krankheitswertiger psychopathologischer Krankheitskomplex gegeben ist. Eine MdE von 10 v.H. beträfe lediglich leichtere neurotische Störungen, von denen vorliegend jedoch nicht auszugehen ist.
In die Gesamtbewertung der MdE in Höhe von 70 v.H. fließen somit die anerkannten posttraumatischen Allgemeinbeschwerden, von der Sachverständigen als posttraumatische organisch asthenische Störung bezeichnet, mit einer Einzel-MdE von 20 v.H., die chi- rurgischen Beschwerden einschließlich des Schmerzkomplexes mit einer Einzel-MdE von 50 v.H. sowie die depressiven Störungen mit einer Einzel-MdE von 20 v.H. ein. Nicht zu berücksichtigen ist eine bestehende Angststörung, die auf Ursachen zurückzuführen ist, die in der Persönlichkeit des Klägers liegen bzw. die durch persönlich empfundene Ereignissen hervorgerufen wurde.
Die Gesamt-MdE von 70 v.H. ist durchgehend für den Zeitraum ab 1. November 1989 zuzusprechen. Ein posttraumatisches Belastungssyndrom wurde durch die Zeit der intensiven Krankenhausbehandlung und die Amputation ausgelöst. Die Symptomatik war von Beginn an vorhanden, auch wenn sie zunächst - aus Unwissenheit über die Symptomatik - nicht intensiv behandelt wurde. Es kam in der Folgezeit zu einer chronifizierten Änderung der Affektivität mit dem Schwerpunkt einer depressiven Verstimmung, die durch die kumulative Schmerzbelastung und wiederholten stationären Behandlungen weiter gefördert wurde. Ein krankheitswertiges Ausmaß erreichte die depressive Entwicklung ab November 1989. Vor allem wurden dem Kläger ab Mitte der 80er-Jahre die medizinischen Zusammenhänge bewusst; seitdem fanden psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen statt. Ein beschwerdefreies Intervall für die Zeit von 1991 bis 1995 ist nicht gegeben. Dr. P. bestätigte vielmehr, dass sich der Kläger 1991 und 1993 wieder in Behandlung begeben hatte; ferner wurde in dieser Zeit eine Verhaltenstherapie durchgeführt.
Zwar hat die Depression ein wechselndes Ausmaß, jedoch ohne einer grundsätzlichen Tendenz zur Besserung oder Verschlechterung, so dass sowohl Dr. P. als auch Dr. P. von einer gleichbleibenden rentenrechtlich relevanten Auswirkung ab 1. November 1989 ausgehen. Es handelt sich nach deren Einschätzung im Hinblick auf den bisherigen Verlauf um einen Dauerzustand.
Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
II. Der Beklagte trägt die außergerichtliche Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 19. Juli 1971.
Der 1955 geborene Kläger hatte am 19. Juli 1971 bei einem Verkehrsunfall einen offenen Trümmerbruch des linken Unterschenkels, einen Schädelbasisbruch sowie diverse Platzwunden und Abschürfungen erlitten. Der linke Unterschenkel wurde amputiert.
Das Sozialgericht München hatte den Beklagten mit Urteil vom 26. März 1993 verurteilt, den Unfall als Versicherungsfall anzuerkennen und dem Kläger ab 1. November 1989 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Az.: S 23 U 797/90). Der Beklagte hatte die hiergegen gerichtete Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (Az.: L 3 U 165/93) zurückgenommen.
Zur Feststellung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) holte der Beklagte ein nervenärztliches Gutachten des Dr. N. vom 24. August 1995 ein, der unter Einbezug eines radiologischen Zusatzgutachtens des Dr. E. als Unfallfolgen posttraumatische Allgemeinbeschwerden im Sinne einer Kopfschmerzneigung, verbunden mit Übelkeit und Schwindel, sowie Stumpfbeschwerden bei Neurombildungen und schmerzhaften Missempfindungen im amputierten linken Unterschenkel und Fuß feststellte. Es sei bei dem Unfall eine substantielle Schädigung an den Strukturen des Schädelinhaltes abgelaufen. Darüber hinausgehende Funktionseinschränkungen lägen von Seiten des erlittenen Schädel-Hirn-Traumas nicht vor. Die MdE sei auf nervenärztlichem Fachgebiet mit 20 v.H. einzuschätzen. Der Chirurg Prof. Dr. B. bewertete die Gesamt-MdE in dem Gutachten vom 16. September 1995 ab 1. November 1989 auf Dauer mit 60 v.H. (Einzel-MdE auf chirurgischem Fachgebiet: 50 v.H.).
