Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 AL 1463/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 403/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 118/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 3. August 2005 und der Bescheid vom 9. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2002 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 01.01.1993 bis 31.12.1993 zurückgenommen hat und die Klägerin verpflichtet ist, die überzahlten Leistungen in Höhe von 14.022,40 DM (7.169,54 EUR) zu erstatten.
Die 1957 geborene Klägerin war als Sachbearbeiterin vom 01.07.1982 bis 31.12.1991 mit einem Bruttogehalt von 3.500,00 DM bei der ihrem damaligen Ehemann gehörenden A. KG beschäftigt. Am 03.01.1992 meldete sie sich beim Arbeitsamt B-Stadt arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg), das ihr die Beklagte antragsgemäß vom 03.01.1992 bis 31.12.1992 in Höhe von 298,20 DM wöchentlich bewilligte. Im Anschluss an den Bezug von Alg beantragte die Klägerin im Dezember 1992 Alhi und gab hierbei an, weder anrechenbare Einnahmen noch ein Vermögen über 8.000,00 DM zu haben. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war beim Amtsgericht B-Stadt-Familiengericht ein Unterhaltsrechtsstreit anhängig. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 12.02.1993 (Alhi) vom 01.01.1993 Alhi bis 31.12.1993 in Höhe von 268,80 DM wöchentlich. Mit Bescheid vom 02.02.1994 wurde diese Leistung ab dem 01.01.1994 versagt, weil die Klägerin mehreren Aufforderungen der Beklagten, Nachweise über die Unterhaltszahlungen ihres Ehemannes vorzulegen, nicht nachgekommen war.
Am 23.10.1998 erstattete der geschiedene Ehemann der Klägerin eine persönliche Anzeige. Die Klägerin habe Ende 1991 eine Doppelhaushälfte für 820.000,00 DM verkauft und 1993/1994 eine Ausbildung zur Versicherungskauffrau bei der D. abgeschlossen. Er habe erfahren, dass die Klägerin ein eigenes Büro mit extra Telefonanschluss hatte. Sie halte sich immer vormittags bei der D. Krankenversicherung auf. Die Kapitaleinkünfte würden minimiert. Beigefügt war die Kopie eines Titelblattes der Zeitschrift des TSV M. B-Stadt. Darauf war zu lesen: "Generalagentur A. in B-Stadt". Des Weiteren waren Unterlagen aus dem Unterhaltsverfahren beigefügt. Danach seien der Klägerin aus dem Hausverkauf tatsächlich 220.000,00 DM verblieben. Hiervon habe sie einen Teilbetrag in Höhe von 100.000,00 DM langfristig zur Altersvorsorge angelegt (Lebensversicherung). Sie habe Unterhalt in Höhe von 3.240,00 DM geltend gemacht, davon für die Kinder 1.995,00 DM. Nach ihren dortigen Angaben erzielte die Klägerin im Jahre 1992 Kapitaleinkünfte in Höhe von jährlich gerundet 10.457,00 DM, also monatlich 871,00 DM. Für 1993 sei mit Kapitaleinkünften in Höhe von durchschnittlich 500,00 DM monatlich zu rechnen. Des Weiteren ergebe sich aus diesen Unterlagen, dass die Klägerin im September 1994 erfolgreich die Ausbildung zur Versicherungskauffrau beendet hat. Diese Ausbildung erlaube ihr, ab Oktober 1994 den Lebensunterhalt durch eigene Einkünfte zu decken.
Die daraufhin am 03.11.1998 eingeleiteten Ermittlungen führten zu dem Ergebnis, dass die Klägerin Ende 1991 ihr Haus in H. verkauft und seit dem 01.07.1993 für die D. Krankenversicherung als freie Mitarbeiterin tätig gewesen war. Die Anfragen bei der H.bank blieben erfolglos. Laut Auskunft vom 22.03.1999 konnten keine Konten der Klägerin ermittelt werden, obwohl eine Kontonummer der B.bank bekannt war.
Laut Aktenvermerk vom 30.11.1998 waren der Beklagten zu diesem Zeitpunkt folgende Tatsachen bekannt: 1. Die Klägerin verkaufte Ende 1991 tatsächlich ein Anwesen in H.; die Auflassung erfolgte am 17.10.1991, der Grundbucheintrag am 13.01.1992. 2. Ab 01.07.1993 war die Klägerin als freie Mitarbeiterin für die D. Krankenversicherung tätig. Hieraus resultierten Einahmen von mindestens 7.000,00 DM.
