S 17 AS 1246/10 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
17
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 17 AS 1246/10 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig einen Betrag von 4.550,00 EUR darlehensweise zur Begleichung der Mietschulden in Bezug auf die Wohnung in der A-Straße in A-Stadt, 1. Obergeschoss, zu gewähren.

2. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um die vorläufige Gewährung eines Darlehens auf Grundlage des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) für die Begleichung von Mietrückständen.

Die im Jahr 1983 geborene Antragstellerin zu 1) wohnt gemeinsam mit ihrem im Jahr 1985 geborenen Lebensgefährten, dem Antragsteller zu 4), und deren in den Jahren 2004 und 2007 geborenen Kindern in einer Mietwohnung in A-Stadt. Die Nettomiete für diese im 1. OG eines Wohnhauses gelegene Wohnung beträgt monatlich 500,00 EUR, die Nebenkostenvorauszahlung 150,00 EUR. Des Weiteren sind die Antragsteller Mieter einer weiteren Wohnung im Parterre desselben Hauses, für die monatlich eine Nettomiete von 250,00 EUR und eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 50,00 EUR anfällt. Diese Wohnung wurde von dem Antragsteller zu 4) als Büro genutzt.

Die Antragsteller beziehen laufend Leistungen nach dem SGB II von dem Antragsgegner. Mit Bescheid vom 7.12.2009 wurden den Antragstellern Leistungen für den Zeitraum Dezember 2009 bis Mai 2010 bewilligt in Höhe von etwa 1.200,00 EUR monatlich. Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit wurde bei dieser Leistungsbewilligung nicht angerechnet.

Nachdem der Antragsteller zu 4) zu einem Termin nicht erschienen war, erfolgte am 17.12.2009 eine vorläufige Zahlungseinstellung. Der Antragsgegner habe von Tatsachen Kenntnis erlangt, die zum Wegfall des Leistungsanspruchs führten.

Mit Schreiben vom 22.12.2009 wies der Antragsteller zu 4), der ein Unternehmen zum Handel mit Elektronikbedarf gegründet hatte, auf Schwierigkeiten bei der geschäftlichen Etablierung und nur geringe Gewinnspannen hin.

Am 27.1.2010 teilte der Antragsteller zu 4) mit, die Gewinnspannen hätten sich seit Jahresbeginn erheblich erhöht.

Mit Bescheid vom 29.1.2010 wurde aufgrund einer Einkommensschätzung des Antragstellers zu 4) von dem Antragsgegner ein anrechenbares Einkommen des Antragstellers zu 4) in Höhe von 1.088,74 EUR Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit berücksichtigt und den Antragstellern Leistungen für die Monate Februar bis Mai 2010 zwischen etwa 30 und 90 EUR monatlich gewährt.

Hiergegen wurde Widerspruch eingelegt und geltend gemacht, dass tatsächlich kein Einkommen, sondern nur Verlust erzielt werde.

Die Antragsteller stellten wegen der Einkommensanrechnung am 25.2.2010 einen gerichtlichen Eilantrag (S 17 AS 335/10 ER). Der Antragsgegner hat nach Vorlage weiterer Unterlagen zu den Verdiensten im Rahmen dieses Eilverfahren eine geänderte Einkommensanrechnung vorgenommen und Leistungen nachträglich bewilligt. Mit Bescheiden vom 22.4.2010 wurden für die Monate Januar und Februar 2010 jeweils 641,04 EUR und für März 2010 709,04 EUR gewährt. Mit Bescheid vom 29.4.2010 wurden Leistungen für die Monate April und Mai 2010 in Höhe von jeweils 709,04 EUR gewährt.

Wegen zwischenzeitlich angefallener Mietrückstände beantragten die Antragsteller am 9.3.2010 die Übernahme von Mietschulden. Hierzu wurde ein Schreiben des Vermieters vorgelegt, das Rückstände aufgrund ausbleibender Mietzahlungen für die beiden Wohnungen sowie wegen Nichtzahlung der Mietkaution in Höhe von insgesamt 4.200 EUR ausweist, wobei hiervon 2.600 EUR auf die Wohnung im 1. OG entfallen.

