L 15 SB 118/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 SB 85/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 118/04
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers hin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12.08.2004 sowie der Bescheid des Beklagten vom 12.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003
abgeändert und der Beklagte wird verpflichtet, beim Kläger für die vor-liegenden Behinderungen ab September 2007 einen Gesamt-Grad der Behinderung von 40 festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger 2/10 der Kosten des Berufungsverfahrens
zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "RF" nach dem SGB IX im Wege einer sog. "Zugunstenentscheidung" gemäß § 44 SGB X ab März 1998 streitig.
Der Beklagte hat mit Ausführungsbescheid vom 03.07.2001 beim Kläger folgende Behinderungen bei einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 ab 01.07.1997 festgestellt:
Schwerhörigkeit beidseits,
bronchiale Hyperreagibilität, Leistungsminderung bei offenem Ductus arteriosus Botalli,
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei Skoliose und degenerativen Veränderungen.
Im Erörterungstermin vom 29.05.2001 hat sich der Beklagte zudem bereit erklärt, nach Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen seitens des Klägers (insbesondere Migräne, Augenproblematik) die Behinderungen neu festzustellen und zu prüfen, ob dem Kläger ab März 1998 ein höherer Grad der Behinderung als 30 zustehe.

Der Beklagte hat einen Befundbericht der Augenärztin Dr. K. vom 16.10.2001 eingeholt. Nach Auswertung dieses Befundberichtes durch den Internisten Dr. S. seitens des Beklagten wurde der Antrag des Klägers auf Neufeststellung nach § 69 SGB IX ab März 1998 mit Bescheid vom 12.07.2002 abgelehnt.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 19.08.2002 wurde in der Folge nicht begründet und deswegen mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2003 zurückgewiesen.

Gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten richtet sich die Klage des Klägers zum Sozialgericht Augsburg vom 14.02.2003.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11.08.2003 weitere medizinische Unterlagen (Attest des Dr. P. vom 28.05.2003, Attest der Dres. S. und S. vom 04.03.2003, Attest des Dr. G. vom 12.05.2003 und ein Schreiben der Kriegsopfer-Rentenbehörde aus B.) übersandt.
Das Sozialgericht hat einen aktuellen Befundbericht der Gemeinschaftspraxis Dres. P. u.a. vom 01.02.2004 eingeholt, die einen Arztbrief der Gemeinschaftspraxis der Dres. D. u.a. vom 26.08.1999 mitübersandt haben. Daraufhin wurde der Internist Prof. Dr. S. zum Sachverständigen ernannt, der das fachinternistische Gutachten vom 19.05.2004 erstellt hat. Prof. Dr. S. hat folgende Diagnosen gestellt:
Schwerhörigkeit beidseits,
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei Skoliose und degenerativen Veränderungen,
Sehstörung (Flimmerskotome),
Zustand nach Verschluss eines Ductus arteriosus Botalli,
Hyperlipoproteinämie.
Der Gesamt-Grad der Behinderung betrage seit März 1998 20, dies gelte auch seit der Untersuchung des Klägers am 04.03.2004. Der Kläger sei in der Lage, ohne Beschwerden zwei Kilometer in 30 Minuten zurückzulegen. Der Kläger sei in keiner Weise von den üblichen öffentlichen Veranstaltungen behinderungsbedingt ausgeschlossen. Eine weitere Begutachtung sei nicht erforderlich.

Das Sozialgericht Augsburg hat mit Urteil vom 12. August 2004 die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe bezüglich der Höhe des GdB ein Rücknahme- und Neufeststellungsanspruch nach § 44 Abs.2 SGB X nicht zu. Das von dem Beklagten in diesem Rahmen ausgeübte Ermessen sei im Ergebnis nicht rechtsfehlerhaft. Die Ermittlungen des Gerichts hätten die Auffassung des Beklagten voll und ganz bestätigt. Das Gericht stütze sich hierbei auf die schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S ...