Am 03.12.1998 wurde der Vorgang an die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht B-Stadt abgegeben. Die gesamten Leistungen seien möglicherweise zu Unrecht gewährt worden. Dies sei auf eine Anzeige des geschiedenen Ehemannes der Klägerin vom 28.10.1998 und die hierbei vorgelegten Unterlagen über die freiberufliche Tätigkeit ab 01.07.1993 sowie den Immobilienverkauf Ende 1991 bekannt geworden.
Am 21.09.1999 ging ein Anhörungsschreiben an die Klägerin, das mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurückkam und am 27.09.1999 wieder beim Arbeitsamt B-Stadt einging. Die neue Adresse war seit 21.10.1999 bekannt. Am 02.05.2000 bestritt der Bevollmächtigte der Klägerin auf die nun erfolgte Anhörung sowohl Kapitalvermögen als auch Unterhaltsleistungen und Einkommen aus einer freiberuflichen Tätigkeit in den Jahren 1992 bzw. 1993.
Mit Bescheid vom 09.08.2000 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.12.1993 ganz auf, weil die Klägerin nicht bedürftig gewesen sei. Die Klägerin habe die Überzahlung in Höhe von 14.022,40 DM zu erstatten.
Gegen diesen Bescheid legte sie am 25.08.2000 Widerspruch ein. Die Jahresfrist für die rückwirkende Rücknahme sei versäumt. Dem Arbeitsamt B-Stadt seien sämtliche Tatsachen, auf die sich der Bescheid vom 09.08.2000 stützt, bereits seit November 1998 bekannt. Bei der Jahresfrist handele es sich um eine Ausschlussfrist.
Die Klägerin wurde in 2. Instanz vom Landgericht B-Stadt wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 60,00 EUR verurteilt. Zeugen wurden nicht vernommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Widerspruchsbescheid bezieht sich in seinen Gründen auf das Urteil des Landgerichts B-Stadt. Die Jahresfrist für die rückwirkende Rücknahme sei entgegen der Klägerin eingehalten, da nach höchstrichterlicher Rechtsprechung dies eine hinreichend sichere Information über alle für die Rücknahme bedeutsamen Fakten erfordere. Informationen über die die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen müssten einen Sicherheitsgrad erreichen, der vernünftige, nach den Erfahrungen des Lebens objektiv gerechtfertigte Zweifel schweigen lasse. Angaben des Leistungsempfängers zu den für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen hätten hierfür besondere Bedeutung. Der Lauf der Ausschlussfrist, die als Entscheidungsfrist und nicht etwa als eine Bearbeitungsfrist zu verstehen sei, beginne deshalb erst mit der vollständigen Klärung der Sach- und Rechtslage durch das Arbeitsamt. Da im Rahmen der Sachverhaltsermittlung der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung entscheidende Bedeutung zukomme, werde vollständige Kenntnis von den zur Rücknahme berechtigenden Tatsachen erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen vorliegen. Dies gelte auch dann, wenn der Betroffene sich nicht äußert. Die Frist habe deshalb frühestens am 04.05.2000 zu laufen begonnen, als die Antwort auf die Anhörung beim Arbeitsamt B-Stadt einging. In der Anhörung habe der bevollmächtigte Rechtsanwalt Kapitalvermögen und Unterhaltsleistungen bestritten, so dass auch zu diesem Zeitpunkt der Sachverhalt noch nicht abschließend aufgeklärt war. Am 08.01.2001 habe das Amtsgericht B-Stadt auch noch Ermittlungsbedarf gesehen. Von der genauen Vermögenshöhe auf Sparbuch/Sparkonto, bezogen auf das Jahr 1993, habe das Arbeitsamt B-Stadt auch erst durch das Urteil des Landgerichts B-Stadt erfahren. Die Abgabe an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht B-Stadt vom 03.12.1998 sei aufgrund der drohenden Verjährung ohne Feststellung des eingetretenen Vermögensschadens erfolgt, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren.
Die Klägerin hat am 12.12.2002 beim SG Klage gegen den Bescheid vom 20.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2002 erhoben. Die Jahresfrist habe am 03.12.1998 zu laufen begonnen. Deshalb sei die Frist für die rückwirkende Rücknahme nicht eingehalten worden. Im Übrigen wurde auf die Widerspruchsbegründung Bezug genommen.
