L 4 KR 88/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 6 KR 321/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 88/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die rückwirkende Statusänderung eines jahrelang sozialversicherten Sohnes im elterlichen Betrieb bedarf es des Nachweises ganz erheblicher Fehler bei den bislang unbeanstandet gebliebenen Meldungen.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist, ob der Kläger seit 01.03.1999 abhängig beschäftigt ist.

Der 1980 geborene Kläger lernte nach Angaben seines Bevollmächtigten von September 1996 bis Februar 1999 das Brauer- und Mälzerhandwerk. Seit 01.03.1999 war er als mitarbeitender Sohn im Brauereigasthof A. tätig. Von September 2002 bis August 2003 absolvierte er den Meisterlehrgang. Am 01.08.2003 meldete die Beigeladene zu 1) den Kläger bei der Beklagten an. Am 01.10.2003 ging der Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten ein. Der Kläger gab an, seit 01.08.2003 als Braumeister beschäftigt zu sein. Seine durchschnittliche Arbeitszeit betrage 38,5 Stunden, es sei eine feste Arbeitszeit vereinbart sowie ein regelmäßiges monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 3.896,71 EUR brutto, vermögenswirksame Leistungen für Arbeitnehmer werden in Anspruch genommen. Der Kläger sei wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert, den Weisungen des Betriebsinhabers unterworfen, Urlaubsanspruch und gesetzliche Kündigungsfrist seien ebenfalls arbeitsvertraglich vereinbart. Der Arbeitgeber betreibe eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. Darlehen oder Sicherheiten seien nicht übernommen worden.

Am 11.11.2004 wurde die P. Gesellschaft für Consulting bevollmächtigt. Der Vater des Klägers bestätigte am 17.11.2004, der Kläger besitze aufgrund seiner Verantwortung und seiner Kenntnisse eine mündliche Handlungsvollmacht. Diese werde in der Praxis auch definitiv ausgeübt. Ebenfalls am 17.11.2004 gab der Kläger an, nicht an Zeit, Ort und Art seiner weisungsfreien Tätigkeit gebunden zu sein und der Firma ein Darlehen in Höhe von 23.500,00 EUR gewährt zu haben. Ein weiterer Feststellungsbogen wurde vorgelegt, wonach die Tätigkeit nun nicht aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung ausgeübt werde und worden sei, der Kläger seine Tätigkeit frei bestimmen könne, ein Urlaubsanspruch nicht vereinbart sei. Nach Anhörung des Klägers stellte die Beklagte mit Bescheid vom 11.01.2005 Sozialversicherungspflicht vom 01.03.1999 bis 30.09.2002 und für die laufende Beschäftigung ab 01.08.2003 in allen Zweigen der Sozialversicherung fest. Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 22.03.2005, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2005 zurückgewiesen hat.

Am 24.10.2005 wurde Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Das Sozialgericht hat beim Finanzamt B. die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2004 beigezogen. Danach hat der Kläger Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit (Bruttoarbeitslohn) sowie aus Kapitalvermögen erzielt. Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte, die wöchentliche Arbeitszeit habe sowohl vor der Meisterprüfung als auch danach mindestens 60 Stunden betragen, der zustehende Urlaub sei seit 1999 nicht mehr genommen worden, der Kläger habe durch eigene Entscheidung den Betrieb umstrukturiert. Der Vater des Klägers habe den Gastronomiebereich einschließlich der Fremdenzimmer geleitet sowie den Biergarten mit eigenem Essensbereich und Metzgerei geführt. Die Brauerei habe allein dem Kläger oblegen. Der Kläger sei gleich seinem Vater zwangsläufig davon ausgegangen, dass jeder, der nicht selbstständig oder Teilhaber eines Unternehmens sei, einer lückenlosen Pflichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen unterliege. Auch Steuerberater und Rechtsanwälte seien hierzu nicht grundsätzlich geeignet. Es sei dann Aufgabe der Einzugs- und Prüfstellen, die Beitragszahler zumindest mit den elementaren Informationen zu versorgen. Aus einer Urkunde über Teilerbauseinandersetzung und Überlassung mit Auflassung vom 27.01.2006 geht hervor, dass Herr A. sen. zum Miteigentum zu 3/4 des Grundbesitzes und des Einzelunternehmens eingesetzt wurde, Frau B. A. zu 1/4. Von seinem 3/4 Miteigentumsanteil überließ Herr A. sen. seinem Sohn, dem Kläger einen Miteigentumsanteil zu 1/4.

