L 1 R 2/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 R 995/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 2/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 9. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten, zuletzt noch Zeiten einer Internierung von Januar bis September 1946.

Der 1922 geborene Kläger trat am 15. April 1939 in die Reichsfinanzverwaltung, Finanzamt O. Süd, ein. Er besuchte die Reichsfinanzschule W., die er als Finanzanwärter abschloss. Nach der Ausbildung zum Steuerinspektor war er bis 28. Dezember 1945 als Steuerinspektor beim Finanzamt O. Süd tätig. Es folgte die Entlassung auf Anweisung der damaligen Militärregierung und eine Internierungshaft bis Ende September 1946, anschließend unterlag er einem Berufsverbot. Im Juni 1948 begann er wieder als Steuerinspektor.

Der Kläger erhält mit Rentenbescheid vom 6. Juli 1989 seit 1. Juli 1987 Altersruhegeld. Der monatliche Zahlbetrag betrug zunächst 1.401,57 DM. Am 7. Oktober 2003 beantragte er unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Februar 1996 (Az.: 13 RJ 19/95), ergangen zur Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, eine Überprüfung seiner Rentenberechnung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. Januar 2004 ab. Bei der Rentenberechnung seien alle nachgewiesenen bzw. glaubhaft gemachten Beitrags-, Ersatz- und Anrechnungszeiten berücksichtigt worden.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger die Nichtberücksichtigung verschiedener Zeiten von 15. April 1939 bis 21. Juni 1948 geltend, die von der Beklagten zu berücksichtigen seien, u.a. die Zeit der Internierungshaft von Januar bis Ende September 1946 sowie die Zeit vom 28. Dezember 1945 bis 21. Juni 1948. Die Militärregierung habe ihn am 28. Dezember 1945 entlassen und gleichzeitig ein Berufsverbot ausgesprochen. Erst am 21. Juni 1948 habe er wieder als Steuerinspektor tätig sein können. Als Beamtenanwärter seien keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezahlt worden, so dass er auch kein Arbeitslosengeld erhalten habe. Im Hinblick auf die Entscheidung des BSG sei die Zeit vom 28. Dezember 1945 bis 21. Juni 1948 anzurechnen. Zur Glaubhaftmachung der Zeit der Internierung legte der Kläger eine Eidesstattliche Versicherung des Dr. T. K. vom 16. November 2005 vor.

Die Regierung von Oberbayern lehnte mit Bescheid vom 12. Januar 2006 eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden - Häftlingshilfegesetz (HHG), ab.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2006 zurück. Hinsichtlich der Zeit der Internierung verwies sie auf § 250 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Derzeit liege eine notwendige Bescheinigung nach § 1 HHG des zuständigen Vertriebenen- oder Flüchtlingsamtes nicht vor. Zeiten der Arbeitslosigkeit könnten - auch ohne Leistungsbezug - gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI als Anrechnungszeiten anerkannt werden. Da dessen Voraussetzung nicht erfüllt sei, könnte für den begehrten Zeitraum bis 21. Juni 1948 keine Anrechnungszeiten anerkannt werden.