Das SG hat mit Urteil vom 03.08.2005 die Klage abgewiesen. Die Rückforderung der Arbeitslosenhilfe bestehe zu Recht. Zur Begründung hat es auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2002 gemäß § 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 25.10.2005. Durch die Anzeige des geschiedenen Ehemannes der Klägerin vom 28.10.1998 und die hierbei vorgelegten Unterlagen sei der Beklagten bekannt geworden, dass Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfezahlungen in den Jahren 1992 bis 1993 möglicherweise zu Unrecht gewährt worden waren. Spätestens am 03.12.1998 habe die Beklagte Kenntnis von den Tatsachen gehabt, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Die Staatsanwaltschaft habe daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin eingeleitet, führte keine weiteren Ermittlungen durchgeführt und den ihr über die Beklagte bekannt gegebenen Sachverhalt zur Grundlage der Anklageschrift vom 30.10.2000 an das Amtsgericht B-Stadt gemacht. Dennoch habe die Beklagte erst mit Bescheid vom 09.08.2000 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe rückwirkend zurückgenommen. Die genannte Jahresfrist sei nicht eingehalten.
Die Beklagte bleibt bei ihrer Auffassung, dass die Frist nicht versäumt sei. Entscheidend sei die Anhörung der Klägerin. Nachdem dieses Anhörungsschreiben am 21.09.1999 zurückgekommen war, habe die Anhörung erneut durchgeführt werden müssen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 03.08.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 09.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.11.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin (§§ 143, 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 151 SGG) ist zulässig. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten einverstanden sind (§ 124 Abs.2 SGG).
Die Berufung ist begründet.
Das angefochtene Urteil und der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 09.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2002 sind aufzuheben.
Die rückwirkende Rücknahme der Arbeitslosenhilfe vom 01.01.1993 bis 31.12.1993 durch die genannten Bescheide ist rechtswidrig, weil die Beklagte die Jahresfrist für die rückwirkende Rücknahme gemäß § 45 Abs.4 SGB X nicht eingehalten hat. Gemäß § 45 Abs.1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) und rechtswidrig ist, auch nach seiner Unanfechtbarkeit nur unter den Einschränkungen der Abs.2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 Abs.2 SGB X regelt den Vertrauensschutz; er fehlt nach Satz 3 dieser Vorschrift, wenn (Nr.1) der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (Nr.2) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (Nr.3), er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Aufgrund der besonderen Regelung des § 330 Abs.2 SGB III ist der Verwaltungsakt bei Vorliegen der in § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, d.h. abweichend von § 45 SGB X tritt bei Bösgläubigkeit des Begünstigten an die Stelle einer Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung. § 45 Abs.3 SGB X enthält für den (hier nicht gegebenen) Fall der Rücknahme von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung eine weitere Frist.
Gemäß § 45 Abs.4 SGB X wird in den Fällen des fehlenden Vertrauensschutzes, von dem die Beklagte ausgeht, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Da die Beklagte diese Frist nicht eingehalten hat, durfte sie nicht rechtmäßig den Bewilligungsbescheid für die Arbeitslosenhilfe vom 11.02.1993 aufheben und den gezahlten Betrag von der Klägerin zurückfordern, auch wenn die Klägerin Arbeitslosenhilfe zu Unrecht erhalten hatte.
Der Einjahreszeitraum des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X beginnt mit der Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Damit sind zunächst alle tatsächlichen Umstände gemeint, die nach Maßstab von § 45 SGB X zur tatbestandlichen Prüfung der Aufhebbarkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes erforderlich sind. Nach allgemeiner Meinung gehören hierzu alle Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der begünstigende Verwaltungsakt ohne Rechtsgrund erlassen worden, also rechtswidrig ist. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) beginnt die Jahresfrist für die rückwirkende Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes nicht eher zu laufen als der für die Entscheidung über die Aufhebung nach der Geschäftsverteilung des Leistungsträgers zuständigen Behörde die Tatsachen zur Bearbeitung vorliegen, aus denen sich die tatbestandlichen Voraussetzungen der Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes ergeben. Die einjährige Ausschlussfrist beginnt jedenfalls dann, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des zurückzunehmenden Verwaltungsaktes sowie die Tatsachen hinsichtlich der weiteren Rücknahmevoraussetzungen kannte (Urteil vom 09.06.1988, BSGE 63, 224; Urteil vom 15.02.1990, BSGE 66, 204).
Zu den beachtlichen Umständen zählen weiter außerdem alle Tatsachen, die für die Rücknahme für die Vergangenheit von Bedeutung sind. Dies sind alle Tatsachen, die nach § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X für die rückwirkende Aufhebung vorausgesetzt werden, also die Umstände der groben Fahrlässigkeit oder der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (z.B. BSG vom 08.02.1996, BSGE 77, 295).
