Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 36 AL 1196/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 85/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 175/09 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist ein Arbeitsloser durch ein ihm ausghändigtes Merkblatt auf Mitteilungspflichten hingewiesen worden, und hat er diese Mitteilungspflicht nicht eingehalten, begründet die Nichtbeachtung im allgemeinen zumindest grobe Fahrlässigkeit.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 30. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Dem Kläger werden Mutwillenskosten in Höhe von 1.000,00 Euro auferlegt.
Tatbestand:
Streitig sind die Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes vom 29. Oktober 1995 die bis 29. Februar 1996 und die Rückforderung der Leistung einschließlich Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt (11.606,96 DM = 5.051,46 Euro).
Der 1947 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 10. Mai 1995 Wiederbewilligung des Arbeitslosengeldes nach Beendigung einer Tätigkeit als Lagerleiter von Februar 1991 bis Juni 1994 und einer weiteren Tätigkeit bei der Firma D. von Februar 1995 bis Mai 1995. Im Antragsformular wurde der Kläger u.a. nach der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit oder Nebenbeschäftigung gefragt und ferner darauf hingewiesen, dass er alle Veränderung anzuzeigen habe, die gegenüber den in diesem Antrag angegebenen Verhältnissen eintreten. Zusätzlich bestätigte er unterschriftlich, dass er das Merkblatt für Arbeitslose ("Ihre Rechte-Ihre Pflichten"), in dem auf die Mitteilungspflichten im Einzelnen hingewiesen ist, erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen hatte. Ab 10. Mai 1995 bezog er Arbeitslosengeld. Am 1. März 1996 meldete er sich aus dem Leistungsbezug ab und erhielt mit Bescheid vom 5. März 1996 von der Beklagten Überbrückungsgeld.
Anlässlich einer Außenprüfung der Beklagten bei der Firma V. Elektrowerke Stiftung und Co. KG in W. im November 1997 ergab sich, dass der Kläger dort seit 9. Oktober 1995 als Handelsvertreter geführt wurde. Mit Schreiben vom 27. November 1997 hörte die Beklagte ihn zur beabsichtigten Rückforderung des Arbeitslosengeldes vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 in Höhe von 15.148,28 DM an, da er in diesem Zeitraum als Vertreter für die Firma V. in Vollzeit selbständig tätig gewesen sei.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers antwortete mit Schreiben vom 19. Dezember 1997, der Kläger habe in der Zeit vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 keine nennenswerten Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt; die Reisegewerbekarte sei erst am 27. Dezember 1995 ausgestellt worden. Im weiteren Schreiben vom 6. April 1998 gab der Klägerbevollmächtigte an, die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers habe vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 21 Stunden betragen; in der restlichen Arbeitszeit sei der Kläger eingeschult worden. Vorgelegt wurden ferner Unterlagen des Steuerbevollmächtigten zur Gewinnermittlung im Jahr 1996 sowie die Provisionsabrechnung des Klägers einschließlich der Einnahmen-Überschussrechnung für das Kalenderjahr 1995.
Die Beklagte berechnete im Aktenvermerk vom 23. April 1998 die Höhe der Rückforderung des Arbeitslosengeldes und der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 mit 11.728,61 DM
Mit Bescheid vom 23. April 1998 hob sie die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab 9. Oktober 1995 ganz auf und forderte die Rückzahlung der Leistung einschließlich der genannten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 11.728,61 DM. Der Kläger sei ab diesem Tag als selbständiger Handelsvertreter bei der Firma V. mehr als kurzzeitig tätig gewesen.
Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei nicht bereits seit 9. Oktober 1995 als selbständiger Handelsvertreter beschäftigt gewesen, er habe diese Tätigkeit erst zum 1. Januar 1996 aufgenommen. Ab dem 9. Oktober 1995 habe lediglich die vorbereitende Schulung stattgefunden. Am 7. Juli 1998 nahm die Beklagte mit einem Bescheid auch die Bewilligung von Überbrückungsgeld zurück. Im November 1998 stellte sie gegen den Kläger Strafanzeige wegen Verdachts des Betruges in zwei Fällen.
Sie half mit dem Widerspruchsbescheid vom 26. November 1998 dem Widerspruch insoweit ab, als sie die Rückforderung der Beiträge auf 2.922,96 DM verringerte; im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Der Kläger sei vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 nach Angaben seines Verfahrensbevollmächtigten 21 Stunden wöchentlich, also mehr als kurzzeitig, als Handelsvertreter tätig gewesen. Damit entfalle auch die Verfügbarkeit. Auf die Einkommenshöhe komme es nicht an.
