L 15 VG 17/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 VG 2/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 17/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.08.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand:

Der 1933 geborene Kläger begehrt Leistungen nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Verbindung mit den des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Der Kläger ist am 08.06.2003 Opfer einer Gewalttat im Sinne von § 1 Abs.1 OEG geworden. Sein Antrag auf Anerkennung als Arbeitsunfall und Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist von Seiten der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) mit Bescheid vom 08.07.2003 abgelehnt worden. Mit Schreiben vom 18.06.2003 habe Dr.L. I. mitgeteilt, der Kläger habe beim Transport seiner Büroeinrichtung im Rahmen eines Umzuges von einem Nachbarn seines Hauses durch das offene Pkw-Fenster mehrere Schläge an den Kopf bekommen. Der Kläger habe angegeben, er habe zum Unfallzeitpunkt seine Büroeinrichtung von der alten Wohnung/Büro zu seiner neuen Wohnung/Büro transportieren wollen. Nachdem sein Nachbar seinen Umzugshelfer auf der Fahrt verfolgt habe, hätte er diesen aufgefordert, die Verfolgung zu unterlassen. Daraufhin habe der Nachbar ihm durch das offene Pkw-Fenster mehrere Faustschläge gegen die linke Gesichtsseite, das linke Auge, den Hals und die Schulter versetzt. Aus seiner Schilderung gehe hervor, dass er und seine Tochter schon mehrere Male von dem Nachbarn angegriffen worden seien. Nachdem der Kläger bereits mit Schreiben vom Juni 2003 mitgeteilt habe, dass bereits seit längerer Zeit Streitigkeiten zwischen ihm und der Familie seines Nachbarn bestünden und diese Streitigkeiten dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnen seien (Belästigung der Tochter, Verunreinigung des Treppenhauses, vielfältige soziale Auffälligkeiten), stehe dies nicht im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit. Ein Arbeitsunfall habe deshalb nicht vorgelegen.

Der Antrag des Klägers vom 09.06.2005 auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG ist am 10.06.2005 bei dem Amt für Versorgung und Familienförderung L. eingegangen.

Der Beklagte hat mit Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern I vom 19.01.2007 als Folge einer Schädigung nach dem OEG anerkannt "Visusminderung linkes Auge nach Contusio bulbi" im Sinne der Entstehung. Die Schädigungsfolge bedinge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) - nunmehr: Grad der Schädigungsfolgen (GdS) - um weniger als 25 v.H ... Eine Versorgungsrente stehe daher nicht zu.

Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 31.01.2007 ist mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 18.10.2007 zurückgewiesen worden. Eine "posttraumatische Belastungsstörung" könne nicht als weitere Schädigungsfolge anerkannt werden. Entsprechend dem versorgungsärztlichen Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.A. vom 21.11.2006 würden sich weder vorübergehende noch bleibende psychische Schädigungsfolgen infolge des Schlages in das Gesicht vom 08.06.2003 feststellen lassen. Vielmehr sei bei dem Kläger bereits 1983/1984 eine endogene Involutionsdepression festgestellt worden. Zu der damaligen Zeit sei der Kläger an der linken Hand operiert worden. Die Depression sei auch vor dem biografischen Hintergrund seiner damaligen Ehe gewesen, die er zu Ende gebracht habe. Er habe sich damals von der Last seines Hauses in F. und vom schlechten Klima des Bayerischen Rundfunks befreit und sei nach B. gegangen. Zwischenzeitlich sei der Kläger berentet und arbeite als freiberuflicher Publizist weiter.

Die hiergegen gerichtete Klage ist beim Sozialgericht Bayreuth unter dem Geschäftszeichen S 10 VG 3/08 anhängig. Das Sozialgericht Bayreuth hat das Verfahren mit Beschluss vom 03.04.2008 ausgesetzt, bis das Verfahren S 10 VG 2/08 rechtskräftig abgeschlossen ist. Das Bayerische Landessozialgericht hat die Beschwerde vom 07.04.2008 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.04.2008 - S 10 VG 3/08 - mit Beschluss vom 09.05.2008 - L 15 B 311/08 VG zurückgewiesen. Soweit das Sozialgericht Bayreuth mit Beschluss vom 28.02.2008 die Verfahren S 10 VG 2/08 und S 10 VG 3/08 gemäß § 113 Abs.1 SGG getrennt habe, sei dieser Beschluss unanfechtbar und für die Beteiligten bindend. Nachdem die in dem Rechtsstreit S 10 VG 2/08 zu klärenden Rechtsfragen zumindest zum Teil auch für das Verfahren S 10 VG 3/08 vorgreiflich seien, habe das Sozialgericht Bayreuth mit Beschluss vom 03.04.2008 - S 10 VG 3/08 - zutreffend ausgesprochen, dass dieses Verfahren ausgesetzt werde, bis das Verfahren S 10 VG 2/08 rechtskräftig abgeschlossen sei.

