L 15 VG 5/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 VG 5/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 5/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nimmt eine Frau eine eheähnliche Lebensgemeinschaft, die von Hass-Liebe geprägt ist, nach einer Gewalttat i.S. von § 1 Abs. 1 OEG wieder auf und führt diese mehrere Jahre fort, können ihr deswegen Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen Unbilligkeit versagt werden, wenn die Gewalttat im Verhältnis zu den übrigen Gesamtumständen der eheähnlichen Lebensgemeinschaft von untergeordneter Bedeutung ist (§ 2 Abs. 1 S. 1 2. Alternative OEG).
I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.01.2008 aufgehoben und die Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 07.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die 1954 geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Die Klägerin macht geltend, am 16.09.2004 von ihrem ehemaligen Lebensgefährten C. misshandelt worden zu sein. Nach einer verbalen Auseinandersetzung in Ö. hatte C. am 16.09.2004 gegen 20.00 Uhr die Klägerin an den Schultern ergriffen und ihr einen kräftigen Stoß versetzt, sodass sie das Gleichgewicht verloren hat, nach hinten mit voller Wucht mit der linken Körperseite gegen eine Schrankwand geprallt und zu Boden gefallen ist. Der Chefarzt der E.-Kliniken Dr. K. hat mit Arztbrief vom 20.09.2004 bestätigt, dass die Klägerin multiple Prellungen am linken Arm und Bein erlitten hat, ebenso eine 1 cm x 15 cm große Schürfwunde am rechten Unterarm. Unter symptomatischer Therapie hat sich eine zügige Besserung der Beschwerden eingestellt. Bei Entlassung haben noch diskrete Restbeschwerden bestanden.

Die Klägerin hat deswegen am 20.11.2004 einen Antrag auf Beschädigtenversorgung eingereicht und das Vorliegen einer traumatischen seelischen Störung mit psychosomatischen Schäden geltend gemacht. Das linke Bein schmerze und verkrampfe sich immer noch. Weiterhin bestünden Angstgefühle und Albträume. Am rechten Arm habe sich eine ca. 15 cm lange Narbe gebildet.

Der Beklagte hat die Unterlagen der Strafverfolgungsbehörden ausgewertet. Danach ist C. mit Urteil des Landgerichts K. vom 05.04.2006 - Ns 84 Js 1533/04 - wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen (27.06.2004 und 16.09.2004) zu Lasten der Klägerin zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 100,00 EUR verurteilt worden. Dabei hat das Landgericht folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt: C. und die hiesige Klägerin haben sich 1996 kennengelernt. Es hat sich eine Beziehung entwickelt. Diese Beziehung sei mit ein Grund für die Scheidung der damals noch bestehenden, aber längst nicht mehr glücklichen Ehe der Klägerin gewesen. C. und die Geschädigte hatten zu Beginn eine zufriedenstellende Partnerschaft geführt. C. hatte sogar extra für die Klägerin eine Wohnung in A-Stadt erworben, damit sie im Wechsel mit dem Haus in Ö. dort in der Nähe ihrer Kinder zusammenleben könnten. Sie hätten sich auch mit Heiratsplänen getragen. Zunehmend hätten aber kleinere und größere Streitigkeiten mit teils heftigen emotionalen Ausbrüchen, Verbalinjurien und sogar wechselseitigen Tätlichkeiten mehr Raum in der Beziehung eingenommen. Die Klägerin sei hin- und hergerissen gewesen zwischen widersprüchlichen Gefühlen. Sie habe C. geliebt. Sie habe sich, selbst ohne zureichende wirtschaftliche Absicherung, aus der Abhängigkeit von ihrem früheren Ehemann in die Abhängigkeit von C. begeben. Darunter habe sie einerseits gelitten, andererseits gemeint, entsprechende Ansprüche gegen C. zu haben. Diese äußerst ambivalente Beziehung mit ständigem Wechsel zwischen Liebes- und Hassgefühlen, voneinander wegwollen und nicht voneinander lassen können habe im Jahr 2004 einen Höhepunkt erreicht, mit praktisch täglich schwankender Stimmung. Vor diesem Hintergrund sei es zu den Vorfällen vom 27.06.2004 (Tritt mit einem Schuh zwischen die Beine der damals 60 Jahre alten Klägerin) und 16.09.2004 (heftiger Stoß gegen den Schrank mit anschließendem Sturz auf den Boden) gekommen. Die Klägerin ist nach diesem Vorfall in ein Frauenhaus gezogen.

