Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 408/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 419/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Das Rechtsschutzbegehren der vollständigen Untersagung von Vollstreckungsmaßnahmen aus einem bestandskräftigem Bescheid bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag nach § 44 SGB X lässt sich allein im Rahmen einer Sicherungsanordnung i.S.d. § 86b Abs 2 S.1 SGG erreichen. Für eine Regelungsanordnung bleibt kein Raum, da kein streitiges Rechtsverhältnis geregelt werden soll, sondern ausschließlich die Sicherung des status quo angestrebt wird.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 15.06.2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Möglichkeit der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch die Antragsgegnerin (Ag) gegen die Antragstellerin (ASt).
Die 1973 geborene Antragstellerin (ASt) bezog von der Ag ab dem 01.01.2005 laufend Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II -
Nachdem die Ag von einem Konto der ASt bei der I. erfahren hatte, forderte sie diese mit Schreiben vom 24.10.2006, 16.11.2006 und 15.01.2007 auf, die Jahreskontoauszüge für die Jahre 2004 und 2005 bzw. eine Befreiung des Bankgeheimnisses zu übersenden. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
Nach einer Anhörung mit Schreiben vom 22.02.2007 nahm die Ag mit Bescheid vom 16.08.2007 die Bewilligung von SGB II Leistungen ab dem 01.01.2005 ganz zurück. Es sei davon auszugehen, dass die ASt über nicht geschütztes Vermögen verfüge und sie daher nicht leistungsberechtigt sei. Für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2006 sei Alg II in Höhe von 15.731,38 EUR zu Unrecht gezahlt worden, dieser Betrag sei nach § 50 SGB X zu erstatten.
Am 28.04.2009 beantragte die ASt die Überprüfung des bestandskräftigen Rückforderungsbescheides vom 16.08.2007 nach § 44 SGB X. Die ASt habe zwar ursprünglich über ein Tagesgeldkonto bei der I. verfügt. Bereits im Jahre 2004 habe sie aber alle Schritte eingeleitet, um dieses Konto auf Herrn M. K. zu übertragen. Im Bewilligungszeitraum habe die ASt über kein Guthaben auf einem Tagesgeldkonto bei der I. verfügt. Mit dem Antrag nach § 44 SGB X beantragte sie weiter, Vollstreckungsmaßnahmen bis zur Entscheidung über den Überprüfungsantrag zurückzustellen.
Am 12.05.2009 erließ das Hauptzollamt R. - Vollstreckungsstelle - eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung über das Konto der ASt bei der Sparkasse D ...
Am 28.05.2009 hat die ASt im Wege einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Würzburg (SG) beantragt, der Ag bis zur Entscheidung über den Überprüfungsantrag vom 28.04.2009 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus dem Bescheid vom 29.08.2007 zu untersagen und die Ag zu verpflichten, bereits in die Wege geleitete Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben. Zur Begründung sind im Wesentlichen die selben Argumente wie im Überprüfungsverfahren vorgebracht worden. Beigefügt war u.a. eine "eidesstattliche Versicherung" der ASt vom 28.05.2009, sowie eine Drittschuldnererklärung der Sparkasse D. vom 13.05.2009, wonach diese die Pfändung der künftigen Forderungen vorgemerkt habe; die von der Pfändung betroffenen Konten hätten zum Zeitpunkt des Pfändungseingangs lediglich ein Guthaben von 0,53 EUR ausgewiesen. Mit Schriftsatz vom 04.06.2009 hat die Ag mitgeteilt, dass im Hinblick auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Vollstreckung der Forderung ausgesetzt werde.
Mit Beschluss vom 15.06.2009 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, es fehle am Rechtsschutzinteresse für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Es bestünde eine außerprozessuale Möglichkeit, das Recht der ASt durchzusetzen. Ihr stehe, indem sie Widerspruch gegen die Pfändungsverfügung einlege, ein einfacherer Weg zur Verfügung, Rechtsschutz zu suchen. Bei der Pfändungsverfügung handle es sich nach dem Regelungsgehalt um einen Verwaltungsakt, somit habe ein dagegen eingelegter Widerspruch nach § 86a Abs 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung.
