Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 197/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 73/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es ist hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität nicht darauf abzustellen, ob eine alternative unfallunabhängige Ursache für die Beschwerden bewiesen ist, sondern ob ein Zusammenhang zwischen dem Unfall als wesentlicher Ursache und den Beschwerden mit der erforderlichen Gewissheit feststellbar ist
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.01.2006 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 21.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2002 abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, in welcher Höhe die Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund eines Unfalls vom 14.05.1966 gemindert ist.
Der 1928 geborene Kläger erlitt als Zimmermann am 14.05.1966 einen Unfall, bei dem er aus ca. 3 Meter Höhe von einem Dachstuhl abstürzte und mit dem Hinterkopf auf eine Betondecke aufschlug.
Nach Einholung von Gutachten des Chirurgen Dr. B. vom 28.08.1967 und des Neurologen Prof. Dr. W. vom 09.04.1967 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 25.03.1968 einen Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 40 vH ab 02.01.1967. Als Unfallfolgen wurden festgestellt: Zustand nach Verstauchung und Prellung der Halswirbelsäule, Bewegungseinschränkung, leichte Lähmung links, Störungen im Sinne von traumatischer Hirnleistungsschwäche.
Nach Einholung eines weiteren Gutachtens des es Dr. W. vom 22.04.1968, der eine geringe Innenohrschwerhörigkeit beidseits und eine Hörsenke im oberen Tonbereich links sowie Störungen des Gleichgewichtssystems mit einer MdE von 20 vH bewertet hatte sowie eines Gutachtens des Neurologen Dr. K. vom 24.08.1968, der die MdE weiterhin mit 40 vH bewertet hatte, kam im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg (Az.: S 1 AU 215/68) der gerichtsärztliche Sachverständige Dr. S. zu dem Ergebnis, dass als weitere Unfallfolgen eine Gleichgewichtsstörung und Innenohrschwerhörigkeit beidseits bei normalem Gehör für Umgangssprache vorliege. Im Rahmen des gerichtlichen Vergleiches vom 07.11.1968 wurden insoweit gelegentliche Gleichgewichtsstörungen und eine leichte Innenohrschwerhörigkeit beidseits bei normalem Gehör für die Umgangssprache als weitere Unfallfolgen anerkannt.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 28.08.2001 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Verschlimmerung seiner Unfallfolgen unter Bezugnahme auf einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 27.07.2001. Danach wurde eine Ataxie mit Unfähigkeit zum Strichgang bei insgesamt brüsken Reflexen und ein hirnorganisches Psychosyndrom festgestellt, bei dem zusätzlich auch eine beginnende dementive Entwicklung eine Rolle spielen könne.
Die Beklagte holte ein Gutachten des Neurologen Dr. B. ein, der zu dem Ergebnis kam, eine maßgebliche Änderung im Vergleich zu den früheren Befunden sei nicht eingetreten.
Mit Bescheid vom 21.03.2002 lehnte die Beklagte die beantragte Rentenerhöhung ab. Die MdE betrage weiterhin 40 vH. Eine wesentliche Verschlimmerung in den Verhältnissen, die für den Bescheid vom 25.03.1968 maßgebend gewesen seien, sei daher nicht eingetreten.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Bei der Ataxie handele es sich um eine Unfallfolge, die anzuerkennen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage zum SG mit dem Ziel erhoben, aufgrund der Verschlimmerung eine MdE von mindestens 50 vH anzuerkennen.
Das Gericht hat Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. O. vom 29.10.2004 (richtig: 08.12.2004) mit psychologischem Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. P. Z. vom 08.12.2004 und des es Dr. B. vom 24.04.2005 eingeholt.
Dr. O. kam zu dem Ergebnis, das unfallbedingt eine deutlich schwerer einzustufende Hirnleistungsstörung vorliege, sodass eine Bewertung der MdE mit 50 vH gerechtfertigt sei.
Dr. B. hat festgestellt, die Schwindelbeschwerden seien bereits im früheren Gutachten korrekt als zentrale Gleichgewichtsstörung gewürdigt worden, eine Verschlimmerung sei insoweit nicht eingetreten. Es habe sich jedoch das Hörvermögen verschlechtert, sodass insoweit eine MdE von 30 vH im Gegensatz zu früher von 20 vH eingetreten sei. Eine Gesamt-MdE von 50 vH sei daher angemessen.
