L 12 EG 156/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 EG 90/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 EG 156/05
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Anforderungen an "Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland"
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 1. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:

In diesem Rechtsstreit geht es um Erziehungsgeld für das 2001 geborene Kind R. der Klägerin in der Zeit vom 27.08.2002 bis 26.09.2003.

Die Klägerin ist Italienerin. Sie war bis zum 01.11.2004 in der B.Straße in W., Unterfranken mit 1. Wohnsitz gemeldet.
Mit Bescheid vom 06.11.2001 gewährte der Beklagte ihr in der Zeit vom 27.09.2001 bis 26.03.2002 Bundeserziehungsgeld in Höhe von monatlich 600,00 DM (306,78 Euro) und in der Zeit vom 27.03.2002 bis 26.09.2002 in Höhe von monatlich 384,00 DM (196,34 Euro). Auf Antrag der Klägerin wurde das Erziehungsgeld mit Bescheid vom 25.04.2002 für die Zeit vom 27.03.2002 bis 26.09.2002 im Hinblick auf eine Einkommensminderung des Ehemanns der Klägerin um mindestens 20 % (Arbeitslosigkeit) in voller Höhe gewährt.

Am 27.06.2002 hat die Klägerin Antrag auf Erziehungsgeld für das 2. Lebensjahr des Kindes R. gestellt. Der daraufhin vom Amt für Versorgung und Familienförderung (AVF) W. gefertigte Bescheid vom 07.08.2002 über die Gewährung von Erziehungsgeld für das 2. Lebensjahr konnte nicht zugestellt werden. Der Zusteller vermerkte auf dem Briefumschlag "Empfängerin nicht ermittelbar, unbekannt verzogen nach Italien". Ein Versuch, die Klägerin telefonisch zu erreichen, scheiterte am 26.08.2002 mit der Automatenansage "falsche Nummer".
Am 12.09.2002 rief die Klägerin aus Italien beim AVF an und fragte, was mit dem Erziehungsgeld sei. Sie gab an, das Haus in der B.Straße in W. gehöre ihrer Schwester, sie wohne dort im oberen Stock; das Telefon sei aus Kostengründen abgemeldet worden. Sie komme im Oktober zurück. Der Bevollmächtigte der Klägerin teilte dazu am 26.09.2002 mit, die Klägerin halte sich urlaubsbedingt in Italien auf. Ihr erster Wohnsitz sei weiterhin in W ... Anfang Dezember 2002 traf ein Mitarbeiter des Arbeitsamtes niemanden an. Ein später vom Sozialgericht als Zeuge gehörte Mitarbeiter der Gemeinde teilte am 07.01.2003 telefonisch mit, das Haus in W., B.Straße , ein altes Bahnhofsgebäude, sei unbewohnt. Das AVF versandte am 22.01.2003 ein Anhörungsschreiben gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Am 26.02.2003 erschien die Klägerin bei der Familienkasse. Ihr Bevollmächtigter gab unter dem gleichen Datum an, die Klägerin sei weiterhin in W. mit ersten Wohnsitz gemeldet. Sie sei nicht nach Italien verzogen, sondern halte sich dort nur vorübergehend auf. Sie halte sich auch in Deutschland auf und sei am 24.02.2003 in seiner Kanzlei gewesen. Das Haus sei voll eingerichtet. Die Klägerin zahle Wasser und Strom. Ihr Ehemann erhalte Arbeitslosengeld. Letzteres wurde vom Arbeitsamt auf Anfrage nicht bestätigt. Vielmehr gab das Arbeitsamt an, dass der Ehemann der Klägerin seit 09.01.2003 keine Leistungen mehr erhalte. Am 14.03.2003 sprach die Klägerin beim Arbeitsamt vor. Am 25.03.2003 wurde sie von einem Außendienstmitarbeiter in der B.Straße nicht angetroffen.

