L 19 R 535/09 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 629/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 535/09 ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
keine Aussetzung der Vollziehung, wenn fehlende Möglichkeit zur evtl Rückerstattung nicht dargelegt
Der Antrag der Beklagten, die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialge-
richts Nürnberg vom 02.04.2009 auszusetzen, wird abgelehnt.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Aussetzungs-
verfahrens zu erstatten.



Gründe:

I.
Am 02.04.2009 hat das Sozialgericht Nürnberg (SG) die Beklagte verurteilt, Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.02.2008 bis 30.06.2010 zu zahlen. Der Kläger könne - wie sich aus den gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachten ergebe - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich tätig sein.
Dagegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Das vom SG eingeholte Gutachten überzeuge nicht. Das Freizeitverhalten des Klägers passe nicht zur angegebenen Einschränkung. Die Sachverständige habe auch lediglich eine Verdachtsdiagnose geäußert und das Gutachten selbst sei in sich widersprüchlich.
Zudem hat die Beklagte beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil des SG auszusetzen. Bei offenen Erfolgsaussichten der Berufung sei im Rahmen der Interessenabwägung die Aussicht des Leistungsträgers auf Erstattung eventuell überzahlter Leistungen zu berücksichtigen. Der Leistungsträger habe generell ein Interesse daran, Leistungen erst bei endgültiger Klärung der Sach- und Rechtslage erbringen zu müssen, denn es bestehe vielfach die Gefahr, überzahlte Leistungen nicht erstattet zu bekommen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ließen zurzeit keine Erstattung zu. Er habe neben einer Unfallrente lediglich noch Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 1.163,81 EUR brutto. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass er über ausreichende Rücklagen für eine Erstattung verfüge. Durch eine Aussetzung der Vollstreckung erleide der Kläger keinen Schaden. Auf die Rechtsprechung des 18. Senats des Bayer. Landessozialgerichts werde verwiesen.
Der Kläger hat auf die Regelung des § 154 Abs 2 SGG hingewiesen.

II.
Der statthafte Aussetzungsantrag ist zulässig.
Gemäß § 199 Abs 2 Satz 1 SGG kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Ein vollstreckbarer Titel im Sinne des § 199 Abs 1 SGG liegt vor.

Die Berufung der Beklagten hat hinsichtlich der Beträge, die für die Zeit nach Erlass des angefochtenen Urteils bezahlt werden sollen, keine aufschiebende Wirkung (§ 154 Abs 2 SGG). Die Beklagte ist daher verpflichtet, die sogenannte Urteilsrente anzuweisen, die aber wieder zu erstatten ist, wenn das Urteil des Erstgerichts auf die Berufung hin oder in einem eventuellen Revisionsverfahren aufgehoben wird.

Der Aussetzungsantrag ist jedoch nicht begründet.

Bei der Entscheidung über die Aussetzung ist eine Interessen- und Folgenabwägung vorzunehmen (BSG, Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R -; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Auflage § 199 Rdnr 8), wobei der in § 154 Abs 2 SGG zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zu beachten ist, dass Berufungen in der Regel keine aufschiebende Wirkung hinsichtlich der für die Zeit nach Erlass des Urteils zu zahlenden Beträge haben sollen. Eine Aussetzung kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht (Leitherer aaO Rdnr 8a; BSG, Beschluss vom 28.10.2008
- B 2 U 189/08 B -). Der Gesetzgeber hat ausdrücklich eine Regelung zur Vollstreckung in § 154 Abs 2 SGG getroffen und hat dabei auch das generelle Interesse des Leistungsträgers, Leistungen erst bei endgültiger Klärung der Sach- und Rechtslage zu erbringen, berücksichtigt, indem nur die aufschiebende Wirkung der Berufung für Beträge, die für die Zeit nach Erlass des Urteiles zu zahlen sind, angenommen wurde.

Ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist im Rahmen einer Interessen- und Folgenabwägung zu prüfen. Dabei können die Erfolgsaussichten der Berufung ausnahmsweise dann eine Rolle spielen, wenn diese offensichtlich fehlen (vgl. auch BSG, Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R -) oder offensichtlich bestehen (BSGE 12, 138). Sind die Erfolgsaussichten jedoch nicht in dieser Weise eindeutig abschätzbar, ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung insbesondere zu berücksichtigen, ob der Beklagten - über den Nachteil hinaus, der mit jeder Zwangsvollstreckung als solcher verbunden ist - ein im nachhinein nicht mehr zu ersetzender Schaden entstehen würde (BSG, Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R -). Maßgeblich sind dabei die Umstände des Einzelfalles, die vom Vollstreckungsschuldner glaubhaft vorzutragen sind (BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1). Der Hinweis auf Sonderfälle, unter denen eine im Ergebnis rechtswidrig gezahlte Urteilsrente vom Begünstigten nicht zurückgefordert werden dürfe, genügt hierzu nicht, wenn nicht Anhaltspunkte dafür benannt werden, beim Begünstigten könne ein solcher "Härtefall" bestehen (vgl. BSG, Beschluss vom 28.08.2007 - B 4 R 25/07 R -). Zudem darf ein überwiegendes Interesse des Vollstreckungsgläubigers nicht entgegenstehen (BSG, Beschluss vom 28.08.2007 - B 4 R 25/07 R -; vgl. hierzu auch die § 86b SGG zu entnehmenden Rechtsgedanken).
Vorliegend sind die Aussichten der Berufung allenfalls als offen anzusehen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein Nachteil im o.g. Sinne von der Beklagten glaubhaft dargelegt worden ist. Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat lediglich allgemein auf eine eventuell entfallende Rückerstattungsmöglichkeit hingewiesen. Sie hat den derzeit vorhanden Rentenanspruch und die daneben vom Kläger bezogene Unfallrente genannt. Dies ist jedoch nur von untergeordneter Bedeutung für eine mögliche Rückerstattung, denn der Kläger wird die Rente wegen Erwerbsminderung beziehen, wenn die Berufung der Beklagten erfolglos wäre. Eine Rückzahlung kommt aber dann nicht in Betracht. Die Beklagte hält die Berufung hingegen gerade für begründet.
Sollte die Berufung der Beklagten jedoch erfolgreich sein, so hätte der Kläger keinen Rentenanspruch, sondern wäre erwerbsfähig. Eine Rückforderungsmöglichkeit hinge somit, da dann die Ausübung einer zumindest sechsstündigen täglichen Erwerbsfähigkeit in Betracht käme, davon ab, welches Einkommen der Kläger erzielen könnte. Hierzu sind jedoch keinerlei Erkenntnisse vorhanden bzw. Angaben möglich. Zudem erlangt die Höhe des derzeitigen Rentenanspruchs des Klägers allein keine entscheidende Bedeutung, denn zur Prüfung der Möglichkeit zur Rückzahlung sind die gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers darzutun. Daran fehlt es vorliegend ebenfalls. Die Beklagte hat lediglich ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger nicht über ausreichende Rücklagen verfüge. Dies ist eine bloße Vermutung, eine Darlegung oder gar Glaubhaftmachung ist darin aber nicht zu sehen.
Mangels Darlegung und Glaubhaftmachung eines Nachteils im o.g. Sinne ist das Vorliegen eines überwiegenden Interesses des Vollstreckungsgläubigers nicht weiter zu prüfen.
Von einen Ausnahmefall ist damit nicht auszugehen, der Antrag ist abzulehnen. Auf die Rechtsprechung des 18. Senats des Bayer. Landessozialgerichts ist nicht weiter einzugehen, denn dieser ist für die vorliegenden Streitfälle nicht mehr zuständig.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG), er kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs 2 Satz 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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