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers zum Bayer. Landessozialgericht. Der Senat hat einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. S. vom 10.09.2005 eingeholt, der Arztbriefe der Internistin Dr. E. vom 19.05.2005, des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 02.05.2005 und des HNO-Arztes Dr. H. vom 21.04.2005 mit übersandt hat. Hierzu und zu dem weiteren Schreiben des Klägers vom 10.10.2005 hat der Beklagte auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Gutachten nach Aktenlage der Allgemeinärztin Dr. N., des Internisten Dr. S. und des Neurologen und Psychiaters Dr. K. mit Schriftsatz vom 24.10.2005 dahingehend Stellung genommen, dass derzeit keine Möglichkeit bestehe, einen höheren Grad der Behinderung als 30 festzustellen. Es wurde aber angeregt, ein aktuelles Audiogramm beizuziehen und zur Auswertung vorzulegen. Der Senat hat das in einem Rentenrechtsstreit des Klägers beim Bayer. Landessozialgericht eingeholte nervenärztliche Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. P. vom 08.11.2005 beigezogen. Des Weiteren wurde ein aktuelles Audiogramm vom 01.02.2006 (Prof. Dr. R.) eingeholt. Der Beklagte hat hierauf auf der Grundlage des nervenärztlichen Gutachtens nach Aktenlage des Neurologen und Psychiaters Dr. K. mit Schreiben vom 13.02.2006 ein Vergleichsangebot dahingehend abgegeben, dass beim Kläger ab 01.11.2005 ein Grad der Behinderung von 40 festzustellen sei. Mit weiterem Schreiben vom 01.03.2006 hat der Beklagte auf der Grundlage des versorgungsärztlichen Gutachtens nach Aktenlage durch die Allgemeinmedizinerin Dr. N. mit Schreiben vom 01.03.2006 mitgeteilt, dass keine Veranlassung bestehe, das Vergleichsangebot vom 13.02.2006 zu erweitern. Durch das aktuelle Tonaudiogramm ergebe sich keine Änderung des GdB-Wertes für die Hörstörung. Es handle sich um eine geringgradige Schwerhörigkeit rechts bei mittelgradiger Schwerhörigkeit links, der GdB hierfür betrage 20. Der Tinnitus bzw. die Auswirkungen des Ohrgeräusches seien bei der Einstufung der psycho-vegetativen Störungen miterfasst.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 09.03.2006 mitgeteilt, dass er den Vergleich nicht annehme. Mit Schreiben vom 05.05.2006 hat der Beklagte einen vom Kläger direkt übersandten Arztbrief der Dres. B. vom 05.04.2006 übersandt. Da die in dem Befundbericht zu entnehmenden Funktionseinschränkungen des Klägers - Beweglichkeit der LWS endgradig eingeschränkt, an den Hüftgelenken diskrete Einschränkung im Kapselmuster usw. - hiesigen Erachtens nur geringfügig seien, sei auf eine versorgungsärztliche Auswertung des Berichts verzichtet worden.
Der Kläger hat aktuelle Befundberichte der Orthopäden Dres. S. u.a. vom 26.06.2007 und des Allgemeinarztes Dr. S. vom 28.11.2007 übersandt.
Der Beklagte hat hierzu auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage der Internistin Dr. W. mit Schreiben vom 27.12.2007 dahingehend Stellung genommen, dass die vorgelegten Befundberichte keine abschließende Klärung zulassen würden, ob sich der Gesundheitszustand des Klägers in der Zwischenzeit zu seinem Nachteil verschlechtert habe. Für eine eventuelle Höherbewertung des Morbus Menière wären weitere konkrete Befunde erforderlich.
Der Senat hat dem Kläger mit Beschluss vom 24.04.2008 Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt B. beigeordnet. Daraufhin wurden der Orthopäde Dr. L., der Neurologe Dr. D., der Allgemeinarzt Dr. R. und der HNO-Arzt Dr. W. mit der Erstellung von Sachverständigengutachten beauftragt. Der Kläger hat aktuelle Befundberichte der Dres. T. u.a. (Radiologen) vom 24.04.2008 und 25.04.2008 übersandt. Der Beklagte hat hierzu auf der Grundlage der chirurgischen Stellungnahme nach Aktenlage des Chirurgen Dr. N. den Antrag auf Zurückweisung der Berufung aufrechterhalten, soweit diese über das Vergleichsangebot vom 13.02.2006 hinausgehe. Der Kläger hat einen weiteren Befundbericht der Radiologen Dres. T. u.a. vom 28.03.2006 übersandt. Des Weiteren eine Bestätigung der