Zwischenzeitlich hat das Sozialgericht Bayreuth den Kläger mit Nachricht vom 17.07.2008 informiert, dass das weitere Geschäftszeichen S 10 V 11/07 zu Unrecht eingetragen worden sei. Sein gesamtes Klagebegehren sei nach wie vor bei Gericht anhängig geworden und habe sich inhaltlich nicht verändert.

Mit Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern vom 07.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 02.01.2007 (richtig: 02.01.2008) hat der Beklagte es unter anderem abgelehnt, die im Bescheid vom 19.01.2007 bezeichnete Schädigungsfolge bereits ab 08.06.2003 und nicht erst ab 01.06.2005 anzuerkennen.

Das Sozialgericht Bayreuth hat die hiergegen gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.08.2008 - S 10 VG 2/08 - abgewiesen. Mit Bescheid vom 19.01.2007 habe der Beklagte das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 OEG unangefochten und zu Recht festgestellt. Ausschlussgründe nach § 2 OEG seien nicht ersichtlich. Die Versorgung könne frühestens mit dem Monat beginnen, in dem die Schädigung erfolgt sei, wenn der Erstantrag vor Ablauf eines Jahres nach dem schädigenden Ereignis gestellt worden sei. Frühestmöglicher Zeitpunkt wäre, da der Kläger am 08.06.2003 geschädigt worden sei, der 01.06.2003. Da jedoch der Erstantrag des Klägers erst am 10.06.2005 und damit offensichtlich nicht mehr innerhalb der Jahresfrist gestellt worden sei, richte sich der Beginn der Beschädigtenversorgung entsprechend § 60 Abs.1 BVG nach dem Antragsmonat. Zu Recht habe der Beklagte daher ab 01.06.2005 Versorgung gewährt. Diese Fristregelung des § 60 Abs.1 BVG widerspreche auch nicht Art.13 der EU-Richtlinie 2004/80 vom 29.04.2004. Denn die deutsche Regelung gehe über die EU-Richtlinie weit hinaus. Soweit der Kläger das schädigende Ereignis vom 08.06.2003 gegenüber dem Amtsgericht P., der Polizei sowie der Staatsanwaltschaft und der Verwaltungsberufsgenossenschaft aktenkundig vorgetragen habe, wirke dies im Verhältnis zum Beklagten gemäß § 16 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I) nicht fristwahrend. Denn es handele sich bei dem Anliegen des Klägers (Leistungen nach dem OEG) um Ansprüche, die mit den von der Verwaltungsberufsgenossenschaft gewährten Leistungen in keinem rechtlichen Zusammenhang stünden (Bundessozialgericht mit Urteil vom 01.04.1981 - 9 RV 49/80 -). Auch §§ 13, 14 SGB I sowie der vom Kläger zitierte § 9 des Österreichischen Verbrechensopfergesetzes stütze das Begehren des Klägers nicht. Im Urteil vom 25.08.1993 - 13 RJ 27/92 - habe das Bundessozialgericht zwar den Herstellungsanspruch allein auf Fehler anderer Behörden gestützt, wenn diese es versäumt hätten, jemanden auf sich aufdrängende Nachteile in anderen Rechtsbereichen zumindest hinzuweisen, ohne dabei auf das Erfordernis eines Funktionszusammenhanges einzugehen (BSGE 73, 56 ff.). Das BSG habe in dieser Entscheidung darin auch keine Überforderung der Sozialleistungsträger gesehen, da die engen Verknüpfungen der verschiedenen Zweige der sozialen Sicherheit, die der Bürger oft nicht überschauen könne, es notwendig machten, die Beratungspflicht der Versicherungsträger dahin abzugrenzen, dass sie zumindest in Fragen, die für erhebliche Leistungsteile bedeutsam seien, den Versicherten bei konkretem Anlass jedenfalls auf den Beratungsbedarf aufmerksam machen müssen. Das BSG habe jedoch in dieser Entscheidung - wenn auch nicht im Zusammenhang mit der Frage der Zurechenbarkeit des Fehlers einer anderen Behörde als der in Anspruch genommenen - auf die enge Verflechtung zwischen Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung hingewiesen. Eine vergleichbare Verknüpfung unterschiedlicher Rechtsbereiche (Sozialversicherung/Entschädigungsrecht) bestehe jedoch nach Auffassung des Sozialgerichts Bayreuth hier nicht. Eine unterlassene Beratung von Seiten der Verwaltungsberufsgenossenschaft sei dem Beklagten nicht als Beratungsfehler zuzurechnen
(§ 14 SGB I).