Die ambivalente Beziehung zwischen C. und der Klägerin ist, wie die weiteren Schilderungen der Beteiligten zeigen, nach dem letztgenannten Vorfall jedoch nicht beendet gewesen. In der Zeit vom Verlassen des Frauenhauses am 06.10.2004 bis Juni 2005 haben die beiden insgesamt über 100 Tage gemeinsam verbracht, teils in Ö., teils auch auf Urlaubsreisen. Auch ist wieder über eine Heirat gesprochen worden. Am 17.02.2005 hat die Klägerin ihren Strafantrag wieder zurückgenommen. Im Rahmen eines Täter-Opfer-ausgleichs sollte das weitere Zusammenleben jedoch an verschiedene Bedingungen geknüpft sein, so die Teilnahme des C. an einem sozialen Training und ihre finanzielle Absicherung, u.a. in Gestalt eines eingetragenen Wohnrechts in seiner C. Wohnung und die Verfügung über einen Pkw. C. seinerseits ist zur Eintragung eines Wohnrechts bereit gewesen, jedoch nur bei weiterem Zusammenleben und nur für den Todesfall. Letztendlich ist eine Einigung jedoch nicht erzielt worden.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid hat das Landratsamtes E. - Integrations- und Versorgungsamt vom 07.03.2006 eine Beschädigtenversorgung gemäß § 2 Abs. 1 OEG versagt. Bereits am 29.08.2003 sei die Klägerin von C. erstmals tätlich angegriffen worden. Sie habe aber trotzdem weiter an der Beziehung festgehalten. Nachdem es in der Beziehung bereits seit Jahren zu mehreren Vorfällen gekommen sei, bei denen die Klägerin von C. bedroht, beleidigt und sogar geschlagen worden sei, seien Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 OEG zu versagen.

Die Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Widerspruch vom 30.03.2006 hervorgehoben, dass das Tatbestandsmerkmal einer dauernden Gefahrenlage überhaupt nicht vorgelegen habe. Insoweit sei darauf hinzuweisen, dass C., der von Beruf Maschinenbau-Ingenieur sei, strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten sei.

Der Widerspruch gegen den Bescheid des Landratsamtes E. - Integrations- und Versorgungsamt vom 07.03.2006 wurde mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums S. vom 12.05.2006 zurückgewiesen. Die Klägerin sei 1996 mit C. zusammengezogen. Wie die Klägerin bei der Zeugenvernehmung bei der Polizei am 28.09.2004 erklärt habe, sei es bereits im Jahr 2000 oder 2002 zu Tätlichkeiten gegen Sachen gekommen (Eintreten von Bad- und Schlafzimmertüren, Zertrümmern von Gläsern und Telefonen, Herunterreißen von Rollos) und ebenso zu Drohungen gegen sie. C. sei sehr jähzornig und oft wie von Sinnen, sodass sie grundsätzlich keine Messer offen liegen lasse und froh sei, dass Gewehre und Pistolen des Jägers C. im Schrank seien, und dass die Klägerin oft Angst habe, weil er sie immer wieder bedrohe und auch schlimmste Drohungen gegen sie ausspreche. Handgreiflich sei C. bereits am 19.12.2000 (?) geworden, wobei er sie in der Waschküche umgestoßen habe, sodass sie auf eine Handwerkskiste gefallen sei und sich am Rücken verletzt habe. Am 29.08.2003 habe er sie das erste Mal geschlagen; am 27.06.2004 habe er die Klägerin mit seinem Lederschuh in den Genitalbereich und das Gesäß getreten und am 16.09.2004 habe er sie niedergeschlagen. Die Klägerin habe selbst ausgeführt, dass sie jahrelang von C. seelisch misshandelt worden sei. Diese Misshandlungen, denen letztendlich auch körperliche Misshandlungen folgten, habe sie sich in der Hoffnung nicht entzogen, dass sich C. bessern würde. Nachdem sie sich aus der Beziehung nicht gelöst habe, obwohl es ihr zumutbar gewesen wäre, sei eine Versorgung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG als unbillig anzusehen. Dies werde zusätzlich untermauert durch den Umstand, dass die Klägerin, nachdem sie C. bereits verlassen hatte, entsprechend dem Nachtrag zum Vertragsentwurf vom 04.10.2004 wieder gewillt gewesen sei, einen "Neustart" zu beginnen. Nach dem Schreiben von C. vom 21.01.2005 haben sie sogar nach der Tat vom 16.09.2004 gemeinsame Tage in A-Stadt und einen Urlaub im Vogtland verbracht.