Noch nicht abschließend geklärt ist, ob zu den Tatsachen im Sinne des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X auch die Umstände zählen, die über die Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes hinaus für die gegebenenfalls zu treffende Aufhebungsentscheidung zusätzlich relevant sind, z.B. die Tatsachengrundlage der erforderlichen Ermessensausübung (Schütze in von Wulffen, SGB X, 6. Auflage, § 45, Rdnr.82 m.w.N.). Diese Frage muss hier nicht entschieden werden, da die Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsaktes im vorliegenden Fall ohne Ermessensausübung erfolgt.
Der Begriff Kenntnis (der oben genannten relevanten Tatsachen) im Sinne des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X enthält subjektive und objektive Elemente. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmte Kenntnis liegt dann vor, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt Kenntnis voraus, dass das bei der Behörde vorhandene Wissen den Erlass eines rechtmäßigen Aufhebungs- bzw. Rücknahmebescheides ermöglicht. Dieser erfordert eine hinreichend sichere Information über alle für die Aufhebung bedeutsamen Fakten. Dies kann aber nicht von der individuellen Einstellung des zuständigen Sachbearbeiters abhängig gemacht werden. Vielmehr kommt es auf den Standpunkt der Behörde an. Anderenfalls könnte dem Ziel der Rechtssicherheit, das in § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X zum Ausdruck kommt, nicht Rechnung getragen werden (Urteil vom 25.01.1994, BSGE 74,20; Urteil vom 08.02.1996, BSGE 77, 295).
Von der Kenntnis ist der Fall zu unterscheiden, wenn die bei der Behörde vorliegenden Tatsachen zwar objektiv eine ausreichende Beurteilung erlauben, dies jedoch nicht erkannt wird.
Unzutreffend ist die Auffassung der Beklagten, dass im vorliegenden Fall die Ausschlussfrist von einem Jahr erst mit der Anhörung der Klägerin begonnen haben soll. Die von der Beklagten u.a. hierzu genannte Entscheidung des BSG (Urteil vom 08.02.1996, a.a.O.) stellt nicht allein auf diesen Zeitpunkt ab. Nach dem zitierten Urteil beginnt die Jahresfrist des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X erst dann zu laufen, wenn die Behörde entweder objektiv eine sichere Kenntnis der Tatsachen hatte, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen oder subjektiv von der Richtigkeit und Vollständigkeit der ihr vorliegenden Informationen überzeugt war. Dies ist regelmäßig erst nach der gemäß § 24 SGB X durchgeführten Anhörung des Betroffenen der Fall.
Die Beklagte räumt selbst ein, dass mit der Anzeige des geschiedenen Ehemanns der Klägerin am 23.10.1998 zahlreiche Anhaltspunkte dafür bestanden, dass Arbeitslosenhilfe zu Unrecht bezogen wurde. Die Behörde ging davon aus, dass sowohl Vermögen durch den Verkaufserlös des Hauses erzielt wurde als auch Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit der Klägerin als Generalagentur einer Versicherung. Dies führte bereits im Dezember 1998 zur Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Dieser Strafanzeige lässt sich entnehmen, dass die Beklagte sicher war, dass die vom Ex-Mann der Klägerin vorgetragenen Tatsachen zutreffend sind. Diese Strafanzeige wurde erstattet, ohne die Klägerin vorher anzuhören. Die danach erfolgten Ermittlungen bei der IHK und bei der H.-Bank dienten dazu, den zurückzuzahlenden Betrag der Höhe nach zu ermitteln.
Somit begann die Jahresfrist des § 45 Abs.4SGB X am 03.12.1998 zu laufen und nicht erst nach der Anhörung, zumal das erste Anhörungsschreiben erst von September 1999 datiert, obwohl zwischen Strafanzeige und Anhörungsschreiben praktisch keine Ermittlungen durchgeführt wurden.
Auch die Tatsache, dass von der Staatsanwaltschaft Anklage erhoben wurde, ohne weitere Ermittlungen durchzuführen, weist darauf hin, dass der Sachverhalt zu diesem Zeitpunkt bereits soweit geklärt war, dass die Einjahresfrist zu laufen begann.