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 26.08.2008 ging am 27.08.2008 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Zur Begründung hob der Kläger hervor, dass der angefochtene Bescheid gegen Europäisches Recht verstoße, insbesondere gegen die EU-Richtlinie 2004/80/EG vom 29.04.2004. Weiterhin werde beanstandet, dass dieses Verfahren seit nunmehr fünf Jahren laufe. Hauptberuflich tätige Angehörige der Sozialverwaltung wie die der Verwaltungsberufsgenossenschaft würden von jeder Informationspflicht freigesprochen. Er sei seinen gesetzlichen Verpflichtungen nach dem OEG unverzüglich nachgekommen und habe alle erforderlichen Schritte zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen. Insbesondere habe er Strafanzeige bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden gestellt. Die Staatsanwaltschaft habe am 07.08.2003 einen vorsätzlich falschen Bescheid erlassen, in der Absicht ihn zu täuschen und den Täter zu schützen, indem er auf den Privatklageweg verwiesen worden sei. Auch die Polizeidirektion L. und die Staatsanwaltschaft P. hätten die Normen des Europäischen Rechtes nicht beachtet. Zu erwähnen sei, dass seine beiden österreichischen Unfallversicherungen nach aufwändigen Gutachterverfahren die Schädigungsfolgen anerkannt und entschädigt hätten. Vor allem habe er den auslösenden Vorgang unverzüglich einer deutschen Sozialbehörde, nämlich der Verwaltungsberufsgenossenschaft, zur Kenntnis gebracht. Diese habe es aber versäumt, den Vorgang an den hier zuständigen Beklagten weiterzuleiten.

Das BayLSG zog die Versorgungs-Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz bei. Um Stellungnahme gebeten hat der Beklagte mit am 29.09.2008 eingegangenem Schreiben ausgeführt, dass nach seiner Auffassung sich aus § 3 Abs.4 OEG, § 65 BVG und § 4 Abs.1 Nr.2 SGB VII keine derart enge Verflechtung zwischen den unabhängigen Verwaltungen im Sinne einer Funktionseinheit ergäbe.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 20.09.2008 und 06.10.2008 seine Auffassung bekräftigt, dass ihm bereits ab dem 08.06.2003 (bzw. 01.06.2003) Versorgungsleistungen nach dem OEG zustünden.

In der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2008 stellt der Kläger den Antrag,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.08.2008 - S 10 VG 2/08 - sowie den Bescheid des Beklagten vom 07.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Versorgung nach dem OEG bereits ab dem Zeitpunkt der Schädigung zu bewilligen.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Bayreuth hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.08.2008 - S 10 VG 2/08 - zutreffend abgewiesen.

Der mit Bescheid vom 07.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2008 abgelehnte Anspruch auf frühere Versorgungsleistungen besteht nicht, weil dem Kläger Versorgungsleistungen nach dem OEG erst ab dem 01.06.2005 zustehen
(§ 1 Abs.1 OEG i.V.m. § 60 Abs.1 BVG). Der Beklagte sowie das Sozialgericht Bayreuth haben zutreffend darauf abgestellt, dass Versorgungsleistungen erst auf Grund des Antrages vom 09.06.2005 zu bewilligen sind. Vor allem kann der unterlassene Hinweis von Seiten der Verwaltungsberufsgenossenschaft dem Beklagten weder gemäß §§ 14, 15 oder 16 SGB I zugerechnet werden, noch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches oder auf Grund österreichischer bzw. europarechtlicher Normen. Es fehlt an einer entsprechenden Verknüpfung der hier unterschiedlichen Rechtsbereiche Sozialversicherung und Entschädigungsrecht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher gemäß § 153 Abs.2 SGG auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen.