Mit Bescheid vom 27. November 1995 gewährte der Beklagte eine Verletztenrente ab 1. November 1989 nach einer MdE um 60 v.H. Als Unfallfolgen erkannte sie an: "Bewegungseinschränkungen im linken Kniegelenk und deutliche Muskelminderung des linken Oberschenkels; Beeinträchtigung des Geh- und Stehvermögens nach prothetisch versorgtem Verlust des linken Unterschenkels mit Hautveränderungen am Unterschenkelstumpf und Phantombeschwerden. Posttraumatische Beschwerden im Sinne einer Kopfschmerzneigung nach Schädelhirntrauma mit Schädelbasisbruch."
Im Widerspruch wandte sich der Kläger u.a. gegen die Höhe der MdE. Insbesondere seien die psychischen Unfallfolgen nicht ausreichend gewürdigt worden. Er legte ein Attest des Psychiaters Dr. P. vom 22. April 1996 vor.
Vom 28. Februar bis 8. März 1996 fand eine stationäre Behandlung im Krankenhaus der Missions-Benediktinerinnen von T. e.V. statt, bei der neben einer aktiven chronischen Gastritis eine psychische Belastungssituation diagnostiziert wurde. Der Durchgangsarzt Prof. Dr. B. bescheinigte am 12. November 1996 eine Wiedererkrankung des Klägers wegen Abszesses in der linken Kniekehle. Die stationäre Behandlung endete am 6. Dezember 1996. Von 15. Januar bis 26. Juli 1997 erfolgte eine stationäre Behandlung in der Psychosomatischen Klinik W. bei rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig mittelgradiger Episode, Agoraphobie mit Panikstörung und Tinnitus aurium beidseits. Wichtige Themenschwerpunkte seien die problematische Partnersituation, die Aufarbeitung der früheren Familiensituation und deren Umgang mit seiner Behinderung gewesen.
Der Beklagte holte ein nervenfachärztliches Gutachten des Dr. K. vom 24. März 1998 ein. Psychiatrische Unfallfolgen seien danach zwar möglich, es könne jedoch nicht die Aussage getroffen werden, dass die in den Jahren 1986 bis 1991 und seit 1996 manifestierten seelischen Störungen mit Wahrscheinlichkeit unfallbedingt seien. Es lägen konkurrierende Einwirkungen vor; wie diese anteilsmäßig anzurechnen seien, könne nicht sicher entschieden werden. Auch schließe die lange Latenz von 15 Jahren bis zur ersten psychiatrischen Untersuchung im Jahre 1986 einen Zusammenhang aus. Eine unfallbedingte Verschlimmerung liege nicht vor.
Prof. Dr. B. berichtete in einem weiteren Gutachten vom 2. Juni 1998, im Vergleich zur Vorbegutachtung von 1995 hätten sich keine wesentlichen Änderungen der Unfallfolgen eingestellt. Allerdings sei 1996 eine Abszessspaltung im Bereich der Kniekehle durchgeführt worden. Die derzeitig vorliegende Beschwerdesymptomatik spreche für ein chronisches Infektgeschehen im Weichteilbereich der Kniekehle. Ferner sei die Diagnose eines Neurinoms im Bereich des Nervus peronaeus superficialis gestellt worden. Dadurch sei jedoch keine wesentliche Änderung der Funktion des linken Beins zu begründen. Die Gesamt-MdE betrage weiterhin 60 v.H. (auf chirurgischem Fachgebiet: 50 v.H., auf neurologischem Fachgebiet 20 v.H.).
Prof. Dr. B. diagnostizierte am 10. September 1998 als Durchgangsarzt einen Abszess im Stumpfbereich, der zu einer Wiedererkrankung führte. Ferner legte der Kläger einen Bericht des Schmerzzentrums T. v. 21. September 1998 sowie der Praktischen Ärztin und Psychotherapeutin F. vom 8. Oktober 1998 vor. Seit 1996 befindet er sich dort in psychotherapeutischer Behandlung. Die rezidivierenden depressiven Episoden und sozialen Ängste des Klägers stünden in Zusammenhang mit dem Unfalltrauma. Ferner legte er ein psychiatrisches Privatgutachten des Dr. P. vom 19. Oktober 1998 vor, der die Ansicht vertrat, eine Zunahme der psychischen Beschwerden stehe im Zusammenhang mit dem Unfall. Die Gesamt-MdE betrage 70 v.H.