Da die Beklagte die Einjahresfrist nicht eingehalten hat, war die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Vergangenheit rechtswidrig. Auch der Erstattungsanspruch gemäß § 50 Abs.1 SGB X besteht deshalb nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 01.01.1993 bis 31.12.1993 zurückgenommen hat und die Klägerin verpflichtet ist, die überzahlten Leistungen in Höhe von 14.022,40 DM (7.169,54 EUR) zu erstatten.
Die 1957 geborene Klägerin war als Sachbearbeiterin vom 01.07.1982 bis 31.12.1991 mit einem Bruttogehalt von 3.500,00 DM bei der ihrem damaligen Ehemann gehörenden A. KG beschäftigt. Am 03.01.1992 meldete sie sich beim Arbeitsamt B-Stadt arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg), das ihr die Beklagte antragsgemäß vom 03.01.1992 bis 31.12.1992 in Höhe von 298,20 DM wöchentlich bewilligte. Im Anschluss an den Bezug von Alg beantragte die Klägerin im Dezember 1992 Alhi und gab hierbei an, weder anrechenbare Einnahmen noch ein Vermögen über 8.000,00 DM zu haben. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war beim Amtsgericht B-Stadt-Familiengericht ein Unterhaltsrechtsstreit anhängig. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 12.02.1993 (Alhi) vom 01.01.1993 Alhi bis 31.12.1993 in Höhe von 268,80 DM wöchentlich. Mit Bescheid vom 02.02.1994 wurde diese Leistung ab dem 01.01.1994 versagt, weil die Klägerin mehreren Aufforderungen der Beklagten, Nachweise über die Unterhaltszahlungen ihres Ehemannes vorzulegen, nicht nachgekommen war.
Am 23.10.1998 erstattete der geschiedene Ehemann der Klägerin eine persönliche Anzeige. Die Klägerin habe Ende 1991 eine Doppelhaushälfte für 820.000,00 DM verkauft und 1993/1994 eine Ausbildung zur Versicherungskauffrau bei der D. abgeschlossen. Er habe erfahren, dass die Klägerin ein eigenes Büro mit extra Telefonanschluss hatte. Sie halte sich immer vormittags bei der D. Krankenversicherung auf. Die Kapitaleinkünfte würden minimiert. Beigefügt war die Kopie eines Titelblattes der Zeitschrift des TSV M. B-Stadt. Darauf war zu lesen: "Generalagentur A. in B-Stadt". Des Weiteren waren Unterlagen aus dem Unterhaltsverfahren beigefügt. Danach seien der Klägerin aus dem Hausverkauf tatsächlich 220.000,00 DM verblieben. Hiervon habe sie einen Teilbetrag in Höhe von 100.000,00 DM langfristig zur Altersvorsorge angelegt (Lebensversicherung). Sie habe Unterhalt in Höhe von 3.240,00 DM geltend gemacht, davon für die Kinder 1.995,00 DM. Nach ihren dortigen Angaben erzielte die Klägerin im Jahre 1992 Kapitaleinkünfte in Höhe von jährlich gerundet 10.457,00 DM, also monatlich 871,00 DM. Für 1993 sei mit Kapitaleinkünften in Höhe von durchschnittlich 500,00 DM monatlich zu rechnen. Des Weiteren ergebe sich aus diesen Unterlagen, dass die Klägerin im September 1994 erfolgreich die Ausbildung zur Versicherungskauffrau beendet hat. Diese Ausbildung erlaube ihr, ab Oktober 1994 den Lebensunterhalt durch eigene Einkünfte zu decken.
Die daraufhin am 03.11.1998 eingeleiteten Ermittlungen führten zu dem Ergebnis, dass die Klägerin Ende 1991 ihr Haus in H. verkauft und seit dem 01.07.1993 für die D. Krankenversicherung als freie Mitarbeiterin tätig gewesen war. Die Anfragen bei der H.bank blieben erfolglos. Laut Auskunft vom 22.03.1999 konnten keine Konten der Klägerin ermittelt werden, obwohl eine Kontonummer der B.bank bekannt war.
Laut Aktenvermerk vom 30.11.1998 waren der Beklagten zu diesem Zeitpunkt folgende Tatsachen bekannt: 1. Die Klägerin verkaufte Ende 1991 tatsächlich ein Anwesen in H.; die Auflassung erfolgte am 17.10.1991, der Grundbucheintrag am 13.01.1992. 2. Ab 01.07.1993 war die Klägerin als freie Mitarbeiterin für die D. Krankenversicherung tätig. Hieraus resultierten Einahmen von mindestens 7.000,00 DM.
