L 16 AS 489/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 55 AS 1101/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 489/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Im Rahmen der Prüfung nach § 86 b Abs. 2 SGG ist ein Abschlag von ca. 10 % auf den sich aus einem qualifizierten Mietspiegel ergebenden durchschnittlichen Quadratmeterpreis angemessen i.S.v. § 22 Abs. 1 SGB II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 24. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die zu erstattende Höhe der Kosten der Unterkunft im Rahmen der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) streitig.

Die 1959 geborene Beschwerdeführerin (Bf.) bezieht seit Juni 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zuletzt gewährte ihr die Beschwerdegegnerin (Bg.) mit Bescheid vom 29.04.2009 für den Zeitraum vom 01.06.2009 bis zum 30.11.2009 Leistungen in Höhe von insgesamt 963,88 EUR (Regelleistung 351 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung 612,88 EUR). Die Kosten der Unterkunft setzen sich zusammen aus einer Kaltmiete in Höhe von 449,21 EUR, "kalten" Nebenkosten in Höhe von 55 EUR und einer Gaspauschale in Höhe von 108,67 EUR.

Die Bf. bewohnt alleine eine Eineinhalb-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 48 Quadratmetern, für die sie 690 EUR Kaltmiete bezahlt. Seit März 2007 gewährt die Bg. nur noch die, ihrer Ansicht nach angemessenen, Kosten der Unterkunft, zuletzt in Höhe von 449,21 EUR.
Gegen die jeweiligen Bewilligungsbescheide hat die Bf. Klagen zum Sozialgericht München (SG) erhoben, die noch in der 55. Kammer des SG anhängig sind.
Mit Beschluss vom 18.07.2007 (Az. L 7 B 341/07 AS ER) hat der 7. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) angemessene Unterkunftskosten in Höhe von 441,50 EUR (maximale Wohnfläche 50 qm x 8,83 EUR maximalen Quadratmeterpreis) festgestellt. In einem weiteren Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (Az. L 7 B 1035/08 AS ER) hat erneut der 7. Senat mit Beschluss vom 12.01.2009 die von der Bg. nunmehr auf 449,21 EUR angehobene Angemessenheitsgrenze als nicht zu niedrig beurteilt.

Gegen den Bescheid der Bg. vom 29.04.2009 erhob die Bf. am 13.05.2009 Widerspruch und stellte am 15.05.2009 beim SG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Die Beschlüsse des Bayerischen Landessozialgerichts seien veraltet. Zudem entspräche der zugrunde gelegte Quadratmeterpreis von 8,98 EUR nicht der Liste der Bg., die selbst 9,98 EUR pro Quadratmeter für Ein-Personen-Wohnungen zugrunde lege. Sie beantrage daher die die Übernahme der tatsächlichen Grundmiete bzw. zumindest die Gewährung von 9,98 EUR pro Quadratmeter. Unter Berücksichtigung der ihr zustehenden 50 qm sei daher zumindest eine Grundmiete von 499 EUR zu gewähren. Zur weiteren Begründung verwies sie auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in dem der Haus- und Grundbesitzerverein auf eine enorme Mietsteigerung in A-Stadt von ca. 20 Prozent hinwies und in diesem Zusammenhang kritisierte, dass der aktuelle Mietspiegel lediglich ein Plus von 6,25 Prozent ausweise.