Das Sozialgericht hat auch in Übereinstimmung mit der Beigeladenen zu 2) die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.02.2007 abgewiesen. Die Klage sei bezüglich der begehrten Feststellung für die Zeit vom 01.09.2002 bis 31.07.2003 unzulässig, der Kläger habe, was zwischen den Beteiligten unstreitig sei, in dieser Zeit die Meisterschule besucht, Sozialversicherungsbeiträge seien nicht abgeführt worden. Für die Zeit vom 01.03.1999 bis 30.08.2002 und ab 01.08.2003 sei die Klage unbegründet. Der Kläger sei abhängig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Dass der Kläger der Beigeladenen zu 1) ein Darlehen gewährt habe, was im ersten Feststellungsbogen nicht angegeben worden sei, sei nicht nachgewiesen. Auch die Feststellung des Finanzamtes B. in den Einkommensteuerbescheiden gehe von einer nicht selbständigen Arbeit aus.

Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die am 08.03.2007 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers, zu deren Begründung der Bevollmächtigte ausführt, es bestünden insgesamt Zweifel an der gebotenen erstrichterlichen Objektivität, das Urteil leide aber auch darüber hinaus unter gravierenden Rechtsfehlern. Zum einen sei die steuerrechtliche Beurteilung nicht maßgebend. Sodann habe das Erstgericht - faktisch ohne Ansehen der tatsächlichen Verhältnisse - auf Existenz und Inhalt des Anstellungsvertrags des Klägers abgestellt. Außerdem sei die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebrachte gerichtliche Überzeugung, nach der für eine Eingliederung spreche, dass der Betrieb ohne Mitwirkung des Klägers eine andere fremde Arbeitskraft benötige, nicht gerechtfertigt. Schließlich lägen die weiteren vom Erstgericht ins Feld geführten Aspekte des gesetzlichen Urlaubs- und Lohnfortzahlungsanspruchs nach diesseitiger Auffassung neben der Sache und könnten angesichts fehlender Eingliederung und Weisungsgebundenheit auch im Übrigen kein eigenes Gewicht erlangen.

Der Klägervertreter beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.02.2007 sowie den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 11.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2005 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger in der Zeit vom 01.03.1999 bis 30.09.2002 und vom 01.08.2003 bis 31.12.2005 nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass sowohl der Entscheidung der Beklagten als auch der des Erstgerichts die Angaben im Fragebogen vom 10.09.2003 zugrunde lagen. In diesem Fragebogen seien die damaligen tatsächlichen Verhältnisse nachvollziehbar und glaubwürdig geschildert. Die Angaben im Fragebogen vom 17.11.2004 hingegen seien nach Überzeugung der Beklagten im Lichte einer veränderten Interessenlage gemacht worden.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen keinen Antrag, die Beigeladene zu 3) legt den Prüfbescheid vom 08.06.2005 vor, in dem auch ausgeführt ist, im Prüfzeitraum habe eine Lohnsteueraußenprüfung stattgefunden, es hätten sich keine Beitragsnachforderungen zur Sozialversicherung ergeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung nach § 144 SGG bedarf, ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet. Der Kläger war im Anschluss an seine Lehre bei der Beigeladenen, der Firma seines Vaters, in der streitgegenständlichen Zeit abhängig beschäftigt gemäß § 7 Abs.1 Satz 1 SGB IV. Die Folge ist die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 SGB VI, in der Krankenversicherung gemäß § 5 Abs.1 Nr.1 SGB V, in der Pflegeversicherung gemäß § 20 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB XI und in der Arbeitslosenversicherung gemäß § 25 Abs.1 SGB III.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs.1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist.