Dr. K. sah sich in einer ergänzenden Stellungnahme vom 11. Dezember 1998 nicht zu einer Änderung seiner Auffassung veranlasst. Die üblichen MdE-Tabellen enthielten bereits normale psychische Reaktionsweisen.
Vom 5. Dezember 1998 bis 15. Januar 1999 und ab 7. Februar 1999 fanden weitere stationäre Behandlungen auf chirurgischem Fachgebiet in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. statt.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 1999 zurück.
Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht München, das Befundbericht einholte und den Neurologen und Psychiater Dr. M. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 21. August 2000 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, einen Verdacht auf Agoraphobie mit Panikstörung, Phantomschmerzen und Stumpfbeschwerden bei Zustand nach Unterschenkelamputation links fest. Der psychische Befund sei stabil und regelrecht. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Störungen auf psychiatrischem bzw. psychologischem Fachgebiet sei möglich, aber nicht wahrscheinlich. Unfallbedingt seien deshalb allein die posttraumatischen Allgemeinbeschwerden und Stumpfbeschwerden sowie die Phantomschmerzen. Die MdE betrage 30 v.H.
Dagegen gelangte der gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Psychiater Privatdozent Dr. W. (Max-Planck-Institut für Psychiatrie) in dem Gutachten vom 27. Mai 2001 zu dem Ergebnis, dass zwar die Paniksymptomatik, die 1995 im Zusammenhang mit dem Tod der Mutter aufgetreten sei, nicht unfallbedingt sei. Allerdings sei die depressive Symptomatik in Zusammenhang mit der Schmerzsymptomatik zu sehen. Der Kläger schildere glaubhaft depressive Erscheinungen seit dem Unfallereignis. Zusätzlich sei deshalb eine leicht- bis mittelschwere depressive Symptomatik anzuerkennen (Einzel-MdE 20 v.H.); die Gesamt-MdE betrage 70 v.H ...
Der Beklagte lehnte eine Anerkennung unter Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Dr. W. ab.
Nach Einholung ergänzender Stellungnahmen des Dr. M. sowie des PD Dr. W. holte das Sozialgericht weitere Befundberichte ein und beauftragte den Neurologen und Psychiater Dr. P. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser vertrat in dem Gutachten vom 29. September 2004 die Auffassung, die Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet seien mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall hervorgerufen. Es lägen spezielle Faktoren vor, die eine adäquate psychische Verarbeitung des Traumas erschwerten bzw. unmöglich machten. Nach dem Unfall habe eine depressive Entwicklung eingesetzt, die Ende der achtziger Jahre ein krankheitswertiges Ausmaß erreicht hätten. Hierfür sei eine MdE von 10 v.H. anzusetzen. Die Gesamt-MdE betrage dennoch unverändert 60 v.H., da wesentliche Überschneidungen hinsichtlich der auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet festgestellten Gesundheitsstörungen bestünden. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 6. Dezember 2004 bekräftigte Dr. P. diese Ansicht. Insgesamt seien unterschiedliche psychiatrische Störungen abgrenzbar, für die auf dem Boden anlagebedingter Faktoren zum einen bezüglich der Angst- und Panikstörungen lebensgeschichtlich bedeutsame Ereignisse verantwortlich seien, zum anderen bezüglich der depressiven Entwicklung jedoch das Unfallerleben.
Der Kläger übersandte noch eine gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie M. vom 19. Februar 2005, der die Einzel-MdE für das depressive Syndrom mit 20 v.H. einstufte.
Nachdem die Beteiligten einen Teilvergleich hinsichtlich des ebenfalls umstrittenen Jahresarbeitsverdienstes abgeschlossen hatten, verurteilte das Sozialgericht den Beklagten mit Urteil vom 21. April 2005, als weitere Folge des Unfalls vom 19. Juli 1971 depressive Störungen anzuerkennen und dem Kläger insoweit Heilbehandlung zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab. Es stützte sich auf das Gutachten des Dr. P ...
Zur Begründung der Berufung hat sich der Kläger auf das Gutachten des PD Dr. W. bezogen, der, wie auch Herr M. , die MdE mit 20 v.H. einschätzte. Auch Dr. M. habe die MdE hinsichtlich der vorhandenen depressiven Störung mit 30 v.H. bewertet.