Mit Schreiben vom 6.4.2010 erfolgte die fristlose und hilfsweise eine fristgerechte Kündigung durch den Vermieter, erneut mit Schreiben vom 28.4.2010. Der Antrag auf Übernahme der Mietschulden – insoweit stellten die Antragsteller am 3.5.2010 einen weiteren bzw. geänderten Antrag auf Übernahme eines Betrages von 3.250,00 EUR – wurde mit Bescheid vom 20.5.2010 abgelehnt. Selbst bei Übernahme des Betrages vom 3.250,00 EUR läge noch ein weiterer Mietrückstand vor, der die fristlose Kündigung weiterhin stütze.

Mit weiterem Bescheid vom 20.5.2010 wurden den Antragstellern Leistungen für die Zeit von Juni bis November 2010 in Höhe von 1.178,00 EUR monatlich bewilligt. Die monatliche Leistungsbewilligung für diesen Zeitraum wurde mit Bescheid vom 26.5.2010 auf 1.311,00 EUR erhöht.

Nachdem die Antragsteller am 29.5.2010 einen Mietrückstand für die als Büro genutzte Wohnung in Höhe von 1.500 EUR sowie am 30.5.2010 die Miete für Juni für die Wohnung im 1. OG an die Vermieter überwiesen hatten, beantragten sie am 31.5.2010 ein Darlehen für Mietrückstände in Höhe von 3.900,00 EUR in Bezug auf die Rückstände für die Wohnung im 1. OG.

Der Vermieter erhob schließlich Räumungsklage. Diese ist den Antragstellern unstreitig am 21.6.2010 zugestellt worden. Zur Glaubhaftmachung der Zustellung an diesem Datum ist im Übrigen eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin zu 1) sowie ein diesbezüglicher Postzustellungsumschlag vorlegt worden.

Mit Bescheid vom 9.7.2010 wurde der am 29.5.2010 gestellte Antrag auf Übernahme der Mietschulden in Höhe von 3.900,00 EUR abgelehnt.

Hiergegen wurde am 13.7.2010 Widerspruch eingelegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.7.2010 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.1.2010, geändert durch die Bescheide vom 22.4.2010 und 29.4.2010 zurückgewiesen. Die Einkommensanrechnung sei zutreffend erfolgt.

Mit Bescheid vom 21.7.2010 erging ein Änderungsbescheid, der einen Antrag der Antragsteller auf Direktzahlung der Miete an den Vermieter umsetzt.

Gegen den Bescheid vom 29.1.2010, geändert durch die Bescheide vom 22.4.2010 und 29.4.2010, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.7.2010 erhoben die Antragsteller am 22.7.2010 Klage (S 17 AS 1223/10).

In Bezug auf die beantragte Übernahme der Mietschulden haben die Antragsteller mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten am 27.7.2010 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Dieser Antrag ist mit Schriftsatz vom 5.8.2010 hinsichtlich der Höhe des beantragten Darlehens erweitert worden. Statt ursprünglich 3.900,00 EUR ist die Gewährung eines Darlehens über 4.550,00 EUR beantragt worden. Deswegen hatte sich die Prozessbevollmächtigte auch bereits mit Schreiben vom 28.7.2010 an den Antragsgegner gewendet. Die Mietrückstände seien auf die unregelmäßigen Zahlungen des Antragsgegners zurückzuführen, nachdem die Höhe des Einkommens des Antragstellers zu 4) umstritten gewesen sei. Es seien zwischenzeitlich nur Nachzahlungen am 28.4.2010 in Höhe von 1.230,80 EUR für den Zeitraum Februar und März 2010 und am 3.5.2010 in Höhe von 1.122,08 EUR für den Zeitraum April und Mai 2010 erfolgt. Nachzahlungen für Dezember und Januar stünden noch aus. Die Antragsteller hätten ihre Situation nicht zu verantworten, da sie keine Geldmittel zur Begleichung der Mietzahlungen gehabt hätten. Der Verlust der Wohnung stehe nicht fest. Vielmehr könne die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung durch Begleichung der Mietschulden bis zum Ablauf der Heilungsfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB am 21.8.2010 abgewendet werden. Die Wirksamkeit der verschuldensabhängigen ordentlichen Kündigung sei im zivilgerichtlichen Verfahren zu klären, wobei dies bis zur endgültigen Klärung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen könne.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig ein Darlehen in Höhe von 4.550,00 EUR zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.