Das SG lehnte den Antrag mit Beschluss vom 24.06.2009 ab. Ein weitergehender Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II bestehe nicht. Mit Beschluss vom 16.01.2009 habe das LSG festgestellt, dass die von der Bg. anerkannte Kaltobermietgrenze in Höhe von 449,21 EUR für einen Ein-Personen-Haushalt derzeit als angemessen anzusehen sei. Gründe, die eine von der Beurteilung des LSG abweichende Betrachtung rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Bf. sei eine vom Mietspiegel losgelöste Betrachtung nicht gerechtfertigt. Der Rückgriff der Bg. auf die im Mietspiegel dargestellten Mieten entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, da es sich um einen qualifizierten Mietspiegel handle, der nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und fortlaufend angepasst werde. Dass der Mietspiegel eine Prognoseentscheidung beinhalte, die möglicherweise von der Wirklichkeit überholt werde, sei als systemimmanent hinzunehmen und begründe keine Pflicht der Bg. halbjährlich den jeweiligen Mietmarkt zu ermitteln. Soweit die Bf. geltend mache, dass nach den eigenen Angaben der Bg. hinsichtlich einer Wohnungsgröße von 50 qm ein Quadratmeterpreis von mindestens 9,98 EUR gewährt werde, fehle es dem Antrag (unabhängig von den zweifelhaften Berechnungen der Bf.) zumindest am Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Die Bf. habe keine Tatsachen vorgetragen, aus der sich die Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung im Hinblick auf den vergleichsweise geringen Differenzbetrag zwischen dem derzeit gewährten Quadratmeterpreis und dem von der Bf. vorgetragenen Mindestquadratmeterpreis ergebe. Das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz diene nicht dazu, die Sach- und Rechtslage bis ins Einzelne zu klären, vielmehr sollen schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen verhindert werden. Da der angemessene Mietpreis letztlich weit unter dem liege, was die Bf. derzeit an Miete zahle, bleibe ihr in jedem Fall eine Deckungslücke. Die Frage der exakten Höhe des angemessenen Quadratmeterpreises müsse letztendlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Gegen diesen Beschluss hat die Bf. am 08.07.2009 beim SG Beschwerde eingelegt, die am 22.07.2009 beim LSG eingegangen ist. Zur Begründung hat sie u.a vorgetragen, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch im Eilverfahren neben dem Mietspiegel auch andere zur Verfügung stehende Kriterien und Quellen zu berücksichtigen seien, insbesondere der tatsächliche Mietmarkt. Zudem sei der Mietspiegel aus dem Jahr 2007 veraltet, höchst umstritten und diene den Interessen des Sozialreferats. Sie hat zudem ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.02.2009 (Az. B 4 AS 30/08 R) verwiesen. Das BSG habe in dieser Entscheidung dem Bayerischen LSG auferlegt, den angemessenen Quadratmeterpreis endlich zu ermitteln.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Bg. sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz
- SGG -) ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 SGG zu Recht zurückgewiesen.
Nach 86 Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Da kein Fall des § 86 b Abs. 1 SGG vorliegt und die Bf. eine einstweilige Regelung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis wünscht, begehrt sie eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Die einstweilige Anordnung soll den Zeitraum bis zu einer abschließenden Hauptsacheentscheidung durch eine Zwischenregelung überbrücken und auf diese Weise den Rechtsstreit in der Hauptsache entscheidungsfähig erhalten. Voraussetzung für deren Erlass ist, dass sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sind (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG i.V.m §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der Übernahme der tatsächlichen Kosten der Kaltmiete in Höhe von 690 EUR bzw. zumindest in Höhe von 499 EUR ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die von der Bg. angesetzte Referenzmiete von 449,21 EUR ist nach derzeitiger Aktenlage angemessen i.S.v. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Bei der Beurteilung der Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft ist im Hinblick auf den Zweck der Leistungen nach dem SGB II, nur der notwendigen Bedarf sicherzustellen, nicht auf den jeweiligen örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne zu ermitteln. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ergibt sich als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins/qm ("Produkttheorie"). Maßgebliche Kriterien für die Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft sind die Wohnraumgröße, der Wohnort und der Wohnungsstandard. Wie die Bf. zu Recht vorträgt, ist die Bg. bei der Ermittlung der angemessenen Mietobergrenze von 449,21 EUR für einen Ein-Personen-Haushalt in A-Stadt von einer angemessenen Wohnungsfläche von lediglich 45 qm statt 50 qm (vgl. 81.1. der Wohnraumförderungsbestimmungen 2003, ALLMBl. S. 971) ausgegangen (vgl. hierzu Beschluss des Bay. LSG vom 18.07.2007, Az. L7 B 341/07 AS ER). Dies führt jedoch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu einem weitergehenden Anspruch der Bf ...
Der sich bei Zugrundelegung von 50 qm ergebende Quadratmeterpreis von 8,98 EUR ist nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte ausreichend, um im unteren Segment des Wohnungsmarktes eine Wohnung anzumieten, die nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Dafür spricht allein schon die Tatsache, dass nach dem aktuellen Mietspiegel von 2009, der eine durchschnittliche Erhöhung von 6,25 Prozent im Vergleich zum Mietspiegel von 2007 ausweist, der durchschnittliche Quadratmeterpreis in A-Stadt aktuell 9,90 EUR beträgt. Damit ist der um lediglich einen Euro unter dem Durchschnittspreis liegende von der Bg. gewährte Quadratmeterpreis, da dieser gerade nicht anhand des durchschnittlichen Wohnstandards zu errechnen ist, mit hinreichender Sicherheit nicht zu niedrig angesetzt. Der Rückgriff auf den qualifizierten Mietspiegel zur Feststellung der Beschaffenheit des örtlichen Mietwohnmarktes entspricht der Rechtsprechung des BSG (vgl. zuletzt Urteil vom 18.06.2008, Az. B 14/7b AS 44/06), auch wenn anderes Datenmaterial ebenso als geeigneter Maßstab herangezogen werden kann. Eine umfassende Beweiserhebung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Lediglich zur Ergänzung weist der Senat daraufhin, dass die Zurückweisung der Beschwerde durch die von der Bf. zitierten Entscheidung des BSG vom 19.02.2009 gestützt werde. Das BSG hat in seinem Urteil ausgeführt, dass das LSG zu Recht eine Besserstellung des Klägers festgestellt habe, weil sich die Beklagte an den Durchschnittswerten des Münchner Mietspiegels aus dem Jahr 2005 orientiert habe, obwohl sie auf das untere Mietpreisniveau hätte abstellen müssen. Diese Ermittlungen bzgl. des unteren Mietpreisniveaus habe das LSG nachzuholen und nur wenn sich dann ein Quadratmeterpreis von mehr als 8,59 EUR ergebe, wäre die Verurteilung der Beklagten zu Recht erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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