Mit der Klage zum Sozialgericht München beantragte der Kläger eine Aufhebung des Bescheides vom 7. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2006 und begehrte eine Verurteilung der Beklagten zur Neuverbescheidung hinsichtlich anzuerkennender Zeiten von April 1939 bis Mai 1948. Für die Zeit der Internierung verwies er auf die Eidesstattliche Versicherung des Dr. K.; diese Zeit sei dadurch glaubhaft gemacht. Die Bescheinigung nach dem HHG unterliege anderen Voraussetzungen als sie in der besatzungsrechtlichen Internierung vorgelegen hätten.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 9. Oktober 2007 ab. Es führte u.a. aus, dass die Zeiten des Gewahrsams und einer anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 5 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) Ersatzzeiten bei Personen seien, die zum Personenkreis des § 1 HHG gehören oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 3. Oktober 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 1 HHG werde regelmäßig durch eine Feststellung der zuständigen Behörde nachgewiesen (§ 10 Abs. 4 HHG). Unbeschadet dessen seien die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 5 AVG und des § 1 HHG hier nicht erfüllt, weil der Kläger nach seinen Angaben und nach der eidesstattlichen Erklärung des Zeugen K. nach dem 8. Mai 1945 nicht in der sowjetischen, sondern in der britischen Besatzungszone interniert gewesen sei. Der vom Kläger erlittene Gewahrsam in der britischen Besatzungszone werde vom HHG nicht erfasst und stelle somit keine Ersatzzeit dar. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzliche Einbindung des § 1 HHG in das AVG vorgebracht und vor allem eine Anerkennung der Zeiten der Internierung und "Zwangsarbeitslosigkeit" vom 28. Dezember 1945 bis
5. Juni 1948 begehrt. Durch § 28 Abs. 1 Nr. 5 AVG in Verbindung mit § 1 HHG komme es zu einer Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin in Gewahrsam genommen worden seien. Darin liege ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG). Das Sozialgericht mache hierzu keine Ausführungen. Die Zeiten der Ingewahrsamnahme, wie sie als Ersatzzeiten Anerkennung finden könnten, seien in jedem Fall einer objektiven und vom Besatzungsstatus unabhängigen Bewertung zugänglich. Auch in den westlichen Besatzungszonen sei es zu Inhaftierungen und Internierungen gekommen, die der nachträglichen Bewertung einer rechtsstaatlichen Vorgehensweise nicht standhielten. Er hat ferner die Zeit der Internierung näher geschildert. Aufgrund des anschließenden Berufsverbotes habe er erst am 6. Juni 1948 seine Arbeit beim Finanzamt O. Süd wieder aufnehmen können. Der erlittene Gewahrsam habe gleichermaßen "politische Gründe" wie ein Gewahrsam im Sinne des HHG. Der Verweis auf von der marxistisch-leninistischen Lehre geprägte ideologische Grundlagen stelle keinen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung dar. Da er bis Mai 1948 von einem Berufsverbot aufgrund eines laufenden Entnazifizierungsverfahrens belegt gewesen sei, hätten die Voraussetzungen der Meldung beim Arbeitsamt wegen Unmöglichkeit nicht erfüllt werden können. Mit Schriftsatz vom 3. November 2008 hat der Kläger die Berufung auf den Zeitraum der "Zwangsarbeitslosigkeit" aufgrund der Internierung beschränkt.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Bescheid entspreche der geltenden Rechtslage, an die sie gebunden sei. Die Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des HHG mit Art. 3 GG würden nicht geteilt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 9. Oktober 2007 sowie den Bescheid vom 7. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Rentenbescheides vom 6. Juli 1989 zu verurteilen, die Zeit der Internierung von Januar bis September 1946 als rentenrechtliche Zeiten (Beitrags-, Ersatz- und Ausfallzeiten) anzuerkennen, soweit sie noch nicht im Versicherungsverlauf berücksichtigt sind, hilfsweise das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die Regelung des § 28 Abs. 1 Nr. 5 AVG mit Art. 3 GG vereinbar ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet, weil der Rentenbescheid vom 6. Juli 1989 rechtmäßig und nicht abzuändern ist. Durchgreifende Bedenken, dass der Kläger hierdurch in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wäre, bestehen nicht. Der Senat sieht daher auch keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) herbeizuführen.

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers bzw. des gesetzlichen Vertreters entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2006, mit dem diese einen Antrag des Klägers auf Überprüfung des Rentenbescheides vom 6. Juli 1989 ablehnte, da keine weiteren rentenrechtlichen Zeiten anzuerkennen sind. Der Kläger beschränkte die Berufung zuletzt auf den Zeitraum der Internierung, somit auf die Zeit von Januar bis September 1946.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 Abs. 1 S. 1
SGB X. Der Rentenbescheid vom 6. Juli 1989 ist jedoch nicht rechtswidrig im Sinne des
§ 44 Abs. 1 SGB X, da die Beklagte zutreffend die vom Kläger zuletzt noch geltend gemachte Zeit von Anfang Januar 1946 bis Ende September 1946, als der Kläger interniert war, nicht als rentenrechtliche Zeiten (Beitrags-, Ersatz- und Ausfallzeiten) anerkannt hat.

