L 11 B 846/08 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 501/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 846/08 AS ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 31.07.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.

Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.05.2008 bis 23.06.2008.

Die Antragstellerin (ASt) und ihr mit in Bedarfsgemeinschaft lebender Ehemann
-ukrainische Staatsangehörige - bezogen seit 02.03.2007 Alg II, zuletzt mit Bescheid vom 02.10.2007 für die Zeit bis 30.04.2008.

Im Zusammenhang mit der persönlichen Vorsprache der ASt am 27.03.2008 sah sich die Antragsgegnerin (Ag) veranlasst, die Frage ungenehmigter Ortsabwesenheiten der ASt zu überprüfen. Mit Schreiben vom 02.04.2008 forderte sie daher die ASt auf, die Originalpassdokumente aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorzulegen.
Unter Hinweis auf §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) kündigte die Ag für den Fall, dass die ASt ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkomme, die Versagung der Leistungen an.

Auf den Fortzahlungsantrag der ASt vom 05.04.2008 hin verweigerte die Ag mit Bescheid vom 28.04.2008 die Bewilligung der Leistungen für die Zeit ab dem 01.05.2008, weil die ASt die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe.

Gegen diese Entscheidung erhob die ASt am 29.04.2008 Widerspruch, über den
- soweit nach Lage der Akten ersichtlich - noch nicht entschieden ist.

Am 02.05.2008 hat die ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) beantragt, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit ab dem 01.05.2008 in gesetzlicher Höhe zu erbringen.

Im Laufe des Antragsverfahrens hat die ASt beim SG Kopien ihres vollständigen Passes eingereicht, worauf die Ag den Leistungsanspruch für die Zeit ab der Nachholung der Mitwirkung anerkannt und mit Bescheid vom 08.07.2008 Leistungen ab dem 24.06.2008 bewilligt hat.

Auf den gerichtlichen Hinweis, dass ein Anordnungsgrund nicht mehr vorliege, weil lediglich Leistungen für die Vergangenheit im Streit stünden, hat die ASt die Auffassung vertreten, dass Leistungen nicht für die Vergangenheit begehrt würden, weil insoweit auf den Zeitpunkt des Eilantrages, den 02.05.2008, abzustellen sei.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 31.07.2008 zurückgewiesen. Es fehle ein Anordnungsgrund, weil lediglich Leistungen für bereits abgelaufene Zeiträume streitig seien. Das Erfordernis eines Anordnungsgrundes enthalte ein spezifisches Dringlichkeitselement, das nur in die Zukunft wirke. Es sei rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume eine Dringlichkeit angenommen werden könne; diese überhole sich jedoch in der Regel durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung sei nur ausnahmsweise zu bejahen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht werde, und sich ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirke. Derartiges habe die ASt nicht glaubhaft gemacht, insbesondere sei nicht ersichtlich, dass die ASt in eine existenzielle Notlage geraten wäre, oder ihr die Kündigung der Mietwohnung bzw. eine Sperrung der Energielieferungen drohe.

Mit der am 04.09.2008 beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Beschwerde hat die ASt geltend gemacht, dass es sich um die Entziehung einer laufenden Leistung handle, auch wenn diese sich auf Zeiten nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes beziehe. Insofern sei Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes § 86b Abs 1 Satz 1 Nr.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), so dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen sei, weil der Bescheid vom 28.04.2008 rechtswidrig sei. Leistungen seien daher antragsgemäß auch für die Zeit vom 01.05.2008 bis 24.06.2008 auszuzahlen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Ag sowie die gerichtlichen Akten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 SGG, in der Sache jedoch unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist hierbei zum einen der Antrag nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr.2 SGG, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 29.04.2008 gegen den Bescheid vom 28.04.2008 anzuordnen.

Entgegen der Auffassung der ASt kann sie jedoch allein aus dem für die Zeit bis 30.04.2008 maßgeblichen Bescheid vom 02.10.2007 keine Leistungsansprüche für die Zeit ab dem 01.05.2008 herleiten. Die Bewilligungszeiträume von Leistungen nach dem SGB II umfassen - begrenzt durch den Zeitrahmen - einen jeweils abgeschlossenen Streitgegenstand, insbesondere weil folgende Leistungszeiträume tatsächlich und rechtlich unterschiedlichen Rahmenbedingungen unterliegen können (vgl. Urteile des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R und 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R).

Im Weiteren stellt daher für die Frage, ob die Ag zur Erbringung (vorläufiger) Leistungen für den Zeitraum vom 01.05.2008 bis 23.06.2008 zu verpflichten ist, § 86 Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dar.

Nachdem die Ag der ASt im Anschluss an deren Antrag vom 05.04.2008 mit Bescheid vom 28.04.2004 Leistungen wegen fehlender Mitwirkung nach §§ 60,
66 SGB I verweigert hat, ist jedoch vor der Frage einer Regelungsanordnung i.S.d. § 86b Abs 2 Satz 2 SGG zu klären, ob im Rahmen des Eilverfahrens die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels anzuordnen ist, denn solange der Versagungsbescheid (i.S.d. §§ 60, 66 SGB I) wirksam und gemäß § 39 Nr.1 SGB II sofort vollziehbar ist, steht er einer Leistungsbewilligung entgegen. Auch wenn allein mit einer Anfechtung eines Versagungsbescheides kein Leistungsbegehren verbunden werden kann, sondern allenfalls die Aufhebung des ablehnenden Bescheides zu erreichen ist, hat die Existenz eines solchen Bescheides Auswirkung auf einen Anspruch des Leistungsempfängers dergestalt, dass - Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit des Versagungsbescheides vorausgesetzt - ein Leistungsanspruch für die Dauer der fehlenden Mitwirkung nicht besteht (vgl. hierzu auch Beschluss des Senates vom 12.11.2007, L 11 B 826/07 AS ER).

Auch wenn der Bescheid vom 28.04.2008 bereits deshalb offenkundig rechtswidrig ist, weil dem Bescheid selbst keinerlei Ermessenerwägungen zu entnehmen sind, ist einstweiliger Rechtsschutz im Ergebnis nicht zu gewähren.

Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. Rdnr. 643)

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9.Aufl, § 86b Rn. 41).

Eine vorläufige Regelung ist jedoch nicht geboten, weil der streitgegenständliche Leistungszeitraum (01.05.2008 bis 23.06.2008) bereits vor Einlegung der Beschwerde abgelaufen war, so dass lediglich Leistungen für die Vergangenheit im Streit stehen. Hierfür ist - nach der ständigen Rechtsprechung des Senates (Beschluss des Senates vom 02.03.2005 - L 11 B 51/05 SO ER) - die Dringlichkeit, d.h. die Eilbedürftigkeit der Bewilligung jedoch in aller Regel nicht zu belegen.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Ist die Sache zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht im o.g. Sinne dringlich, so kann eine einstweilige Anordnung nicht ergehen, denn vorläufige Regelungen von Leistungsansprüchen, die abgelaufene Zeiträume betreffen, sind regelmäßig nicht mehr nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Es fehlen auch Anhaltspunkte, die ein Abweichen hiervon geboten erscheinen lassen.

In Kenntnis der Überlegungen des SG wurde auch im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt, welche existenzielle Gefährdung der Ast durch eine Nachzahlung für vergangene Zeiträume beseitigt werden könnte oder beseitigt werden müsste. Insoweit ist daher von einer weiteren Begründung abzusehen und auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses zu verweisen, § 142 Abs 2 Satz 3 SGG.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des
§ 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen der ASt.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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