Hiergegen hat die ASt am 29.06.2009 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass jedenfalls vor Erlass der Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zulässig gewesen sei. Auch nach der Freigabe des Kontos durch die Ag habe es diese in der Hand, wieder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu erlassen. Ein von der ASt gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung eingelegter Widerspruch wäre von der Ag ohne weiteres wieder zurückgewiesen worden, da sich diese auf den bestandskräftigen Bescheid vom 16.08.2007 hätte berufen können. Im Rahmen der einstweiligen Anordnung könnten der Ag sämtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen untersagt werden, damit wäre allein ein Widerspruch gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung kein gleich effektives Mittel.
Mit Bescheid vom 04.08.2009 hat die Ag den Antrag der ASt nach § 44 SGB X zurückgewiesen. Da beim Erlass des Bescheides vom 16.08.2007 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei, habe es bei dieser Entscheidung zu verbleiben. Hiergegen hat die ASt am 10.08.2009 Widerspruch eingelegt, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Mit Schreiben vom 15.09.2009 hat die Ag mitgeteilt, dass die Vollziehung der Vollstreckung aus dem Bescheid vom 16.08.2007 weiterhin bis zur Beendigung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt werde.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Ag sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Das Rechtsmittel erweist sich aber als unbegründet.
Die ASt begehrt die Untersagung von Vollstreckungsmaßnahmen aus einem bestandskräftigen Bescheid vom 16.08.2007 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Überprüfungsantrag vom 28.04.2009.
Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz - zumindest in Ergebnis - zu Recht abgelehnt.
Der Statthaftigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens steht vorliegend nicht entgegen, dass die Ag die Zwangsvollstreckung durch das Hauptzollamt durchführen lässt, denn die Ag bleibt auch dann als die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, verantwortliche Vollstreckungsbehörde (§ 249 Abs 1 Satz 3 i.V.m. § 328 Abs 1 Satz 3 der Abgabenordnung - AO -). Ob und inwieweit auch Vollstreckungsschutz durch die Finanzbehörden (§ 249 AO) zu erreichen wäre, kann dahinstehen, denn vorläufiger Rechtsschutz kann daneben auch durch die Sozialgerichte in Anspruch genommen werden, wenn aus Gründen des materiellen Rechts der Vollstreckungstitel beseitigt werden soll (vgl. LSG Berlin, Beschluss vom 22. März 1996, Az: L 9 Kr SE 23/96).
Es kann hier offen bleiben, ob dem Begehren der ASt bereits das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen war, weil ihr eine einfachere Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes zur Verfügung gestanden hatte; auch nach Erhebung eines Widerspruches (in Bezug auf die Einziehung- und Pfändungsverfügung), ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die Ag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs verkennt und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach der AO durch die Zollbehörden vornehmen lässt, so dass ein Feststellungsbedürfnis nicht ohne weiteres auszuschließen ist. Hierfür sind jedoch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, und im Ergebnis bedarf dies keiner Entscheidung, denn spätestens im Hinblick auf die Erklärung der Ag vom 04.06.2009 (bereits im Antragsverfahren vor dem SG) hatte sich ein Feststellungsinteresse in Bezug auf die konkrete Einziehungsmaßnahme (vom 13.05.2009) erledigt.
Zutreffenderweise bemängelt die Klägerin jedoch, dass sich das SG nicht mit ihrem weitergehenden Anliegen beschäftigt hat, denn die ASt hat sich nicht nur gegen die konkrete Einziehungsmaßnahme gewandt, sondern sie wollte auch bis zum Abschluss des Überprüfungsverfahrens von allen Vollstreckungsmaßnahmen verschont bleiben.
Dieses Rechtsschutzziel lässt sich allein im Rahmen einer Sicherungsanordnung iSd § 86b Abs 2 Satz 1 SGG erreichen, denn es soll kein streitiges Rechtsverhältnis geregelt werden (so jedoch im Ergebnis LSG Niedersachsen- Bremen, Beschluss vom 28.01.2008 - L 11 AL 165/07 ER), sondern es wird ausschließlich die Sicherung des status quo angestrebt. Es geht daher in der Sache um einen reinen Abwehranspruch gegen Eingriffe in das Einkommen und Vermögen der ASt.
Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht - soweit kein Fall nach § 86b Abs 1 SGG vorliegt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der ASt vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998, BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997, BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002, NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. RdNr. 652)
Voraussetzung dafür ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützt - und eines Anordnungsgrundes - die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, wenn ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist-. Die Angaben hierzu hat die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9.Aufl, § 86b Rdnr. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Die Voraussetzungen einer Sicherungsanordnung liegen aber nicht vor. Es ist weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben.
Das Fehlen eines Anordnungsgrundes ergibt sich noch nicht aus der Bestandskraft des Bescheides vom 16.08.2007. Zwar schließt eine bestandskräftige Entscheidung des Grundsicherungsträgers aufgrund der Bindungswirkung des § 77 SGG im Ergebnis ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus (vgl. Beschluss des BayLSG vom 02.03.2009, Az: L 11 B 983/08). Vorliegend hat die ASt aber zumindest ein Verfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - eingeleitet, über welches noch nicht abschließend entschieden ist.
Der ASt ist aber ein Abwarten der Hauptsache zuzumuten. Das Begehren der ASt ist auf die Unterlassung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen gerichtet, damit lediglich auf die Wahrung von Vermögensinteressen. Damit wird aber kein Recht der ASt unzumutbar beeinträchtigt. Eventuelle Einkommens- oder Vermögenseinbußen durch eine später eventuell festzustellende Rechtswidrigkeit einer Zwangsvollstreckung können von der Ag auch nach deren Durchführung später wieder ausgeglichen werden. Unzumutbare Beeinträchtigungen, die einen Anordnungsgrund rechtfertigen würden, sind darin nicht zu erkennen. Die ASt ist vielmehr durch die Pfändungsfreigrenzen der Zivilprozessordnung - ZPO - hinreichend geschützt. Unter Berücksichtigung der von der ASt in ihrer "eidesstattlichen Versicherung" vorgebrachten Einkommens- und Vermögensverhältnissen ergibt sich bei der ASt auch kein pfändbarer Betrag. Ein Anordnungsgrund wegen des bei der Sparkasse D. befindlichen Vermögens der ASt über 0,53 EUR scheidet offensichtlich aus.
Darüber hinaus ist aber auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Anhaltspunkte für ein Obsiegen der ASt in einem möglichen Hauptsacheverfahren sind nicht zu erkennen.
Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Bescheides liegt aber die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Bescheides wegen fehlerhafter Sachverhaltsermittlung ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (vgl. Schütze in Von Wulffen, SGB X 6. Aufl. 2008, § 44 Rdnr. 12). Vorliegend hat die ASt für die von ihr vorgetragene Behauptung der Vermögenslosigkeit während des Bezugs von ALG II - Leistungen und der Übertragung des Kontos bei der I. an M. K. keinerlei Nachweise vorgelegt. Der ASt wäre es ohne Weiteres möglich, den von ihr vorgebrachten Sachverhalt durch geeignete Unterlagen (Jahreskontoauszüge, Übertragungsvereinbarungen u.ä.) zu belegen, bzw. zumindest der Beiziehung von Unterlagen bei der I. durch die Ag zuzustimmen. Dies hat die ASt - anwaltschaftlich vertreten - bis jetzt wissentlich und willentlich unterlassen. Allein die von der ASt vorgelegte "eidesstattliche Versicherung" genügt in keinem Fall der notwendigen und der ASt möglichen Beweisführungspflicht. Erfolgsaussichten für ein positives Überprüfungsverfahren und damit ein Anordnungsanspruch sind damit nicht zu erkennen.
Darüber hinaus ergibt sich auf der Grundlage der AO kein Anhaltspunkt der Ag Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich zu untersagen, denn die dort genannten Möglichkeiten die Zwangsvollstreckung einzustellen (§ 257 AO), beziehen sich ausschließlich auf die jeweils konkrete, im Streit stehende Einziehungsmaßnahme im Vollstreckungsverfahren. Derartige konkrete Einziehungsmaßnahmen werden - nach der unwidersprochenen Erklärung der Ag - aktuell jedoch nicht durchgeführt.
