L 2 B 875/08 AS

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 924/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 B 875/08 AS
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
L 2 B 875/08 AS
Teilt ein Zeuge mit, er sei derzeit mittellos und könne die Fahrtkosten zum 600 km entfernten Gerichtsort nicht aufbringen, so glit als hinreichnende Entschuldigung, wenn ihm das Gericht wegen der kurzen Zeit zwischen Zustellung der Ladung und dem Termin, keine Fahrkarte vorab zuschicken kann.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. Mai 2008 wird aufgehoben.

II. Die Staatskasse hat dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten des
Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

III. Im Übrigen werden keine Kosten erhoben.



Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Auferlegung von Ordnungsgeld.

Im Hauptsacheverfahren macht die dortige Klägerin einen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) geltend. Dies hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum mit dem Zeugen in B. in einer bloßen Wohn- bzw. Haushaltsgemeinschaft oder in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft gelebt hatte. Die Beklagte hatte Letzteres angenommen und Leistungen gekürzt.

Mit Verfügung vom 14.04.2008 lud das Sozialgericht Bayreuth (SG) den Beschwerdeführer als Zeugen auf den 06.05.2008 zum nicht öffentlichen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie zur Beweisaufnahme. Die Ladung wurde dem in A-Stadt wohnhaften Beschwerdeführer mit Postzustellungsurkunde vom 28.04.2008 zugestellt und zwar durch Einlegung in seinen zur Wohnung gehörenden Briefkasten. Mit beim SG am 02.05.2008 um 15.44 Uhr eingegangenem Fax erklärte der Beschwerdeführer, er habe die Ladung zum 28.04.2008 erhalten, könne aber nicht kommen, weil er nicht in der Lage sei, die Fahrtkosten vorab aufzubringen; er sei arbeitslos, habe zwar einen Antrag auf Arbeitslosengeld bzw. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gestellt, hierüber sei jedoch noch nicht entschieden worden.

Das Gericht bearbeitete das am Freitag eingegangene Fax laut Aktenvermerk am Montag, den 05.5.2008. Durch Rückfrage bei der ARGE A-Stadt stellte es fest, dass dem Beschwerdeführer noch keine Leistungen bewilligt worden waren.

Im Termin zur Erörterung am 06.05.2008 war der Zeuge nicht erschienen; es wurde eine andere Zeugin einvernommen und die Verhandlung vertagt. Die Bevollmächtigte der Klägerin bestand auf der Einvernahme des Beschwerdeführers als Zeugen. Im Termin legte die Klägerin eine elektronische Nachricht aus dem Chatroom von einem als Freeman 42 bezeichneten Absender vom 28.04.2008 vor, mit dem Inhalt, die Klägerin solle ihn in Ruhe

lassen, er frage, was das mit der Vorladung sein solle. Er verweise auf seine früheren Aussagen.

Mit Beschluss vom 08.05.2008 im Bürowege legte das SG dem Beschwerdeführer Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR wegen unentschuldigten Fernbleibens auf. Die Säumnis sei nicht rechtzeitig entschuldigt, weil der Zeuge bzw. Beschwerdeführer, wenn er seinen Hinderungsgrund unverzüglich geltend gemacht hätte, noch rechtzeitig vor dem Termin eine Fahrkarte über das Gericht hätte auf dem Postwege erhalten können. Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR sei angemessen.

Zu einem weiteren Erörterungstermin am 09.07.2008 lud das SG u.a. auch den Beschwerdeführer erneut. Die Ladung hierzu ging dem Beschwerdeführer am 30.06.2008 zu und wurde in seinen zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt. Im Erörterungstermin am 09.07.2008 war der Beschwerdeführer nicht erschienen. Das Verfahren konnte nach Einvernahme eines weiteren Zeugen durch Vergleich abgeschlossen werden, nachdem durch die Aussage dieses Zeugen der strittige Punkt geklärt werden konnte.

Laut Postzustellungsurkunde wurde der Ordnungsgeldbeschluss vom 08.05.2008 dem Beschwerdeführer am 23.07.2008, wiederum durch Einlegen in den Briefkasten, in A-Stadt zugestellt.

