L 4 KR 321/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 590/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 321/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31. Januar 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten über die Bezahlung von 124,35 Euro für eine von der Klägerin, die Kostenerstattung gewählt hat, beschaffte Arznei (Injektion).

Die 1937 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten und hat für ambulante Behandlung einschließlich Arzneimittel Kostenerstattung gemäß § 24 der Beklagtensatzung in Verbindung mit § 13 Abs.2 SGB V gewählt. Nach Aussagen ihrer Krankenkasse hat sie sich seit Frühjahr 2005 für ca. 50.000,00 Euro Arzneimittelkosten erstatten lassen.
Am 21.06.2004 erwarb die Klägerin bei der A.apotheke in B-Stadt die ihr zuvor vom Vertragsarzt Dr.B. auf einem Privatrezept verordneten 100 Ampullen Cefasel 300 UG wegen eines ausgeprägten Selenmangels zum Preis von 124,35 Euro. Am gleichen Tage legte die Klägerin das quittierte Rezept der Beklagten zur Erstattung vor.

Nachdem Dr.D. vom MDK das Präparat nicht als für die gesetzliche Krankenversicherung verordnungsfähiges Arzneimittel eingeschätzt hatte, lehnte die Beklagte mit dieser Begründung eine Erstattung ab (Bescheid vom 23.06.2004). Auf den klägerischen Widerspruch nahm Dr.D. erneut Stellung dahin, dass das Cefasel ein apotheken- aber nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel sei, welches zu Lasten der GKV nicht verordnet werden könne, so dass die Beklagte die Kostenübernahme erneut ablehnte (Bescheid vom 25.06.2004). Die Klägerin wandte ein, dass in der verordneten Form das Cefasel verschreibungspflichtig sei, was Dr.D. bestätigte, nun aber auf die Gefahr einer toxisch wirkenden Überdosierung hinwies, wozu die Beklagte noch nähere Angaben erheben solle. Es heißt nämlich in der Produktbeschreibung, dass Cefasel in der 300er-Version zur kurzfristigen Behandlung, in der Regel eine bis zwei Wochen, geeignet sei und danach eine Weiterbehandlung mit niedriger Dosis fortgesetzt werden solle. Der daraufhin von Dr.B. vorgelegte Behandlungsplan sowie Laborbefunde vom 02.06.2004, wertete Dr.D. dahin aus, dass die Gabe von Cefasel in niedriger Dosierung von 50 mg, die ihrerseits nicht verschreibungspflichtig sei, bei der Klägerin ausgereicht hätte, was die Klägerin wegen ihres erhöhten Selenbedarfs nach langdauernder Gabe von Antibiotika und Antimykotika als unzureichend ansah. Gleichwohl hielt die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 06.10.2004 an ihrer Auffassung fest, dass die Therapie mit der vorgenommenen Dosierung nicht notwendig gewesen sei.

Die dagegen am 05.11.2004 erhobene Klage ist mit der falschen Einschätzung des MDK vom tatsächlichen Selenbedarf begründet worden. Dr.B., der die seit Juni 2004 durchgehenden, jede Woche mehrmals stattgefundenen Behandlungen aufgelistet hatte, teilte mit, dass der mit 66 mg festgestellte Selenspiegel deutlich unter dem gelegen hätte, wie er bei Immundefekten, an denen die Klägerin leide, erforderlich sei. Zur Behandlung sei die verordnete Großpackung am wirtschaftlichsten gewesen. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 31.01.2007 die Beklagte zur Zahlung des vollen Kaufpreises an die Klägerin verurteilt und dazu ausgeführt: Die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit dürfe nicht soweit führen, in den Therapieplan des behandelnden Arztes einzugreifen, der von sich aus die gewählte Dosierung als sinnvoll erachtet habe. Dies nachträglich zu korrigieren, habe mit einer Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nichts mehr zu tun, so dass die Beklagte den vollen Kaufpreis zu erstatten habe.

Auf die Beschwerde der Beklagten hin hat der Senat die Berufung zugelassen (Beschluss vom 18.07.2007), die von der Beklagten damit begründet wird, dass sie nicht verpflichtet sei, all das zu erstatten, was der behandelnde Arzt der Klägerin verordne. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts beschneide die dem Arzt zustehende Therapiefreiheit nicht ihr Kontrollrecht hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit einer Verordnung. Die Klägerin könne jeweils vor Beschaffung eines verordneten Präparates eine solche Prüfung vornehmen lassen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31.01.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin, die beantragt, die Berufung zurückzuweisen, stützt sich auf die Überlegungen des Sozialgerichts. Die Verabreichung intravenöser 300-mg-Dosen sei therapeutisch erforderlich gewesen und die Verweisung auf die 50-mg-Dosis hätte den Therapieerfolg nicht gewährleisten können.