Die Beschwerde war damit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Möglichkeit der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch die Antragsgegnerin (Ag) gegen die Antragstellerin (ASt).
Die 1973 geborene Antragstellerin (ASt) bezog von der Ag ab dem 01.01.2005 laufend Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II -
Nachdem die Ag von einem Konto der ASt bei der I. erfahren hatte, forderte sie diese mit Schreiben vom 24.10.2006, 16.11.2006 und 15.01.2007 auf, die Jahreskontoauszüge für die Jahre 2004 und 2005 bzw. eine Befreiung des Bankgeheimnisses zu übersenden. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
Nach einer Anhörung mit Schreiben vom 22.02.2007 nahm die Ag mit Bescheid vom 16.08.2007 die Bewilligung von SGB II Leistungen ab dem 01.01.2005 ganz zurück. Es sei davon auszugehen, dass die ASt über nicht geschütztes Vermögen verfüge und sie daher nicht leistungsberechtigt sei. Für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2006 sei Alg II in Höhe von 15.731,38 EUR zu Unrecht gezahlt worden, dieser Betrag sei nach § 50 SGB X zu erstatten.
Am 28.04.2009 beantragte die ASt die Überprüfung des bestandskräftigen Rückforderungsbescheides vom 16.08.2007 nach § 44 SGB X. Die ASt habe zwar ursprünglich über ein Tagesgeldkonto bei der I. verfügt. Bereits im Jahre 2004 habe sie aber alle Schritte eingeleitet, um dieses Konto auf Herrn M. K. zu übertragen. Im Bewilligungszeitraum habe die ASt über kein Guthaben auf einem Tagesgeldkonto bei der I. verfügt. Mit dem Antrag nach § 44 SGB X beantragte sie weiter, Vollstreckungsmaßnahmen bis zur Entscheidung über den Überprüfungsantrag zurückzustellen.
Am 12.05.2009 erließ das Hauptzollamt R. - Vollstreckungsstelle - eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung über das Konto der ASt bei der Sparkasse D ...
Am 28.05.2009 hat die ASt im Wege einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Würzburg (SG) beantragt, der Ag bis zur Entscheidung über den Überprüfungsantrag vom 28.04.2009 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus dem Bescheid vom 29.08.2007 zu untersagen und die Ag zu verpflichten, bereits in die Wege geleitete Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben. Zur Begründung sind im Wesentlichen die selben Argumente wie im Überprüfungsverfahren vorgebracht worden. Beigefügt war u.a. eine "eidesstattliche Versicherung" der ASt vom 28.05.2009, sowie eine Drittschuldnererklärung der Sparkasse D. vom 13.05.2009, wonach diese die Pfändung der künftigen Forderungen vorgemerkt habe; die von der Pfändung betroffenen Konten hätten zum Zeitpunkt des Pfändungseingangs lediglich ein Guthaben von 0,53 EUR ausgewiesen. Mit Schriftsatz vom 04.06.2009 hat die Ag mitgeteilt, dass im Hinblick auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Vollstreckung der Forderung ausgesetzt werde.
Mit Beschluss vom 15.06.2009 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, es fehle am Rechtsschutzinteresse für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Es bestünde eine außerprozessuale Möglichkeit, das Recht der ASt durchzusetzen. Ihr stehe, indem sie Widerspruch gegen die Pfändungsverfügung einlege, ein einfacherer Weg zur Verfügung, Rechtsschutz zu suchen. Bei der Pfändungsverfügung handle es sich nach dem Regelungsgehalt um einen Verwaltungsakt, somit habe ein dagegen eingelegter Widerspruch nach § 86a Abs 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung.