In einem Schreiben, das das Datum vom 26.06.2008 trägt und das am 29.07.2008 vom SG bearbeitet wurde, teilte der Beschwerdeführer mit, er sei vom 28.06. bis 12.07.2008 in Urlaub gewesen und habe deshalb nicht zum Termin am 09.07.2008 erscheinen können. Dieses Schreiben fasste das SG als Beschwerde gegen den Ordnungsgeldbeschluss vom 08.05.2008 auf. Es legte die Beschwerde zur Entscheidung dem Bayer. Landessozialgericht vor.

Auf Hinweis des Senats vom 10.10.2008, dass der Ordnungsgeldbeschluss vom 08.05.2008 wegen seines Fernbleibens vom Termin am 06.05.2008 ergangen sei und deshalb seine Urlaubsabwesenheit vom 28.06. bis 12.07.2008 keine geeignete Entschuldigung sei, äußerte sich der Beschwerdeführer nicht mehr.

Der Senat geht davon aus, dass der Beschwerdeführer beantragt,
den Ordnungsgeldbeschluss des SG vom 08.05.2008 aufzuheben.

II.

Die statthafte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch begründet.

Der Senat schließt sich der Auffassung des SG an, dass das Schreiben des Beschwerdeführers vom 26.06.2008, das vermutlich erst im Juli 2008 eingegangen war, was das Bearbeitungsdatum vom 29.07.2008 und der darin als Entschuldigung angeführte Urlaub ab 28.06.2008 nahe legen, als Beschwerde gegen den Ordnungsgeldbeschluss vom 08.05.2008, dem Beschwerdeführer am 23.07.2008 zugestellt, aufzufassen ist. Die Beschwerde ist damit statthaft und zulässig und, wie noch ausgeführt wird, auch begründet.

Gemäß § 118 Abs.1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 380 Abs.1 Zivilprozessordnung (ZPO) können einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, ohne dass es eines Antrags bedarf, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt und zugleich gegen ihn ein Ordnungsgeld verhängt werden, wenn er nicht erscheint. Nach § 381 Abs.1 ZPO hat die Festsetzung eines Ordnungsmittels zu unterbleiben, wenn der Zeuge glaubhaft macht, dass ihm die Ladung nicht rechtzeitig zugegangen ist oder sein Ausbleiben genügend entschuldigt ist bzw. nachträglich entschuldigt wird.

Voraussetzung ist demnach die ordnungsgemäße Ladung des Beschwerdeführers. § 377 Abs.2 ZPO schreibt zwar vor, welchen Inhalt die Zeugenladung haben muss, jedoch wird keine zwingend einzuhaltende Ladungsfrist genannt. § 110 SGG, der nur für die Beteiligten, also für Kläger, Beklagte und Beigeladene gilt, bestimmt, dass den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vor dem Termin Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung mitzuteilen seien. Ob diese Ladungsfrist auch für Zeugen gilt, kann dahingestellt bleiben, weil eine Fristunterschreitung auch für die Ladung der Verfahrensbeteiligten zulässig ist (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 110 Rdnr.13). Einig ist man sich in Rechtsprechung und Literatur lediglich, dass die Frist des § 217 ZPO; wonach eine mindestens dreitägige Ladungsfrist eingehalten werden solle, nicht unterschritten werden darf. Eine Unterschreitung dieser minimalen Ladungsfrist liegt hier unstreitig nicht vor. Zwischen der
Zustellung der Ladung an den Beschwerdeführer am 28.04.2008, einem Montag und dem Termin am 06.05.2008, einem Dienstag, liegen sieben Tage. Von einer ordnungsgemäßen Ladung ist daher auszugehen.

Gleichwohl ist die Beschwerde begründet. Der Ordnungsgeldbeschluss ist - obwohl im Bürowege erlassen, was in Ausnahmefällen, wie hier bei Säumnis in einem nichtöffentlichen Termin, zulässig ist, aufzuheben, weil der Beschwerdeführer sein Fernbleiben als Zeuge hinreichend entschuldigt hat. In seinem an das SG gerichteten Fax vom 02.05.2008 führte er aus, er könne die Fahrtkosten von A-Stadt in das 600 km entfernte Bayreuth nicht aufbringen, weil er arbeitslos und sein Antrag auf Leistungen noch nicht verbeschieden sei. Dass die Angaben des Beschwerdeführers zutreffen, entnimmt der Senat den nachfolgenden Anfragen des SG am 05.05.2008 beim zuständigen Bearbeiter der ARGE A-Stadt. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Grund, wegen Mittellosigkeit nicht zum 600 km entfernten Gerichtsort reisen zu können, ist ein triftiger Grund. Dies hat der Beschwerdeführer auch rechtzeitig geltend gemacht. Rechtzeitig bedeutet in diesem Zusammenhang, unverzüglich nach Kenntnis des Hinderungsgrundes und so rechtzeitig, dass die übrigen Beteiligten noch abgeladen und zumindest vor dem Termin verständigt werden können.