Am 03.12.1998 wurde der Vorgang an die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht B-Stadt abgegeben. Die gesamten Leistungen seien möglicherweise zu Unrecht gewährt worden. Dies sei auf eine Anzeige des geschiedenen Ehemannes der Klägerin vom 28.10.1998 und die hierbei vorgelegten Unterlagen über die freiberufliche Tätigkeit ab 01.07.1993 sowie den Immobilienverkauf Ende 1991 bekannt geworden.
Am 21.09.1999 ging ein Anhörungsschreiben an die Klägerin, das mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurückkam und am 27.09.1999 wieder beim Arbeitsamt B-Stadt einging. Die neue Adresse war seit 21.10.1999 bekannt. Am 02.05.2000 bestritt der Bevollmächtigte der Klägerin auf die nun erfolgte Anhörung sowohl Kapitalvermögen als auch Unterhaltsleistungen und Einkommen aus einer freiberuflichen Tätigkeit in den Jahren 1992 bzw. 1993.
Mit Bescheid vom 09.08.2000 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.12.1993 ganz auf, weil die Klägerin nicht bedürftig gewesen sei. Die Klägerin habe die Überzahlung in Höhe von 14.022,40 DM zu erstatten.
Gegen diesen Bescheid legte sie am 25.08.2000 Widerspruch ein. Die Jahresfrist für die rückwirkende Rücknahme sei versäumt. Dem Arbeitsamt B-Stadt seien sämtliche Tatsachen, auf die sich der Bescheid vom 09.08.2000 stützt, bereits seit November 1998 bekannt. Bei der Jahresfrist handele es sich um eine Ausschlussfrist.
Die Klägerin wurde in 2. Instanz vom Landgericht B-Stadt wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 60,00 EUR verurteilt. Zeugen wurden nicht vernommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Widerspruchsbescheid bezieht sich in seinen Gründen auf das Urteil des Landgerichts B-Stadt. Die Jahresfrist für die rückwirkende Rücknahme sei entgegen der Klägerin eingehalten, da nach höchstrichterlicher Rechtsprechung dies eine hinreichend sichere Information über alle für die Rücknahme bedeutsamen Fakten erfordere. Informationen über die die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen müssten einen Sicherheitsgrad erreichen, der vernünftige, nach den Erfahrungen des Lebens objektiv gerechtfertigte Zweifel schweigen lasse. Angaben des Leistungsempfängers zu den für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen hätten hierfür besondere Bedeutung. Der Lauf der Ausschlussfrist, die als Entscheidungsfrist und nicht etwa als eine Bearbeitungsfrist zu verstehen sei, beginne deshalb erst mit der vollständigen Klärung der Sach- und Rechtslage durch das Arbeitsamt. Da im Rahmen der Sachverhaltsermittlung der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung entscheidende Bedeutung zukomme, werde vollständige Kenntnis von den zur Rücknahme berechtigenden Tatsachen erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen vorliegen. Dies gelte auch dann, wenn der Betroffene sich nicht äußert. Die Frist habe deshalb frühestens am 04.05.2000 zu laufen begonnen, als die Antwort auf die Anhörung beim Arbeitsamt B-Stadt einging. In der Anhörung habe der bevollmächtigte Rechtsanwalt Kapitalvermögen und Unterhaltsleistungen bestritten, so dass auch zu diesem Zeitpunkt der Sachverhalt noch nicht abschließend aufgeklärt war. Am 08.01.2001 habe das Amtsgericht B-Stadt auch noch Ermittlungsbedarf gesehen. Von der genauen Vermögenshöhe auf Sparbuch/Sparkonto, bezogen auf das Jahr 1993, habe das Arbeitsamt B-Stadt auch erst durch das Urteil des Landgerichts B-Stadt erfahren. Die Abgabe an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht B-Stadt vom 03.12.1998 sei aufgrund der drohenden Verjährung ohne Feststellung des eingetretenen Vermögensschadens erfolgt, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren.
Die Klägerin hat am 12.12.2002 beim SG Klage gegen den Bescheid vom 20.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2002 erhoben. Die Jahresfrist habe am 03.12.1998 zu laufen begonnen. Deshalb sei die Frist für die rückwirkende Rücknahme nicht eingehalten worden. Im Übrigen wurde auf die Widerspruchsbegründung Bezug genommen.