Die Beklagte hat hiergegen unter Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen Prof. Dr. G. vom 01.08.2005 eingewandt, es sei durch eine Kernspintomographie abzuklären, inwieweit posttraumatische Hirnveränderungen beziehungsweise hiervon unabhängige Altersabbauerscheinungen eingetreten seien.
Das Gericht hat daraufhin ein radiologisches Zusatzgutachten des Dr. F. vom 20.10.2005 eingeholt. Er kam zu dem Ergebnis, dass eine beginnende sehr diskrete Mikroangiopathie sowie eine mäßige cerebrale Atrophie mit harmonischer Verteilung vorlägen. Es gebe keinen Hinweis auf posttraumatische Veränderungen insbesondere auf Hämatombildungen oder ältere Einblutungen. Kernspintomographisch lasse sich bei guter Untersuchungsqualität kein sicherer Hinweis auf ein abgelaufenes cerebrales Trauma im Rahmen des Unfalls vom 14.05.1966 erbringen. Nach diesem großen Zeitraum seien umschriebene Defekte bzw. abgekapselte Hämatome oder Hämosiderinreste zu erwarten, die nicht vorlägen. Vielmehr liege ein altersentsprechender Befund am Cerebrum mit leichten Zeichen einer Mikroangiopathie vor.
Die Beklagte hat hierzu eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. G. vom 05.12.2005 vorgebracht, der das Gutachten des Dr. O. als nicht überzeugend wertete. Rückbildungsveränderungen des Gehirns im höheren Lebensalter seien hier wahrscheinlicher als eine Verschlimmerung von Unfallfolgen.
Mit Urteil vom 26.01.2006 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2002 verpflichtet, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 50 vH ab 08.12.2004 zu gewähren und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Gutachten des Dr. O. sei überzeugend. Zur Überzeugung des Gerichts sei die Verschlimmerung bezüglich der Hirnleistungsstörung wesentlich durch den Unfall und das hierbei erlittene Schädel-Hirn-Trauma verursacht. Der Bewertung des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. G. vermöge das Gericht nicht zu folgen. Aus dem radiologischen Zusatzgutachten des Prof. Dr. F. ergebe sich gerade nicht, dass relevante altersbedingte Rückbildungsveränderungen des Gehirns vorlägen. Beschrieben seien nur beginnende sehr diskrete gliotische Veränderungen im Marklager okzipital beidseits und parietookzipital, die auf eine beginnende und nur sehr diskrete Mikroangiopathie hinwiesen. Insoweit seien altersbedingte Rückbildungserscheinungen des Gehirns, die den Unfall bzw. die Unfallverletzung als Ursache der Verschlechterung der Symptomatik bezüglich der Hirnleistungsstörung völlig zurückdrängen würden, radiologisch nicht ersichtlich. Entgegen Prof. Dr. G. sei auch im Rahmen der gerichtsärztlichen Untersuchung keine wesentliche depressive Störung belegt, die gegenüber den Unfallfolgen als wesentliche Ursache der Verschlechterung der Symptomatik bezüglich der Hirnleistungsstörung gewertet werden könnte. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass auch nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B. auf HNO-ärztlichem Fachgebiet eine unfallbedingte Verschlechterung eingetreten sei, die nunmehr die Bewertung der Einzel-MdE auf HNO-ärztlichem Fachgebiet mit 30 vH rechtfertige.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte eingelegt. Unter Berufung auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des es Dr. K. hat sie vorgetragen, auf dessen Fachgebiet betrage die MdE weiterhin 20 vH. Dabei ging der Beratungsarzt davon aus, die Verschlechterung des Spracherkennungsvermögens beruhe auf einer unfallfremden Hirnleistungsschwäche. Die Audiogramme lagen dem Beratungsarzt nicht vor.
Der Senat hat ein HNO-ärztliches Gutachten des Dr. C. vom 21.09.2008 eingeholt. Er kam zu dem Ergebnis, es sei zwar eine Verschlimmerung der Beschwerden eingetreten, sie sei aber nicht unfallbedingt. Auf seinem Fachgebiet sei die unfallbedingte MdE weiterhin mit 20 vH zu bewerten.