Im Übrigen wir zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der gerichtlichen Schriftsätze bzw. der beigezogenen Akten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die vom Senat zugelassene Berufung ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Die Klägerin kann die Kosten für die 100 Ampullen des hoch dosierten Cefasel 300 von der Beklagten mangels ausreichender Anspruchsgrundlage nicht erstattet verlangen. Die Klägerin hat durch die Wahl der Kostenerstattung nach § 13 Abs.2 SGB V in Verbindung mit § 24 der Satzung der Beklagten das System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verlassen. Sie hat lediglich ihren originären Sachleistungsanspruch (§ 2 Abs.2 SGB V) gegen einen (eingeschränkten) Kostenerstattungsanspruch eingetauscht. Dadurch ändert sich jedoch nicht der Leistungsumfang dessen, was sie von ihrer Krankenkasse an Behandlungsmaßnahmen verlangen kann. Insbesondere ist der behandelnde Arzt weiterhin an die gesetzlichen Vorgaben nach §§ 27, 11 SGB V gebunden, was deckungsgleich mit den Ansprüchen der Versicherten ist, wobei diese gemäß § 28 Abs.1 SGB V von ihrem behandelnden Arzt nur solche Maßnahme verlangen kann, die wirtschaftlich, also ausreichend und notwendig sind. Das gilt auch für die Verordnung von Arzneimitteln.

"Haben Versicherte von der Möglichkeit des § 13 Abs.2 SGB V Gebrauch gemacht und Kostenerstattung gewählt, muss der Arzt dennoch entscheiden, ob es sich um eine der Leistungspflicht der Krankenkasse unterliegenden Leistungspflicht handelt oder nicht. Das gehört zu seiner Beratungspflicht (vgl. entsprechend für ärztliche Honorarforderungen BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 9/05 R - Rdnr.13 m.w.N.)". So das Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R SozR 4-2500 § 13 Nr.12 Rdnr.15. In § 29 Abs.6 des Bundesmantelvertrags-Ärzte in Verbindung mit § 15 Abs.6 des Ersatzkassenvertrags Ärzte ist dem verordnenden Arzt vorgeschrieben, für solche Patienten wie die Klägerin, die Kostenerstattung gewählt haben, diesen Umstand auf dem Arzneiverordnungsblatt (Rezept) zu verzeichnen. Beachtet der Vertragsarzt diese Vorgabe nicht und hält die Krankenkasse ihrem Versicherten die unwirtschaftliche Verordnungsweise entgegen, kann sich der Versicherte dann seinerseits wegen Schadenersatzes (§ 76 Abs.4 SGB V) an den verordnenden Arzt halten (so BSG vom 14.12.2006 a.a.O.). Diesen Einwand hat die Beklagte hier erhoben. Zwar ist die Begründung dafür zunächst eine andere gewesen, als das, was dann im Widerspruchsbescheid als ausschlaggebend angesehen wurde, doch ist dieser Meinungswechsel unbeachtlich, denn diese letzte Begründung ist einleuchtend. Der gemessene Selenserumwert lag trotz der angenommenen Mangelerscheinungen nicht erheblich unter dem Normalmaß, so dass von daher das enorme Abweichen (die Gabe von 100 Ampullen) von der empfohlenen Dosierung (nicht länger als eine Woche) als unwirtschaftlich eingeschätzt werden muss.

Diese Einschätzung ist hier vor dem Hintergrund zu sehen, dass Dr.B. ein Privatrezept, also kein Kassenrezept mit dem erforderlichen Vermerk "Kostenerstattung" ausgestellt hat. Für die Behandlung eines solchen Falles gilt laut BSG vom 14.12.2006 a.a.O. Rdnr.16 folgendes: "Ein Privatrezept wird ausgestellt, wenn der Versicherte die Verordnung ausdrücklich als Privatbehandlung im Sinne von § !8 Abs.8 Nr.2 BMV-Ä, § 21 Abs.8 Nr.2 EKV-Ä - d.h. nicht als Natural- oder Kostenerstattungsleistung nach § 13 Abs.2 SGB V - wünscht oder wenn ein in der GKV Versicherter die Verordnung von Arzneimitteln verlangt, die aus der Leistungspflicht der KK ausgeschlossen oder für die Behandlung nicht notwendig sind (vgl. § 29 Abs.8 BMV-Ä, § 15 Abs.6 EKV-Ä). Der Versicherte ist vom verordnenden Arzt dann im konkreten Fall darüber aufzuklären, dass er die Kosten für nicht verordnungsfähige Arzneimittel selbst zu tragen hat (vgl. § 29 Abs.9 BmV-Ä § 15 Abs.8 EKV-Ä)". Die in § 15 Abs.6 EKV-Ä vorgesehene Möglichkeit, wann es zur Erstattung eines Privatrezepts kommt, hat die Beklagte nicht genutzt, denn in § 24 ihrer Satzung ist dieser Fall der Erstattung nicht vorgesehen.

Aufgrund dieser Sachlage, die die Klägerin hätte vermeiden können, wenn sie nach Ausstellung des Rezepts zunächst die Beklagte aufgesucht hätte, bedarf es keiner weiteren Erwägung mehr, dass auch nach der Rechtsauffassung des Sozialgerichts eine Erstattung des vollständigen Kaufpreises auf der Grundlage des § 13 Abs.2 SGB V wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Abschläge ohnehin nicht möglich wäre.
Wenn die Klägerin vorträgt, dass die Beklagte stets "Privatrezepte" toleriert habe, erwächst ihr daraus auch kein Anspruch für die beschaffte Arznei. Es gibt insofern kein "Gewohnheitsrecht", das die Beklagte verpflichten könnte, an fehlerhaftem Verhalten festzuhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und richtet sich nach dem Ausgang des Verfahrens.
Im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung ergeben sich keine Gründe, die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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