Das SG hat mit Urteil vom 03.08.2005 die Klage abgewiesen. Die Rückforderung der Arbeitslosenhilfe bestehe zu Recht. Zur Begründung hat es auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2002 gemäß § 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 25.10.2005. Durch die Anzeige des geschiedenen Ehemannes der Klägerin vom 28.10.1998 und die hierbei vorgelegten Unterlagen sei der Beklagten bekannt geworden, dass Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfezahlungen in den Jahren 1992 bis 1993 möglicherweise zu Unrecht gewährt worden waren. Spätestens am 03.12.1998 habe die Beklagte Kenntnis von den Tatsachen gehabt, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Die Staatsanwaltschaft habe daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin eingeleitet, führte keine weiteren Ermittlungen durchgeführt und den ihr über die Beklagte bekannt gegebenen Sachverhalt zur Grundlage der Anklageschrift vom 30.10.2000 an das Amtsgericht B-Stadt gemacht. Dennoch habe die Beklagte erst mit Bescheid vom 09.08.2000 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe rückwirkend zurückgenommen. Die genannte Jahresfrist sei nicht eingehalten.
Die Beklagte bleibt bei ihrer Auffassung, dass die Frist nicht versäumt sei. Entscheidend sei die Anhörung der Klägerin. Nachdem dieses Anhörungsschreiben am 21.09.1999 zurückgekommen war, habe die Anhörung erneut durchgeführt werden müssen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 03.08.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 09.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.11.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin (§§ 143, 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 151 SGG) ist zulässig. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten einverstanden sind (§ 124 Abs.2 SGG).
Die Berufung ist begründet.
Das angefochtene Urteil und der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 09.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2002 sind aufzuheben.
Die rückwirkende Rücknahme der Arbeitslosenhilfe vom 01.01.1993 bis 31.12.1993 durch die genannten Bescheide ist rechtswidrig, weil die Beklagte die Jahresfrist für die rückwirkende Rücknahme gemäß § 45 Abs.4 SGB X nicht eingehalten hat. Gemäß § 45 Abs.1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) und rechtswidrig ist, auch nach seiner Unanfechtbarkeit nur unter den Einschränkungen der Abs.2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 Abs.2 SGB X regelt den Vertrauensschutz; er fehlt nach Satz 3 dieser Vorschrift, wenn (Nr.1) der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (Nr.2) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (Nr.3), er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Aufgrund der besonderen Regelung des § 330 Abs.2 SGB III ist der Verwaltungsakt bei Vorliegen der in § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, d.h. abweichend von § 45 SGB X tritt bei Bösgläubigkeit des Begünstigten an die Stelle einer Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung. § 45 Abs.3 SGB X enthält für den (hier nicht gegebenen) Fall der Rücknahme von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung eine weitere Frist.
Gemäß § 45 Abs.4 SGB X wird in den Fällen des fehlenden Vertrauensschutzes, von dem die Beklagte ausgeht, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Da die Beklagte diese Frist nicht eingehalten hat, durfte sie nicht rechtmäßig den Bewilligungsbescheid für die Arbeitslosenhilfe vom 11.02.1993 aufheben und den gezahlten Betrag von der Klägerin zurückfordern, auch wenn die Klägerin Arbeitslosenhilfe zu Unrecht erhalten hatte.
Der Einjahreszeitraum des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X beginnt mit der Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Damit sind zunächst alle tatsächlichen Umstände gemeint, die nach Maßstab von § 45 SGB X zur tatbestandlichen Prüfung der Aufhebbarkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes erforderlich sind. Nach allgemeiner Meinung gehören hierzu alle Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der begünstigende Verwaltungsakt ohne Rechtsgrund erlassen worden, also rechtswidrig ist. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) beginnt die Jahresfrist für die rückwirkende Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes nicht eher zu laufen als der für die Entscheidung über die Aufhebung nach der Geschäftsverteilung des Leistungsträgers zuständigen Behörde die Tatsachen zur Bearbeitung vorliegen, aus denen sich die tatbestandlichen Voraussetzungen der Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes ergeben. Die einjährige Ausschlussfrist beginnt jedenfalls dann, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des zurückzunehmenden Verwaltungsaktes sowie die Tatsachen hinsichtlich der weiteren Rücknahmevoraussetzungen kannte (Urteil vom 09.06.1988, BSGE 63, 224; Urteil vom 15.02.1990, BSGE 66, 204).
Zu den beachtlichen Umständen zählen weiter außerdem alle Tatsachen, die für die Rücknahme für die Vergangenheit von Bedeutung sind. Dies sind alle Tatsachen, die nach § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X für die rückwirkende Aufhebung vorausgesetzt werden, also die Umstände der groben Fahrlässigkeit oder der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (z.B. BSG vom 08.02.1996, BSGE 77, 295).