In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Bayreuth die Unterlagen der Strafverfolgungsbehörden und der Staatsanwaltschaft K. beigezogen. Nach entsprechender Ankündigung hat das Sozialgericht Bayreuth mit Gerichtsbescheid vom 31.01.2008 den Bescheid vom 07.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 aufgehoben und den Beklagten dem Grunde nach verpflichtet, unter Berücksichtigung des schädigenden Ereignisses vom 16.09.2004 den Antrag der Klägerin vom 20.11.2004 auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu verbescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zusammenfassend ist das Sozialgericht Bayreuth zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin Opfer einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat geworden sei, wobei ihr weder ein Mitverschulden zuzurechnen noch die Entschädigung nach dem OEG unbillig sei.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten vom 12.02.2008 ging am 14.02.2008 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) ein. Der Senat hat die Versorgungs-Akten des Beklagten und die erstinstanzlichen Streitakten einschließlich der darin befindlichen Unterlagen der Strafverfolgungsbehörden und der Staatsanwaltschaft K. beigezogen.

Der Beklagte hob mit Berufungsbegründung vom 06.03.2008 hervor, bereits das Ereignis vom 27.06.2004 in seiner Schwere hätte für die Klägerin Anlass genug sein müssen, C. zu verlassen. Es liege ein Unbilligkeitsgrund nach § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative OEG vor; die Klägerin habe die Gefahr gekannt, die von C. ausgegangen sei. Eine Lösung aus der nichtehelichen Gemeinschaft wäre auch in Anbetracht der finanziellen Situation der Klägerin zumutbar und möglich gewesen, zumal keine gemeinsamen Kinder zu versorgen gewesen seien. Warum die Klägerin erst nach dem Vorfall vom 16.09.2004 ins Frauenhaus in D-Stadt gegangen sei und nicht schon eher, sei nicht nachvollziehbar. Im Übrigen bestehe Anlass zur Vermutung, dass die Klägerin die Übergriffe des C. genutzt habe, um ihre finanziellen Interessen ihm gegenüber durchzusetzen. Auf die aktenkundigen Dokumente werde verwiesen, wonach die Klägerin C. einen Neustart angeboten habe, sofern er bereit wäre, umfangreiche Zahlung an sie zu leisten. Zwei Monate nach dem Vorfall vom 16.09.2004 habe die Klägerin die Beziehung auch tatsächlich wieder aufgenommen.