Die Behörde ist von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, wenn sie ihre Entscheidung auf tatsächliche Umstände gestützt hat, die sich nachträglich als falsch herausstellten (vgl. Pickel/Marschner, SGB X, § 44 Rdnr. 26). Dies kann sich insbesondere aufgrund neuer Tatsachenkenntnis oder aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ergeben. Jedenfalls dann, wenn sich die Beklagte nicht auf die Bindungswirkung des Ausgangsbescheides berufen hat, sondern die Richtigkeit dieses Bescheides vollständig überprüfte, ist die Entscheidung der Beklagten auch im gerichtlichen Verfahren voll zu überprüfen (s.a. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 9. Mai 2003, Az.: L 16/12 U 19/02).

Der Neubescheid hat die Sach- und Rechtslage bei Erlass des früheren Verwaltungsaktes zu berücksichtigen. Unter Anwendung des zum Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides geltenden Rechts, hier in Form des AVG, ergibt sich kein Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Zeit der Internierung im Jahre 1946. Dies ergibt sich für diese Zeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 5 AVG. Ersatzzeiten nach § 28 Abs. 1 Nr. 5 AVG sind Zeiten des Gewahrsams und einer anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit bei Personen, die zum Personenkreis im Sinne des § 1 HHG gehören. Zum einen fehlt es vorliegend an einem Nachweis der Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 1 HHG durch die Feststellung der zuständigen Behörde gemäß § 10 Abs. 4 HHG, zum anderen war der Kläger nicht in der sowjetischen, sondern in der britischen Besatzungszone interniert.

Allerdings begehrt der Kläger eine Überprüfung der Regelung vor allem nach § 28 Abs. 1 Nr. 5 AVG, der auf das HHG verweist, mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Entsprechend ist der klägerische Antrag als Hilfsantrag auf Vorlage dieser Frage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG in Verbindung mit § 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszulegen, da die Verwerfungskompetenz allein diesem Gericht zusteht.

Nach § 28 Abs. 1 Nr. 5 AVG (entsprechend: § 1251 Abs. 1 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung - RVO; § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI regelt mit Wirkung vom 1. Januar 1992 durch Art. 1 Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261) entsprechend die Anrechnung als Ersatzzeit) werden, wie dargelegt, für die Erfüllung der Wartezeit Zeiten des Gewahrsams und einer anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit bei Personen im Sinne des § 1 HHG als Ersatzzeiten angerechnet. Abweichend vom derzeit geltenden Recht sind bei der Rente Ersatzzeiten nur anrechenbar, wenn das Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AVG bzw.
§ 1251 Abs. 2 RVO gegeben ist. Das Vorliegen der Anrechnungsvoraussetzungen kann der Senat jedoch offen lassen, da bereits die Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 HHG nicht erfüllt sind. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG in der Fassung vom 4. Februar 1987 erhalten deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige Leistungen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften, wenn sie nach der Besetzung ihres Aufenthaltsorts oder nach dem 8. Mai 1945 in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten (insbesondere die ehemaligen deutschen Ostgebiete) aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurden. Hiervon betroffen kann nur die Zeit vom Januar bis Ende September 1946 sein, als der Kläger in der britischen Zone interniert wurde. Die Zeit nach der Entlassung bis Mai 1948 war der Kläger nicht mehr interniert; allein die Auferlegung eines Berufsverbotes ist von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG nicht umfasst. Das Verfahren richtet sich im Einzelnen nach § 10 HHG. Die Regierung von Oberbayern hat jedoch eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht ausgestellt und nicht in Aussicht gestellt, da die Voraussetzungen beim Kläger nicht zutreffen. Auch dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Unstreitig ist ferner, dass sich der Kläger in der damaligen britischen Zone aufhielt und sich somit in britischem und nicht in dem allein vom HHG erfassten sowjetischen Einflussbereich befand.