Der Senat hat ein nervenärztliches Gutachten der Dr. P. vom 3. Juli 2007 eingeholt, die eine rezidivierende depressive Störung, z.Z. leichte depressive Episode, eine posttraumatische organisch asthenische Störung, Stumpfbeschwerden und Phantomschmerz sowie eine gemischte Angststörung diagnostiziert hat. Es sei zu berücksichtigen, dass durch die Depressionsneigung und Vulnerabilität des Klägers in den zwischenmenschlichen Situationen die letzten Jahrzehnte auch die alltägliche Lebensgestaltung nachhaltig beeinflusst hätten. Es sei daher zumindest die untere Grenze des vorgegebenen Spielraums mit einer MdE von 20 v.H. angemessen. Bei einer MdE von 20 v.H. für die organisch asthenische Störung, einer MdE von 50 v.H. für den Schmerzkomplex sowie die chirurgisch-orthopädischen Unfallfolgen und einer MdE von 20 v.H. für die psychische Dauerbeeinträchtigung mit schwerpunktmäßiger Depressivität sei eine Gesamt-MdE von 70 v.H. angemessen. Hierbei seien bereits leichte Überschneidungen zwischen den einzelnen Symptomkomplexen berücksichtigt. Entgegen der Auffassung des Dr. K. habe auch kein fünfjähriges beschwerdefreies Intervall bestanden. Die großen Aktivitäten des Klägers seien als überfordernde Verhaltensweisen zur Abwehr der als quälend erlebten Depression mit Rückzugsneigung zu verstehen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, durch das Gutachten hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. Die Gesamt-MdE betrage lediglich 60 v.H. Von 1991 bis 1995 habe ein nahezu beschwerdefreies Intervall vorgelegen. Die nachfolgende schwere Episode stehe im Zusammenhang mit dem Tod der Mutter bzw. mit Partnerschaftsverlusten, nicht jedoch mit Unfallfolgen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 21. April 2005 zu Ziffer II und III zu verurteilen, ihm ab 1. November 1989 Verletztenrente nach einer MdE von 70 v.H. zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte des Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet.
Die Berufung beschränkt sich auf den im Klageverfahren gestellten Antrag auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 70 v.H.; insoweit hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Soweit es den Beklagten verurteilte, als weitere Folge des Unfalls depressive Störungen anzuerkennen und insoweit dem Kläger Heilbehandlung zu gewähren, liegt keine Anschlussberufung des Beklagten vor. Zu entscheiden ist damit nur mehr über die Höhe der MdE im Rahmen eines Anspruchs auf Rente. Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ferner nach Abschluss des Teilvergleichs die Frage des zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes.
Die Entscheidung richtet sich nach den bis 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der streitige Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 1. Januar 1997 zu entscheiden ist (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII in Verbindung mit § 580 RVO).
Ein Anspruch auf Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls setzt nach §§ 580, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Bewertung der MdE sind die von der Rechtsprechung und von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung in jedem Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22 m.w.N.).
Die Sachverständige Dr. P. führt überzeugend aus, dass die rezidivierende depressive Störung, die nach dem Urteil des Sozialgerichts als Unfallfolge anzuerkennen ist - ebenso wie eine posttraumatische organisch asthenische Störung - als restliche Schwerpunktsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung in die Bewertung der MdE mit einfließen muss.
Beim Kläger wurde der linke Unterschenkel im oberen Drittel amputiert. Der Beklagte erkannte mit Bescheid vom 27. November 1995 Bewegungseinschränkungen im linken Kniegelenk, eine deutliche Muskelminderung des linken Oberschenkels, eine Beeinträchtigung des Geh- und Stehvermögens nach prothetisch versorgtem Verlust des linken Unterschenkels mit Hautveränderungen am Unterschenkelstumpf und Phantombeschwerden sowie posttraumatische Beschwerden im Sinne einer Kopfschmerzneigung nach Schädelhirntrauma mit Schädelbasisbruch als Unfallfolgen an und gewährte eine Verletztenrente ab 1. November 1989 nach einer MdE von 60 v.H. Die Einzel-MdE setzt sich aus einer MdE für das chirurgische Fachgebiet in Höhe von 50 v.H. und für das nervenärztliche Fachgebiet in Höhe von 20 v.H. zusammen. Die weitere Unfallfolge "depressive Störungen" sind hierin noch nicht eingeflossen. Eine Erhöhung der bei Unterschenkelamputation chirurgisch bedingten MdE bei schlechten Narbenverhältnissen, Stumpfbeschwerden, schlechter Weichteildeckung oder anderen Störungen wie z.B. bei Schmerzen oder den hier aufgetretenen Beschwerden auf nervenärztlichem Fachgebiet entspricht der Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 759).