Die Bevollmächtigte der Klägerin erwiderte mit Schriftsatz vom 07.07.2008, es habe zu keinem früheren Zeitpunkt tätliche Auseinandersetzungen gegeben. Die Streitereien zwischen der Klägerin und dem rechtskräftig verurteilten C. hätten sich auf normale Beziehungsstreitigkeiten beschränkt, die jedoch nicht von Tätlichkeiten geprägt gewesen seien. Der Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt vor dem Ereignis klar gewesen, dass sich Umstände abzeichneten, die eine Gefährdung bedingen würden. Es sei auch nicht richtig und werde bestritten, dass die Klägerin wieder in einer Beziehung mit C. lebe. Die Klägerin lebe nach wie vor in A-Stadt.

In der nichtöffentlichen Sitzung des BayLSG vom 28.05.2009 berichtet die Klägerin, dass sie sehr häufig auf die deutlich sichtbare Narbe am rechten Unterarm angesprochen werde, was ihr sehr unangenehm sei. Darüber hinaus verspüre sie noch immer Beschwerden im Bereich des linken Beines. Insbesondere belaste sie jedoch die seelische Verletzung. Trotz des vorgenommenen Täter-Opfer-Ausgleiches habe sie die Verletzungshandlung von C. bislang psychisch nicht verarbeiten können. Sie sei deswegen bis 2006 in psychologischer Behandlung gewesen. Weiterhin korrigiert die Klägerin die Ausführungen von C., die dieser am 23.04.2009 gemacht hat, wie folgt: Sie habe sich bei ihm in Spanien vom 10.01.2008 bis 02.05.2008, vom 30.08.2008 bis 13.09.2008 sowie vom 01.11.2008 bis 26.02.2009 aufgehalten. Sie habe dies auf ärztlichen Rat getan (besseres Klima in Spanien und Aufarbeitung der Beziehung zu C.). Seit dem 26.02.2009 habe sie keinen Kontakt mehr zu C ...

Der Beklagte führte mit Schriftsatz vom 24.06.2009 aus, es sei nicht nachvollziehbar, wenn die Klägerin einerseits berichte, sie habe die Verletzungshandlung psychisch noch nicht verarbeitet und andererseits den überwiegenden Teil des Jahres mit C. in Spanien zusammenlebe. Bei einer Bejahung des Versorgungsanspruches würden staatliche Leistungen somit dem Täter wirtschaftlich zugute kommen. Dies wäre ein Widerspruch zu der grundlegenden Wertung des Gesetzes. Es läge somit ein weiterer Unbilligkeitsgrund nach § 2 Abs. 1 2. Alternative OEG vor. Im Übrigen sei wenig überzeugend, dass die Klägerin seit dem 26.02.2009 keinen Kontakt mehr zu C. haben will, wo sie doch bereits zwei Monate nach dem Übergriff vom 16.09.2004 die Beziehung zu ihm wieder aufgenommen habe.