Allgemeinärztin Dr. L., dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankungen in seiner Mobilität eingeschränkt sei, er könne eine Gehstrecke von circa 500 m zurücklegen, er sei allerdings wegen seiner Schwindelattacken bei Morbus Menière nicht in der Lage, selbst einen Pkw zu steuern oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Orthopäde Dr. L. kam in seinem orthopädischen Gutachten vom 23.07.2008 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger als Funktionsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei Haltungsschwäche, degenerative Bandscheibenveränderungen mit Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen und eine Funktionsbehinderung des linken fünften Fingers nach Verletzung sowie eine Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks bei degenerativen Veränderungen vorliege und hierfür ab März 1998 ein Gesamt-Grad der Behinderung von 20 v.H. bestehe. Die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "RF" würden aus orthopädischer Sicht nicht vorliegen. Der HNO-Arzt Dr. W. stellte in seinem Gutachten vom 23.07.2008 fest, dass im HNO-Bereich beim Kläger eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts und eine kombinierte mittelgradige Schwerhörigkeit links mit Tinnitus vorliege. Daneben würden sich radiologisch Zeichen einer geringgradigen chronischen Sinusitis erkennen lassen. Der durch die Hörstörung mit Tinnitus hervorgerufene Grad der Behinderung lasse sich mit 20 v.H. einschätzen. Die geringgradige chronische Sinusitis bedinge keinen messbaren Grad der Behinderung. Der Gesamt-Grad der Behinderung im HNO-Bereich lasse sich mit 20 v.H. einschätzen. Der Neurologe Dr. D. kam in seinem Gutachten vom 23.07.2008 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ab März 1998 auf nervenärztlichem Fachgebiet ein Sulcus-ulnaris-Syndrom links bestehe, seit 1999 ein belastungsabhängiges Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom mit Wurzelkompressionssymptomatik S1 links, seit 2001 zusätzlich ein Migräneleiden mit Aura sowie seit 2005 eine Somatisierungsstörung vorliege. Der Gesamt-Grad der Behinderung betrage auf nervenärztlichem Fachgebiet ab März 1998 10, ab 1999 20, ab 2001 20 und ab September 2005 20 v.H. Die Voraussetzungen zur Erteilung der Merkzeichen "G" und "RF" würden nicht vorliegen. Der Allgemeinarzt Dr. R. schließlich kam in seinem Gutachten vom 20.09.2008 zu der Beurteilung, dass auf seinem Fachgebiet eine bronchiale Hyperreagibiltät ohne andauernde Einschränkung der Lungenfunktion mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 v.H. ab März 1998 und eine Leistungsminderung bei offenem Ductus arteriosus Bottali (1989 operativ versorgt) sowie paroxsymale (anfallartige) Tachycardien (Herzjagen), hämodynamisch wirksam mit einem Einzelgrad der Behinderung ab März 1998 in Höhe von 20 v.H. und ab September 2007 in Höhe von 30 v.H. vorliegen würden. Unter Berücksichtigung der übrigen eingeholten Gutachten liege der Gesamtgrad der Behinderung beim Kläger ab März 1998 bei 30 v.H. und ab September 2007 bei 40 v.H. Die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "RF" würden nicht vorliegen.
Die eingeholten Gutachten wurden dem Beklagten zur Kenntnis und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit der Bitte um Stellungnahme bis 24.10.2008 übersandt.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 28.10.2008 mitgeteilt, dass die Ausführungen des Gutachters Dr. R. bezüglich der Bildung des Gesamt-GdB nicht nachvollziehbar seien. Es sei ein Gesamt-GdB von 50 zu bilden.
Mit weiterem Schreiben vom 11.11.2008 hat der Prozessbevollmächtigte um Terinsverlegung gebeten, mit Schreiben vom 20.11.2008 sich mit einer Entscheidung am 02.12.2008 ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Kläger selbst hat mit Schreiben vom 26.11.2008 und 30.11.2008 - unter Übersendung weiterer Unterlagen - geltend gemacht, dass ihm vom Beklagten bereits ab 2005 40 % angeboten worden sei ohne 30 % für das Herz. Auch fehle die Bewertung der Labordiagnose.