Der Senat hat daraufhin den Neurologen und Psychiater Dr. D. mit Gutachten vom 24.03.2009 gehört. Er hat festgestellt, dass in den gemäß Bescheid vom 25.03.1968 und Vergleich vom 07.01.1968 anerkannten Unfallfolgen keine wesentliche Verschlimmerung eingetreten sei.
Hiergegen wandte der Bevollmächtigte des Klägers ein, die Einschätzung des Gutachters Dr. D. stehe in diametralem Widerspruch zur gutachterlichen Einschätzung des in der Vorinstanz gehörten Dr. O ... Auch liege eine erhebliche Primärschädigung vor, die eine sekundäre Verschlechterung wahrscheinlicher mache.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Würzburg vom 26.01.2006 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 21.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2002 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.01.2006 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.03.2002 und der Widerspruchsbescheid vom 25.06.2002 sind rechtmäßig, da eine Verschlimmerung der Unfallfolgen gegenüber den mit Bescheid vom 25.03.1968 und dem gerichtlichen Vergleich vom 07.01.1968 anerkannten beim Kläger nicht eingetreten ist. Das erstinstanzliche Urteil ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Anzuwenden sind im vorliegenden Falle noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich das zu beurteilende Ereignis vor dem 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch -SGB VII-). Gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 SGB VII gilt abweichend hiervon § 73 SGB VII, insbesondere dessen Abs. 3, auch für den vorliegenden Fall.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs 1 S 1 des Zehntes Buch Sozialgesetzbuchs (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse liegt nicht vor, insbesondere ergibt sie sich nicht daraus, dass zwischenzeitlich andere Erfahrungswerte für die Einschätzung der MdE zu berücksichtigen sind (BSG vom 30.06.1998 - B 2 U 41/97 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 5 = BSGE 82, 212). Auch eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt nicht vor. Maßgeblich ist eine wesentliche Leidensverschlimmerung oder das Hinzukommen neuer Leiden, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall stehen. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt gemäß § 73 Abs. 3 SGB VII vor, wenn sich der Grad der MdE wegen der nach § 548 RVO anerkannten oder neu anzuerkennenden Unfallfolgen um mehr als 5 vH ändert.
Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des es Dr. C. vom 21.09.2008 ist der Senat der Überzeugung, dass die unfallbedingte MdE aufgrund des schlechten Hörvermögens weiterhin mit 20 vH zutreffend bewertet ist.
Aufgrund des erstinstanzlich eingeholten radiologischen Gutachtens des Herrn Dr. F. vom 20.10.2005 und des vom Senat eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. D. vom 04.03.2009 ist das Gericht zu der Überzeugung gekommen, dass das hirnorganische Psychosyndrom und die hieraus folgende Hirnleistungsstörung sich nicht unfallbedingt verschlechtert haben, sondern dass es sich hierbei um eine unfallunabhängige Entwicklung handelt. Wie Dr. D. überzeugend ausführt, kann die insoweit eingetretene Verschlimmerung nicht dem Unfall zugerechnet werden. Entgegen den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts spricht der radiologische Befund nach dem Gutachten des Prof. Dr. F. gerade dafür, dass es sich wie von dem Neurologen und Psychiater Dr. K. vermutet um eine dementive Entwicklung handelt. Radiologisch ist nämlich eine beginnende sehr diskrete Mikroangiopathie und eine mäßige zerebrale Atrophie mit harmonischer Verteilung festzustellen. Auf posttraumatische Veränderungen lagen hingegen überhaupt keine Hinweise vor. Damit ist es überzeugend dargelegt, dass ein Altersabbau eine höhere Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann, als dass es sich um Spätfolgen der Unfallverletzung handeln würde. Es ist hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität nämlich nicht darauf abzustellen, ob eine alternative unfallunabhängige Ursache für die Beschwerden bewiesen ist, sondern ob ein Zusammenhang zwischen dem Unfall als wesentlicher Ursache und den Beschwerden mit der erforderlichen Gewissheit feststellbar ist (BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 = BSGE 96, 196).
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-?Wirkungs-?Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG aaO). Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG aaO). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG aaO).
Zur Überzeugung des Senats ist aufgrund der Tatsache, dass der radiologische Befund gerade nicht einen erheblichen Primärschaden nachweist, da die zu erwartenden umschriebenen Defekte bzw. abgekapselten Hämatome oder Hämosiderinreste fehlen, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass zwischen dem Unfall vom 14.05.1966 und den nun objektiv eingetretenen Verschlechterungen des Gesundheitszustands des Klägers ein Ursachenzusammenhang besteht.
