L 10 AL 24/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 438/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 24/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch bei einem Bezug von Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III ist nicht auf das Erfordernis der objektiven Verfügbarkeit des Arbeitslosen zu verzichten.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 03.12.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 15.03.2006 und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von insgesamt 1.019,64 EUR.

Der 1945 geborene Kläger beantragte am 02.01.2006 erneut die Gewährung von Alg. Mit seinem Antrag bestätigte er, das Merkblatt 1 für Arbeitslose und das Hinweisblatt aus Anlass der persönlichen Arbeitssuchendmeldung erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Im Anschluss hieran bezog der Kläger ab 01.01.2006 Alg. In der Zeit vom 27.01.2006 bis 16.02.2006 war er mit Zustimmung der Beklagten ortsabwesend.

Am 28.02.2006 beantragte der Kläger die Gewährung von Alg unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III.

Nachdem die Beklagte aufgrund eines Faxes des Klägers aus Thailand von einem Auslandsaufenthalt des Klägers erfahren hatte hob die Beklagte nach einer Anhörung mit Schreiben vom 23.08.2006 mit Bescheid vom 21.09.2006 die Entscheidung über die Bewilligung von Alg beim Kläger für die Zeit vom 22.06.2006 bis 10.07.2006 ganz auf. Der Kläger sei in der genannten Zeit ohne vorherige Absprache mit der Agentur für Arbeit orts- abwesend gewesen und habe damit keinen Anspruch auf Leistungen. Darüber hinaus wurde eine Gesamtforderung gegen den Kläger in Höhe von insgesamt 167,55 EUR festgesetzt.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren teilte der Kläger mit, dass er bereits seit dem 15.03.2006 in Thailand lebe.

Mit Bescheid vom 17.07.2007 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg ab dem 15.03.2006 ganz auf. Auch bei einem Leistungsbezug unter erleichterten Voraussetzungen gemäß § 428 SGB III sei bei Ortsabwesenheit eine vorherige Absprache mit der Agentur für Arbeit erforderlich. Mit dem Bescheid wurde eine Gesamtforderung gegen den Kläger in Höhe von 1.019,64 EUR festgesetzt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger halte sich seit dem 15.03.2006 in Thailand auf; damit erfülle er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Voraussetzungen des § 119 Abs 1 Nr 3 SGB III, da er den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht mehr zur Verfügung gestanden sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger Alg unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III erhalten habe.

Hiergegen hat der Kläger am 25.09.2007 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.

Mit Urteil vom 03.12.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass der Kläger zwar Alg unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III beantragt habe, sodass er sich grundsätzlich bis zu 17 Wochen im Jahr außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs der Agentur für Arbeit aufhalten könne. Dies gelte allerdings nur, wenn die Agentur für Arbeit für den auswärtigen Aufenthalt vorher ihre Zustimmung erteilt habe. Über das Erfordernis der Zustimmung sei der Kläger anlässlich der Antragstellung am 28.02.2006 auch schriftlich informiert worden.

Hiergegen hat der Kläger am 20.01.2009 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er hat geltend gemacht, die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung unter den besonderen Voraussetzungen des § 428 SGB III nicht gekannt zu haben. Nach seiner Auffassung hätte er für den Auslandsaufenthalt einer schriftlichen Genehmigung durch die Beklagte nicht bedurft.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 03.12.2008 sowie die Bescheide der
Beklagten vom 21.09.2006 in der Form des Bescheides vom 17.07.2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz ergänzend Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die Entscheidung über die Bewilligung von Alg - zuletzt mit Bescheid vom 02.06.2006 - ab 15.03.2006 aufgehoben und eine Rückforderung überzahlter Leistungen in Höhe von insgesamt 1.019,64 EUR festgesetzt.

Nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, § 48 Abs 1 S. 2 Nr 2 SGB X. Nach § 60 Abs 1 Nr 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I - sind Leistungsempfänger verpflichtet, alle Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, dem zuständigen Leistungsträger mitzuteilen. Nach § 48 Abs 1 S. 2 Nr 4 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Die in § 48 Abs 1 S. 2 SGB X für atypische Fälle gebotene Ermessensausübung ("soll") ist im Bereich des Arbeitsförderungsrechts nicht anzuwenden, § 330 Abs 1 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -.

Der Kläger war ab dem 15.03.2006 nicht mehr arbeitslos i.S.d. des Gesetzes, damit lag ab diesem Zeitpunkt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse die den Bewilligungsbescheiden zugrunde lagen, vor.

Nach § 119 Abs 1 SGB III ist ein Arbeitnehmer arbeitslos, der (1.) nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), (2.) sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und (3.) den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht nach § 119 Abs 5 SGB III zur Verfügung, wer (1.) eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, (2.) Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, (3.) bereit ist, jede Beschäftigung i.S.d. Nr 1 anzunehmen und auszuüben und (4.) bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.

Nach § 428 Abs 1 Satz 1 SGB III haben Anspruch auf Alg auch Arbeitnehmer, die das 58.Lebensjahr vollendet haben und die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Alg allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht arbeitsbereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen und nutzen wollen, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden.

Bei einem Bezug von Alg unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III ist aber nicht auf das Erfordernis der objektiven Verfügbarkeit des Arbeitslosen zu verzichten. § 428 SGB III wurde vom Gesetzgeber des Arbeitsförderungsreformgesetzes (AFRG) 1997 ohne inhaltliche Änderung dem Regelungsgrundsatz des § 105c Arbeitsförderungsgesetz - AFG - nachgebildet. Insbesondere wiederholt § 428 Abs 1 S. 1 SGB III die klarstellende Formulierung, dass der Anspruchsinhaber "alleine deshalb" die Regelvoraussetzung eines Anspruchs auf Alg nicht erfüllt, weil er nicht "arbeitsbereit" ist. § 428 Abs 1 S. 1 SGB III verzichtet damit lediglich auf die Anspruchvoraussetzung der Arbeitsbereitschaft gemäß § 119 Abs 4 SGB III. Nicht verzichtet wird auf die Voraussetzung des § 119 Abs 5 Nr 2 SGB III i.V.m. den Vorschriften der Erreichbarkeits-Anordnung - EAO -, wonach der Arbeitslose den Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (vgl. zum Ganzen BSG 7a. Senat vom 30.06.2005, Az: B 7 A/7 AL 98/04 R).

Der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit hat durch die EAO Näheres über die Pflichten des Arbeitslosen bestimmt. Nach § 1 Abs 1 EAO kann ein Arbeitsloser Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten, wenn er in der Lage ist, unverzüglich (1.) Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen, (2.) das Arbeitsamt aufzusuchen, (3.) mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammenzutreffen und (4.) eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Deshalb muss der Arbeitslose sicher stellen, dass die Beklagte ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm genannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann (§ 1 Abs 1 Satz 2 EAO). Erfüllt der Arbeitslose diese Anforderungen nicht, steht dies der Verfügbarkeit bis zu 3 Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt hat (§ 3 Abs. 1 S. 1 EAO):

Hält sich ein Arbeitsloser außerhalb des Nahbereichs der Agentur für Arbeit auf, steht dies im Falle des § 428 SGB III der Verfügbarkeit bis zu 17 Wochen nicht entgegen, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt hat, § 4 Satz 1 iVm § 3 EAO. In besonderen Fällen kann der Zeitraum von 17 Wochen mit Zustimmung der Agentur für Arbeit im notwendigen Umfang überschritten werden, § 4 Satz 2 EAO. Vorliegend hat sich der Kläger nach seiner eigenen Einlassung seit dem 15.03.2006 in Thailand aufgehalten, ohne dass die Beklagte diesem Auslandsaufenthalt zugestimmt hätte. Der Kläger war somit ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verfügbar, ein Anspruch auf Alg bestand damit nicht mehr.

Der Kläger hat der Beklagten seinen Auslandsaufenthalt nicht mitgeteilt und ist damit seinen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen. Darüber hinaus musste er auch wissen, dass bei einer solchen Ortsabwesenheit sein Alg-Anspruch zum Wegfall kommen musste.

Der Kläger hat diesbezüglich auch zumindest grob fahrlässig gehandelt. Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Anzulegen ist hierbei ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab (vgl. Schütze in von Wulffen SGB X 6. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 28).

Vorliegend hatte der Kläger zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs positive Kenntnis davon, dass eine Ortsabwesenheit grundsätzlich der Zustimmung der Beklagten bedarf. Der Kläger hatte sich nämlich vorher, am 10.01.2006, eine Ortsabwesenheit für die Zeit vom 27.01.2006 bis 16.02.2006 genehmigen lassen. Aufgrund der Hinweise der Beklagten in der vom Kläger unterschrieben Erklärung nach § 428 SGB III musste ihm auch klar sei, dass auch bei einem Bezug von Alg unter den Voraussetzungen des § 428 SGB III eine Ortsabwesenheit in Absprache mit der Beklagten zu erfolgen hatte. Aus dem Merkblatt 1 für Arbeitslose musste der Kläger erkennen, dass eine Ortsabwesenheit ohne vorherige Unterrichtung und Zustimmung der Beklagten zur Aufhebung der Bewilligung der Leistung führen musste. Die Nichtbeachtung von eindeutigen Hinweisen in Vordrucken oder Merkblättern begründet regelmäßig grobe Fahrlässigkeit (vgl. lediglich beispielhaft LSG Baden Württemberg 3. Senat vom 18.04.2007, Az. L 3 AL 3130/04).

Anhaltspunkte, unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten des Klägers hiervon abzuweichen, ergeben sich nicht. Der Kläger war vor seiner Ausreise jahrelang selbständig als Inhaber einer Firma tätig und verfügte damit zweifellos über die Kenntnisse und Fähigkeiten, um den ihn gestellten Anforderungen zu genügen.

Die mehr als sechswöchige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit führte nach § 122 Abs 2 Nr 1 SGB III zum Erlöschen der Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung, so dass die Beklagte zu Recht die Gewährung von Alg bis zu einer erneuten Meldung des Klägers ganz aufgehoben hat.

Die Erstattungspflicht von überzahltem Alg in Höhe von 828,24 EUR ergibt sich aus § 50 Abs 1 SGB X. Die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 15.03.2006 bis 10.07.2006 in Höhe von insgesamt 191,40 EUR sind vom Kläger gemäß § 335 SGB III zu erstatten. Bedenken hinsichtlich der Höhe und Berechnung der Rückforderung sind vom Kläger nicht vorgetragen worden und dem Senat nach erneuter Überprüfung nicht ersichtlich.

Die Berufung war nach alldem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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