Die beim Kläger festgestellte Depression wechselnden Ausmaßes mit Rückzugsneigung und Vulnerabilität ist nach Ansicht des Senats mit einer Einzel-MdE um 20 v.H. zu bewerten. Psychische Beeinträchtigungen in Form stärker behindernder Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sind nach der Fachliteratur mit einer MdE zwischen 20 bis 40 v.H. einzustufen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 246). Die Anamnese der Sachverständigen hat ergeben, dass der Kläger "ein bis zwei düstere Tage pro Woche" hat, häufig mit einem Abendtief. Er versucht, durch teilweise überfordernde Verhaltensweisen der als quälend erlebten Depression mit Rückzugsneigung zu entgehen. Gefördert wird die Depression durch andauernde Schmerzbelastung bei erheblichen Stumpfproblemen. Wiederholt sind ambulante und stationäre Behandlungen erforderlich geworden. Die Depressionsneigung und Vulnerabilität bezogen sich auf die letzten Jahrzehnte; sie berühren nicht nur die Erwerbsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern auch die alltägliche Lebensgestaltung.
Die psychische Dauerbeeinträchtigung mit schwerpunktmäßiger Depressivität ist mit einer Einzel-MdE von 20 v.H. sowie einer Gesamt-MdE von 70 v.H. ab 1. November 1989 eingestuft. Aufgrund der von der Gutachterin geschilderten Schwere der Depressivität folgte der Senat nicht der Einschätzung des vom Sozialgericht herangezogenen Gutachtensergebnis des Dr. P. , der für die depressive Entwicklung eine Einzel-MdE von lediglich 10 v.H. ansetzte. Dabei stützte sich dieser auf die niedrige Dosierung von Antidepressiva und auf fehlende psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlungen. Die Sachverständige Dr. P. führte jedoch überzeugend aus, dass ein erheblich krankheitswertiger psychopathologischer Krankheitskomplex gegeben ist. Eine MdE von 10 v.H. beträfe lediglich leichtere neurotische Störungen, von denen vorliegend jedoch nicht auszugehen ist.
In die Gesamtbewertung der MdE in Höhe von 70 v.H. fließen somit die anerkannten posttraumatischen Allgemeinbeschwerden, von der Sachverständigen als posttraumatische organisch asthenische Störung bezeichnet, mit einer Einzel-MdE von 20 v.H., die chi- rurgischen Beschwerden einschließlich des Schmerzkomplexes mit einer Einzel-MdE von 50 v.H. sowie die depressiven Störungen mit einer Einzel-MdE von 20 v.H. ein. Nicht zu berücksichtigen ist eine bestehende Angststörung, die auf Ursachen zurückzuführen ist, die in der Persönlichkeit des Klägers liegen bzw. die durch persönlich empfundene Ereignissen hervorgerufen wurde.
Die Gesamt-MdE von 70 v.H. ist durchgehend für den Zeitraum ab 1. November 1989 zuzusprechen. Ein posttraumatisches Belastungssyndrom wurde durch die Zeit der intensiven Krankenhausbehandlung und die Amputation ausgelöst. Die Symptomatik war von Beginn an vorhanden, auch wenn sie zunächst - aus Unwissenheit über die Symptomatik - nicht intensiv behandelt wurde. Es kam in der Folgezeit zu einer chronifizierten Änderung der Affektivität mit dem Schwerpunkt einer depressiven Verstimmung, die durch die kumulative Schmerzbelastung und wiederholten stationären Behandlungen weiter gefördert wurde. Ein krankheitswertiges Ausmaß erreichte die depressive Entwicklung ab November 1989. Vor allem wurden dem Kläger ab Mitte der 80er-Jahre die medizinischen Zusammenhänge bewusst; seitdem fanden psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen statt. Ein beschwerdefreies Intervall für die Zeit von 1991 bis 1995 ist nicht gegeben. Dr. P. bestätigte vielmehr, dass sich der Kläger 1991 und 1993 wieder in Behandlung begeben hatte; ferner wurde in dieser Zeit eine Verhaltenstherapie durchgeführt.
Zwar hat die Depression ein wechselndes Ausmaß, jedoch ohne einer grundsätzlichen Tendenz zur Besserung oder Verschlechterung, so dass sowohl Dr. P. als auch Dr. P. von einer gleichbleibenden rentenrechtlich relevanten Auswirkung ab 1. November 1989 ausgehen. Es handelt sich nach deren Einschätzung im Hinblick auf den bisherigen Verlauf um einen Dauerzustand.
Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
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