Der Vertreter des Beklagten stellt den Antrag,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Akte des Bayer. Landessozialgerichts mit dem Az.: L 15 SB 23/00, die Akte des Sozialgerichts Augsburg mit dem Az.: S 8 SB 85/03 sowie des Akte des Bayer. Landessozialgerichts mit dem Az.: L 15 SB 118/04 zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren weiteren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und insoweit auch begründet, als für die beim Kläger vorliegenden Behinderungen ab 01.09.2007 der Gesamt-Grad der Behinderung mit 40 festzustellen ist. Entsprechend waren das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12.08.2004 sowie der Bescheid des Beklagten vom 12.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 abzuändern.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach 10-er Graden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs.1 Satz 1 und 2 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs.1 Satz 1 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs.3 Satz 3 SGB IX). In welchem Grad sich die einzelnen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit auswirken, ist durch eine natürliche wirklichkeitsorientierte funktionelle Betrachtungsweise festzustellen, die auf medizinischen Erkenntnissen beruht. Bei der Bewertung des Grades der Behinderung kommt den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AP) die Qualität antizipierter Sachverständigengutachten mit normähnlicher Wirkung zu.

Vor diesem Hintergrund ist der Gesamt-Grad der Behinderung auf der Grundlage der in zweiter Instanz eingeholten nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten ab 01.09.2007 mit 40 v.H. festzusetzen.

Der Orthopäde Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 23.07.2008 als Funktionsbeeinträchtigung ab März 1998 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei Haltungsschwäche, degenerativen Bandscheibenveränderungen mit Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen festgestellt. Dem liegt als Befund zugrunde, dass die Wirbelsäule bei muskulärer Haltungsschwäche gerade aufgebaut und in der Beweglichkeit nicht wesentlich eingeschränkt ist. Bewegungs- und Belastungsschmerzen der unteren Lendenwirbelsäule sind durch den nachgewiesenen Bandscheibenvorfall erklärt, der auch im Sinne einer Nervenwurzelreizung die angegebenen ins linke Bein ausstrahlenden Schmerzen erklärt, wobei gröbere neurologische Ausfälle nicht vorliegen. Diesem Befund stimmt auch der Neurologe Dr. D. in seinem Gutachten vom 23.07.2008 aus neurologischer Sicht zu. Den Gutachtern Dres. L. und D. ist daher darin zuzustimmen, dass der beim Kläger vorliegende Befund als Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, der nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (S. 116, Nr. 26.18) mit einem Einzel-Grad der Behinderung von 20 zu bewerten ist. Dr. L. hat beim Kläger weiter eine Funktionsbehinderung des linken 5. Fingers nach Verletzung festgestellt. Es liegt eine Verformung des linken 5. Fingers im Mittel- und Endgelenk vor, wobei das Endgelenk in Beugestellung von ca. 45 Grad steht. Die vom Kläger angegebene Kälteempfindlichkeit des linken Kleinfingers ist glaubhaft. Die Greiffähigkeit der Hand ist dabei nicht gestört. Unter Zugrundelegung der AP (S. 121, Nr. 26.18), die bei einer Versteifung eines (ganzen) Fingers in günstiger Stellung (mittlere Gebrauchsstellung) einen Einzelgrad der Behinderung zwischen 0 - 10 vorsehen, ist in Hinblick auf die voll erhaltene Greiffunktion kein Einzelgrad der Behinderung von 10 gerechtfertigt. Zudem besteht beim Kläger eine Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks bei degenerativen Veränderungen. Die vom Kläger angegebenen Belastungsschmerzen im rechten Schultergelenk sind durch degenerative Veränderungen des Schultereckgelenkes und der Schultersehnen (MRT-Befund) erklärt; das rechte Schultergelenk ist aber frei beweglich. Nach den AP (S. 119, Nr. 26,18) wäre hierfür kein Einzelgrad der Behinderung von 10 zu rechtfertigen. Es ist aber vertretbar, für den Funktionskreis der oberen Extremitäten unter Berücksichtigung der glaubhaften Schmerzen einen Einzel-GdB von 10 anzusetzen.
Der HNO-Arzt Dr. W. hat in seinem HNO-fachärztlichen Gutachten vom 23.07.2008 beim Kläger eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts und eine kombinierte mittelgradige Schwerhörigkeit links mit Tinnitus festgestellt. Dr. W. kommt hier zutreffend unter Zugrundelegung der AP (S. 59, Nr. 26.5) zu einem Einzel-GdB von 20 für die Hörstörung mit Tinnitus. Dabei konnten bei den verschiedenen Gleichgewichtsprüfungen keine Zeichen einer peripher- oder zentralvestibulären Störung festgestellt werden. Die daneben festgestellte geringgradige chronische Sinusitis bedingt in Übereinstimmung mit dem Gutachter Dr. W. keinen messbaren Grad der Behinderung.
Auf nervenfachärztlichem Gebiet hat der Neurologe Dr. D. in seinem Gutachten vom 23.07.2008 beim Kläger das Vorliegen eines Migräneleidens bestätigt. Dieses ist in Übereinstimmung mit dem Gutachter Dr. W. nach den AP (S. 39, Nr. 26.2) als leichte Form mit einem Einzel-GdB von 10 einzustufen. Des Weiteren hat Dr. D. beim Kläger eine Somatisierungsstörung diagnostiziert, die sich in Form von diffusen körperlich-vegetativ betonten Beschwerden wie Schwindel, Tinnitusgeräusch, Konzentrationsstörungen, verstärkte Schmerzwahrnehmung sowie Schlafstörungen äußert. Die Somatisierungsstörung ist nach diesem Befund unter Zugrundelegung der AP (S. 48, Nr. 26.3) in Übereinstimmung mit Dr. D. mit 10 zu bewerten. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Erkrankung bislang nicht in nennenswerter Weise behandelt wurde, weder medikamentös noch ambulant oder gar stationär nervenärztlich, psychiatrisch oder psychotherapeutisch. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen auf nervenärztlichem Fachgebiet mit einem Einzel-GdB von wenigstens 10 liegen nicht vor.
Der Allgemeinarzt Dr. R. schließlich hat in seinem Gutachten vom 22.07.2088 beim Kläger eine "Herzleistungsminderung bei offenem Ductus arteriosus Botalli (1989 operativ versorgt), paroxysmale (anfallsartige) Tachycardien (Herzjagen), hämodynamisch wirksam" bestätigt bzw. festgestellt. Bei der Ergometerbelastung trafen zwar bis 75 Watt keine Beschwerden oder pathologische Herzdaten auf. Die vom Kläger geäußerten Beschwerden anfallsartiges Herzjagen verbunden mit Atemnot bei Belastung findet seine Erklärung in einem 24-Stunden-EKG vom September 2007, in dem es heißt: "Sinusrhythmus mit sehr hohem Frequenzniveau. Häufige Sinustachycardien bzw. supraventrikuläre Tachycardien bis zu einer Maximalfrequenz von 154/Min. Diese Tachycardien sind langanhaltend ohne adäquate körperliche Belastung, VES Lown Va (1 Couplet)". Auf der Grundlage dieses Befundes ist dem Gutachter Dr. R. unter Beachtung der AP (S. 73, Nr. 26.9) darin zuzustimmen, dass für diese Herzerkrankung ab September 2007 (Befundbericht über 24-Stunden-EKG vom 14.09.2007) einen Einzel-GdB von 30 festzustellen ist, davor lag der Einzel-GdB hierfür noch bei 20.
Daneben besteht beim Kläger noch ein "hyperreagibles Bronchialsystem", das aber nach den durchgeführten Atemfunktionsmessungen (noch) keine andauernde Einschränkung der Atemfunktion zur Folge hat und deswegen nach den AP (S. 69, Nr. 26.8) mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist.

