S 23 U 73/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 73/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 70/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall streitig.

Der 1940 geborene Kläger ist Pensionär. Am 11.04.2009 befand er sich mit seinem eigenen Knick-Muldenkipper auf der Baustelle des Einfamilienhauses des Herrn Dr. C. und beförderte Schotter. Gegen 17:30 Uhr kippte er mit dem Muldenkipper um und geriet unter das Gerät. Der Kläger erlitt bei diesem Unfall u. a. eine Beckenfraktur sowie eine LWS-Fraktur, aus welcher sich eine Querschnittssymptomatik ergab. Bis zum 07.08.2009 war der Kläger anschließend stationär im Krankenhaus in Behandlung.

In einer Stellungnahme vom 18.04.2009 erklärte der Bauherr Herr Dr. C., dass der Kläger insgesamt 11 Stunden geholfen habe und auch ohne den Unfall keine weiteren Helferstunden angefallen wären.

Mit Bescheid vom 18.08.2009 lehnte die Beklagte sodann gegenüber dem Kläger die Anerkennung des Ereignisses vom 11.04.2009 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie an, dass der Kläger nicht wie ein Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII tätig geworden sei. Die Tätigkeit habe vielmehr auf einer persönlichen Beziehung beruht und sei als Gefälligkeitsleistung zu bewerten.

Gegen den Bescheid legte der Kläger am 15.09.2009 Widerspruch ein, welchen er damit begründete, dass er arbeitnehmerähnlich tätig geworden sei. Hierfür könne es nicht auf den Umfang der Tätigkeit für seinen Bekannten ankommen beziehungsweise auf den Umfang der weiter geplanten Tätigkeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 12.04.2010 Klage zum Sozialgericht Frankfurt. Zur Begründung ließ er vortragen, dass die persönliche Beziehung zum Bauherrn unschädlich sei und eine 11-stündige Hilfe wirtschaftlichen Wert besitze, da sie weder geringfügig noch kurz sei. Mit dem Bauherrn habe der Kläger vereinbart, dass er am 11.04.2009 mit der ihm gehörenden Baumaschine Schotter zum privaten Baugrundstück anfährt und dort verteilt. Wie lange und wie oft der Kläger diese Tätigkeit verrichten sollte, sei nicht fest fixiert gewesen. Die Arbeit habe solange und soweit ausgeführt werden sollen, bis sie abgeschlossen gewesen sei. Am Unfalltag selber sei der Kläger auch bereits 11 Stunden beschäftigt gewesen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2010 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 11.04.2009 um einen Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII handelt.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrags verwies die Beklagte auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Frankfurt erhobene Klage ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger erlitt am 11.04.2009 keinen versicherten Arbeitsunfall. Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Insofern hat der Kläger zwar am 11.04.2009 einen Unfall erlitten, der bei ihm ein Gesundheitsschaden hervorgerufen hat. Er war jedoch zum Unfallzeitpunkt nicht als Beschäftigter unfallversichert.

Nach § 2 Abs. 1 SGB VII sind kraft Gesetzes Beschäftigte versichert. Nach § 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Der Kläger stand zum Unfallzeitpunkt nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zum Zeugen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses als Beschäftigter für ein fremdes Unternehmen (d. h. des Unternehmens des Zeugen als Bauverantwortlichen) tätig geworden ist, sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Ein zu dem Zeugen bestehendes Arbeits- oder Dienstverhältnis wird vom Kläger auch nicht behauptet.

Der Kläger stand auch nicht gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII unter Versicherungsschutz. Danach ist eine Betätigung, Handlung oder Verrichtung versichert, wenn sie unter Umständen ausgeübt wird, die einer Beschäftigung vergleichbar ist. Es muss sich um eine ernstliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert handeln, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet wird, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu einem bestimmten Unternehmen stehen (BSG, Urteil vom 15.06.2010, B 2 U 12/09 R; stRspr BSG, Urteil vom 31.5.2005, B 2 U 35/04 R; BSG, Urteil vom 13.9.2005, B 2 U 6/05 R mwN). Zusätzlich muss die Tätigkeit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechen und sie muss unter solchen Umständen geleistet werden, dass sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. Schließlich darf die Tätigkeit nicht in einer anderen Funktion verrichtet werden und durch sie muss ein innerer Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmen hergestellt werden (zu allem Bieresborn, in: jurisPK-SGB VII, Stand 21.01.2011, § 2, Rn. 254).

Eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit muss nicht vorliegen. Auch bei Freundschafts- oder Gefälligkeitsdiensten entfällt der Versicherungsschutz nicht grundsätzlich. Die Verrichtung muss jedoch einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bezeichneten Art ähneln. Dies ist unter Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu beurteilen, unter denen sich die Tätigkeit vollzieht (zu allem LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.04.2010, L 4 U 119/09).

Vorliegend hat der Kläger auf der Baustelle des Zeugen eine vorübergehende, dem Unternehmen des Zeugen dienende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert vollzogen, welcher auch dem willen des Unternehmers entsprach. Die Tätigkeit hätte insoweit auch von einer Person verrichtet werden können, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis steht. Jedoch ist die Tätigkeit von dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts nicht unter Umständen geleistet worden, die einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. Der Kläger hat die Tätigkeit vielmehr in einer anderen Funktion verrichtet.

Bei der Abgrenzung des "Wie-Beschäftigen" von den "in anderer Eigenschaft oder Funktion" Tätigen ist insoweit insbesondere zu prüfen, ob im Einzelfall Art und Umfang der Tätigkeit noch durch die engen persönlichen Beziehungen geprägt sind oder ob diese Beziehungen nur der Beweggrund dafür waren, die Tätigkeit "wie ein Beschäftigter" auszuführen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 49). Je enger die persönlichen Beziehungen sind, desto mehr spricht dafür, dass die Tätigkeit durch diese enge Beziehung geprägt wird (zu allem Bayerisches LSG, Urteil vom 29.07.2009, L 17 U 350/06; vgl. auch BSG, Urteil vom 20.04.1993, 2 RU 38/92).

Bei Gefälligkeitsleistungen unter Verwandten und Freunden ist vielmehr darauf abzustellen, ob das Familienmitglied/der Freund eine Gefälligkeit erweist, die durch die Stärke des Verwandtschafts- bzw. Freundschaftsverhältnisses ihr Gepräge erhält oder ob es sich um eine ernstliche Tätigkeit handelt, die über das hinausgeht, was allgemein in Verwandtschafts- bzw. Freundschaftsbeziehungen gefordert wird und normalerweise von abhängig Beschäftigten erbracht wird. Je enger eine Gemeinschaft ist, umso größer ist der Rahmen, in dem bestimmte Verrichtungen hierdurch ihr Gepräge erhalten (zu allem Sächsisches LSG, Urteil vom 09.12.2010, L 2 U 219/09; vgl. auch BSG, SozR 2200, § 539, Nr. 49; Kruschinsky, in: Becker/Borchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Stand: 9/2010, Rn. 854 ff.; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: 9/2010, § 2, Ziff. 34.19; Riebel, in: Hauck/Nofts, SGB VII, Stand: 5/2010, Rn. 278 ff.). Dabei sind die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beachten, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten Tätigkeit sowie die Intensität der tatsächlichen verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen.

Vorliegend hat es sich bei der Tätigkeit des Klägers für den Zeugen zur Überzeugung des Gerichts nicht um eine Gefälligkeitsleistung unter Freunden gehandelt, welche den Versicherungsschutz ausschließt. Dies ergibt sich aus der Vernehmung des Klägers sowie des Zeugen in der mündlichen Verhandlung, in welcher beide übereinstimmend zu Protokoll gegeben haben, dass sie sich vor dem Unfall praktisch nicht gekannt haben. Der Kläger hat die Tätigkeit vielmehr deshalb übernommen, weil ihn ein gemeinsamer Freund, Herr T., gefragt hat. Eine Freundschaft bestand danach zwischen dem Kläger und dem Bauherrn zum Zeitpunkt der Übernahme der Tätigkeit nicht.