Da die Ladung des Beschwerdeführers am 28.04.2008, einem Montag, in seinen Briefkasten eingelegt worden war, muss davon ausgegangen werden, dass er diese am Abend desselben Tages oder am nächsten Tag vorgefunden hat. Dass er sich noch am 28.04.2008 oder 29.04.2008 mit dem Gericht hätte in Verbindung setzen müssen, findet keine Rechtsgrundlage. Beim gegebenen Sachverhalt muss dem Beschwerdeführer eine gewisse Überlegungsfrist zugestanden werden, innerhalb derer er sich nach Finanzierungsmöglichkeiten, eventuell nach Rücksprache mit der für ihn zuständigen ARGE, erkundigen kann. Einen Hinweis, dass einem Zeugen die zur Anreise notwendigen Fahrtkosten vom SG vorgeschossen werden können oder ihm eine Fahrkarte vorweg übersandt werden könne, enthält die Ladung vom 14.04.2008 nicht.

Die Vermutung des SG, der Beschwerdeführer habe nicht zum Termin erscheinen wollen und habe bewusst seine Hinderungsgründe erst sehr kurz vor dem Termin mitgeteilt, lässt sich nicht zweifelsfrei belegen. Jedenfalls ist die von der Klägerin vorgelegte Chatroom-Korrespondenz nicht geeignet, den Beschwerdeführer als Absender der Nachricht zu

identifizieren, noch rechtfertigt die darin enthaltene Äußerung, unterstellt, sie stamme vom Beschwerdeführer, nicht die Annahme, dieser habe bewusst eine frühere Benachrichtigung des SG unterlassen. Der zeitliche Ablauf legt vielmehr nahe, dass die knappe Zeit zwischen Erhalt der Ladung am 28.04. und dem Termin am 06.05. in Anbetracht der dazwischen liegenden Feiertagskonstellation aufgrund des Feiertags am 01.05.2008, einem Donnerstag, sowohl dem Beschwerdeführer die Überlegungszeit, als auch dem Gericht die Bearbeitungszeit äußerst verknappt hatten. Dies reicht nicht aus, um eine hinreichende Entschuldigung im Sinne des § 381 Abs.1 ZPO zu verneinen. Demnach lagen die Voraussetzungen zumindest zur nachträglichen Aufhebung von Ordnungsgeld vor. Damit kommt der Senat zum Ergebnis, dass der Ordnungsgeldbeschluss vom 08.05.2008 aufzuheben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, der hier Anwendung findet, weil der Beschwerdeführer als Zeuge nicht zu dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Danach sind nur Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Personen oder deren Sonderrechtsnachfolger von Gerichtskosten befreit, wenn sie als Kläger oder Beklagte an einem Rechtsstreit vor den Sozialgerichten beteiligt sind. Der Beschwerdeführer gehört diesem Personenkreis nicht an (Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, Kommentar 9. Auflage, § 176 Rdnr.5).

Da die Beschwerde zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt, hat die Staatskasse dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Der Senat folgt damit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg (Beschluss vom 01.07.2003 - L 13 KN 2951/02 B mit weiteren Nachweisen) sowie der in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vertretenen Auffassung (BFH/NV 1994, 733 ff.), wonach in entsprechender Anwendung des § 467 Abs.1 Strafprozessordnung, § 46 Abs.1 Ordnungswidrigkeitengesetzes die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers für die Durchführung einer erfolgreichen Beschwerde der Staatskasse zur Last fallen. Von der Erhebung von Gerichtskosten war gemäß § 22 Gerichtskostengesetz abzusehen (Kopp, VwGO, Kommentar, 10. Auflage, § 155 Rdnr.24).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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