L 14 B 1072/07 R

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 8 R 208/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 B 1072/07 R
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 26. September 2007 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens
S 8 R 208/07 zu erstatten.



Gründe:

I.
Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) vom 26.09.2007, mit welchem dieses die beantragte Erstattung außergerichtlicher Kosten des Klägers im vorangegangenen Klageverfahren wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt hat.
Die Beklagte hatte nach anfänglicher Ablehnung eines Antrags auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung (Bescheid vom 24.02.2006) dem Widerspruch des Klägers im Widerspruchsbescheid vom 21.12.2006 teilweise abgeholfen und Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.12.2005 bis 31.07.2007 bei Übernahme der Hälfte der Kosten für das Widerspruchsverfahren bewilligt. Unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen hatte sie ausgeführt, bei Vorlage einer Bescheinigung des Arbeitgebers über die Möglichkeit eines Teilzeitarbeitsplatzes werde das Vorliegen voller Erwerbsminderung (erneut) geprüft. Dem Widerspruch war die übliche Rechtsmittelbelehrung (Klage zum Sozialgericht) angefügt.
Mit Schreiben vom 24.01.2007 (Eingang beim SG am 29.01.2007) hatte der Kläger hiergegen Klage erhoben. Gleichzeitig hatte er mit Schreiben vom gleichen Tage der Beklagten eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vom 15.01.2007 (Eingang am 30.01.2007) vorgelegt. Diese hatte mit Bescheid vom 06.02.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung, befristet bis 31.07.2007, bewilligt, woraufhin der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 27.04.2007 die Klage für erledigt erklärte und u.a. beantragte, die "Kosten des Verfahrens" der Beklagten aufzuerlegen und "die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären".
Die Beklagte lehnte die Übernahme der außergerichtlichen Kosten des Klägers (und die erstattungsfähigen Kosten des Vorverfahrens über die im Widerspruchsbescheid zugesagte Hälfte hinaus) ab. Die Klageerhebung sei nicht erforderlich gewesen. Es sei dem Kläger zumutbar gewesen, nach Vorlage einer entsprechenden Arbeitgeberbescheinigung die Prüfung der Beklagten abzuwarten und Klage erst nach eventueller Nichtabhilfe zu erheben.
Das SG hat seine ablehnende Entscheidung vom 26.09.2007 unter Bezugnahme auf
§ 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wie folgt begründet:
Bei der nach sachgemäßen Ermessen zu treffenden Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten seien neben dem mutmaßlichen Verfahrensausgang bei Erledigung durch gerichtliche Entscheidung auch andere sich aus der Prozessgeschichte ergebene Umstände zu beachten, die für die gerechte Verteilung der Kosten von Bedeutung sein könnten. Hierbei seien auch Umstände zu berücksichtigten, die sich bei der Durchführung des Widerspruchsverfahrens ergeben hätten, insbesondere seien die für die Erhebung der Klage und ihre Erledigung bedeutsamen Gründe zu beachten.
Im vorliegenden Fall habe die Beklagte den Kläger im Widerspruchsverfahren aufgefordert, eine Bescheinigung des Arbeitgebers über die Möglichkeit eines Teilzeitarbeitsplatzes einzureichen. Erst nach Vorlage einer solchen Bescheinigung habe sie über die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung entscheiden können. Dies habe sie auch unverzüglich nach Vorlage dieser Bescheinigung getan. Dass der Klägerbevollmächtigte zuvor bereits Klage zum SG erhoben habe, sei ihr nicht zuzurechnen, so dass sie auch die Kosten dafür nicht zu erstatten habe.
Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten und erneut die Erklärung der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren als notwendig. Es entspreche billigem Ermessen, die Beklagte mit den "Verfahrenskosten" (gemeint offensichtlich die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Sinne von § 193 Abs. 2 SGG) zu belasten. Auf die Klageerhebung habe er nicht verzichten können, um nicht wegen Versäumung der Klagefrist mit einem Verlust seiner Rentenansprüche rechnen zu müssen, denn mit dem Schreiben der Beklagten vom 19.12.2007 sei nur die Prüfung eines Antrags auf volle Erwerbsminderung angekündigt worden. Für den Kläger sei nicht absehbar gewesen, welche Zeit die Beklagte für die Prüfung des vollen Rentenanspruchs brauche und ob sie ihm voll statt geben würde. Der geänderte Rentenbescheid vom 06.02.2007 sei ihm auch erst nach Einreichung der Klage und Ablauf der Klagefrist zugestellt worden.
