L 11 B 765/08 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SO 73/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 765/08 SO ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 27.08.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.
Der Antragsteller (ASt) begehrt die Gewährung eines Ernährungsmehrbedarfs und eines Hygienemehrbedarfs von der Antragsgegnerin (Ag).
Der 1963 geborene ASt bezieht von der Ag seit dem 01.07.2008 Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Darüber hinaus beantragte der ASt aufgrund einer HIV-Erkrankung die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung und mit Schreiben vom 09.07.2008 die Gewährung eines Mehrbedarfs für zusätzliche Hygieneartikel.
Mit Bescheid vom 28.07.2008 wegen der Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt wurde dem ASt u.a. mitgeteilt, dass über seine Anträge auf Bewilligung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung und auf Bewilligung eines Hygienemehrbedarfs entschieden werde, sobald eine amtsärztliche Stellungnahme des Gesundheitsamtes vorläge. Der ASt lehnte allerdings eine amtsärztliche Untersuchung ab.
Am 20.08.2008 hat er beim Sozialgericht Würzburg (SG) beantragt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Ag zu verurteilen, ihm einen Ernährungsmehrbedarf und Hygienemehrbedarf rückwirkend zu gewähren. Mit Bescheid vom 28.07.2008 habe die Ag den Ernährungsbedarf bei HIV nicht gewährt bzw. lt. Telefon abgelehnt, ein schriftlicher Bescheid folge. Das Gleiche gelte auch für den Hygienemehrbedarf.
Mit Beschluss vom 27.08.2008 hat das SG A-Stadt den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass der ASt keinen Anordnungsanspruch im Hinblick auf einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung glaubhaft gemacht habe. Zwar seien nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen bei einer HIV-Infektion für die diesbezüglich vorgesehene Kostform der Vollkost eine Krankenkostzulage von 25,56 EUR vorgesehen. Der Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwendiger Ernährung (Krankenkostzulagen) gemäß § 23 Abs 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten des Landwirtschaftsverbandes Westfalen-Lippe von 2002 (Begutachtungsleitfaden) verneine allerdings bei einer HIV-Infektion eine besondere Kostform, die Einfluss auf das Krankheitsgeschehen habe. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15.04.2008 seien die beiden Empfehlungen bzw. Leitfäden nicht (mehr) als antizipierte Sachverständigengutachten zugrunde zu legen, es sei vielmehr eine Einzelfallprüfung notwendig. Diese Einzelfallprüfung habe der ASt durch sein eigenes Verhalten verunmöglicht. Ein Ausschluss der Mitwirkungspflicht nach § 65 SGB I sei nicht ersichtlich. Auch ein Hygienemehrbedarf könne nicht angenommen werden, da auch diesbezüglich Anhaltspunkte dafür fehlen würden, ob dieser Bedarf tatsächlich erheblich über dem durchschnittlichen Bedarf läge. Auch hier sei der jeweilige Einzelfall maßgeblich, eine Aufklärung durch die amtsärztliche Untersuchung hätte aufgrund des Verhaltens des ASt nicht erfolgen können. Ein Anordnungsgrund hinsichtlich eines angenommenen Hygienemehrbedarfs von monatlich pauschal 20,45 EUR sei nicht zu erkennen, da im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in aller Regel geringfügige Abschläge - im Verhältnis zum Gesamtanspruch - hinzunehmen seien. Im Hinblick auf die für die Vergangenheit geltend gemachten Leistungen fehle es an einem Anordnungsgrund, weil die Angelegenheit nicht (mehr) eilbedürftig sei.
Gegen diesen Beschluss hat der ASt am 01.09.2008 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass er seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt habe. Es stünden ihm aufgrund der HIV-Infektion mindestens 25,56 EUR unabhängig vom individuellen HIV-Stadium zu. Bei ihm handle es sich um ein fortgeschrittenes Stadium mit erheblichen Begleiterscheinungen wie z.B. Pilze, Mundsoor usw. Der Beschwerde beigefügt war ein Vertrag über die Wohnungsgemeinschaft zwischen dem ASt und R. B. vom 29.08.2008, ein Schreiben des ASt an das Landratsamt -Gesundheitsamt- A-Stadt vom 09.08.2008, das Einladungsschreiben zur amtsärztlichen Untersuchung des Landratsamts A-Stadt vom 08.08.2008, ein (unvollständiger) Arztbrief der Missionsärztlichen Klinik, des Akademischen Lehrkrankenhauses der J.-Universität A-Stadt vom 31.07.2007 und Befundberichte von P. N. vom 10.12.2007 und Dr.R. vom 19.07.2007, darüber hinaus ein Schreiben des KAB Diözesanverbandes A-Stadt e.V. an das Zentrum Bayern Familie und Soziales, Region Unterfranken, vom 07.02.2008. Darüber hinaus wurden ein Laborbericht der Missionsärztlichen Klinik vom 12.06.2008, sowie Passagen aus einem "Gutachten M. 2003" vorgelegt.