Der Kläger hat hiergegen am 28. Dezember 1998 beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben (S 36 AL 2037/98). Das SG hat das Verfahren mit Beschluss vom 14. April 1999 bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht A-Stadt hat am 30. Juli 1999 gegen den Kläger Anklage wegen Betrugs in zwei Fällen erhoben. In der Hauptverhandlung am 26. Oktober 1999 hat der Kläger u.a. erklärt, er sei bei der praktischen Ausbildung drei bis fünf Stunden täglich (mit dem Gruppenleiter) mitgegangen, die Schulung habe halbtäglich stattgefunden von 9:00 Uhr bis 13:00 Uhr. Theorie sei zweimal wöchentlich gewesen. Der als Zeuge gehörte Handelsvertreter der Firma V. R. hat Angaben zur Ausbildung der Handelsvertreter und zu den Einkünften des Klägers gemacht. Der Kläger habe für vier Wochen wöchentlich 500,00 DM erhalten, für die Zeit von Oktober 1995 bis Jahresende unter Berücksichtigung dieser Zahlung insgesamt 8.144,41 DM. Über den zeitlichen Umfang der Tätigkeit des Klägers konnte er keine Angaben machen.
In der weiteren Verhandlung vor dem Amtsgericht A-Stadt (Strafgericht) am 21. März 2000 hat der Kläger erklärt, einmal wöchentlich habe er Unterricht erhalten, ansonsten sei er mit einem Handelsvertreter (Gruppenleiter) bei den Kundenbesuchen mitgegangen und zwar zwei Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags. Die Schulung sei durchgehend gewesen. In dieser Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte erklärt, der Kläger habe an vier Tagen halbtags vier Stunden gearbeitet.
Das Amtsgericht A-Stadt hat am 21. März 2000 das Strafverfahren vorläufig gegen Zahlung einer Geldbuße von 2.400,00 DM eingestellt.
Das SG hat das Verfahren am 24. Juli 2001 wieder aufgenommen (S 36 AL 1196/01). In der Klagebegründung vom 27. November 2001 hat der Klägerbevollmächtigte erklärt, es treffe nicht zu, dass der Kläger über 21 Stunden wöchentlich gearbeitet habe. Er habe tatsächlich lediglich für einen Zeitraum von 16 bis 17 Stunden gearbeitet. Der Rest der Zeit sei für Schulungen verwandt worden. Der Kläger habe keine nennenswerten Einkünfte erzielt.
Mit Schreiben vom 3. Juni 2004 hat der Klägerbevollmächtigte angegeben, die wöchentliche Arbeitszeit habe weniger als 18 Stunden (einschließlich Schulung) betragen; dies ergebe sich aus einer Erklärung des Gruppenleiters der Firma V. (B.). Das SG hat im Erörterungstermin vom 26. Oktober 2004 den Gruppenleiter B. als Zeugen gehört. In den ersten beiden Wochen sei der Kläger dreimal die Woche für ca. drei bis vier Stunden zur Einarbeitung tätig gewesen, hinzugekommen sei einmal wöchentlich eine Schulung von ca. vier Stunden. Über die weitere Tätigkeit des Klägers nach Beendigung der Einarbeitung ist dem Zeugen nichts bekannt gewesen.
Mit Urteil vom 20. Dezember 2004 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom
23. April 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. November 1998 dahingehend abgeändert, dass der Kläger das in der Zeit vom 9. Oktober 1995 bis 29. Oktober 1995 erhaltene Arbeitslosengeld einschließlich der von der Beklagten entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht zu erstatten hat und es hat im Übrigen Klage abgewiesen. Der Kläger sei vom 30. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 nicht arbeitslos gewesen. Er habe bezüglich des Umfangs seiner Tätigkeit seine Mitteilungspflicht grobfahrlässig verletzt. Dies ergebe sich aus den Angaben seines Prozessbevollmächtigten und den Angaben des Klägers selbst vor dem Amtsgericht A-Stadt im Strafverfahren.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 24. März 2005, mit der er geltend macht, er sei vom 30. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 arbeitslos gewesen. Seine früheren widersprechenden Angaben seien unzutreffend, er habe nie mehr als 17 Stunden wöchentlich gearbeitet. Das SG hätte den Zeugen R. vernehmen müssen sowie ein weiteres Mal den Zeugen B ...
