L 18 SO 119/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 SO 50/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SO 119/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Rückkehrhindernisse des § 24 Abs 1 Satz 2 SGB XII sind sämtlich als objektive Hinderungsgründe zu verstehen, die einer Rückkehr entgegenstehen.
2. Zur Frage des Rückkehrhindernisses der Schwere der Pflegebedürftigkeit ist nicht auf die im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) festgelegten Pflegestufen abzustellen, sondern darauf, ob der Aufwand der erforderlichen Pflege eine Rückkehr nicht zulässt.
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 19.06.2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland.

Der 1949 geborene Antragsteller (ASt) ist deutscher Staatsangehöriger, der nach einem langjährigen Aufenthalt in den USA im April 2007 seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf den Philippinen genommen hat. Er beantragte unter dem 20.06.2007 und 17.07.2007 (Eingang bei der Auslandsvertretung am 25.07.2007 und bei dem Antragsgegner -Ag- am 13.09.2007) Hilfe zum Lebensunterhalt für Deutsche im Ausland. Einer Arbeit könne er aus gesundheitlichen Gründen nicht nachgehen. Seine Lebensgefährtin habe ihren Arbeitsplatz verloren. Sie seien obdachlos. Ein Bekannter habe sie vorübergehend in seinem Haus aufgenommen. Sie hätten kein Geld, um Lebensmittel zu kaufen.

Nach der Stellungnahme der Auslandsvertretung vom 24.08.2007 sei eine Rückkehr des ASt nach Deutschland möglich. Der ASt befände sich auch nicht in einer außergewöhnlichen Notlage. Er erhalte Geld und Unterstützung von Freunden bzw. der Freundin.

Mit Bescheid vom 17.09.2007 lehnte der Ag den Antrag ab. Es sei wohl von einer persönlichen Notlage für den ASt auszugehen. Allerdings stünden einer Ausreise nach Deutschland keine Hinderungsgründe entgegen.

Hiergegen hat der ASt Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben. Er hat ausgeführt, sein Gesundheitszustand habe sich extrem verschlechtert. Er sei auf ständige Hilfe und Begleitung angewiesen. Nur mit einer Gehhilfe könne er kurze Wege zurücklegen. Mit Beschluss vom 11.12.2007 hat das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit an das Sozialgericht (SG) Bayreuth verwiesen. Das SG hat das Verfahren zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt (Beschluss vom 19.12.2007; wieder aufgenommen am 12.06.2009).

Im Widerspruchsverfahren hat der Ag eine ärztliche Untersuchung des ASt veranlasst. Die Ärztin Dr. P. hat nach Untersuchung des ASt am 23.09.2008 darauf hingewiesen, dass der ASt momentan nicht flugtauglich sei (Bericht vom 25.09.2008/14.10.2008). Es sei eine Luftretention in der Lunge (air trapping) festgestellt worden. Es wäre ratsam, die Ursachen für die Bronchospasmen festzustellen, aufgrund derer der ASt unaufhörlich und wiederkehrend huste. Der ASt sei vor etwa 29 Jahren an den Knien operiert worden. Er könne sich zwar bewegen, benötige aber ab und zu Hilfestellung.

Den Widerspruch hat die Regierung von Oberfranken mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2009 zurückgewiesen. Unabhängig von der Frage des Bestehens einer außergewöhnlichen Notlage sei nicht nachgewiesen, dass eine Rückkehr des ASt nach Deutschland nicht möglich ist. Als Hinderungsgrund komme allenfalls eine Pflegebedürftigkeit in Betracht. Der ärztliche Bericht vom 25.09.2008/14.10.2008 zeige zwar, dass eine Ausreise aufgrund derzeit bestehender Fluguntauglichkeit nicht möglich sei. Hieraus ergebe sich aber nicht, dass eine Rückkehr- wie vom Gesetz gefordert - aufgrund schwerer Pflegebedürftigkeit unmöglich sei.

Am 26.05.2005 hat der ASt beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Zustehende Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) seien vorläufig zu gewähren. Der ärztliche Bericht weise nach, dass ihm eine Rückkehr nach Deutschland nicht möglich sei. Der Bericht beweise auch seine Pflegebedürftigkeit. Er leide an einer chronisch obstruktiven Lungenkrankheit (COPD). Er verfüge über keine finanziellen Mittel und sei dringend auf ärztliche Behandlung angewiesen. Sein Bekannter, der ihn und seine Lebensgefährtin vorübergehend aufgenommen habe, sei nicht mehr bereit, ihnen weiter Unterkunft zu geben.

Mit Beschluss vom 19.06.2009 hat das SG den Antrag abgelehnt. Es bestünden bereits Zweifel an der Eilbedürftigkeit der beantragten Anordnung. Aber auch in der Sache sei ein Anordnungsanspruch nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Als Hinderungsgrund für die Rückkehr nach Deutschland komme nur das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit in Betracht. Es bestehe aber keine Pflegebedürftigkeit in einer Schwere, die die Rückkehr nach Deutschland ausschließt. Diese ergebe sich nicht aus den ärztlichen Untersuchungsergebnissen. Allein aus der Fluguntauglichkeit könne ein Anspruch auf Sozialhilfe nicht hergeleitet werden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des ASt. Er befinde sich in einer besonderen Notlage. Er erhalte keine finanzielle Unterstützung mehr. Notwendige ärztliche Behandlungen könne er nicht bezahlen. Aufgrund seines Gesundheitszustandes sei er auf die ständige Betreuung seiner Lebensgefährtin angewiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde des ASt ist unbegründet. Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Der Antrag ist gerichtet auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da es dem ASt um die Einräumung eines vorläufigen Rechtszustandes geht. Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine Regelungsanordnung setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).

