L 2 U 317/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 434/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 317/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine unbillige Härte gemäß § 56 Abs.2 Satz 3 SGB VII entsteht nicht allein deshalb, weil der Versicherte seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann oder erst eine Erhöhung der MdE einen Rentenanspruch begründet.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München
vom 30. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Der 1952 geborene Kläger zeigte am 08.04.2003 das Vorliegen einer Berufskrankheit an. Laut Hautarztbericht vom 08.04.2003 waren beim Kläger leichte Ekzeme an Händen und Unterschenkeln sowie Rötung der Konjunktiven beidseits vorhanden. Die von der behandelnden Hautärztin vorgeschlagenen Maßnahmen, Tragen von Handschuhen und Schutzbrille, hätten nicht den gewünschten Erfolg gebracht.

Der Kläger war zunächst als Kfz-Spengler, dann als Heizungsmonteur, Taxifahrer und Feinmechaniker tätig. Von 1978 bis 1985 war er in Baumontagen als Unternehmer tätig. Ab 1986 bis 2003 führte er selbständig einen Zoofachhandel. Im Auftrag der Beklagten erstattete der Hautarzt Dr.C., C-Stadt, ein fachdermatologisches und allergologisches Gutachten am 19.03.2004.Er diagnostizierte eine diskrete Rötung der Konjunktiven und linsengroße Rötungen an Handrücken beidseits. Es wurde eine Typ-I-Sensibili-sierung gegen Hausstaubmilbe, rote Mückenlarven, Heimchen, Grille und Heuschrecken festgestellt. Die Hauterkrankung sei nicht schwer im Sinne der Nr.5101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), da die Erscheinungen sich nur auf Augenlider und diskret auch auf die Handrücken beschränkten. Eine Abheilung erfolge rasch. Dagegen sei die Hauterkrankung wiederholt rückfällig, da sie sich arbeitstäglich wiederholt habe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) setzte Dr.C. auf 10 v.H. fest. Bei Meidung der Insektenallergene könne mit einer Abheilung der Symptome gerechnet werden.

Mit Bescheid vom 29.04.2004 erkannte die Beklagte die versicherte Tätigkeit als selbständiger Zoohändler als Ursache für die Hauterscheinungen des Klägers an beiden Augen und im Bereich beider Handrücken an. Sie verneinte jedoch, dass die Krankheit schwer oder wiederholt rückfällig sei und den Kläger zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen habe, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können.

Der Kläger gab sein Geschäft zum 01.04.2004 auf. Der Gewerbeärztliche Dienst am Gewerbeaufsichtsamt B-Stadt empfahl die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr.5101. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2004 wurde der Bescheid vom 29.04.2004 insoweit abgeändert, als die Erkrankung als Berufskrankheit nach Nr.5101 der BKV anerkannt wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Rente wurde abgelehnt, weil Dr.C. die MdE nur mit 10 v.H. einschätzte. Tag des Versicherungsfalls sei der 01.04.2004. Dem Kläger wurde Verletztengeld ab 23.04.2004 gewährt.

Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht München (SG). Er sei durch die Berufskrankheit als selbständiger Zoofachhändler berufsunfähig geworden, da sich in den letzten Jahren eine starke Allergie gegenüber verschiedenen Futtermitteln entwickelt habe. Das SG zog verschiedene Befunde bei und ernannte Prof.Dr.B., B-Stadt, zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 30.05.2005 zum Ergebnis, dass bei dem Kläger Typ-I-Sensibilisierungen gegen rote Mückenlarven, Heimchen, Grille und Heuschrecken bestünden, die bei der beruflichen Tätigkeit erworben wurden und zu rezidivierenden Konjunktivitiden und einer rezidivierenden Urticaria geführt haben. Wegen der bestehenden Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und insbesondere wegen des besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 20 v.H. einzuschätzen.

Mit Bescheid vom 05.09.2005 stellte die Beklagte die Verletztengeldzahlung ein, da der Anspruch auf Verletztengeld mit Ablauf der 78. Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit endet.

Der Kläger wurde zu seinem beruflichen Werdegang befragt. Er habe seinen Zoofachhandel im Jahr 1984 begonnen, wobei zum Befähigungsnachweis ein Gespräch mit dem Amtstierarzt ausgereicht habe. Später sei es dann erforderlich gewesen, Prüfungen beim Amtstierarzt abzulegen. Die Prüfungen habe er 1989 abgelegt.