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.12.2004 abzuändern, soweit es die Rückerstattung des Arbeitslosengelds und der Sozialversicherungsbeiträge betrifft und den Bescheid vom 23.04.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.12.1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Streitig sei derzeit noch eine Rückforderung in Höhe von 5.051,46 Euro; im Anschluss an das Urteil des SG sei die Rückforderung um 882,95 Euro berichtigt worden.
Im Übrigen wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig.
Die Berufung ist unbegründet; das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden.
Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen; denn der Kläger ist in dem hier streitigen Zeitraum vom 29. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 nicht arbeitslos gewesen, so dass die Rückforderung des Arbeitslosengeldes einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 5.051,46 Euro zu Recht besteht.
Gemäß § 50 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes im streitigen Zeitraum bestimmt sich nach § 48 SGB X. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit u.a. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 SGB X). Gemäß § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch III (SGB III) ist der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei Vorliegen der im
§ 48 Abs. 1 S. 2 SGB X genannten Voraussetzungen mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. Dies bedeutet, dass in diesem Fall eine gebundene Entscheidung ergeht, d.h. die Beklagte ein Ermessen nicht auszuüben hat.
Die Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X liegen vor, weil durch die Tätigkeit des Klägers als Vertreter bei der Firma V. die Arbeitslosigkeit entfallen ist und der Kläger es grob fahrlässig unterlassen hat, diese Tätigkeit der Beklagten rechtzeitig mitzuteilen. Es ist insoweit eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Eine derartige Änderung in den Verhältnissen liegt vor, wenn sich der zu Grunde liegende Sachverhalt nach der Bewilligung des Arbeitslosengeldes geändert hat. Die Änderung ist auch wesentlich, da ab Beginn des streitigen Zeitraums eine Bewilligung des Arbeitslosengeldes unter den objektiv vorliegenden Verhältnissen von der Beklagten nicht hätte erlassen werden dürfen.
§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X ermöglicht die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderungen der Verhältnisse, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteiliger Änderung der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Im vorliegenden Fall hat der Kläger seine Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt. Denn in Bezug auf seine persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, sein Einsichtsvermögen sowie die besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist ihm bekannt gewesen, dass er eine Änderung der Verhältnisse nach Bewilligung des Arbeitslosengeldes der Beklagten anzeigen musste. Dadurch ist es zu einer Überzahlung der Leistung gekommen. Der Kläger hat seine Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße verletzt, weil er bei der Arbeitslosmeldung auf die Mitteilungspflicht hingewiesen worden ist, u.a. durch die Aushändigung des Merkblatts für Arbeitslose ("Ihre Rechte-Ihre Pflichten"), in dem auf die Mitteilungspflichten im Einzelnen hingewiesen ist. Der Kläger hat unterschriftlich bestätigt, dieses Merkblatt erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Er war auch aufgrund der früheren Tätigkeit als Leiter eines Lagers und seiner Ausbildung zum Handelsvertreter in der Lage, zu verstehen, dass bei der Bewilligung des Arbeitslosengeldes die Aufnahme einer Tätigkeit der Arbeitsverwaltung anzuzeigen ist. Er hat damit einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb dasjenige nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Hat die Arbeitsverwaltung z.B. in einem ausgelegten Merkblatt oder im Antragsformular deutlich und verständlich auf bestimmte Pflichten hingewiesen, kann dem Betroffenen Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorgeworfen werden (Schütze in von Wulffen, SGB X 6. Aufl., § 48, Rn. 23; Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 31, Rn. 31 ff., jeweils m.w.N. der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)).
Die Beklagte hat auch die Frist des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X eingehalten. Danach muss im Falle der Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Denn sie hat nach der Erklärung des Klägerbevollmächtigten über die Dauer der Arbeitszeit am 6. April 1998 bereits am 23. April 1998 den Aufhebungsbescheid erlassen.
Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil er eine mehr als kurzzeitige Tätigkeit ausgeübt hat, die dem Anspruch auf Arbeitslosengeld entgegenstand. Nach § 101 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der Fassung vom 24. Juli 1995, die vom 29. Juli 1995 bis 31. März 1997 in Kraft war, war arbeitslos im Sinne dieses Gesetzes ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübte. Der Arbeitnehmer war jedoch nicht arbeitslos, wenn er u.a. eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger oder Selbständiger ausübt, die die Grenze des § 102 AFG überschreitet. Kurzzeitig in diesem Sinne war nach § 102 AFG i.d.F. vom 20. Dezember 1988, die vom 1. Januar 1989 bis 31. März 1997 galt, eine Beschäftigung, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach oder im Voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt war. Gemäß § 102 Abs. 2 Nr. 1 AFG war die Beschäftigung nicht kurzzeitig, soweit die wöchentliche Arbeitszeit zusammen mit der für die Ausübung erforderlichen Vor- und Nacharbeit die Arbeitskraft des Beschäftigten in der Regel mindestens 18 Stunden wöchentlich in Anspruch nahm. Diese Zeitgrenze galt auch für Selbständige (§ 101 Abs. 1 Nr. 1 AFG).
Die Ausbildungstätigkeit des Klägers zum freien Handelsvertreter für die Firma V. sowie die Einarbeitung hierfür war nicht mehr kurzzeitig, weil sie ihn mindestens 18 Stunden wöchentlich in Anspruch nahm. Dies ergibt sich vor allem aus den Angaben des Klägers in den Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht A-Stadt (Strafgericht) und den mehrmaligen übereinstimmenden und ergänzenden Mitteilungen seines Prozessbevollmächtigten anschließend vor dem SG, so dass hier nichts für eine Fehlinformation des Klägerbevollmächtigten spricht. Denn der Kläger hat vor dem Amtsgericht A-Stadt am 26. Oktober 1999 und am 21. März 2000 sinngemäß ausgesagt, dass er bei der praktizierten Ausbildung täglich drei bis fünf Stunden mitgegangen ist und die Schulung halbtägig vor 9:00 Uhr bis 13:00 Uhr gedauert hat. In der Klagebegründung vom 27. November 2001 hat der Prozessbevollmächtigte zweimal (nach nochmaliger Rücksprache!) erklärt, dass der Kläger wöchentlich 16 bis 17 Stunden gearbeitet hat und der Rest der Zeit sei für Schulungen verwandt worden. Auf die ausführliche und zutreffende Beweiswürdigung des SG wird im Übrigen Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Aus den Angaben des Klägers haben die Beklagte und das SG zu Recht den Schluss gezogen, dass der Kläger mindestens 18 Stunden in der Ausbildung als Handelsvertreter bzw. in der Tätigkeit selbst gearbeitet hat. Zu Recht hat das SG auch darauf hingewiesen, dass die Einarbeitung und Schulung im Rahmen des § 102 AFG mitzählen sind, weil nach dieser Bestimmung die für die Ausübung erforderliche Vor- und Nacharbeit mitzuberücksichtigen ist.
Aus den Angaben des vom SG gehörten Zeugen B. ergibt sich für den hier streitigen Zeitraum nichts anderes, weil dieser Zeuge seine Aussage, der Kläger sei dreimal wöchentlich drei bis vier Stunden eingearbeitet und vier Stunden zusätzlich geschult worden, auf die hier nicht mehr streitige Anfangsphase der Ausbildung zum Handelsvertreter beschränkt hat. Eine nochmalige Anhörung des Zeugen ist nicht sachdienlich (§ 128 Abs. 1 SGG).
Einwendungen gegen die Höhe des Rückforderungsbetrags hat der Kläger nicht erhoben. Gemäß § 157 Abs. 3 a AFG ist er auch erstattungspflichtig für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat dem Kläger Verschuldenskosten in Form von Mutwillenskosten (§ 192
Abs. 1 Nr. 2 SGG) auferlegt, weil der Prozessbevollmächtigte nach Erörterung der Sach- und Rechtslage und trotz Hinweis auf die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung auf einer Entscheidung bestanden hat. Zu der Aussichtslosigkeit des Rechtsstreits ist zu berücksichtigen, dass der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter im Verwaltungsverfahren und in den Prozessen ihre Angaben über den zeitlichen Umfang der Tätigkeit als Vertreter abweichend vom Protokoll des Strafgerichts den rechtlichen Erläuterungen der Beklagten und des SG mehrmals nachträglich angepasst haben. Sie haben den von der Beklagten in der Anzeige mitgeteilten Sachverhalt von dem Strafgericht eingeräumt und ihn - nach einer Einstellung des Verfahrens - wieder bestritten, um eine Rückzahlung abzuwenden. Eine derartige Irreführung des Gerichts stellt eine missbräuchliche Rechtsverfolgung dar (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 192, Rn. 9, 9b). Spätestens mit dem Urteil des SG war dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten die Rechtslage hinreichend klar (Leitherer, a.a.O., Rn. 9a).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Dem Kläger werden Mutwillenskosten in Höhe von 1.000,00 Euro auferlegt.