Geht es - wie vorliegend - um die Gewährung existenzsichernder Leistungen, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist dies im Eilverfahren nicht möglich, so ist eine umfassende Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927). Dies zugrunde gelegt ist die Beschwerde zurückzuweisen, ohne dass es auf eine Folgenabwägung ankommt. Denn einer Leistungsgewährung steht der Leistungsausschluss des § 24 Abs 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) entgegen.

Nach § 24 Abs 1 Satz 1 SGB XII erhalten Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, keine Leistungen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann hiervon im Einzelfall nur abgewichen werden, soweit dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist und zugleich nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland aus folgenden Gründen nicht möglich ist: (Nr 1) Pflege und Erziehung eines Kindes, das aus rechtlichen Gründen im Ausland bleiben muss, (Nr. 2) längerfristige stationäre Betreuung in einer Einrichtung oder Schwere der Pflegebedürftigkeit oder (3.) hoheitliche Gewalt.

Im Ergebnis kann dahinstehen, ob der ASt. nachgewiesen hat, dass die Leistungsgewährung wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes einer "außergewöhnlichen Notlage" ist zu beachten, dass nur das Vorliegen einer besonderen Notlage nicht ausreicht, um die Leistungsgewährung zu rechtfertigen. Mit der Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für Sozialhilfeleistungen an Deutsche im Ausland eingeengt und die Sozialhilfegewährung auf außergewöhnliche Notlagen beschränkt (vgl. BT-Drucks 15/1761 S 6). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen. Erforderlich ist, dass bei Leistungsversagung die Gefahr einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung existenzieller Rechtsgüter des Hilfesuchenden droht. Insoweit kann eine außergewöhnliche Notlage angenommen werden, wenn der mittellose Betroffene gesundheitsbedingt außerstande ist, im Ausland für seinen Lebensunterhalt aufzukommen oder die ernsthafte Gefahr des Abgleitens in das Milieu der Nichtsesshaftigkeit besteht (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 24 Rn 19). Dem Vortrag des ASt, dass er sich in einer existenziellen Notlage befinde und alsbald obdachlos werde, ist nicht weiter nachzugehen. Denn allein das Vorliegen einer außergewöhnlichen Notlage löst noch keine Leistungspflicht des Ag aus. Weitere Voraussetzung ist die Unmöglichkeit der Rückkehr ins Inland, die vorliegend nicht nachgewiesen ist.

Nicht nachgewiesen hat der ASt, dass eine Rückkehr in das Inland aus den in § 24 Abs 1 Satz 2 Nr 1 bis 3 SGB XII abschließend genannten Gründen nicht möglich ist. In Frage steht allein ein Rückkehrhindernis aufgrund Schwere der Pflegebedürftigkeit (Nr 2 Alt 2). Bei der Auslegung des Begriffes der Pflegebedürftigkeit ist zu berücksichtigen, dass die Rückkehrhindernisse des § 24 Abs 1 Satz 2 SGB XII sämtlich als objektive Hinderungsgründe zu verstehen sind, die einer Rückkehr nach Deutschland entgegenstehen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Satzes 2 und der Formulierung "nicht möglich" anstatt "nicht zumutbar". Auch in den Gesetzesmaterialien wird eine objektive Hinderung an der Rückkehr aus dem Ausland vorausgesetzt (BT-Drucks 15/1761 S 6). Hieraus folgt, dass allein eine Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit des Betroffenen einen Hinderungsgrund nicht begründen kann. Es müssen tatsächliche Umstände hinzukommen, die eine Rückkehr objektiv unmöglich machen. Dies ist der Fall, wenn ein Elternteil wegen eines zu erziehenden Kindes, das aus rechtlichen Gründen im Ausland bleiben muss, faktisch nicht zurückkehren kann (Satz 2 Nr 1). Auch bei längerfristiger stationärer Betreuung (Satz 2 Nr 1 Alt 1) und bei hoheitlicher Gewalt (z.B. Inhaftierung, Satz 2 Nr 3) liegen tatsächliche Umstände vor, die eine Rückkehr unmöglich machen. Bei der Pflegebedürftigkeit im Sinne des Satz 2 Nr 2 Alt 2 sind es Art und Umfang der Pflege, die Schwere der Pflegebedürftigkeit, die einer Rückkehr nach Deutschland objektiv entgegenstehen können. Insoweit ist nicht auf die im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) festgelegten Pflegestufen abzustellen, sondern darauf, ob der Aufwand der erforderlichen Pflege eine Rückkehr nicht zulässt (vgl. KSW/Coseriu § 24 SGB XII Rn 4).

Dies ist beim ASt nicht der Fall, da vorliegend nicht von einer aufwändigen Pflege auszugehen ist. Zwar hat der ASt vorgebracht, er sei auf die ständige Betreuung seiner Lebensgefährtin und auf die Nutzung einer Gehhilfe angewiesen. Allerdings hat die Ärztin Dr. P. nach Untersuchung des ASt lediglich festgestellt, dass der ASt derzeit aufgrund einer Lungenbeeinträchtigung nicht flugtauglich ist und ab und zu eine Hilfestellung beim Laufen benötigt (Bericht vom 25.09.2008/14.10.2008). Hieraus lässt sich nicht entnehmen, dass der ASt wegen Krankheit oder Behinderung in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf. Von einer Schwere der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 24 Abs 1 Satz 2 Alt 2 SGB XII kann demnach keine Rede sein.

Im Übrigen kommt es nicht mehr darauf an, ob der ASt einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es bestehen allerdings Zweifel an der Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung. Das SG hat insoweit darauf hingewiesen, dass sich seit der Antragstellung im Jahre 2007 eine wesentliche Veränderung der Situation der ASt nicht ergeben hat, und hat es daher als zumutbar angesehen, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved