L 3 U 15/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 20 U 283/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 15/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 317/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 31.10.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger aufgrund des Unfalls vom 24.11.1998 Leistungsansprüche gegen die Beklagte hat.

Der 1965 geborene Kläger ist geschäftsführender GmbH-Gesellschafter der Firma H. Betonbearbeitung. Er ist bei der Beklagten nicht freiwillig versichert (Bescheid der Beklagten vom 30.10.1995).

Am 24.11.1998 führte er auf dem Betriebsgelände der Fa. S. in A-Stadt Bohrarbeiten durch, als er von einem herabstürzenden Eisenträger schwer verletzt wurde. Der Eisenträger war von zwei Mitarbeitern der Fa. G., G. und G., aus der Verankerung gelöst worden, die ebenfalls auf dem Betriebsgelände tätig waren.

Mit Antrag vom 23.02.2000 begehrte der Kläger Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, nachdem das LG A-Stadt die Schadensersatz-Klage gemäß § 108
Abs. 2 SGB VII ausgesetzt hatte.

Die Beklagte lehnte Leistungen mit bestandskräftigem Bescheid vom 23.02.2000 ab. Der Kläger sei als geschäftsführender Gesellschafter nicht versichert, eine freiwillige Unfallversicherung habe er nicht abgeschlossen.

Nachdem das OLG München die Schadensersatz-Klage des Klägers mit Urteil vom 21.01.2002 abgewiesen hatte, weil eine Haftung nach §§ 106 Abs. 3, 105 Abs. 2 SGB VII wegen der Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ausgeschlossen sei, und die Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos war, beantragte der Kläger erneut Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. eine Entscheidung nach § 44 SGB X.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 06.11.2002 die Rücknahme des Bescheides vom 23.02.2000 und die Gewährung von Leistungen ab, weil § 106 Abs. 3 Alt. 2 SGB VII nur für Versicherte gelte. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2003 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 06.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2003 aufzuheben und den Bescheid vom 24.11.1998 zurückzunehmen und dem Kläger anlässlich des Arbeitsunfalls vom 24.11.1998 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Zur Begründung verwies der Kläger auf das Endurteil des OLG München vom 21.02.2002.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 31.10.2006 ab. § 106 Abs. 3 Alt.2 SGB VII erfasse nach dem Wortlaut nur Versicherte. Dies sei auch vom BGH so entschieden. § 105 Abs. 2 SGB VII sei auf unternehmerähnliche Personen nicht anwendbar.

Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Die Sozialgerichtsbarkeit sei nach Erschöpfung des Zivilrechtswegs gemäß § 108 SGB VII hinsichtlich der Frage gebunden, ob ein Versicherungsfall vorliege.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG München vom 31.10.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2003 und den Bescheid vom 20.11.2000 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall vom 24.11.1998 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Beklagtenakte und die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. § 106 Abs. 3 2. Alt.
SGB VII ist nicht anwendbar, da der Kläger kein Versicherter ist.

Dass er weder pflicht- noch freiwillig versichert ist, ist unstreitig. Damit ist § 106 Abs. 3
Alt. 2 SGB VII nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist § 106 Abs. 3 Alt. 3 aber ausschließlich auf Versicherte anwendbar (BSG vom 26.06.2007, B 2 U 17/06 R):

"Gegen eine Einbeziehung des nicht versicherten Unternehmers auch in den Fällen des
§ 106 Abs. 3 Alt 2 SGB VII in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 105 Abs. 2 SGB VII sprechen jedoch systematische Gründe, wie der Vergleich des nicht versicherten Unternehmers, der von einem Versicherten seines Unternehmens geschädigt wird, mit dem nicht versicherten Unternehmer, der von einem Versicherten eines anderen Unternehmens geschädigt wird, zeigt.

Der mittelbare Versicherungsschutz des unversicherten Unternehmers bei einer Schädigung durch einen Versicherten seines Unternehmens nach § 105 Abs. 2 SGB VII (s oben: "Versicherungsschutz wegen Haftungsbeschränkung") ist zwar eine Durchbrechung des Versicherungssystems der gesetzlichen Unfallversicherung, die als Grundprinzip auf bestimmten Versicherungstatbeständen und den dafür von den Unternehmern zu erbringenden Beiträgen beruht (vgl. § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII: "Beitragspflichtig sind die Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind ..."). Der Grund für diesen besonderen Versicherungstatbestand, der im Übrigen zahlreichen Einschränkungen unterliegt (vgl. § 105 Abs. 2 Satz 2 bis 4 SGB VII), ist die Haftungsbeschränkung des Beschäftigten gegenüber "seinem" mitarbeitenden Unternehmer. Beitragsrechtlich bestehen gegen diesen Versicherungstatbestand ohne vorherige Beitragszahlung nur eingeschränkte Bedenken. Denn der verletzte Unternehmer war durch seine Beitragszahlungen an die für sein Unternehmen zuständige BG aufgrund des bei ihm tätigen Beschäftigten, der ihn nun schädigte, in das System der gesetzlichen Unfallversicherung und die vom Senat wiederholt betonte spezifische Solidaritäts- und Verantwortungsbeziehung (vgl. BSG vom
24.02.2004 - B 2 U 31/03 R - BSGE 92, 190 = SozR 4-2700 § 152 Nr. 1, jeweils RdNr. 18; zuletzt BSG vom 08.05.2007 - B 2 U 14/ 06 R -, vorgesehen für BSGE und SozR) eingebunden. An der Finanzierung der durch seine Gleichstellung mit einem Versicherten entstehenden Aufwendungen der BG wirkt er im Rahmen der allgemeinen Beitragserhebung mit.