Tatbestand:
Streitig sind die Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes vom 29. Oktober 1995 die bis 29. Februar 1996 und die Rückforderung der Leistung einschließlich Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt (11.606,96 DM = 5.051,46 Euro).
Der 1947 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 10. Mai 1995 Wiederbewilligung des Arbeitslosengeldes nach Beendigung einer Tätigkeit als Lagerleiter von Februar 1991 bis Juni 1994 und einer weiteren Tätigkeit bei der Firma D. von Februar 1995 bis Mai 1995. Im Antragsformular wurde der Kläger u.a. nach der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit oder Nebenbeschäftigung gefragt und ferner darauf hingewiesen, dass er alle Veränderung anzuzeigen habe, die gegenüber den in diesem Antrag angegebenen Verhältnissen eintreten. Zusätzlich bestätigte er unterschriftlich, dass er das Merkblatt für Arbeitslose ("Ihre Rechte-Ihre Pflichten"), in dem auf die Mitteilungspflichten im Einzelnen hingewiesen ist, erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen hatte. Ab 10. Mai 1995 bezog er Arbeitslosengeld. Am 1. März 1996 meldete er sich aus dem Leistungsbezug ab und erhielt mit Bescheid vom 5. März 1996 von der Beklagten Überbrückungsgeld.
Anlässlich einer Außenprüfung der Beklagten bei der Firma V. Elektrowerke Stiftung und Co. KG in W. im November 1997 ergab sich, dass der Kläger dort seit 9. Oktober 1995 als Handelsvertreter geführt wurde. Mit Schreiben vom 27. November 1997 hörte die Beklagte ihn zur beabsichtigten Rückforderung des Arbeitslosengeldes vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 in Höhe von 15.148,28 DM an, da er in diesem Zeitraum als Vertreter für die Firma V. in Vollzeit selbständig tätig gewesen sei.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers antwortete mit Schreiben vom 19. Dezember 1997, der Kläger habe in der Zeit vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 keine nennenswerten Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt; die Reisegewerbekarte sei erst am 27. Dezember 1995 ausgestellt worden. Im weiteren Schreiben vom 6. April 1998 gab der Klägerbevollmächtigte an, die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers habe vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 21 Stunden betragen; in der restlichen Arbeitszeit sei der Kläger eingeschult worden. Vorgelegt wurden ferner Unterlagen des Steuerbevollmächtigten zur Gewinnermittlung im Jahr 1996 sowie die Provisionsabrechnung des Klägers einschließlich der Einnahmen-Überschussrechnung für das Kalenderjahr 1995.
Die Beklagte berechnete im Aktenvermerk vom 23. April 1998 die Höhe der Rückforderung des Arbeitslosengeldes und der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 mit 11.728,61 DM
Mit Bescheid vom 23. April 1998 hob sie die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab 9. Oktober 1995 ganz auf und forderte die Rückzahlung der Leistung einschließlich der genannten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 11.728,61 DM. Der Kläger sei ab diesem Tag als selbständiger Handelsvertreter bei der Firma V. mehr als kurzzeitig tätig gewesen.
Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei nicht bereits seit 9. Oktober 1995 als selbständiger Handelsvertreter beschäftigt gewesen, er habe diese Tätigkeit erst zum 1. Januar 1996 aufgenommen. Ab dem 9. Oktober 1995 habe lediglich die vorbereitende Schulung stattgefunden. Am 7. Juli 1998 nahm die Beklagte mit einem Bescheid auch die Bewilligung von Überbrückungsgeld zurück. Im November 1998 stellte sie gegen den Kläger Strafanzeige wegen Verdachts des Betruges in zwei Fällen.
Sie half mit dem Widerspruchsbescheid vom 26. November 1998 dem Widerspruch insoweit ab, als sie die Rückforderung der Beiträge auf 2.922,96 DM verringerte; im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Der Kläger sei vom 9. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 nach Angaben seines Verfahrensbevollmächtigten 21 Stunden wöchentlich, also mehr als kurzzeitig, als Handelsvertreter tätig gewesen. Damit entfalle auch die Verfügbarkeit. Auf die Einkommenshöhe komme es nicht an.