Mit Urteil vom 30.05.2006 wies das SG die Klage ab. Die MdE liege unter 20 v.H. Eine höhere Bewertung nach § 56 Abs.2 Satz 3 des Siebten Sozialgesetzbuchs (SGB VII) komme nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung des Einzelfalls sei eine Höherbewertung der MdE nur gerechtfertigt, wenn der Verletzte die ihm verbliebenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens verwerten könne. Als Zoofachhändler habe der Kläger lediglich die Stufe der sog. Anlerntätigkeiten erreicht. Deshalb sei die MdE nicht wegen unbilliger Härte zu erhöhen.

Hiergegen legte der Kläger am 17.10.2006 Berufung ein. Es habe sich nicht um eine bloße Anlerntätigkeit gehandelt. Es seien umfangreiche Prüfungen entweder über den zuständigen Amtstierarzt oder über anerkannte Schulungseinrichtungen als Zoohändler erforderlich gewesen. Über die langjährige Berufserfahrung dürfe durchaus die Qualifikation einer gelernten Tätigkeit angenommen werden. Er habe den Beruf 20 Jahre ausgeübt, dabei auch mehrere Zoofachgeschäfte parallel geführt. Alter, Berufserfahrung durch längere Berufsausübung und sozialer Abstieg durch Aufgabe des Berufes seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Der Senat ernannte die Hautärztin Dr.S., N., zur gerichtlichen Sachverständigen. Diese kam in ihrem Gutachten vom 30.08.2007 zum Ergebnis, dass die beruflich verursachte Erkrankung der allergischen Konjunktivitis einschließlich der geringgradigen sekundären Lidekzematisierung und der generalisierten Urticaria wenige Tag nach Tätigkeitsaufgabe abgeheilt sei. Die beruflich erworbenen Typ-I-Allergien würden weiter bestehen bleiben. Dr.C. habe in seiner Begutachtung im März 2004 noch nicht feststellen können, wie sich die Erkrankung danach verhalten werde. Prof.B. habe bei der Begutachtung im Mai 2005 das gesamte Hautorgan ohne pathologische Besonderheiten gesehen. Die weiter festgestellten Sensibilisierungen auf Birke, Apfel, Haselnuss, Hund, Candida albicans, Hausstaubmilbe und Insekten zeigten bisher keine eindeutige klinische Relevanz im Sinne einer klassischen Soforttypreaktion. Eine Hautatopie und ein atopisches Ekzem ließen sich nicht beweisen. Hierbei würde es sich aber um eine berufsunabhängige Erkrankung handeln. Die MdE sei mit 0 v.H. anzusetzen, da die Auswirkung der beruflich verursachten Allergien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt allenfalls als geringgradig zu beurteilen sei. Hinzu komme, dass Prof.B. ausdrücklich vermerkt hatte, das Hautorgan sei inzwischen ohne pathologische Veränderungen. Hinsichtlich der Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei darauf zu achten, dass absolute Kontaktkarenz gegenüber roten Mückenlarven, Heimchen, Grillen und Heuschrecken bestehe. Weitere Einschränkungen lägen aus dermatologischer Sicht nicht vor. Zwischen den Folgen der Berufskrankheit und den internistisch-neurologischen Erkrankungen bestünden keine funktionellen Wechselwirkungen. Die Sachverständige führte weiter aus, aus ihrer Sicht sei eine besondere berufliche Betroffenheit zu verneinen.

Auf Antrag des Klägers erstellte der und Venerologie Dr.C., C-Stadt, ein weiteres Gutachten. Er kam darin zum Ergebnis, dass zwar keine Symptome mehr bestünden. Auf Grund der Sensibilisierung seien jedoch Berufe, in denen mit dem Auftreten von Insekten und/oder Krabben gerechnet werden müsse, verschlossen. Dies gelte z.B. auch für Lager- und Reinigungstätigkeiten sowie Verkaufs-, Küchen- und Kochtätigkeiten mit Schalentierkontakt. Es liege auch eine Sensibilisierung gegen Küchenschaben vor. Deshalb könne der Kläger z.B. nicht als Reinigungskraft in Großbetrieben eingesetzt werden. Er schätze die MdE auf 15 v.H.

Die Beteiligten waren mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.05.2006 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 29.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2004 dahingehend abzuändern, dass dem Kläger wegen der Folgen der anerkannten Berufskrankheit nach Nr.5101 der Anlage zur BKV eine Teilrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente ab 29.09.2005 auf unbestimmte Zeit zu gewähren ist.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger steht keine Verletztenrente wegen seiner anerkannten Berufskrankheit zu.

Gemäß § 56 Abs.1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs.2 Satz 1 SGB VII). Es wird also eine abstrakte Berechnung angestellt, nicht auf die konkrete Beeinträchtigung im Beruf des Versicherten abgestellt (Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56, Rdnr.10.1).

