L 11 B 823/08 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 AS 592/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 823/08 AS ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom
24.07.2008 Punkt I. und II. wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht wird abgelehnt.



Gründe:

I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an die Antragstellerin (ASt) für die Zeit ab 01.02.2008.
Die ASt wohnte seit 01.08.2005 zusammen mit Herrn W. (W.) und zog mit diesem gemeinsam am 01.09.2006 in die derzeitige Wohnung um.
Die ASt bezog von der Antragsgegnerin (Ag) zuletzt aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 02.07.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.11.2007 Alg II seit 01.01.2007 unter Annahme einer Bedarfsgemeinschaft bestehend aus ihr und W. Am 11.10.2007 zeigte die ASt an, dass W. ab 15.10.2007 ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis aufnehme und sich aus dem Leistungsbezug abmelde.
Nachdem W. keine Einkommensbescheinigung vorgelegt hatte, hob die Ag mit Bescheid vom 05.12.2007 die bewilligten Leistungen ab 01.12.2007 auf. Über den dagegen eingelegten Widerspruch hat die Ag noch nicht entschieden.
Auf Fortzahlungsantrag vom 10.12.2007 hin bewilligte die Ag mit Bescheid vom 20.12.2007 gemäß § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 40 SGB II vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.12.2008 bis 31.01.2008. Gegen diesen Bescheid legte die ASt keinen Widerspruch ein. Nach Vorlage von Unterlagen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des W. lehnte die Ag mit Schreiben vom 26.06.2008 die Bewilligung von Alg II für die Zeit ab Aufnahme der Beschäftigung ab. In dem an das SG gerichteten Schreiben vom 01.07.2008 hat die ASt dagegen Widerspruch eingelegt. Mit Bescheid vom 21.10.2008 lehnte die Ag einen weiteren Antrag der ASt für die Zeit ab 27.08.2008 ab.
Bereits am 27.05.2008 hat die ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Eine Bedarfsgemeinschaft mit W. bestehe nicht.
Das SG hat nach uneidlicher Zeugeneinvernahme des W. mit Beschluss vom 24.07.2008 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Punkt I. und II.) abgelehnt. Eine Bedarfsgemeinschaft sei anzunehmen. Hilfebedürftigkeit im Rahmen dieser Bedarfsgemeinschaft bestehe nicht.
Gegen die Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Hilfebedürftigkeit liege bei ihr vor, denn eine Bedarfsgemeinschaft mit W. sei nicht anzunehmen. Sie habe am 15.09.2008 ein befristetes Arbeitsverhältnis (Teilzeit 25 Wochenstunden) aufgenommen.
Für das Beschwerdeverfahren hat die ASt die Bewilligung von PKH begehrt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. Rdnr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiellrechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung -ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b Rdnr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 -1 BvR 2971/06-).

In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO).
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens allein der Leistungszeitraum ab 01.02.2008 - für die Zeit bis 31.01.2008 hat die ASt vorläufige Leistungen von der Ag erhalten -. Diesbezüglich hat die Ag mit Bescheid vom 26.06.2008 - dieses Schreiben ist als Verwaltungsakt anzusehen, denn es regelt verbindlich einen Einzelfall - Leistungen mangels Hilfebedürftigkeit im Rahmen der bestehenden Bedarfsgemeinschaft abgelehnt. Hiergegen hat die ASt Widerspruch eingelegt bzw. die Widerspruchsfrist ist mangels entsprechender Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 26.06.2008 noch nicht abgelaufen. Die Widerspruchsfrist gegen den - erneuten - Ablehnungsbescheid läuft ebenfalls noch.
Für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung fehlt es vorliegend sowohl an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes als auch eines Anordnungsanspruches.
Zum einen besteht keine Notwendigkeit, Leistungen für einen bereits vergangenen Zeitraum im Rahmen der einstweiligen Anordnung zuzusprechen, der ASt ist diesbezüglich ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zumutbar. Zum anderen ist die Ast seit 15.09.2008 sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so dass der Lebensunterhalt hierdurch bereits abgesichert ist. Gegenteilige Anhaltspunkte fehlen und sind von der ASt auch nicht vorgetragen worden. Zuletzt ist durch den erneuten Ablehnungsbescheid vom 21.10.2008 eine Zäsur eingetreten, dieser Bescheid ist nicht mehr Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (vgl. zuletzt BSG Beschluss vom 19.09.2008 - B 14 AS 44/08 B -).
Es ist aber auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden. Die ASt lebt mit W. seit mehr als einem Jahr in einem gemeinsamen Haushalt, so dass die Vermutungsregelung der §§ 7 Abs 3a Nr 1, Abs 3 Nr 3 Buchst. c SGB II eingreift. Insbesondere ist es der ASt bislang nicht gelungen, diese Vermutungsregelung zu entkräften. Vielmehr finden sich u.a. aufgrund ihrer Angaben und der Angaben des als Zeugen im Erörterungstermin vor dem SG am 19.06.2008 vernommenen W. weitere Indizien, die für einen wechselseitigen Willen, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen, sprechen. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen im Beschluss des SG gemäß § 142 Abs 2 Satz 3 SGG Bezug genommen. Auch die Ausführungen im Rahmen der Beschwerdebegründung vermögen diese Vermutung nicht zu widerlegen, wobei insbesondere die Anmeldung eines W. gehörenden Kfz auf den Namen der ASt bereits von einem besonderen Vertrauensverhältnis geprägt sein muss; auf eine dritte Person wird ein Kfz im Privatbereich regelmäßig nicht versichert, ohne dass eine besondere Beziehung vorliegt. Die Ansicht einer Rechtsschutzversicherung zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft erlangt keinerlei Bedeutung.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
PKH für das Beschwerdeverfahren ist mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zu bewilligen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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