Der Kläger hat hiergegen am 28. Dezember 1998 beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben (S 36 AL 2037/98). Das SG hat das Verfahren mit Beschluss vom 14. April 1999 bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht A-Stadt hat am 30. Juli 1999 gegen den Kläger Anklage wegen Betrugs in zwei Fällen erhoben. In der Hauptverhandlung am 26. Oktober 1999 hat der Kläger u.a. erklärt, er sei bei der praktischen Ausbildung drei bis fünf Stunden täglich (mit dem Gruppenleiter) mitgegangen, die Schulung habe halbtäglich stattgefunden von 9:00 Uhr bis 13:00 Uhr. Theorie sei zweimal wöchentlich gewesen. Der als Zeuge gehörte Handelsvertreter der Firma V. R. hat Angaben zur Ausbildung der Handelsvertreter und zu den Einkünften des Klägers gemacht. Der Kläger habe für vier Wochen wöchentlich 500,00 DM erhalten, für die Zeit von Oktober 1995 bis Jahresende unter Berücksichtigung dieser Zahlung insgesamt 8.144,41 DM. Über den zeitlichen Umfang der Tätigkeit des Klägers konnte er keine Angaben machen.
In der weiteren Verhandlung vor dem Amtsgericht A-Stadt (Strafgericht) am 21. März 2000 hat der Kläger erklärt, einmal wöchentlich habe er Unterricht erhalten, ansonsten sei er mit einem Handelsvertreter (Gruppenleiter) bei den Kundenbesuchen mitgegangen und zwar zwei Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags. Die Schulung sei durchgehend gewesen. In dieser Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte erklärt, der Kläger habe an vier Tagen halbtags vier Stunden gearbeitet.
Das Amtsgericht A-Stadt hat am 21. März 2000 das Strafverfahren vorläufig gegen Zahlung einer Geldbuße von 2.400,00 DM eingestellt.
Das SG hat das Verfahren am 24. Juli 2001 wieder aufgenommen (S 36 AL 1196/01). In der Klagebegründung vom 27. November 2001 hat der Klägerbevollmächtigte erklärt, es treffe nicht zu, dass der Kläger über 21 Stunden wöchentlich gearbeitet habe. Er habe tatsächlich lediglich für einen Zeitraum von 16 bis 17 Stunden gearbeitet. Der Rest der Zeit sei für Schulungen verwandt worden. Der Kläger habe keine nennenswerten Einkünfte erzielt.
Mit Schreiben vom 3. Juni 2004 hat der Klägerbevollmächtigte angegeben, die wöchentliche Arbeitszeit habe weniger als 18 Stunden (einschließlich Schulung) betragen; dies ergebe sich aus einer Erklärung des Gruppenleiters der Firma V. (B.). Das SG hat im Erörterungstermin vom 26. Oktober 2004 den Gruppenleiter B. als Zeugen gehört. In den ersten beiden Wochen sei der Kläger dreimal die Woche für ca. drei bis vier Stunden zur Einarbeitung tätig gewesen, hinzugekommen sei einmal wöchentlich eine Schulung von ca. vier Stunden. Über die weitere Tätigkeit des Klägers nach Beendigung der Einarbeitung ist dem Zeugen nichts bekannt gewesen.
Mit Urteil vom 20. Dezember 2004 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom
23. April 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. November 1998 dahingehend abgeändert, dass der Kläger das in der Zeit vom 9. Oktober 1995 bis 29. Oktober 1995 erhaltene Arbeitslosengeld einschließlich der von der Beklagten entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht zu erstatten hat und es hat im Übrigen Klage abgewiesen. Der Kläger sei vom 30. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 nicht arbeitslos gewesen. Er habe bezüglich des Umfangs seiner Tätigkeit seine Mitteilungspflicht grobfahrlässig verletzt. Dies ergebe sich aus den Angaben seines Prozessbevollmächtigten und den Angaben des Klägers selbst vor dem Amtsgericht A-Stadt im Strafverfahren.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 24. März 2005, mit der er geltend macht, er sei vom 30. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 arbeitslos gewesen. Seine früheren widersprechenden Angaben seien unzutreffend, er habe nie mehr als 17 Stunden wöchentlich gearbeitet. Das SG hätte den Zeugen R. vernehmen müssen sowie ein weiteres Mal den Zeugen B ...