Insgesamt liegen damit beim Kläger sieben relevante Behinderungen vor, eine (Herz) mit einem Einzel-GdB von 30 (ab 9/07, davor 20), zwei (Wirbelsäule, Tinnitus) mit einem Einzel-GdB von 20 und vier (Funktionsbeeinträchtigung des linken 5. Fingers und des rechten Schultergelenkes, Migräne, Somatisierungsstörung, bronchiale Hyperreagibilität) mit einem Einzel-GdB von 10.

Ausgehend von den vorgenannten Einzelbehinderungen ist unter Berücksichtigung der AP (S. 24-26, Nr. 19) in Übereinstimmung mit dem Gutachter Dr. R. der Gesamt-GdB beim Kläger ab September 2007 mit 40, davor ab März 1998 bis August 2007 mit 30 festzustellen.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Funktionseinschränkungen ist der Senat in Übereinstimmung mit den vier in zweiter Instanz gehörten Gutachtern Dres. L., W., D. und R. unter Berücksichtigung der AP (S. 136, 140, Nrn. 30, 33) und §§ 6 Abs.1 Nr.7, 8 und 10 Abs.2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages vom 31.08.1991, aktuell in der Fassung des 8. Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 09.02.2005 (BayGVBl Nr.4/2005, S. 27 ff.) der Auffassung, dass der Kläger weder die Voraussetzung für das Merkzeichen "G" (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) noch des Merkzeichens "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) erfüllt. Insbesondere liegen beim Kläger keine Funktionsbeeinträchtigungen der untern Gliedmaßen oder der Wirbelsäule, die für sich einen Einzel-GdB von 50 oder 40 bedingen würden, oder Funktionseinschränkungen an inneren Organen (Herz, Lunge) mit einem Einzel-GdB von 50 vor.

Der Senat konnte auch aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte mit Faxschreiben vom 20.11.2008 mitgeteilt, dass mit einer Entscheidung am 02.12.2008 ohne mündliche Verhandlung Einverständnis besteht.
Für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung fehlte es aber entgegen § 124 Abs.2 SGG an einer Einverständniserklärung auch des Beklagten und selbst bei beidseitiger Einverständniserklärung mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung wäre der Senat nicht verpflichtet gewesen, am 02.12.2008 ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (vgl. BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr.2 Satz 2).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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