Die vom Senat bestellte Sachverständige Dr.S. hat die MdE unter Zugrundelegung des "Bamberger Merkblattes" zutreffend eingeschätzt. Die Empfehlungen dienen zur Einschätzung der MdE bei allergischen und nicht allergischen Hautkrankheiten. In langjähriger gutachterlicher Praxis haben sich Erfahrungssätze herausgebildet, die auch von der Rechtsprechung bestätigt worden sind. Im Interesse gleichmäßiger Behandlung aller Versicherten soll von den Empfehlungen nur in wissenschaftlich begründeten Fällen abgewichen werden. Für den ärztlichen Gutachter sind das klinische Bild (Befund) und der Verlauf maßgeblich. Neben dem aktuellen Befund sind aktenkundig dokumentierte Befunde der behandelnden Ärzte bzw. auch Daten der Krankenkassen kritisch zu berücksichtigen.

Dr.S. geht davon aus, dass die berufsbedingten akuten Veränderungen (allergische Konjunktivitis mit leichter Lidekzematisierung und generalisierte Urticaria) innerhalb von vier Tagen nach Tätigkeitsaufgabe abgeheilt waren. Bei den gelegentlichen weiteren Besuchen in der Zoohandlung war es zwar zu vorübergehendem Juckreiz an den Augen, nicht aber zu Lidekzem und Quaddelbildung gekommen. Hauterscheinungen liegen deshalb keine mehr vor. Da gleichzeitig die Auswirkung der beruflich verursachten Allergien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt allenfalls als geringgradig zu beurteilen ist, ist die MdE entsprechend der Tabelle nach Tätigkeitsaufgabe mit 0 v.H. einzuschätzen.

Prof.B. hatte in seinem Gutachten zur rein formalen Schätzung der MdE darauf hingewiesen, dass auf Grund des Alters des Klägers, seiner Stellung als selbständiger Unternehmer in einem Spezialberuf über 17 Jahre und auf Grund seiner nicht dermatologischen Vorerkrankungen im Rahmen eines besonderen beruflichen Betroffenseins eine Erhöhung der MdE-Schätzung um 10 v.H. vorzuschlagen und daher insgesamt eine MdE von 20 v.H. zu empfehlen sei. Dem kann jedoch unter Berücksichtigung des Bamberger Merkblattes nicht gefolgt werden. Eine besondere berufliche Betroffenheit des Versicherten durch die Folgen der Berufskrankheit ist zu verneinen. Dies hat das SG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu § 56 Abs.2 Satz 3 SGB VII bereits ausführlich dargestellt. Der Senat nimmt insoweit auf die Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug.

Die vom Sachverständigen Dr.C. gemachten Ausführungen hinsichtlich Kreuzallergien sind dagegen nicht überzeugend. Zum einen war der Hautbefund auch bei seiner Untersuchung unauffällig. Zum anderen vermutet er lediglich, nach der Berufsaufgabe könne eine Kreuzallergie aufgetreten sein. Eine stichhaltige Begründung für seine Vermutung liefert er nicht. Zutreffend weist die Beklagte insoweit darauf hin, dass damit weder der Nachweis einer Gesundheitsstörung geführt, nämlich eine Kreuzsensibilisierung, noch ein ursächlicher Zusammenhang mit der Berufseinwirkung hinreichend wahrscheinlich gemacht werden kann.

Darüber hinaus bleibt es entgegen seinen Ausführungen bei den geringgradigen Auswirkungen der Allergie im Alltag. Der Kläger kann die erworbenen beruflichen Fertigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt z.B. in einem kaufmännischen Beruf weiter anwenden. Eine unbillige Härte entsteht nicht allein deshalb, weil der Versicherte seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann oder erst eine Erhöhung der MdE einen Rentenanspruch begründen würde. Desgleichen kommt eine MdE-Erhöhung nicht in Betracht, wenn der Versicherte über sonstige Fähigkeiten verfügt, die geeignet sind, die unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr im vollen Umfang nutzbaren besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen auszugleichen. Der Kläger kann zwar nicht mehr im Zoohandel tätig sein, dies hindert ihn jedoch nicht, in einem anderen Handelsbereich tätig zu sein.

Nicht übersehen werden dürfen in diesem Zusammenhang auch die diversen anderen Erkrankungen des Klägers, die seine Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erheblich einschränken. Dies steht jedoch nicht im ursächlichen Zusammenhang mit den hautschädigenden Einwirkungen der versicherten Tätigkeit.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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