Bei Betrachtung allein des Wortlauts der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG liegt eine Ungleichbehandlung vor, da Personen, die in der sowjetischen Besatzungszone interniert waren, rentenrechtlich anders behandelt werden als Personen in den westlichen Zonen. Art. 3 GG verbietet jedoch nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem und die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (z.B. BVerfGE 3, 58, 135; 18, 38, 46; 72, 141, 150; 84, 133, 158; 98, 365, 385). Eine Ungleichbehandlung muss auf einem Differenzierungsgrund beruhen, der sachlich vertretbar und nicht sachfremd ist (z.B. BVerfGE 4, 1, 7; 13, 132, 150; 75, 108, 157; 94, 241, 260). Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten ungleich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z.B. BVerfGE 55, 72, 88; 82, 60, 86; 95, 267, 317; 102, 41, 54). Die Anforderungen an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sind umso strenger, je intensiver die Auswirkungen auf eine bestimmte Personengruppe sind (hierzu sowie zum Ganzen: Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl., Art. 3 Rdnrn. 14 ff, 17). Eine vom Gesetz vorgesehene unterschiedliche Behandlung muss sich sachbereichsbezogen auf einen vernünftigen oder sonst wie einleuchtenden Grund zurückführen lassen (BVerfGE 85, 176, 186; 87, 234, 262); Art und Maß der tatsächlichen Unterschiede darf der Gesetzgeber nicht sachwidrig außer Acht lassen (BVerfGE 87, 1, 36 f).

Der Gesetzgeber stellte mit der Regelung des § 1 HHG ausdrücklich auf die besondere innenpolitische Entwicklung in der sowjetisch besetzten Zone in der Nachkriegszeit ab. Es bestanden erhebliche Unterschiede gegenüber der Entwicklung in den westlichen Besatzungsgebieten wie insbesondere auch der britisch besetzten Zone. Gewahrsamsgründe, die nicht auf diese Sonderentwicklung zurückzuführen, sondern Folgen des verlorenen Krieges und der Besatzungsherrschaft sind, von denen das gesamte deutsche Volk, also auch die Bewohner der westlichen Besatzungsgebiete betroffen wurden, sind deshalb auch nicht als "politisch" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG anzusehen (Bundesverwaltungsgericht, BVerwGE 12, 236, 241). Zweck des HHG ist es gewesen, Anerkennung von "echten Widerstandskämpfern gegen das kommunistische System" entgegenzubringen sowie eine Stärkung der "Ostzonenbevölkerung im Widerstandskampfe" (BVerwGE 12, 236, 240 f unter Verweis auf BVerwGE 9, 132, 133). Ferner hat das BVerwG ausgeführt: "Wer sich im Gewahrsam einer Besatzungsmacht befunden hat, ist aber nicht schon deshalb aus "politischen" Gründen in Gewahrsam genommen, weil eine Besatzungsmacht nach Besatzungsrecht den Gewahrsam verhängt und vollzogen hat. Er ist auch nicht deshalb "politischer" Häftling, weil die sowjetische Besatzungsmacht den Gewahrsam verhängt hat, wenn dies in Ausübung der Besatzungsgewalt nach Grundsätzen geschah, die auch von den westlichen Besatzungsmächten gebilligt oder als maßgeblich anerkannt worden waren. Erst die besondere innenpolitische Entwicklung der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) mit ihren von den rechtsstaatlichen Vorstellungen der Bundesrepublik abweichenden Grundsätzen und Maßnahmen des Freiheitsentzugs kennzeichnen die Gründe des Gewahrsams als "politisch" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG." (BVerwGE 12, 236, 241/242).

Das BVerwG hat damit unter Bezugnahme auf Gesetzesmaterialen den sachlichen Differenzierungsgrund, der auch im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit der Norm mit dem Grundrecht nach Art. 3 Abs. 1 GG Geltung beansprucht, deutlich herausgestellt, nämlich den verfassungsimmanenten Grundgedanke der Rechtsstaatlichkeit. Bei Wahrung dieses Grundsatzes durch die Besatzungsmächte scheidet eine Anerkennung als politischer Gewahrsam im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG aus; dies gilt auch für die sowjetische Besatzungszone. Das HHG berücksichtigt allein mit Rechtsstaatlichkeit und Freiheitsgrundrechten unvereinbares Handeln im Rahmen kommunistischer Herrschaft, wie dies in den westlichen Besatzungszonen nicht zu finden war. Ein entsprechendes Vorgehen des Gesetzgebers ist verhältnismäßig, insbesondere sachlich vertretbar, vernünftig und nachvollziehbar im Sinne der o.g. Rechtsprechung des BVerfG.

Der Senat hat damit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm, so dass eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das BVerfG gemäß dem Hilfsantrag des Klägers nicht in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass auch die Berufung ohne Erfolg geblieben ist.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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