Einen solchen rechtlichen Zusammenhang hat das Bundessozialgericht zum Beispiel mit Urteil vom 01.04.1981 - 9 RV 49/80 - angenommen, wenn dort ein Antrag bei der Fürsorgestelle auf Pflegegeld zugleich als Antrag auf Pflegezulage für einen Kriegsversehrten gewertet worden ist. Auch relativ aktuell hat das BSG mit Urteil vom 10.10.2002 - B 2 U 10/02 R - nochmals bestätigt, dass von dem Erfordernis einer "Funktionseinheit" nicht abgesehen werden kann. Dem (dortigen) Kläger ist keine Rente zugesprochen worden. Denn dem (dortigen) Beklagten ist die Überschreitung der Ausschlussfrist in § 1150 Abs.2 Satz 2 Nr.1 RVO durch den Kläger nicht im Sinne einer Verletzung sozialrechtlicher Nebenpflichten zugerechnet worden. Der Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine gesetzliche oder aus einem bestehenden Sozialrechtsverhältnis resultierende Verpflichtung objektiv rechtswidrig verletzt hat, die ihm gerade gegenüber dem Betroffenen oblag. Die Pflichtverletzung muss als nicht hinwegdenkbare Bedingung zumindest gleichwertig neben anderen Bedingungen ursächlich einen Nachteil des Betroffenen bewirkt haben. Die verletzte Pflicht muss darauf gerichtet sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren. Die Nachteile müssen durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Eine Pflichtverletzung der (dortigen) Beklagten ist insoweit nicht ersichtlich gewesen. Ein Herstellungsanspruch besteht damit nur dann, wenn sich die (dortige) Beklagte ein eventuelles Fehlverhalten Dritter zurechnen lassen müsste. "Dritte" in diesem Sinne wäre die (dortige) Beigeladene, sofern ihr eine Pflichtverletzung bei der Beratung des (dortigen) Klägers vorgeworfen werden könnte. Letzteres ist offengeblieben. Denn Voraussetzung für die Zurechnung des Verhaltens Dritter im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist, dass zwischen der die Pflichtverletzung begehenden und der in Anspruch genommenen Stelle eine "Funktionseinheit" besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann dies der Fall sein, wenn mehrere Behörden mit einer Aufgabe arbeitsteilig betraut sind, also eine andere Behörde in die Abwicklung eines konkreten Versicherungsverhältnisses miteingeschaltet ist, oder wenn zwei Sozialleistungen eng miteinander verknüpft sind. Dies ist zu verneinen gewesen. Die (dortige) Beigeladene ist als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung weder bei der Anerkennung von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten noch bei der Festsetzung von darauf beruhenden Leistungen beteiligt gewesen (BSG mit Urteil vom 10.10.2002 - B 2 U 10/02 R -).

Gleichermaßen verhält es sich hier. Es besteht keine Funktionseinheit zwischen dem Beklagten als Träger sozialrechtlicher Entschädigungsleistungen und der Verwaltungsberufsgenossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Die dort unterbliebene Beratung muss sich der Beklagte nicht zurechnen lassen. Dies gilt auch in Berücksichtigung des Umstandes, dass zur Vermeidung von Doppelleleistungen bei Gewalttaten im Arbeitsleben die Leistungsgesetze über § 3 Abs.4 OEG, § 4 Abs.1 Nr.2 SGB VII und § 65 BVG miteinander verknüpft sind. In diesem Zusammenhang ist vielmehr zu beachten, dass im 7. Kapitel des SGB VII in §§ 188 ff. SGB VII die Zusammenarbeit der Unfallversicherungsträger mit anderen Leistungsträgern und ihre Beziehungen zu Dritten geregelt sind. Danach besteht eine Auskunftspflicht der Krankenkassen gegenüber den Unfallversicherungsträgern (§ 188 SGB VII). Weiterhin können Unfallversicherungsträger Krankenkassen beauftragen, die ihnen obliegenden Geldleistungen zu erbringen (§ 189 SGB VII). Des Weiteren besteht eine Pflicht der Unfallversicherungsträger zur Benachrichtigung der Rentenversicherungsträger beim Zusammentreffen von Renten (§ 190 SGB VII). Entsprechend dem Willen des Gesetzgebers ist daher insoweit von einer "Funktionseinheit" auszugehen. Dies gilt jedoch nicht im Verhältnis zu dem Beklagten als Träger sozialrechtlicher Entschädigungsleistungen, hier nach dem OEG.