Für einen nicht versicherten Unternehmer, der von einem Versicherten eines anderen Unternehmens bei einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte iS des § 106 Abs. 3 Alt. 2 SGB VII geschädigt wird, gelten diese für § 105 Abs. 2 SGB VII angeführten Gründe weitgehend nicht: An einer Beitragszahlung für den geschädigten, nicht versicherten Unternehmer, die als Ausgangspunkt eine Haftungsbeschränkung einhergehend mit den Leistungen des Unfallversicherungsträgers rechtfertigen könnte (s. § 104 SGB VII und seine Vorläufervorschriften seit § 95 Unfallversicherungsgesetz), fehlt es. Aus dem Argument des Betriebsfriedens kann nichts hergeleitet werden, weil es unterschiedliche Unternehmen sind. Nur aus dem Gesichtspunkt einer Zwangs- oder Gefahrengemeinschaft könnten Gründe für eine Haftungsbeschränkung seitens des schädigenden Versicherten des anderen Unternehmens, die dann zu dem Anspruch des nicht versicherten Unternehmers auf Gleichstellung mit einem Versicherten führen müsste, hergeleitet werden. Überzeugende Gründe hierfür sind jedoch nicht zu erkennen. Denn nicht für jede tatsächlich entstehende Zwangs- oder Gefahrengemeinschaft muss staatlicherseits zu Gunsten des Schädigers ein System der Haftungsbeschränkung oder zu Gunsten des Geschädigten ein öffentlich-rechtliches Versorgungssystem vorgehalten werden. Beide können sich vielmehr entsprechend versichern, z.B. der Schädiger mit einer Berufshaftpflichtversicherung und der Geschädigte in einer freiwilligen Unternehmerversicherung.

Im Übrigen müsste, wenn der nicht versicherte Unternehmer aufgrund der Gefahrengemeinschaft die aus § 106 Abs. 3 Alt. 2 SGB VII ergebende Haftungsbeschränkung sich entgegenhalten lassen müsste, er auch in der umgekehrten Situation als Schädiger in den Genuss der Haftungsbeschränkung kommen (s oben die Begründung zur Ausdehnung der Haftungsbeschränkungen in § 105 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VII). Dies würde aber die Haftungsbeschränkung der §§ 104 ff SGB VII auf gemeinsamen Betriebsstätten jeglicher Kontur berauben und letztlich zu einer unbegrenzten Haftungsbeschränkung führen, die in keiner Beziehung zu dem Ausgangspunkt Finanzierung und soziales Schutzprinzip zwischen Unternehmern und Beschäftigten stände. Denkbar wären sogar zwei unversicherte Unternehmer als Schädiger und Geschädigter, die mit den Versicherten eines dritten Unternehmens zusammen betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten, aber in keiner sonstigen Beziehung zur gesetzliche Unfallversicherung ständen.

Fragen des Beitragsrechts und der Zuständigkeit sprechen ebenfalls entschieden gegen eine Gleichstellung des geschädigten, nicht versicherten Unternehmers mit einem Versicherten. Denn der geschädigte, nicht versicherte Unternehmer muss, wenn für ihn keine Versicherten tätig waren und sind, niemals Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichten. Er steht in keiner Beziehung zu ihr. Unklar ist auch, welcher Unfallversicherungsträger für seinen Unfall zuständig ist, weil für ihn, wenn er sich freiwillig versichert hätte, ein anderer Unfallversicherungsträger zuständig sein kann, als für das Unternehmen, dem der Schädiger angehört und dessen Haftungsbeschränkung der Grund für eine Gleichstellung mit einem Versicherten wäre. Schließlich spricht auch die mit einer Haftungsbeschränkung nach §§ 104 ff SGB VII einhergehende Privilegierung nach §§ 110 ff SGB VII gegenüber der Grundnorm des § 116 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), die dem unversicherten und ggf. keine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zahlenden schädigenden Unternehmer bei einem Regress des Unfallversicherungsträgers zugute käme, gegen eine Gleichstellung des geschädigten, nicht versicherten Unternehmers mit einem Versicherten."

Eine Entschädigung des Klägers nach § 105 Abs. 2 SGB VII scheitert daran, dass er und die Schädiger nicht im selben Betrieb tätig waren (BSG a.a.O. RdNr. 23).

§ 108 SGB VII regelt die Bindung der Gerichte an Entscheidungen der Unfallversicherungsträger nach dem SGB VII und der Sozialgerichte. Er bewirkt jedoch keine Bindung der Sozialverwaltung und der Sozialgerichte an fehlerhafte Entscheidungen anderer Gerichte.

Jenseits der Vorschriften des SGB VII dürfen wegen des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes (§ 31 SGB I) keine Leistungen gewährt werden, insbesondere nicht als Schadensersatz für eine fehlerhafte Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

Die Berufung ist deshalb unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet. Sie war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war in Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 26.06.2007 nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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