Noch nicht abschließend geklärt ist, ob zu den Tatsachen im Sinne des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X auch die Umstände zählen, die über die Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes hinaus für die gegebenenfalls zu treffende Aufhebungsentscheidung zusätzlich relevant sind, z.B. die Tatsachengrundlage der erforderlichen Ermessensausübung (Schütze in von Wulffen, SGB X, 6. Auflage, § 45, Rdnr.82 m.w.N.). Diese Frage muss hier nicht entschieden werden, da die Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsaktes im vorliegenden Fall ohne Ermessensausübung erfolgt.
Der Begriff Kenntnis (der oben genannten relevanten Tatsachen) im Sinne des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X enthält subjektive und objektive Elemente. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmte Kenntnis liegt dann vor, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt Kenntnis voraus, dass das bei der Behörde vorhandene Wissen den Erlass eines rechtmäßigen Aufhebungs- bzw. Rücknahmebescheides ermöglicht. Dieser erfordert eine hinreichend sichere Information über alle für die Aufhebung bedeutsamen Fakten. Dies kann aber nicht von der individuellen Einstellung des zuständigen Sachbearbeiters abhängig gemacht werden. Vielmehr kommt es auf den Standpunkt der Behörde an. Anderenfalls könnte dem Ziel der Rechtssicherheit, das in § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X zum Ausdruck kommt, nicht Rechnung getragen werden (Urteil vom 25.01.1994, BSGE 74,20; Urteil vom 08.02.1996, BSGE 77, 295).
Von der Kenntnis ist der Fall zu unterscheiden, wenn die bei der Behörde vorliegenden Tatsachen zwar objektiv eine ausreichende Beurteilung erlauben, dies jedoch nicht erkannt wird.
Unzutreffend ist die Auffassung der Beklagten, dass im vorliegenden Fall die Ausschlussfrist von einem Jahr erst mit der Anhörung der Klägerin begonnen haben soll. Die von der Beklagten u.a. hierzu genannte Entscheidung des BSG (Urteil vom 08.02.1996, a.a.O.) stellt nicht allein auf diesen Zeitpunkt ab. Nach dem zitierten Urteil beginnt die Jahresfrist des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X erst dann zu laufen, wenn die Behörde entweder objektiv eine sichere Kenntnis der Tatsachen hatte, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen oder subjektiv von der Richtigkeit und Vollständigkeit der ihr vorliegenden Informationen überzeugt war. Dies ist regelmäßig erst nach der gemäß § 24 SGB X durchgeführten Anhörung des Betroffenen der Fall.
Die Beklagte räumt selbst ein, dass mit der Anzeige des geschiedenen Ehemanns der Klägerin am 23.10.1998 zahlreiche Anhaltspunkte dafür bestanden, dass Arbeitslosenhilfe zu Unrecht bezogen wurde. Die Behörde ging davon aus, dass sowohl Vermögen durch den Verkaufserlös des Hauses erzielt wurde als auch Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit der Klägerin als Generalagentur einer Versicherung. Dies führte bereits im Dezember 1998 zur Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Dieser Strafanzeige lässt sich entnehmen, dass die Beklagte sicher war, dass die vom Ex-Mann der Klägerin vorgetragenen Tatsachen zutreffend sind. Diese Strafanzeige wurde erstattet, ohne die Klägerin vorher anzuhören. Die danach erfolgten Ermittlungen bei der IHK und bei der H.-Bank dienten dazu, den zurückzuzahlenden Betrag der Höhe nach zu ermitteln.
Somit begann die Jahresfrist des § 45 Abs.4SGB X am 03.12.1998 zu laufen und nicht erst nach der Anhörung, zumal das erste Anhörungsschreiben erst von September 1999 datiert, obwohl zwischen Strafanzeige und Anhörungsschreiben praktisch keine Ermittlungen durchgeführt wurden.
Auch die Tatsache, dass von der Staatsanwaltschaft Anklage erhoben wurde, ohne weitere Ermittlungen durchzuführen, weist darauf hin, dass der Sachverhalt zu diesem Zeitpunkt bereits soweit geklärt war, dass die Einjahresfrist zu laufen begann.
Da die Beklagte die Einjahresfrist nicht eingehalten hat, war die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Vergangenheit rechtswidrig. Auch der Erstattungsanspruch gemäß § 50 Abs.1 SGB X besteht deshalb nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).
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