Der Kläger hat im Fragebogen zur versicherungspflichtigen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses, den er ausgefüllt hat, bevor er von anderer Seite beraten worden war, angegeben, er sei den Weisungen seines Arbeitgebers, nämlich seines Vater, unterworfen gewesen. Auch die weiteren Angaben, der Kläger sei wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert gewesen, habe Urlaubsanspruch gehabt und sei Weisungsgebunden gewesen, bestätigen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Es ist auch nicht vorgetragen, dass die arbeitsvertragliche Vereinbarung, aufgrund derer die Tätigkeit des Klägers ausgeübt wurde, jemals gekündigt wurde. Der Kläger hat sich als Arbeitnehmer behandeln lassen, indem er nicht nur ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 3.896,71 EUR bezogen hat, sondern auch Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts während der Arbeitsunfähigkeit sowie einen Urlaubsanspruch und einen auf vermögenswirksame Leistungen hatte. Entsprechend hat der Kläger, wie sich aus den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1999 bis 2006 ergibt, Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit (Bruttoarbeitslohn) sowie aus Kapitalvermögen versteuert. Erst im (nicht mehr streitgegenständlichen) Jahr 2007 versteuerte der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Kapitalvermögen.

Der Senat folgt nicht der Auffassung einer vollständigen Unabhängigkeit der steuerrechtlichen von der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der klägerischen Tätigkeit. Richtig ist zwar, dass zwischen beiden Rechtsgebieten keine Bindungswirkung besteht, also der Einzugsstelle jeglicher Beurteilungsspielraum und Entscheidungskompetenz bei Vorlage eines Steuerbescheides genommen werde, jedoch besteht eine starke Indizwirkung i.S. eines Regel-Ausnahmeverhältnisses. Das hat der Gesetzgeber in § 28 p SGB IV berücksichtigt, wonach bei den Betriebsprüfungen auf die Lohnsteuerprüfungen zurückgegriffen werden kann (§ 10 Abs. 2 Beitragsverfahrensverordnung). Auch findet sich der Bezug in § 1 Abs.1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung als Nachfolgevorschrift der früheren Arbeitsentgeltverordnung. Abgesehen davon, dass es nicht unbedingt der Lebenserfahrung entspricht, dass der Kläger im Anschluss an die Lehre völlig unabhängig einen Betrieb geleitet haben könnte, spricht auch die Tatsache, dass der Kläger erst seit Januar 2006 Miteigentümer des Unternehmens ist, dafür, dass seine Stellung vorher der eines (versicherungspflichtigen) Arbeitnehmers entsprach.

Darüber hinaus bezieht sich der Senat auf seine bisherige Rechtsprechung, so sein Urteil vom 18.10.2007, L 4 KR 79/06, Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde B 12 KR 3/08 B. Dort, wie im vorliegenden Fall, sprachen keine rechtlich vernünftigen Gründe dafür, rückwirkend in das jahrelang mit Billigung aller Beteiligten bestehende Versicherungsverhältnis einzugreifen. Schwerwiegende Fehler, Ungereimtheiten oder Erschleichung eines Versicherungsschutzes sind beim Kläger auszuschließen. Gerade, weil eine solche in die Vergangenheit zielende Umwandlung eines jahrelang aus dem Blickwinkel verschiedener Beteiligten zutreffenden Rechtszustandes zu solchen Unklarheiten und Unsicherheiten wie im vorliegenden Fall führt, hat das Bundessozialgericht den einleuchtenden Rechtssatz formuliert, dass die Versicherungsverhältnisse grundsätzlich rückwirkend nicht geändert werden sollen (BSG vom 08.12.1999, BSGE 85, 218, 213). Der Gedanke der Kontinuität eines Versicherungslebens, wonach Änderungen erst für die Zukunft gelten sollen, ist ein beachtlicher Grundsatz und Grundlage einer soliden Zukunftssicherung, wie sie von der Beigeladenen zu 1) ohne Rücksicht auf konjunkturbestimmte oder andere Gestaltungsmöglichkeiten konstant zu leisten ist. Dass Änderungen in die Vergangenheit schon aus Abgrenzungsschwierigkeiten problematisch sind, zeigt auch der vorliegende Fall deutlich. Es wurde nämlich nicht von Anfang an behauptet, dass der Kläger selbstständig tätig war, sondern vielmehr sämtliche Voraussetzungen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorgetragen.

Was die angebliche Unkenntnis des Unternehmers bzw. des Arbeitgebers und die von ihm mit der Buchführung Beauftragten angeht, verlangt der Gesetzgeber das notwendige Wissen, das sich zu verschaffen ausreichende Hilfen geboten werden (§ 28 a SGB IV i.V.m. den Vorschriften der DEKV und § 15 SGB I).

Angesichts des Verfahrensausgangs und weil die Beklagte keinen Anlass für das Rechtsmittel gesetzt hat, sind dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Im Hinblick auf die bestehende Rechtsprechung besteht kein Anlass, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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