Der in § 60 Abs.1 BVG normierte Antragsgrundsatz verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Wenn bereits zweifelhaft ist, ob Ansprüche auf Verletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung überhaupt dem Schutzbereich des Art.14 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) unterliegen (BSG mit Urteil vom 10.10.2002 - B 2 U 10/02 R - m.w.N.), muss dies erst recht für sozialrechtliche Entschädigungsleistungen gelten. Denn letztere sind in vollem Umfang steuerfinanziert. Selbst bei anderer Auffassung würde es sich um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art.14 Abs.1 Satz 2 GG handeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) liegt eine Enteignung im Sinne des Art.14 Abs.3 GG nicht vor, wenn das betreffende Recht infolge des ihm zu Grunde liegenden Sachverhalts zum einen ohnehin besonders geltend gemacht werden muss und zum anderen sein Erlöschen vom Berechtigten binnen angemessener Frist und in einfacher, leicht zu erfüllender Form verhindert werden kann (vgl. BVerfGE 70, 278 ff.). Es ist daher von dem Kläger hinzunehmen, dass die Beschädigtenversorgung gemäß § 60 Abs.1 BVG frühestens mit dem Antragsmonat beginnt (hier: Juni 2005). Denn die Versorgung ist auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. Die Fristenregelung des § 60 Abs.1 BVG widerspricht auch nicht Art.13 der EU-Richtlinie 2004/80 vom 29.04.2004, wonach die Gewährung von Leistungen der Entschädigung von einer Antragstellung innerhalb von zwei Jahren ab dem Ende der infolge der Straftat eingelegten polizeilichen Ermittlungen oder strafrechtlichen Verfolgung abhängig gemacht werden kann, wie das Sozialgericht Bayreuth mit Gerichtsbescheid vom 11.08.2008 zutreffend ausgeführt hat. Vielmehr geht die deutsche Regelung zu Gunsten von Opfern einer Gewalttat über die EU-Richtlinie hinaus.

Die weiteren Entscheidungen, auf die sich der Kläger mit Schreiben vom 20.09.2008 beruft, stützen sein Begehren nicht. Das BSG hat mit Urteil vom 26.07.2007 - B 13 R 4/06 R - lediglich entschieden, dass ein Rentenversicherungsträger auch dann gegen seine Pflicht zum Hinweis auf eine mögliche Antragstellung verstößt, wenn er zwar ein Hinweisschreiben absendet, dieses den Versicherten aber nicht erreicht. Zudem hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 24.07.2003 - B 4 RA 13/03 R - entschieden, dass die Beratungspflicht eines Sozialleistungsträgers sich grundsätzlich nur auf die Gewährung der sozialen Rechte nach dem SGB erstreckt, nicht jedoch auf außerhalb des SGB existierende Sicherungssysteme anderer Art. Denn § 13 SGB I betrifft allein die generelle Aufklärungspflicht der Sozialleistungsträger gegenüber der Bevölkerung; aus deren Verletzung kann kein Herstellungsrecht entstehen.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.08.2008 zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 160 Abs.2 Nr.1 SGG). Das Bundessozialgericht hat sich noch nicht abschließend zu der Frage geäußert, ob in Fällen wie dem vorliegenden §§ 3 Abs.4 OEG, 4 Abs.1 Nr.2 SGB VII, 65 BVG eine ausreichende Verknüpfung der Leistungsgesetze darstellen, um eine "Funktionseinheit" zwischen den Leistungsträgern der Unfallversicherung und denen sozialrechtlicher Entschädigungsleistungen im Lichte europarechtlicher Opferschutzvorschriften (hier: EU-Richtlinie 2004/80/EG vom 29.04.2004) annehmen zu können.
Rechtskraft
Aus
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