Mit Bescheid vom 10.04.2003 nahm die Beklagte gemäß § 48 SGB X i.V.m. dem Bundeserziehungsgeldgesetz die Bescheide vom 06.11.2001 und vom 25.04.2002 betreffend die Gewährung von Bundeserziehungsgeld mit Wirkung von Ende Juli/Anfang August 2002 zurück mit der Begründung, die Klägerin habe spätestens seit Anfang August 2002 nicht mehr ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, sondern in Italien. Es komme nicht auf die Anmeldung an, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse. Damit stehe ab 27.08.2002 kein Erziehungsgeld mehr zu. Eine Überzahlung sei nicht entstanden.

Mit weiterem Bescheid gleichen Datums wurde der Antrag auf Erziehungsgeld für das
2. Lebensjahr abgelehnt mit der Begründung, spätestens seit 01.08.2002 bestehe kein Wohnsitz in Deutschland mehr; entscheidend sei nicht die Meldung, sondern die tatsächlichen Verhältnisse.

Der Klägerbevollmächtigte hat unter dem 02.05.2003 gegen beide Bescheide Widerspruch eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin bewohne weiterhin in W. ein voll eingerichtetes Wohnhaus. Es könne EU-Bürgern wohl nicht verwehrt werden, sich in einem anderen EU-Land aufzuhalten.

Der Beklagte hat beide Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2003 zurückgewiesen mit der Begründung, nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) sei Voraussetzung für den Bezug von Erziehungsgeld ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland. Auch bei regelmäßiger Nutzung einer Wohnung liege kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne von § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vor, wenn der Auslandsaufenthalt - wie hier - voraussichtlich oder tatsächlich ein Jahr überschreite. Maßgeblich sei dann der Ort der Haushaltsführung. Begebe sich der Berechtigte mit dem Kind ins Ausland, sei zu prüfen, ob der Wohnsitz im Inland beibehalten werde. Das sei der Fall, wenn der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse weiterhin am bisherigen Wohnort sei. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei der Wohnsitz bzw. gewöhnliche Aufenthalt Anfang August 2002 nach Italien verlegt worden.

Dagegen hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten das Sozialgericht angerufen. Am 24.04.2004 erfolgte eine Inaugenscheinnahme des Hauses in der B.Straße in W. durch den zuständigen Richter und einen Protokollführer. Die Klägerin war nicht anwesend. Zur Begründung gab sie einen zweiwöchigen Urlaub an. Im Protokoll dieses Termins ist vermerkt, es handle sich um ein Haus am Berghang, dessen untere Etage nicht zu Wohnzwecken diene. Die obere Etage sei von außen über eine Treppe erreichbar, darüber liege das Dachgeschoss. Das Haus mache keinen unbewohnbaren Eindruck; Vorhänge seien vorhanden, die Fenster seien nicht gegen Blicke verschlossen, Blumen und ein Plüschtier seien erkennbar. Der Garten sei zumindest in diesem Jahr noch nicht hergerichtet worden; an der Tür neben der Treppe befinde sich ein Briefkasten mit aufgeklebten größeren vergilbten Papier, das wohl früher mal beschriftet war. Weiter oben befinde sich ein Papier mit Filzstift beschriftet: "G., G., die G." und ein Pfeil, der zum Briefkasten zeige. Eine Klingel sei nicht vorhanden. Auf Klopfen reagiere niemand. Der Eingang sei von den umliegenden Häusern gut einzusehen.
Bei einem weiteren Ortstermin am 28.05.2004 waren außer dem Richter die Klägerin mit ihren Kindern S. und R., deren Rechtsanwältin K., ein Vertreter des Beklagten und die Schwester der Klägerin Frau G. mit ihrem Sohn I. anwesend. Die Klägerin gab an, ihre andere Schwester, Frau G., sei mit ihrem Sohn in F.; die Männer der Frauen seien in Italien. Die Kinder spielten meistens beim Bruder der Klägerin, der im Haus schräg gegenüber wohne. Über die Begehung des Hauses enthält das Protokoll folgende Feststellungen: im Untergeschoss befinde sich eine kleine Küche, ein kleines Bad, Wohnzimmer mit Sitzgelegenheit für acht Personen sowie ein Eingangsbereich mit Treppe und Sitzmöglichkeit. Das Obergeschoss enthalte ein Kinderzimmer von 2,20 x 2,50 m, in dem S. (der ältere Sohn der Klägerin) schlafe; ferner ein großes Zimmer von 4,50 x 3,20 m, in dem die Klägerin und R. sowie Frau G. und ihr Sohn schliefen; ein drittes Zimmer (2,50 x 2,50 m) gehöre Frau M. und ihrem Sohn; ferner eine kleine Abstellkammer. Weiter heißt es, die Heizung gehe nicht, es sei kein Öl vorhanden; Warmwasser stehe nicht zur Verfügung, die Klägerin habe angegeben, es gebe Waschmöglichkeiten beim Bruder schräg gegenüber; die Kühltruhe im Keller sei defekt; ebenso defekt sei die Satellitenschüssel; dazu habe die Klägerin ausgeführt, man gehe zum Fernsehen zum Bruder gegenüber; Männerkleidung sei nicht im Haus, die Klägerin habe angegeben, die Männer arbeiteten in Italien. Ferner hat die Klägerin laut Protokoll angegeben, sie halte sich zwei bis drei Monate im Sommer in Italien bei ihren Eltern oder Schwiegereltern auf, dort schlafe sie auf Matratzen, S. gehe nicht in einen Kindergarten. Eigentümer des Hauses sei F. G ...
Das Gericht hat ermittelt, dass der Stromverbrauch seit dem 01.07.2002 von 5.471 kWh auf 616 kWh im Jahr 2003 und im Jahr 2004 auf 324 kWh zurückgegangen ist.