Weiter führte er aus, die Beklagte sei aufgrund ihrer Amtsermittlungspflicht verpflichtet gewesen, bereits im Antrags- oder Widerspruchsverfahren die notwendigen Ermittlungen für den vollen Rentenanspruch durchzuführen. Wenn die Anforderung einer Erklärung des Arbeitgebers vor Erlass des Widerspruchsbescheides erfolgt wäre, hätte der Kläger bereit im Widerspruchsverfahren obsiegen können, so dass die Notwendigkeit der Klageerhebung nicht entstanden wäre.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und auch begründet.
Nach § 193 Abs. 1 und 3 SGG ist dann, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird, durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Die Entscheidung erfolgt nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des bisherigen Sach- und Streitstandes. Die Ermessensentscheidung des SG ist im Beschwerdeverfahren in vollem Umfang nachprüfbar (Meyer-Ladewig, SGG 8. Aufl., § 193 Anm. 17 m.w.N.).
Die Entscheidung des SG berücksichtigt vorliegend nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte. Entgegen seiner Auffassung hat die Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben, so dass sie nach dem Veranlassungsprinzip zur Kostenerstattung herangezogen werden kann.
Trotz ihrer im Widerspruch gegebenen "Zusage", das Vorliegen von voller Erwerbsminderung im Falle der Vorlage einer Bescheinigung des Arbeitgebers über die Möglichkeit der Zurverfügungstellung eines Teilzeitarbeitsplatzes zu prüfen, hat die Beklagte insofern erheblich zur Klageerhebung beigetragen, als sie den Widerspruch bezüglich der vollen Erwerbsminderung mit Widerspruchsbescheid formal zurückgewiesen hat und damit für den Kläger die prozessuale Notwendigkeit bestand, diese Ablehnung nicht durch Verstreichen der Klagefrist bestandskräftig werden zu lassen, sofern er nicht auf eine Abhilfe nach Prüfung der noch innerhalb der Klagefrist bei der Beklagten vorgelegten Bescheinigung vertrauen wollte.
Die Beklagte hatte dem Kläger damit zwar eine Möglichkeit eröffnet, auch ohne Klageverfahren mit gewisser Wahrscheinlichkeit die begehrte Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung durchzusetzen. Der Kläger weist jedoch zu Recht darauf hin, dass nicht eine entsprechende Abhilfe, sondern lediglich eine Prüfung in Aussicht gestellt worden war und für ihn im Übrigen unüberschaubar blieb, in welchem Zeitraum eine Entscheidung zu erwarten sein und welches Ergebnis diese letztlich haben würde. Keinesfalls war nach den Umständen mit der zu erwartenden Prüfung noch vor Ablauf der Klagefrist zu rechnen.
Es kann dem Kläger daher nicht vorgeworfen werden, dass er sozusagen zweigleisig verfuhr und nicht auf die Möglichkeit der Durchführung eines Klageverfahrens - in dessen Verlauf zudem auch andere Rechtsgesichtspunkte, nämlich medizinische Gründe, für das Vorliegen voller Erwerbsminderung hätten geltend gemacht werden können - verzichtete.
Die Beklagte hat mit ihrem Vorgehen einer eher späten Teilabhilfe des Klagebegehrens erst in dem das Widerspruchsverfahren abschließende Widerspruchsbescheid und mit dem Abhängigmachen weiterer Abhilfe von einer weiteren, für den Kläger in der Konsequenz nicht voll überschaubaren Bedingung außerhalb des Widerspruchsverfahrens die Klageerhebung seitens des Klägers geradezu provoziert. Sie hat daher die durch das Klageverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Klägers gemäß § 193 SGG dem Grunde nach zu tragen.
Zu den außergerichtlichen Kosten in diesem Sinne gehören auch die Kosten des vorangegangenen Vorverfahrens, das Prozessvoraussetzung für die Klageerhebung ist (Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung, vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 193 Rn. 2, 5a). Einer Feststellung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten bedurfte es daher - anders als im sogenannten isolierten Vorverfahren - (§ 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -) nicht.
Diese Entscheidung ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§§ 183, 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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