Das Urteil des SG vom 26.01.2006 war daher aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2002 abzuweisen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, in welcher Höhe die Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund eines Unfalls vom 14.05.1966 gemindert ist.
Der 1928 geborene Kläger erlitt als Zimmermann am 14.05.1966 einen Unfall, bei dem er aus ca. 3 Meter Höhe von einem Dachstuhl abstürzte und mit dem Hinterkopf auf eine Betondecke aufschlug.
Nach Einholung von Gutachten des Chirurgen Dr. B. vom 28.08.1967 und des Neurologen Prof. Dr. W. vom 09.04.1967 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 25.03.1968 einen Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 40 vH ab 02.01.1967. Als Unfallfolgen wurden festgestellt: Zustand nach Verstauchung und Prellung der Halswirbelsäule, Bewegungseinschränkung, leichte Lähmung links, Störungen im Sinne von traumatischer Hirnleistungsschwäche.
Nach Einholung eines weiteren Gutachtens des es Dr. W. vom 22.04.1968, der eine geringe Innenohrschwerhörigkeit beidseits und eine Hörsenke im oberen Tonbereich links sowie Störungen des Gleichgewichtssystems mit einer MdE von 20 vH bewertet hatte sowie eines Gutachtens des Neurologen Dr. K. vom 24.08.1968, der die MdE weiterhin mit 40 vH bewertet hatte, kam im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg (Az.: S 1 AU 215/68) der gerichtsärztliche Sachverständige Dr. S. zu dem Ergebnis, dass als weitere Unfallfolgen eine Gleichgewichtsstörung und Innenohrschwerhörigkeit beidseits bei normalem Gehör für Umgangssprache vorliege. Im Rahmen des gerichtlichen Vergleiches vom 07.11.1968 wurden insoweit gelegentliche Gleichgewichtsstörungen und eine leichte Innenohrschwerhörigkeit beidseits bei normalem Gehör für die Umgangssprache als weitere Unfallfolgen anerkannt.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 28.08.2001 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Verschlimmerung seiner Unfallfolgen unter Bezugnahme auf einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 27.07.2001. Danach wurde eine Ataxie mit Unfähigkeit zum Strichgang bei insgesamt brüsken Reflexen und ein hirnorganisches Psychosyndrom festgestellt, bei dem zusätzlich auch eine beginnende dementive Entwicklung eine Rolle spielen könne.
Die Beklagte holte ein Gutachten des Neurologen Dr. B. ein, der zu dem Ergebnis kam, eine maßgebliche Änderung im Vergleich zu den früheren Befunden sei nicht eingetreten.
Mit Bescheid vom 21.03.2002 lehnte die Beklagte die beantragte Rentenerhöhung ab. Die MdE betrage weiterhin 40 vH. Eine wesentliche Verschlimmerung in den Verhältnissen, die für den Bescheid vom 25.03.1968 maßgebend gewesen seien, sei daher nicht eingetreten.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Bei der Ataxie handele es sich um eine Unfallfolge, die anzuerkennen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage zum SG mit dem Ziel erhoben, aufgrund der Verschlimmerung eine MdE von mindestens 50 vH anzuerkennen.
Das Gericht hat Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. O. vom 29.10.2004 (richtig: 08.12.2004) mit psychologischem Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. P. Z. vom 08.12.2004 und des es Dr. B. vom 24.04.2005 eingeholt.
Dr. O. kam zu dem Ergebnis, das unfallbedingt eine deutlich schwerer einzustufende Hirnleistungsstörung vorliege, sodass eine Bewertung der MdE mit 50 vH gerechtfertigt sei.
Dr. B. hat festgestellt, die Schwindelbeschwerden seien bereits im früheren Gutachten korrekt als zentrale Gleichgewichtsstörung gewürdigt worden, eine Verschlimmerung sei insoweit nicht eingetreten. Es habe sich jedoch das Hörvermögen verschlechtert, sodass insoweit eine MdE von 30 vH im Gegensatz zu früher von 20 vH eingetreten sei. Eine Gesamt-MdE von 50 vH sei daher angemessen.
Die Beklagte hat hiergegen unter Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen Prof. Dr. G. vom 01.08.2005 eingewandt, es sei durch eine Kernspintomographie abzuklären, inwieweit posttraumatische Hirnveränderungen beziehungsweise hiervon unabhängige Altersabbauerscheinungen eingetreten seien.