Am 01.11.2004 meldete sich die Klägerin von W. ab nach A-Stadt, Sizilien; ebenso auch ihr Bruder F. G ...

Das Sozialgericht hat in einer ersten mündlichen Verhandlung vom 24.02.2005 Nachbarn als Zeugen vernommen, die im Wesentlichen angaben, in letzter Zeit kein Licht im Haus gesehen zu haben. Früher habe die Klägerin dort gewohnt. Konkrete Angaben, seit wann das Haus unbewohnt sei, konnten die Zeugen nicht machen. Zu den Einzelheiten wird auf die Akten des Sozialgerichts verwiesen. In der weiteren Sitzung der Kammer am 01.06.2005 wurde der Bruder der Klägerin F. G. als Zeuge gehört, der bis zum Oktober 2004 im Haus schräg gegenüber gewohnt hatte. Dieser gab an, das Haus in der B.Straße gehöre seiner und der Klägerin Schwester, Frau G., die weggezogen sei, als ihr Kind in den Kindergarten musste. Dann seien die Schwestern Frau G. und Frau A. eingezogen mit Kindern und Ehemännern. Herr A. habe seit ca. fünf Jahren Arbeit in Italien. Die Schwestern und ihre Kinder seien viel bei ihm, dem Zeugen, gewesen schon zum Frühstück, Strom und Wasser in der B.Straße habe er bezahlt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 01.06.2005 abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, § 1 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG knüpfe die Berechtigung für einen Leistungsbezug an einen inländischen Wohnsitz. Der Wohnsitzbegriff sei im BErzGG nicht geregelt, doch bestimme der hier anzuwendende § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I, dass einen Wohnsitz jemand dort habe, wo er seine Wohnung unter Umständen inne habe, die darauf schließen ließen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen werde. Die in der B.Straße in W. vorhandene Wohnung sei nach den Feststellungen des Gerichts nicht unbewohnbar und in relativ kurzer Zeit zur Nutzung zu Wohnzwecken herzurichten, wobei sich dort ein bis höchstens zwei Familien hätten aufhalten können. Die Wohnung sei von der Klägerin im Mai 2004 und in den Wochen davor und danach auch tatsächlich zu Wohnzwecken benutzt worden. Zwischenzeitlich sei die Wohnung jedoch, wie sich für das Gericht aus der Zusammenschau der verschiedenen Zeugenaussagen ergebe, auch im Rahmen kürzerer Besuche von verschiedenen Personen genutzt worden. Für die Annahme eines inländischen Wohnsitzes komme es auf die tatsächlich vorliegenden objektiven Umstände an. Es reiche nicht aus, eine Wohnung im Inland zur eigenen Benutzung vorzuhalten. Vielmehr werde durch das Kriterium "inne haben" eine aktive Einflussnahme auf die Wohnung und eine Benutzung der Wohnung gefordert, die mit zunehmender Aufenthaltsdauer im Ausland immer weniger von einer vorherigen und nachherigen Benutzung bestimmt werde. Zu bedenken sei, dass für das Haus in der B.Straße in W. eine Personenzahl gemeldet war, die sich dort nicht für einen längeren Zeitraum hätte aufhalten können, so dass davon auszugehen sei, dass dort - selbst wenn das Haus bewohnt war - zu verschiedenen Zeiten immer nur eine Teilgruppe der dort gemeldeten Personen gewohnt habe.
Die Klägerin, die die Gewährung von Bundeserziehungsgeld für das 2. Lebensjahr ihrer Tochter R. beantragt habe, habe die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen darzulegen. Der Anschein, der durch die Wohnsitzmeldung und deren Bescheinigung geschaffen worden sei, sei dadurch wieder entfallen, dass die Klägerin - zumindest zunächst im 2. Lebensjahr des Kindes - dort postalisch nicht erreichbar gewesen und auch von Außendienstmitarbeitern nicht angetroffen worden sei. Die Klägerin habe nicht den Nachweis führen können, dass sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im 2. Lebensjahr des Kindes in W. in der B.Straße gehabt habe und dort ihr Kind erzogen habe. Die Aussagen ihrer Schwester, Frau G., und ihres Bruders F. G. seien zu widersprüchlich, als dass mit ihnen dieser Nachweis geführt werden könne. Zwar könnten Abweichungen auch dem mit größerem zeitlichem Abstand nachlassenden Erinnerungsvermögen