Zur Begründung wird angeführt, nicht der Antragsgegner, sondern die Antragsteller hätten die Mietrückstände zu verantworten, da die Mitwirkungspflicht in Bezug auf die Vorlage von Kontoauszügen zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit erst Mitte April 2010 erfüllt worden sei. Die Übernahme der Mietschulden sei nach § 22 Abs. 5 SGB II nicht gerechtfertigt, da hier ein längerfristiger Erhalt der Wohnung aufgrund der erfolgten ordentlichen Kündigung nicht gewährleistet sei. Dies sei auch im Rahmen des intendierten Ermessens zu berücksichtigen. Der Vermieter wolle das Mietverhältnis in jedem Fall beenden. Im Übrigen hätten die Antragsteller die geleistete Nachzahlung zweckentfremdet und für die Tilgung von Mietschulden in Bezug auf das Büro genutzt. Der Nachzahlungsbetrag hätte zur Begleichung der Mietschulden in Bezug auf die Wohnung verwendet werden müssen. Auch dies sei bei der Ermessensausübung nach § 22 Abs. 5 SGB II zu berücksichtigen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der zu den Antragstellern geführten Leistungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Eilantrag war in der genannten Form auszulegen, da im Rahmen des Eilverfahrens nur vorläufige Leistungen begehrt werden können.

Der Eilantrag hat Erfolg.

Der Eilantrag ist zulässig. Der Verpflichtung des Antragsgegners zur darlehensweise Übernahme der Mietrückstände steht zunächst nicht entgegen, dass bislang im Verwaltungsverfahren nur über einen Teilbetrag in Höhe von 3.900,00 EUR des beantragten Darlehens für die Begleichung des Mietrückstandes entschieden worden ist. Der Antragsgegner hat durch die Aufrechterhaltung des Zurückweisungsantrags konkludent den Darlehensantrag auch über 4.550,00 EUR abgelehnt. Im Übrigen wäre ein Verweis auf eine förmliche Verwaltungsentscheidung in Bezug auf den geltend gemachten weiteren Darlehensbetrag nicht zumutbar, da wegen des drohenden Ablaufs der Heilungsfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB die Sache sehr eilig ist und im Übrigen aufgrund der Rechtsansicht des Antragsgegners ohnehin mit einer ablehnenden Entscheidung des Antragsgegners zu rechnen wäre. Unter diesen Voraussetzungen ist auch hinsichtlich des weiteren Darlehensbetrages das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 86b Rnr. 26b).

Der Eilantrag ist auch begründet.

Das Gericht kann auf Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Satz 2).

Neben dem Anordnungsgrund, also dem Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz den Anordnungsanspruch, also den materiellrechtlichen Anspruch auf die Leistung, voraus, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll (vgl. std. Rspr. des Hess. Landessozialgerichts, z.B.: Beschl. v. 09.06.2006, Az.: L 9 SO 13/06 ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. z. SGG, 8. Auflage, Rn. 26c zu § 86b).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System gegenseitiger Wechselbeziehung (vgl. st. Rspr. des Hess. Landessozialgerichts, z.B. Beschl. v. 29.06.2005, Az.: L 7 AS 1/05 ER): Ist etwa die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Sind dabei grundrechtliche Belange des Antragstellers berührt, haben sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen (Bundesverfassungsgericht – BVerfG , Beschluss v. 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05 und im Anschluss daran die st. Rspr. des Hess. Landessozialgerichts, z.B. Beschl. v. 18.09.2006, Az.: L 7 SO 49/06 ER).

Alle Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind – unter Beachtung der Grundsätze der objektiven Beweislast – glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO –); die richterliche Überzeugungsgewissheit in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes erfordert insoweit eine lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rn. 16b).

Nach diesen Maßstäben hat der Eilantrag Erfolg.