Das Gericht hat daraufhin ein radiologisches Zusatzgutachten des Dr. F. vom 20.10.2005 eingeholt. Er kam zu dem Ergebnis, dass eine beginnende sehr diskrete Mikroangiopathie sowie eine mäßige cerebrale Atrophie mit harmonischer Verteilung vorlägen. Es gebe keinen Hinweis auf posttraumatische Veränderungen insbesondere auf Hämatombildungen oder ältere Einblutungen. Kernspintomographisch lasse sich bei guter Untersuchungsqualität kein sicherer Hinweis auf ein abgelaufenes cerebrales Trauma im Rahmen des Unfalls vom 14.05.1966 erbringen. Nach diesem großen Zeitraum seien umschriebene Defekte bzw. abgekapselte Hämatome oder Hämosiderinreste zu erwarten, die nicht vorlägen. Vielmehr liege ein altersentsprechender Befund am Cerebrum mit leichten Zeichen einer Mikroangiopathie vor.
Die Beklagte hat hierzu eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. G. vom 05.12.2005 vorgebracht, der das Gutachten des Dr. O. als nicht überzeugend wertete. Rückbildungsveränderungen des Gehirns im höheren Lebensalter seien hier wahrscheinlicher als eine Verschlimmerung von Unfallfolgen.
Mit Urteil vom 26.01.2006 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2002 verpflichtet, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 50 vH ab 08.12.2004 zu gewähren und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Gutachten des Dr. O. sei überzeugend. Zur Überzeugung des Gerichts sei die Verschlimmerung bezüglich der Hirnleistungsstörung wesentlich durch den Unfall und das hierbei erlittene Schädel-Hirn-Trauma verursacht. Der Bewertung des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. G. vermöge das Gericht nicht zu folgen. Aus dem radiologischen Zusatzgutachten des Prof. Dr. F. ergebe sich gerade nicht, dass relevante altersbedingte Rückbildungsveränderungen des Gehirns vorlägen. Beschrieben seien nur beginnende sehr diskrete gliotische Veränderungen im Marklager okzipital beidseits und parietookzipital, die auf eine beginnende und nur sehr diskrete Mikroangiopathie hinwiesen. Insoweit seien altersbedingte Rückbildungserscheinungen des Gehirns, die den Unfall bzw. die Unfallverletzung als Ursache der Verschlechterung der Symptomatik bezüglich der Hirnleistungsstörung völlig zurückdrängen würden, radiologisch nicht ersichtlich. Entgegen Prof. Dr. G. sei auch im Rahmen der gerichtsärztlichen Untersuchung keine wesentliche depressive Störung belegt, die gegenüber den Unfallfolgen als wesentliche Ursache der Verschlechterung der Symptomatik bezüglich der Hirnleistungsstörung gewertet werden könnte. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass auch nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B. auf HNO-ärztlichem Fachgebiet eine unfallbedingte Verschlechterung eingetreten sei, die nunmehr die Bewertung der Einzel-MdE auf HNO-ärztlichem Fachgebiet mit 30 vH rechtfertige.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte eingelegt. Unter Berufung auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des es Dr. K. hat sie vorgetragen, auf dessen Fachgebiet betrage die MdE weiterhin 20 vH. Dabei ging der Beratungsarzt davon aus, die Verschlechterung des Spracherkennungsvermögens beruhe auf einer unfallfremden Hirnleistungsschwäche. Die Audiogramme lagen dem Beratungsarzt nicht vor.
Der Senat hat ein HNO-ärztliches Gutachten des Dr. C. vom 21.09.2008 eingeholt. Er kam zu dem Ergebnis, es sei zwar eine Verschlimmerung der Beschwerden eingetreten, sie sei aber nicht unfallbedingt. Auf seinem Fachgebiet sei die unfallbedingte MdE weiterhin mit 20 vH zu bewerten.
Der Senat hat daraufhin den Neurologen und Psychiater Dr. D. mit Gutachten vom 24.03.2009 gehört. Er hat festgestellt, dass in den gemäß Bescheid vom 25.03.1968 und Vergleich vom 07.01.1968 anerkannten Unfallfolgen keine wesentliche Verschlimmerung eingetreten sei.