geschuldet sein, doch lasse sich für das Gericht daraus nicht ein ausreichender Beleg entnehmen, dass die Klägerin im fraglichen Zeitraum ihren Wohnsitz in W. gehabt hätte. Sie habe beim Ortstermin angegeben, dass sie in den vergangenen Jahren mit ihren beiden Schwestern und deren Kindern im W. in der B.Straße gewohnt habe. Außer ihr und ihrer Schwester, Frau G., seien sich jedoch alle Zeugen einschließlich ihres Bruders darüber einig, dass die Familie G. insgesamt, also auch Frau und Kind, schon seit Jahren nicht mehr in W. wohnte. Auch ließen sich die beim Ortstermin gemachten Angaben, dass Frau G. mit ihrem Kind in diesem Hause wohne und sich nur gelegentlich zu Besuch auswärts aufhalte, nicht mit der bereits im April 2004 erfolgten Anmeldung eines Wohnsitzes in Italien zur Deckung bringen. Die Angaben eines fortbestehenden Wohnsitzes stünden zudem im Widerspruch zu den übrigen Zeugenaussagen und zu den vom Beklagten ermittelten Indizien. Die Aufgabe des Wohnsitzes sei bereits im August 2002 eingetreten, ohne dass dies dem Beklagten von der Klägerin mitgeteilt worden sei.
Die vom Beklagten ermittelten Veränderungen in den Verbrauchswerten für das Haus (Strom, Wasser) zeigten auf der einen Seite, dass das Haus nicht völlig unbewohnt gewesen sei, auf der anderen Seite, dass es sich nur um gelegentlichen Aufenthalt habe handeln können. Selbst wenn man annehme, dass die Hausbewohner zur Senkung der Kosten (z.B. Heizkosten) sich überwiegend im Haus des Bruders in der E.Straße aufgehalten hätten, so verbleibe doch, dass nach dessen Angaben die Bewohner des Hauses nicht regelmäßig zur Körperhygiene das Haus verlassen hätten, sondern dies wegen der kleinen Kinder selbstverständlich dort erfolgt sei. Bei der Zusammenschau der aktenkundigen Aufenthalte der Klägerin in Italien und ihrer eigenen Angaben zu der Dauer der Aufenthalte und den im Rahmen von Außendienstbesuchen ermittelten auswärtigen Aufenthalten der Klägerin ergebe sich, dass die Klägerin nur für wenige Tage und wenige Verrichtungen ihren Aufenthalt in Deutschland belegen oder glaubhaft machen konnte (Meldung beim Arbeitsamt, Kinderarztbesuch, Kontakt zum Rechtsanwalt). Zudem ergebe sich aus den aktenkundigen Befragungen von Bewohnern in W. und den vom Gericht vorgenommenen Zeugeneinvernahmen der Zeugen B., S. und K., dass das Haus zwar keinen unbewohnbaren, aber einen unbewohnten Eindruck machte und nur gelegentlich der Aufenthalt einzelnen Personen dort aufgefallen war, nachdem im Dorf der Wegzug der Bewohner bekannt geworden war. Auch wenn sich aus den Zeugenaussagen keine näheren Umstände zur Abreise der Klägerin im Sommer 2002 ergeben hätten, so lasse sich aus der glaubhaften Aussage der Zeugin K., die einen zeitlichen Bezug zur Taufe der Tochter der Klägerin hergestellt habe, die Abreise auf Anfang August 2002 einordnen. Für die Tatsache, dass von vornherein hierbei nicht nur ein kurzfristiger Sommeraufenthalt in Italien vorgesehen war, spreche, dass die Klägerin an ihrer frühren Arbeitsstelle entsprechende Äußerungen getätigt habe und sie, anders als bei einem vorübergehenden Urlaub zu erwarten wäre, die postalische Erreichbarkeit zunächst durch Verkleben ihres Briefkasten verhindert hatte. Erst im zeitlichen Fortgang sei von einem Briefkasten, über dem der Name der Klägerin und ihrer Schwester angebracht sei, berichtet worden, welcher dem Vernehmen nach von ihren Bruder geleert worden sein solle. Der Postrücklauf und die ergänzenden Angaben seitens der Zusteller ergänzten diese Merkmale soweit, dass das Gericht die Aufgabe des Wohnsitzes im August 2002 als belegt ansehe und der Beklagte somit zu Recht unter Bezugnahme auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X eine Leistungseinstellung ab dem 27.08.2002 verfügt habe und die Zahlung von Bundeserziehungsgeld für das 2. Lebensjahr des Kindes R. abgelehnt habe. Die angefochtenen Bescheide seien demnach insgesamt nicht zu beanstanden und die Klage abzuweisen gewesen.