In der mündlichen Verhandlung vom 15.09.2009 schildert die Klägerin, bis zu dem Vorfall am 16.09.2004 habe sie mit C. zusammengelebt. Sie sei zunächst geringfügig bei ihm bis ca. 2002 beschäftigt gewesen, danach habe sie Arbeitslosengeld bezogen und habe für die von ihr geleistete Hausarbeit von ihm Kost und Logie bezogen. Nach der Tat vom 16.09.2004 sei sie ins Frauenhaus gezogen und habe nach diesem Aufenthalt für ca. ein Jahr mietfrei in einer Wohnung des C. allein gelebt. Im Oktober 2005 sei sie in die von ihr angemietete Wohnung in der W.Straße umgezogen. Während sie in der Wohnung des C. allein gelebt habe, habe er ihr zunächst ein Auto zur Nutzung zur Verfügung gestellt, es ihr nach kurzer Zeit aber wieder weggenommen. Sie habe im Jahr 2005 eine Woche im Bayerischen Wald Urlaub mit C. gemacht, ebenso ein Silvesterwochenende 2005/2006 verbracht. 2006 sei sie ca. zehn Tage in Ö. (Schwarzwald) gewesen. Außerdem habe es Wochenendbesuche von ihm bei ihr gegeben. 2007 habe es keinen gemeinsamen Urlaub gegeben. 2008 habe man gemeinsam einen Urlaub in der Sächsischen Schweiz verbracht. Vom 01.11.2008 bis 26.02.2009 sei sie mit ihm in einem Haus in Spanien gewesen. Im Februar sei sie dort weggegangen, als er ihr gedroht habe, ihr ins Gesicht zu schlagen. Wenn sie am 16.09.2004 aufgeschrieben habe, dass C. sie am 29.08.2003 das erste Mal geschlagen habe, treffe dies zu. Auslöser war ein Streit wegen des Verhaltens seiner Tochter gewesen. Daraufhin sei er ausgerastet. Da sie gerade mit dem Schlauch Blumen gegossen habe, habe sie gedacht, er beruhige sich, wenn sie ihn abkühle; das Gegenteil sei aber der Fall gewesen. Er habe das nasse Hemd ausgezogen und sie damit geschlagen. Gewaltdrohungen und Angriffe gegen sie hätten vor Juni 2004 nicht stattgefunden. C. sei allerdings sehr jähzornig, er habe z.B. die Badezimmertür eingetreten oder ein Glas an die Wand geschmissen. Da es sich aber um sein Eigentum gehandelt habe, habe sie das nicht interessiert. Sie habe viel für diesen Mann getan, weil sie immer gehofft habe, er ändere sich; so seien sie auch nach der Tat zweimal im Swingerclub gewesen. Ihren Lebensunterhalt bestreite sie jetzt von einer kleinen Rente und der Grundsicherung. Die Urlaubsreisen seien ein Geschenk von C. gewesen.

Als Zeuge einvernommen hat C. vorgetragen, er habe die Klägerin niemals geschlagen. Auch die Vorfälle vom Juni 2004 und 16.09.2004 hätten nicht bzw. nicht so stattgefunden. Am 16.09.2004 hätten sie Streit gehabt. Er habe ihren Sohn anrufen wollen, damit dieser sie abhole. Daraufhin sei ihm die Klägerin ins Haus nachgelaufen, in der Küche ausgerutscht und gegen den Schrank gefallen; dabei habe sie sich die offene Wunde am Arm zugezogen. Es stimme auch nicht, wenn sie behaupte, es hätte bereits 2000 einen Vorfall in der Waschküche gegeben. Auch der Vorfall mit der Badezimmertür habe sich ganz anders zugetragen; dies sei etwa 2001/2002 gewesen. Damals habe er einen Abschiedsbrief der Klägerin an die Kinder gefunden. Sie habe sich im Badezimmer eingeschlossen und auf seine Rufe nicht geantwortet; deswegen habe er die Badezimmertür eingedrückt. Ein ähnlicher Vorfall habe sich im Schlafzimmer ereignet. Soweit er sich erinnern könne, sei die Klägerin auch in nervenärztlicher Behandlung gewesen. Bereits vor 2004 seien beide zu einer Paarberatung in M. gewesen. Wohl im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleiches habe eine familientherapeutische Maßnahme in A-Stadt bei Frau D. stattgefunden. Die entsprechenden Rechnungen habe er bezahlt.

C. übergibt als Zeuge außerdem eine Kopie eines Schreibens vom 13.11.2001, das mit "Vollmacht und Vermächtnis" überschrieben ist. Hierzu erklärt die Klägerin, dass es sich nicht um einen Abschiedsbrief handele. Der Brief vom 13.11.2001 sei verschlossen bei ihren Unterlagen gelegen. Wie C. an den Brief gekommen sei, wisse sie nicht.