Die Ag hat mitgeteilt, dass im Rahmen eigener Ermittlungen derzeit überprüft werde, ob eine Leistungsgewährung an den ASt ohne amtsärztliche Untersuchung nach Aktenlage möglich sei. Eine Entscheidung über die beantragten Leistungen nach §§ 30 Abs 5 bzw. 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII stünde noch aus.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Eine Abhilfeentscheidung ist nicht erforderlich, § 174 SGG ist mit Wirkung zum 01.04.2008 weggefallen.
Das Rechtsmittel erweist sich jedoch nicht als begründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sowie das Vorliegen eines Anordnungsanspruches voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs 2, 294 Zivilprozessordnung -ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b Rdnr 41).
Vorliegend fehlt es sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund für die vom ASt begehrten Leistungen. Zur Begründung wird gemäß § 142 Abs 2 Satz 3 SGG auf die Entscheidungsgründe des Beschlusses des SG A-Stadt vom 27.08.2008 verwiesen.
Ergänzend ist auszuführen, dass unter Berücksichtigung der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG (BSG 14.Senat vom 27.02.2008, B 14/7b AS 64/06 R; BSG, 14.Senat vom 27.02.2008, B 14/7b AS 32/06 R sowie BSG 14.Senat vom 15.04.2008, B 14/11 AS 3/07 R) die "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. aus dem Jahr 1997 weder als Rechtsnormen noch derzeit als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind. Zwar können diese im Regelfall zur Konkretisierung des angemessenen Mehrbedarfs i.S. des § 21 Abs 5 SGB II herangezogen werden. Maßgeblich für die Bestimmung des Mehrbedarfs ist aber stets eine im Einzelfall medizinisch begründete Feststellung der tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt ist.
Es ist somit unzutreffend, wenn der ASt von einem Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf von 25,56 EUR unabhängig von seinem HIV-Stadium ausgeht. Die erforderliche Einzelfallprüfung hat der ASt durch die von ihm unterlassene Mitwirkung verunmöglicht. Die im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe rechtfertigen sein Fernbleiben nicht. Auch die im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren vorgelegten Befundberichte lassen eine notwendige Einzelfallprüfung nicht zu. Insbesondere datieren die maßgeblichen Befunde aus dem Jahre 2007.
Hinsichtlich des von ihm geltend gemachten Hygienemehrbedarfs besteht entgegen der Auffassung des Ast ein Anordnungsanspruch nicht. Die für die Körperpflege erforderlichen Aufwendungen sind grundsätzlich von der Regelleistung umfasst. Ein darüber hinausgehender - zu ersetzender - unabweisbarer Bedarf kann erst bei einer erheblichen Beeinträchtigung gesehen werden, die nicht bereits dann vorliegt, wenn eine Bedarfsunterdeckung entsteht, sondern erst dann, wenn andernfalls eine Gefährdungslage für das sozialstaatlich unabdingbar gebotene Leistungsniveau entstünde (so für § 23 SGB II LSG Berlin-Brandenburg 19.Senat vom 24.04.2007, L 10 B 400/07 AS ER). Durch den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung und den in der Regelleistung enthaltenen Anteil für Körperpflege ist regelmäßig gewährleistet, dass eine erhebliche Beeinträchtigung durch den Ausschluss des erkrankungsbedingten Bedarfs nicht eintreten kann. Eine Einzelfallprüfung hat der Ast auch hier durch sein Verhalten verunmöglicht.
Darüber hinaus besteht hinsichtlich der vom ASt begehrten Leistungen aber auch kein Anordnungsgrund.
Dies ergibt sich zum einen - wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat - aus der geringen Höhe der begehrten Leistung. Insbesondere aber ist es dem ASt zuzumuten, zumindest eine Entscheidung der Ag abzuwarten.
Eine Ablehnung der von ihm begehrten Leistungen ist bis jetzt nicht erfolgt, was dem ASt auch ausweislich der Niederschrift vom 20.08.2008 bekannt ist. Dem ASt ist es zumutbar, unter Berücksichtigung seines eigenen Verhaltens zumindest eine amtsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage abzuwarten und gegen einen eventuell ablehnenden Bescheid die möglichen Rechtsmittel zu ergreifen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des ASt.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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