Gegen das am 08.07.2005 zugestellte Urteil hat der Bevollmächtigte der Klägerin am 15.07.2005 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin wohne in W. und sei dort mit ersten Wohnsitz gemeldet. Es werde bestritten, dass die Klägerin nach Italien verzogen sei. Eine Heizölabrechnung vom 14.04.2003 über 2000 Liter zeige, dass in dem Haushalt Öl verbraucht worden sei. Es werde auf ein Urteil des BSG vom 28.05.1997 (Az.: 14/10 RKg 14/94) verwiesen. Dort werde ausgeführt, dass ein inländischer Wohnsitz während eines mehrjährigen Auslandaufenthaltes nur dann beibehalten werde, wenn der Betroffene die Wohnung in dieser Zeit nicht nur besuchsweise nutze und eine dauerhafte Rückkehr jederzeit möglich sei. Hier stelle sich der Sachverhalt so dar, dass die Klägerin keinesfalls mehrjährig in Italien sei, sondern lediglich besuchsweise für kurze Zeiträume.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

1. das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 01.07.2005 aufzuheben,
2. die Bescheide des Beklagten vom 10.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchs-
bescheides vom 10.09.2003 aufzuheben,
3. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für das 2. Lebensjahr der Tochter
R. Bundeserziehungsgeld zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Die Gesamtschau aller Umstände zeige, dass die Klägerin ihren Wohnsitz in Deutschland aufgegeben habe und nach Italien zurückgekehrt sei. Es könne allenfalls noch von besuchsweisen Aufenthalten in Deutschland ausgegangen werden.

Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 25.10.2007 beantragt, Frau G., die Schwester der Klägerin, und Herrn F. G., den Bruder der Klägerin als Zeugen zu hören zu der Frage des Aufenthaltsortes der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum. Auf Anfrage des Gerichts konnte er keine ladungsfähigen Anschriften benennen. Eine Anfrage beim Meldeamt ergab, dass in dem Haus in der B.Straße in der Zeit von 1998 bis 2006 bis zu elf Personen gemeldet waren, alles Familienmitglieder der Klägerin. Die Klägerin hat sich mit ihren Kindern zum 01.11.2004 abgemeldet. Ferner teilte die Gemeinde mit, Eigentümer des Hauses in der B.Straße in W. seien sowohl im Jahr 2002 als auch bis heute die Eheleute F. und Pasqualina G. je zur Hälfte.
Mit Schreiben vom 10.09.2008 hat der Bevollmächtigte der Klägerin einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Auch der Beklagte war damit einverstanden (Schriftsatz vom 10.09.2008).

Dem Senat liegen die Akten des Beklagten, des SG Würzburg und die Berufungsakte vor, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.



Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Der Senat konnte gem. § 124 Abs.2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Parteien mit Schreiben vom 10.09.08 ihr Einverständnis damit erklärt haben.

Die Berufung erweist sich jedoch als unbegründet.
Voraussetzung für den Bezug von Bundeserziehungsgeld ist unter anderem, dass der Berechtigte einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (§ 1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 BErzGG).
Das Sozialgericht Würzburg hat zu Recht festgestellt, dass ein Wohnsitz oder ständiger Aufenthalt der Klägerin im Haus B.Straße in W. oder anderen Orts in der Bundesrepublik Deutschland seit August 2002 nicht mehr angenommen werden kann. Zu diesem Ergebnis gelangte es aufgrund umfassender Beweisaufnahme. So wurden eine Reihe von Nachbarn und der Bruder der Klägerin, der damals ebenfalls in W. wohnte, als Zeugen vernommen. Bei diesen Zeugenaussagen kam zusammenfassend heraus, wie das SG zutreffend ausführt, dass das Haus zwar bewohnbar war, dass sich die Klägerin dort auch immer mal wieder für kürzere Zeit aufgehalten hat, dass aber von einem Wohnsitz bzw. einem ständigen Aufenthalt im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG nicht ausgegangen werden kann. Im Einzelnen waren die Aussagen ungenau und z.T. (etwa die des Bruders der Klägerin) in sich widersprüchlich. Auch die beiden Ortstermine des Sozialgerichts bestätigen die Bewertung des Gerichts, wonach das Haus von verschiedenen Familienmitgliedern der Klägerin zeitweilig vorübergehend genutzt wurde. Ein Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin im Sinne des Gesetzes ist aber seit August 2002 nicht mehr nachweisbar. Dagegen sprechen vielmehr, worauf vom Sozialgericht ebenfalls zutreffend hingewiesen wurde, der deutliche Rückgang des Strombezuges sowie die Unmöglichkeit zu heizen, das Fehlen von Warmwasser, die Funktionsunfähigkeit der Kühltruhe sowie der Fernsehantenne. Das Sozialgericht hat das Ergebnis der ausgiebigen Sachverhaltsermittlung, insbesondere die Aussagen der gehörten Zeugen eingehend und zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich insgesamt die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts zu eigen und sieht von einer weiteren Begründung gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.

Der im Berufungsverfahren gestellte Antrag der Klägerbevollmächtigten auf Einvernahme des Bruders der Klägerin F. G. und der Schwester Loretta G., deren ladungsfähige Anschriften nicht genannt wurden, wird offenbar nicht weiter verfolgt, da andernfalls eine Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht hätte erteilt werden können. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Herr G. bereits vom Sozialgericht als Zeuge vernommen wurde, und seine Aussage bei der Urteilsfindung des Sozialgerichts berücksichtigt wurde. Frau G. war beim Ortstermin zugegen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, da die Klägerin unterlegen ist.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache ist nicht erkennbar.
Rechtskraft
Aus
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