Die Ausübung der Tätigkeit in einer anderen Funktion und damit der Ausschluss vom Versicherungsschutz liegt jedoch auch vor, wenn der Betroffene wie ein Unternehmer tätig wird. Auch für diese Beurteilung ist das Gesamtbild der Tätigkeit entscheidend (Bieresborn, a.a.O., Rn. 265). Anhaltspunkte für eine unternehmerähnliche Ausführung der Tätigkeit bestehen etwa dann, wenn die Erfüllung des Auftrages Werkvertragscharakter hat. Ebenfalls bedeutend kann sein, wenn der Betroffene nicht in den Fertigungsprozess des Unternehmens des Bauherrn eingegliedert ist sowie eigenverantwortlich und weisungsfrei handeln kann. Schließlich ist das Tragen des wirtschaftlichen Risikos und die freie Verfügung über die Arbeitskraft und Arbeitszeit sowie das benutzen von eigenem Werkzeug ein Indiz für eine unternehmerähnliche Tätigkeit (Bieresborn, a.a.O., Rn. 268).

Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger vorliegend die bei dem Zeugen ausgeübte Tätigkeit unternehmerähnlich verrichtet. Hierfür spricht, dass der Kläger mit seinem eigenen Arbeitsgerät, nämlich dem Muldenkipper, die Arbeit verrichtet hat. Dieses Fahrzeug hat außer ihm auch kein anderer auf der Baustelle bedient. Der Zeuge hat zudem ausgesagt, dass er dem Kläger aufgrund dessen Fachkompetenz mit dem Arbeitsgerät keine Anweisungen diesbezüglich gegeben hat. Natürlich hat der Zeuge dem Kläger gesagt, wo er den Schotter abladen soll. Dies allein genügt jedoch zu Überzeugung des Gerichts nicht, um eine arbeitnehmerähnliche Position des Klägers bejahen zu können. Die Vereinbarung zwischen dem Zeugen und dem Kläger hat vielmehr den Charakter eines Werkvertrages, weil der Kläger eine bestimmte Verrichtung (hier das Befördern und Abladen von Schotter) für den Zeugen erledigen sollte beziehungsweise wollte. Nach Beendigung dieser Verrichtung hätte der Kläger auch nicht andere Tätigkeiten auf der Baustelle übernommen, er war nur für diese eine Tätigkeit von dem Zeugen " beauftragt ". Insofern war der Kläger auch in seiner Zeiteinteilung frei, da er mit der Arbeit auf der Baustelle fertig gewesen wäre, sobald der Schotter umgeladen gewesen wäre. Der Zeuge konnte dem Kläger auch hinsichtlich des Arbeitsgeräts keine Weisungen erteilen, da hierfür der Kläger die größere Fachkompetenz besaß. Diese war letztlich auch ausschlaggebend dafür, dass der Kläger überhaupt auf dem Grundstück des Zeugen tätig geworden ist, da dieser ursprünglich den Muldenkipper selber bedienen wollte, der Kläger dies jedoch abgelehnt hat.

Alles in allem sprechen zu Überzeugung des Gerichts die überwiegenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wie ein Unternehmer und nicht wie ein Arbeitnehmer bei dem Zeugen tätig geworden ist. Der Zeuge besaß insoweit weder das nötige Arbeitsgerät noch die Kompetenz, dieses sachgerecht zu bedienen und hat deshalb auf den Kläger zurückgegriffen, der über beides verfügte. Dies aber entspricht praktisch der Beauftragung eines Fachunternehmers mit der Erledigung einer bestimmten Arbeit. Der Kläger hat damit die Tätigkeit in einer anderen rechtlichen Funktion ausgeübt als ein "Wie-Beschäftigter", so dass kein Versicherungsschutz bei der Beklagten bestand.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.
Rechtskraft
Aus
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