Der Anspruch der Antragsteller richtet sich nach der Vorschrift des § 22 Abs. 5 SGB II. Diese Vorschrift lautet wie folgt:

Sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

Die Tatbestandsvoraussetzungen der Erbringung von Leistungen für Unterkunft und Heizung und des Vorliegens von Mietschulden sind gegeben. Ebenso droht vorliegend Wohnungslosigkeit im Sinne des § 22 Abs. 5 S. 2 SGB II aufgrund der erfolgten fristlosen und ordentlichen Kündigung und der anhängigen Räumungsklage. Für die Möglichkeit eines vorrangigen Vermögenseinsatzes nach § 12 Abs. 1 SGB II bestehen keine Anhaltspunkte.

Der Eintritt der Rechtsfolge eines gebundenen Ermessens nach § 22 Abs. 5 S. 2 SGB II in Bezug auf die Gewährung des Darlehens hängt aber weiterhin vom Vorliegen der Voraussetzungen der Rechtfertigung und Notwendigkeit der Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 5 S. 2 SGB II ab. Eine Mietschuldenübernahme kommt grundsätzlich nur in Bezug auf angemessene Unterkünfte in Betracht. Dies ist hier unstreitig gegeben. Weiterhin muss die beantragte Schuldenübernahme zur Sicherung der bisherigen Unterkunft überhaupt geeignet ist, um im Sinne des § 22 Abs. 5 S. 2 SGB II gerechtfertigt und notwendig zu sein. Die Übernahme von Mietschulden hat den Zweck, die bisherige Wohnung zu erhalten. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden, wenn trotz Schuldenübernahme der Erhalt der Wohnung nicht gesichert werden kann. Dies lässt sich im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht abschließend beurteilen. Allerdings liegt bislang jedenfalls kein Räumungstitel vor. Vielmehr wird die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung derzeit noch im amtsgerichtlichen Verfahren überprüft. Vorliegend wird die Begleichung der hier streitgegenständlichen Mietrückstände in Bezug auf die Wohnung im 1. OG zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung führen, da die Heilungsfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB noch nicht abgelaufen ist. Unstreitig hat der Lauf dieser zweimonatigen Frist erst am 21.6.2010 mit der Zustellung der Klage an diesem Tag begonnen. Hierfür ist im Übrigen zur Glaubhaftmachung noch eine eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin zu 1) sowie die Kopie des entsprechenden Postzustellungsumschlages vorgelegt worden. Die Zustellung der Räumungsklageschrift und damit der Beginn der Frist am 21.6.2010 entspricht im Übrigen dem Inhalt der Verwaltungsakte, da dort eine Vorsprache am 21.6.2010 wegen der erhaltenen Räumungsklage dokumentiert ist. Die insoweit noch nachgereichte eidesstattliche Versicherung und eine Kopie des Postzustellungsumschlags zur Räumungsklageschrift mussten dem Antragsgegner nicht vor der Entscheidung des Gerichts weitergeleitet werden, da er von dem Umstand der genannten Frist bereits Kenntnis hatte.

Die Nachzahlung der ausstehenden Miete wendet jedenfalls die anderenfalls wahrscheinlich zu erwartende Räumung auf Grundlage der fristlosen Kündigung, zu der der Vermieter aufgrund des Zahlungsrückstandes berechtigt war, ab. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist nicht gewiss, dass die hilfsweise ausgesprochene fristgerechte Kündigung wirksam ist und ebenfalls die Räumungsklage trägt. Zwar lässt der nachträgliche Ausgleich der Rückstände innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nur die fristlose Kündigung unwirksam werden und nicht ohne Weiteres auch die fristgemäße Kündigung. Indes ist die nachträgliche Zahlung bei der Prüfung, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB), zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 16.2.2005, Az.: VIII ZR 6/04). Daher kann jedenfalls nicht mit Gewissheit von der Wirksamkeit der fristgerechten Kündigung ausgegangen werden, zumal der Mietrückstand nicht auf einen mangelnden Zahlungswillen, sondern auf das tatsächliche Fehlen der erforderlichen Mittel infolge der geringen und später korrigierten Leistungsgewährung durch den Antragsgegner zurückzuführen ist (vgl. dazu noch unten). Dies dürfte bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung ebenfalls zu berücksichtigen sein.