Hiergegen hat die ASt am 29.06.2009 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass jedenfalls vor Erlass der Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zulässig gewesen sei. Auch nach der Freigabe des Kontos durch die Ag habe es diese in der Hand, wieder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu erlassen. Ein von der ASt gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung eingelegter Widerspruch wäre von der Ag ohne weiteres wieder zurückgewiesen worden, da sich diese auf den bestandskräftigen Bescheid vom 16.08.2007 hätte berufen können. Im Rahmen der einstweiligen Anordnung könnten der Ag sämtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen untersagt werden, damit wäre allein ein Widerspruch gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung kein gleich effektives Mittel.
Mit Bescheid vom 04.08.2009 hat die Ag den Antrag der ASt nach § 44 SGB X zurückgewiesen. Da beim Erlass des Bescheides vom 16.08.2007 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei, habe es bei dieser Entscheidung zu verbleiben. Hiergegen hat die ASt am 10.08.2009 Widerspruch eingelegt, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Mit Schreiben vom 15.09.2009 hat die Ag mitgeteilt, dass die Vollziehung der Vollstreckung aus dem Bescheid vom 16.08.2007 weiterhin bis zur Beendigung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt werde.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Ag sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Das Rechtsmittel erweist sich aber als unbegründet.
Die ASt begehrt die Untersagung von Vollstreckungsmaßnahmen aus einem bestandskräftigen Bescheid vom 16.08.2007 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Überprüfungsantrag vom 28.04.2009.
Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz - zumindest in Ergebnis - zu Recht abgelehnt.
Der Statthaftigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens steht vorliegend nicht entgegen, dass die Ag die Zwangsvollstreckung durch das Hauptzollamt durchführen lässt, denn die Ag bleibt auch dann als die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, verantwortliche Vollstreckungsbehörde (§ 249 Abs 1 Satz 3 i.V.m. § 328 Abs 1 Satz 3 der Abgabenordnung - AO -). Ob und inwieweit auch Vollstreckungsschutz durch die Finanzbehörden (§ 249 AO) zu erreichen wäre, kann dahinstehen, denn vorläufiger Rechtsschutz kann daneben auch durch die Sozialgerichte in Anspruch genommen werden, wenn aus Gründen des materiellen Rechts der Vollstreckungstitel beseitigt werden soll (vgl. LSG Berlin, Beschluss vom 22. März 1996, Az: L 9 Kr SE 23/96).
Es kann hier offen bleiben, ob dem Begehren der ASt bereits das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen war, weil ihr eine einfachere Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes zur Verfügung gestanden hatte; auch nach Erhebung eines Widerspruches (in Bezug auf die Einziehung- und Pfändungsverfügung), ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die Ag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs verkennt und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach der AO durch die Zollbehörden vornehmen lässt, so dass ein Feststellungsbedürfnis nicht ohne weiteres auszuschließen ist. Hierfür sind jedoch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, und im Ergebnis bedarf dies keiner Entscheidung, denn spätestens im Hinblick auf die Erklärung der Ag vom 04.06.2009 (bereits im Antragsverfahren vor dem SG) hatte sich ein Feststellungsinteresse in Bezug auf die konkrete Einziehungsmaßnahme (vom 13.05.2009) erledigt.
Zutreffenderweise bemängelt die Klägerin jedoch, dass sich das SG nicht mit ihrem weitergehenden Anliegen beschäftigt hat, denn die ASt hat sich nicht nur gegen die konkrete Einziehungsmaßnahme gewandt, sondern sie wollte auch bis zum Abschluss des Überprüfungsverfahrens von allen Vollstreckungsmaßnahmen verschont bleiben.
Dieses Rechtsschutzziel lässt sich allein im Rahmen einer Sicherungsanordnung iSd § 86b Abs 2 Satz 1 SGG erreichen, denn es soll kein streitiges Rechtsverhältnis geregelt werden (so jedoch im Ergebnis LSG Niedersachsen- Bremen, Beschluss vom 28.01.2008 - L 11 AL 165/07 ER), sondern es wird ausschließlich die Sicherung des status quo angestrebt. Es geht daher in der Sache um einen reinen Abwehranspruch gegen Eingriffe in das Einkommen und Vermögen der ASt.
Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht - soweit kein Fall nach § 86b Abs 1 SGG vorliegt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der ASt vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998, BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997, BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002, NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. RdNr. 652)
Voraussetzung dafür ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützt - und eines Anordnungsgrundes - die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, wenn ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist-. Die Angaben hierzu hat die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9.Aufl, § 86b Rdnr. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Die Voraussetzungen einer Sicherungsanordnung liegen aber nicht vor. Es ist weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben.
Das Fehlen eines Anordnungsgrundes ergibt sich noch nicht aus der Bestandskraft des Bescheides vom 16.08.2007. Zwar schließt eine bestandskräftige Entscheidung des Grundsicherungsträgers aufgrund der Bindungswirkung des § 77 SGG im Ergebnis ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus (vgl. Beschluss des BayLSG vom 02.03.2009, Az: L 11 B 983/08). Vorliegend hat die ASt aber zumindest ein Verfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - eingeleitet, über welches noch nicht abschließend entschieden ist.
Der ASt ist aber ein Abwarten der Hauptsache zuzumuten. Das Begehren der ASt ist auf die Unterlassung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen gerichtet, damit lediglich auf die Wahrung von Vermögensinteressen. Damit wird aber kein Recht der ASt unzumutbar beeinträchtigt. Eventuelle Einkommens- oder Vermögenseinbußen durch eine später eventuell festzustellende Rechtswidrigkeit einer Zwangsvollstreckung können von der Ag auch nach deren Durchführung später wieder ausgeglichen werden. Unzumutbare Beeinträchtigungen, die einen Anordnungsgrund rechtfertigen würden, sind darin nicht zu erkennen. Die ASt ist vielmehr durch die Pfändungsfreigrenzen der Zivilprozessordnung - ZPO - hinreichend geschützt. Unter Berücksichtigung der von der ASt in ihrer "eidesstattlichen Versicherung" vorgebrachten Einkommens- und Vermögensverhältnissen ergibt sich bei der ASt auch kein pfändbarer Betrag. Ein Anordnungsgrund wegen des bei der Sparkasse D. befindlichen Vermögens der ASt über 0,53 EUR scheidet offensichtlich aus.
Darüber hinaus ist aber auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Anhaltspunkte für ein Obsiegen der ASt in einem möglichen Hauptsacheverfahren sind nicht zu erkennen.
Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Bescheides liegt aber die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Bescheides wegen fehlerhafter Sachverhaltsermittlung ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (vgl. Schütze in Von Wulffen, SGB X 6. Aufl. 2008, § 44 Rdnr. 12). Vorliegend hat die ASt für die von ihr vorgetragene Behauptung der Vermögenslosigkeit während des Bezugs von ALG II - Leistungen und der Übertragung des Kontos bei der I. an M. K. keinerlei Nachweise vorgelegt. Der ASt wäre es ohne Weiteres möglich, den von ihr vorgebrachten Sachverhalt durch geeignete Unterlagen (Jahreskontoauszüge, Übertragungsvereinbarungen u.ä.) zu belegen, bzw. zumindest der Beiziehung von Unterlagen bei der I. durch die Ag zuzustimmen. Dies hat die ASt - anwaltschaftlich vertreten - bis jetzt wissentlich und willentlich unterlassen. Allein die von der ASt vorgelegte "eidesstattliche Versicherung" genügt in keinem Fall der notwendigen und der ASt möglichen Beweisführungspflicht. Erfolgsaussichten für ein positives Überprüfungsverfahren und damit ein Anordnungsanspruch sind damit nicht zu erkennen.
Darüber hinaus ergibt sich auf der Grundlage der AO kein Anhaltspunkt der Ag Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich zu untersagen, denn die dort genannten Möglichkeiten die Zwangsvollstreckung einzustellen (§ 257 AO), beziehen sich ausschließlich auf die jeweils konkrete, im Streit stehende Einziehungsmaßnahme im Vollstreckungsverfahren. Derartige konkrete Einziehungsmaßnahmen werden - nach der unwidersprochenen Erklärung der Ag - aktuell jedoch nicht durchgeführt.
Die Beschwerde war damit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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