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.12.2004 abzuändern, soweit es die Rückerstattung des Arbeitslosengelds und der Sozialversicherungsbeiträge betrifft und den Bescheid vom 23.04.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.12.1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Streitig sei derzeit noch eine Rückforderung in Höhe von 5.051,46 Euro; im Anschluss an das Urteil des SG sei die Rückforderung um 882,95 Euro berichtigt worden.
Im Übrigen wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig.
Die Berufung ist unbegründet; das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden.
Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen; denn der Kläger ist in dem hier streitigen Zeitraum vom 29. Oktober 1995 bis 29. Februar 1996 nicht arbeitslos gewesen, so dass die Rückforderung des Arbeitslosengeldes einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 5.051,46 Euro zu Recht besteht.
Gemäß § 50 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes im streitigen Zeitraum bestimmt sich nach § 48 SGB X. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit u.a. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 SGB X). Gemäß § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch III (SGB III) ist der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei Vorliegen der im
§ 48 Abs. 1 S. 2 SGB X genannten Voraussetzungen mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. Dies bedeutet, dass in diesem Fall eine gebundene Entscheidung ergeht, d.h. die Beklagte ein Ermessen nicht auszuüben hat.
Die Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X liegen vor, weil durch die Tätigkeit des Klägers als Vertreter bei der Firma V. die Arbeitslosigkeit entfallen ist und der Kläger es grob fahrlässig unterlassen hat, diese Tätigkeit der Beklagten rechtzeitig mitzuteilen. Es ist insoweit eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Eine derartige Änderung in den Verhältnissen liegt vor, wenn sich der zu Grunde liegende Sachverhalt nach der Bewilligung des Arbeitslosengeldes geändert hat. Die Änderung ist auch wesentlich, da ab Beginn des streitigen Zeitraums eine Bewilligung des Arbeitslosengeldes unter den objektiv vorliegenden Verhältnissen von der Beklagten nicht hätte erlassen werden dürfen.
§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X ermöglicht die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderungen der Verhältnisse, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteiliger Änderung der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Im vorliegenden Fall hat der Kläger seine Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt. Denn in Bezug auf seine persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, sein Einsichtsvermögen sowie die besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist ihm bekannt gewesen, dass er eine Änderung der Verhältnisse nach Bewilligung des Arbeitslosengeldes der Beklagten anzeigen musste. Dadurch ist es zu einer Überzahlung der Leistung gekommen. Der Kläger hat seine Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße verletzt, weil er bei der Arbeitslosmeldung auf die Mitteilungspflicht hingewiesen worden ist, u.a. durch die Aushändigung des Merkblatts für Arbeitslose ("Ihre Rechte-Ihre Pflichten"), in dem auf die Mitteilungspflichten im Einzelnen hingewiesen ist. Der Kläger hat unterschriftlich bestätigt, dieses Merkblatt erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Er war auch aufgrund der früheren Tätigkeit als Leiter eines Lagers und seiner Ausbildung zum Handelsvertreter in der Lage, zu verstehen, dass bei der Bewilligung des Arbeitslosengeldes die Aufnahme einer Tätigkeit der Arbeitsverwaltung anzuzeigen ist. Er hat damit einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb dasjenige nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Hat die Arbeitsverwaltung z.B. in einem ausgelegten Merkblatt oder im Antragsformular deutlich und verständlich auf bestimmte Pflichten hingewiesen, kann dem Betroffenen Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorgeworfen werden (Schütze in von Wulffen, SGB X 6. Aufl., § 48, Rn. 23; Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 31, Rn. 31 ff., jeweils m.w.N. der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)).
Die Beklagte hat auch die Frist des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X eingehalten. Danach muss im Falle der Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Denn sie hat nach der Erklärung des Klägerbevollmächtigten über die Dauer der Arbeitszeit am 6. April 1998 bereits am 23. April 1998 den Aufhebungsbescheid erlassen.
Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil er eine mehr als kurzzeitige Tätigkeit ausgeübt hat, die dem Anspruch auf Arbeitslosengeld entgegenstand. Nach § 101 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der Fassung vom 24. Juli 1995, die vom 29. Juli 1995 bis 31. März 1997 in Kraft war, war arbeitslos im Sinne dieses Gesetzes ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübte. Der Arbeitnehmer war jedoch nicht arbeitslos, wenn er u.a. eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger oder Selbständiger ausübt, die die Grenze des § 102 AFG überschreitet. Kurzzeitig in diesem Sinne war nach § 102 AFG i.d.F. vom 20. Dezember 1988, die vom 1. Januar 1989 bis 31. März 1997 galt, eine Beschäftigung, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach oder im Voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt war. Gemäß § 102 Abs. 2 Nr. 1 AFG war die Beschäftigung nicht kurzzeitig, soweit die wöchentliche Arbeitszeit zusammen mit der für die Ausübung erforderlichen Vor- und Nacharbeit die Arbeitskraft des Beschäftigten in der Regel mindestens 18 Stunden wöchentlich in Anspruch nahm. Diese Zeitgrenze galt auch für Selbständige (§ 101 Abs. 1 Nr. 1 AFG).
Die Ausbildungstätigkeit des Klägers zum freien Handelsvertreter für die Firma V. sowie die Einarbeitung hierfür war nicht mehr kurzzeitig, weil sie ihn mindestens 18 Stunden wöchentlich in Anspruch nahm. Dies ergibt sich vor allem aus den Angaben des Klägers in den Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht A-Stadt (Strafgericht) und den mehrmaligen übereinstimmenden und ergänzenden Mitteilungen seines Prozessbevollmächtigten anschließend vor dem SG, so dass hier nichts für eine Fehlinformation des Klägerbevollmächtigten spricht. Denn der Kläger hat vor dem Amtsgericht A-Stadt am 26. Oktober 1999 und am 21. März 2000 sinngemäß ausgesagt, dass er bei der praktizierten Ausbildung täglich drei bis fünf Stunden mitgegangen ist und die Schulung halbtägig vor 9:00 Uhr bis 13:00 Uhr gedauert hat. In der Klagebegründung vom 27. November 2001 hat der Prozessbevollmächtigte zweimal (nach nochmaliger Rücksprache!) erklärt, dass der Kläger wöchentlich 16 bis 17 Stunden gearbeitet hat und der Rest der Zeit sei für Schulungen verwandt worden. Auf die ausführliche und zutreffende Beweiswürdigung des SG wird im Übrigen Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Aus den Angaben des Klägers haben die Beklagte und das SG zu Recht den Schluss gezogen, dass der Kläger mindestens 18 Stunden in der Ausbildung als Handelsvertreter bzw. in der Tätigkeit selbst gearbeitet hat. Zu Recht hat das SG auch darauf hingewiesen, dass die Einarbeitung und Schulung im Rahmen des § 102 AFG mitzählen sind, weil nach dieser Bestimmung die für die Ausübung erforderliche Vor- und Nacharbeit mitzuberücksichtigen ist.
Aus den Angaben des vom SG gehörten Zeugen B. ergibt sich für den hier streitigen Zeitraum nichts anderes, weil dieser Zeuge seine Aussage, der Kläger sei dreimal wöchentlich drei bis vier Stunden eingearbeitet und vier Stunden zusätzlich geschult worden, auf die hier nicht mehr streitige Anfangsphase der Ausbildung zum Handelsvertreter beschränkt hat. Eine nochmalige Anhörung des Zeugen ist nicht sachdienlich (§ 128 Abs. 1 SGG).
Einwendungen gegen die Höhe des Rückforderungsbetrags hat der Kläger nicht erhoben. Gemäß § 157 Abs. 3 a AFG ist er auch erstattungspflichtig für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat dem Kläger Verschuldenskosten in Form von Mutwillenskosten (§ 192
Abs. 1 Nr. 2 SGG) auferlegt, weil der Prozessbevollmächtigte nach Erörterung der Sach- und Rechtslage und trotz Hinweis auf die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung auf einer Entscheidung bestanden hat. Zu der Aussichtslosigkeit des Rechtsstreits ist zu berücksichtigen, dass der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter im Verwaltungsverfahren und in den Prozessen ihre Angaben über den zeitlichen Umfang der Tätigkeit als Vertreter abweichend vom Protokoll des Strafgerichts den rechtlichen Erläuterungen der Beklagten und des SG mehrmals nachträglich angepasst haben. Sie haben den von der Beklagten in der Anzeige mitgeteilten Sachverhalt von dem Strafgericht eingeräumt und ihn - nach einer Einstellung des Verfahrens - wieder bestritten, um eine Rückzahlung abzuwenden. Eine derartige Irreführung des Gerichts stellt eine missbräuchliche Rechtsverfolgung dar (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 192, Rn. 9, 9b). Spätestens mit dem Urteil des SG war dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten die Rechtslage hinreichend klar (Leitherer, a.a.O., Rn. 9a).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
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