Bedenken hinsichtlich der Rechtfertigung der Mietschuldenübernahme können hier im Hinblick darauf bestehen, dass die Antragsteller bzw. der Antragsteller zu 4) über einen gewissen Zeitraum nicht hinreichend seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist in Bezug auf die Vorlage von Unterlagen zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit und hierdurch eine Ursache für die Mietschulden gesetzt hat. Auch ist die zwischenzeitlich erfolgte Nachzahlung nicht für die vorrangige Sicherung der Wohnung, sondern aus nicht nachvollziehbaren Gründen für die Tilgung von Schulden für das Büro verwendet worden. Ob dieser Gesichtspunkt letztlich einer Mietschuldenübernahme entgegensteht oder im Hinblick auf die Mitverantwortung des Antragsgegners (dazu unten) nicht von entscheidender Bedeutung ist, bedarf ebenso weiterer Prüfung, wie die Frage, ob – wie die Antragsteller geltend machen – noch Zahlungen für die Monaten Dezember und Januar offen sind, die für die Begleichung der Mietschulden verwendet werden könnten. Eine weitere Aufklärung kann im vorliegenden Eilverfahren vor allem auch im Hinblick auf den mittlerweile nahen Ablauf der Heilungsfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB indes nicht geleistet werden. Der drohende Ablauf der Heilungsfrist und der damit wohl unabwendbare Erfolg der Räumungsklage begründet im Übrigen eine besondere Eilbedürftigkeit im Sinne eines Anordnungsgrundes.

Unter diesen Umständen ist auf Grund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese geht im Ergebnis zu Gunsten der Antragsteller aus.

Bei der Folgenabwägung sind für die Kammer die folgenden Gesichtpunkte ausschlaggebend: Eine Verpflichtung des Antragsgegners zu vorläufigen Leistungen in Form eines Darlehens führt nur zu einer gewissen fiskalischen Belastung. Dem gehen vorliegend die Interessen der Antragsteller vor. Dies gilt im Ergebnis auch unter Berücksichtigung des Aspekts, dass der Antragsteller zu 4) aufgrund einer Überschätzung des zu erwartenden Erwerbseinkommens die Anrechnung eines entsprechend hohen Einkommens bei der Leistungsberechnung durch den Antragsgegner bewirkt und damit eine Ursache für die Mietrückstände gesetzt hat. Denn insoweit ist es für die Kammer nicht gut nachvollziehbar, dass der Antragsgegner die nicht näher begründete grobe Schätzung des Antragstellers zu 4) zu seinen zukünftigen Gewinnaussichten genügen ließ, den Antragstellern durch eine entsprechend hohe Einkommensanrechnung die Leistungen auf nahezu Null abzusenken. Nicht zuletzt auch wegen der noch im Dezember 2009 von dem Antragsteller zu 4) angeführten Schwierigkeiten bei der Etablierung seines Unternehmens und der Erzielung hinreichender Gewinne erscheint die Zugrundelegung der wenige Wochen später übertrieben optimistischen Gewinnschätzungen für die Folgemonate übereilt. Eine verantwortliche Betrachtung der Situation der Bedarfsgemeinschaft mit zwei kleinen Kindern hätte zur der Überlegung führen müssen, dass die einfache Zugrundelegung der groben Gewinnschätzung – deren Zweifelhaftigkeit offensichtlich war – unter anderem das Risiko des kurzfristigen Entstehens von Mietschulden birgt, wenn sich die Schätzung als unzureichend erweist. Letzteres ist – wie im Grunde fast absehbar war – dann auch eingetreten. Insofern sieht das Gericht auch eine nicht unerhebliche Mitverantwortung des Antragsgegners bei dem Zustandekommen der Mietschulden. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung der Abwendung der Wohnungsräumung für die Antragsteller – und zwar insbesondere auch für die beiden zwei und sechs Jahre alten Antragsteller zu 2) und 3), die selbst keine Obliegenheiten verletzt haben – war zugunsten der Antragsteller zu entscheiden.

Nach Ansicht der Kammer ist es entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht erforderlich, eine Rückzahlungsverpflichtung in den Eilbeschluss ausdrücklich aufzunehmen. Vielmehr folgt die Rückzahlungspflicht bereits aus dem Umstand, dass nur zur vorläufigen Gewährung eines Darlehens verpflichtet wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Rechtskraft
Aus
Saved