Hiergegen wandte der Bevollmächtigte des Klägers ein, die Einschätzung des Gutachters Dr. D. stehe in diametralem Widerspruch zur gutachterlichen Einschätzung des in der Vorinstanz gehörten Dr. O ... Auch liege eine erhebliche Primärschädigung vor, die eine sekundäre Verschlechterung wahrscheinlicher mache.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Würzburg vom 26.01.2006 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 21.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2002 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.01.2006 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.03.2002 und der Widerspruchsbescheid vom 25.06.2002 sind rechtmäßig, da eine Verschlimmerung der Unfallfolgen gegenüber den mit Bescheid vom 25.03.1968 und dem gerichtlichen Vergleich vom 07.01.1968 anerkannten beim Kläger nicht eingetreten ist. Das erstinstanzliche Urteil ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Anzuwenden sind im vorliegenden Falle noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich das zu beurteilende Ereignis vor dem 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch -SGB VII-). Gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 SGB VII gilt abweichend hiervon § 73 SGB VII, insbesondere dessen Abs. 3, auch für den vorliegenden Fall.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs 1 S 1 des Zehntes Buch Sozialgesetzbuchs (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse liegt nicht vor, insbesondere ergibt sie sich nicht daraus, dass zwischenzeitlich andere Erfahrungswerte für die Einschätzung der MdE zu berücksichtigen sind (BSG vom 30.06.1998 - B 2 U 41/97 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 5 = BSGE 82, 212). Auch eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt nicht vor. Maßgeblich ist eine wesentliche Leidensverschlimmerung oder das Hinzukommen neuer Leiden, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall stehen. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt gemäß § 73 Abs. 3 SGB VII vor, wenn sich der Grad der MdE wegen der nach § 548 RVO anerkannten oder neu anzuerkennenden Unfallfolgen um mehr als 5 vH ändert.
Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des es Dr. C. vom 21.09.2008 ist der Senat der Überzeugung, dass die unfallbedingte MdE aufgrund des schlechten Hörvermögens weiterhin mit 20 vH zutreffend bewertet ist.
Aufgrund des erstinstanzlich eingeholten radiologischen Gutachtens des Herrn Dr. F. vom 20.10.2005 und des vom Senat eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. D. vom 04.03.2009 ist das Gericht zu der Überzeugung gekommen, dass das hirnorganische Psychosyndrom und die hieraus folgende Hirnleistungsstörung sich nicht unfallbedingt verschlechtert haben, sondern dass es sich hierbei um eine unfallunabhängige Entwicklung handelt. Wie Dr. D. überzeugend ausführt, kann die insoweit eingetretene Verschlimmerung nicht dem Unfall zugerechnet werden. Entgegen den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts spricht der radiologische Befund nach dem Gutachten des Prof. Dr. F. gerade dafür, dass es sich wie von dem Neurologen und Psychiater Dr. K. vermutet um eine dementive Entwicklung handelt. Radiologisch ist nämlich eine beginnende sehr diskrete Mikroangiopathie und eine mäßige zerebrale Atrophie mit harmonischer Verteilung festzustellen. Auf posttraumatische Veränderungen lagen hingegen überhaupt keine Hinweise vor. Damit ist es überzeugend dargelegt, dass ein Altersabbau eine höhere Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann, als dass es sich um Spätfolgen der Unfallverletzung handeln würde. Es ist hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität nämlich nicht darauf abzustellen, ob eine alternative unfallunabhängige Ursache für die Beschwerden bewiesen ist, sondern ob ein Zusammenhang zwischen dem Unfall als wesentlicher Ursache und den Beschwerden mit der erforderlichen Gewissheit feststellbar ist (BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 = BSGE 96, 196).
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-?Wirkungs-?Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG aaO). Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG aaO). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG aaO).
Zur Überzeugung des Senats ist aufgrund der Tatsache, dass der radiologische Befund gerade nicht einen erheblichen Primärschaden nachweist, da die zu erwartenden umschriebenen Defekte bzw. abgekapselten Hämatome oder Hämosiderinreste fehlen, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass zwischen dem Unfall vom 14.05.1966 und den nun objektiv eingetretenen Verschlechterungen des Gesundheitszustands des Klägers ein Ursachenzusammenhang besteht.
Das Urteil des SG vom 26.01.2006 war daher aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2002 abzuweisen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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