Auf Befragen erklärt der Zeuge C. weiter, die Klägerin habe auch nach 2004 mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt; so seien sie z.B. Weihnachten 2004 zusammen gewesen. Sie seien 2005 gemeinsam in P. gewesen, hätten sich kurzzeitig getrennt, hätten aber z.B. 2006/2007 Silvester gemeinsam in P. verbracht, anschließend bis August 2007 zusammengelebt und sich dann getrennt. Am 17.10.2007 seien sie für eine Nacht zusammen in A-Stadt gewesen. Am 17.11.2007 sei er nach Spanien gefahren; dort habe ihn ein Anruf der Klägerin erreicht, er solle sie in A-Stadt besuchen. Dies habe er aber nicht getan. Am 10.01.2008 sei die Klägerin aber zu ihm nach Spanien geflogen. In Spanien seien sie ca. bis 02.05.2008 geblieben. Anschließend seien sie zusammen teils in Ö., teils in A-Stadt gewesen. Am 01.11.2008 seien sie gemeinsam nach Spanien gefahren; dort sei die Klägerin bis 26.02.2009 geblieben. Sie sei aufgrund eines Streits weggegangen. Er habe den Flug für die Heimreise bezahlt. Nachdem sie von ihm erwartet habe, er solle ihre persönlichen Sachen nach A-Stadt bringen, was er aber nicht habe tun wollen, habe er am 16.05.2009 schriftlich durch Messanger die Beziehung endgültig beendet. Grund sei für ihn gewesen, dass die Klägerin in einer Frauenrunde gesagt haben solle, wenn sie noch mal die Chance habe, bringe sie ihn ins Gefängnis. Daher habe er Angst gehabt und habe auch keinen Kontakt mehr haben wollen. Er glaube, dem Streit im Februar 2009 lag zugrunde, dass die Klägerin seine Tochter als Hure bezeichnet habe und er im Gegenzug gleiches über ihre Tochter gesagt habe. Er habe ihr den Flug bezahlt und ihr auch noch 250,00 EUR gegeben. Bei diesem Streit habe ihm die Klägerin eine Ohrfeige gegeben. Dies sei die zweite Ohrfeige in der Beziehung gewesen, die sie ihm gegeben habe. Er habe immer den Lebensunterhalt für die Klägerin bezahlt, auch wenn sie zusammen in A-Stadt in ihrer Wohnung gewesen seien. Nur wenn sie dort alleine lebte, habe sie alleine einkaufen müssen. Sie sei offiziell von 1999 bis 2002 bei ihm beschäftigt gewesen und habe zuletzt 1.500,00 DM erhalten, für diesen Betrag seien Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden. Sie habe ca. 1.050,00 DM auf die Hand erhalten. Später, als sie arbeitslos gewesen sei, habe er die Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld und den 1.050,00 DM bezahlt. Er sei mit seinen Zahlungen auch für die Schulden der Klägerin teilweise aufgekommen. Sie habe damit z.B. die Eigentumswohnung in P. finanzieren können. Man habe auch schöne Zeiten gehabt. Auch wenn sie sich fast täglich gestritten und wieder versöhnt hätten. Die Klägerin sei immer wieder zurückgekommen, wenn sie sich getrennt hätten, und habe ihm versichert, dass sie es ohne ihn nicht aushalte. So habe sie ihm z.B. am 11.06.2008 "Liebesgutscheine" geschenkt. Sie hätten eine sehr lebhafte Liebesbeziehung gehabt und seien nach 2004 5-mal gemeinsam in einen Swingerclub gegangen. Sie hätten gemeinsam auch sehr schöne Urlaubsreisen gemacht, z.B. Ägypten, Russland, D. und B ... Außerdem hätten sie acht Monte in einem schönen Haus in Spanien zusammengelebt. An den Vorfall mit dem Gartenschlauch könne er sich erinnern. Nicht richtig sei, dass er die Klägerin mit dem nassen Hemd geschlagen habe. Er habe sie vielmehr an beiden Armen festgehalten, als sie ihm drohte, ihn in die Genitalien zu treten.

Der Bevollmächtigte des Beklagten nimmt Bezug auf die Schriftsätze vom 06.03.2008 und 24.06.2009 und beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.01.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs. 2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig und begründet. Die Klägerin ist am 16.09.2004 Opfer einer Gewalttat i.S. von § 1 Abs. 1 OEG geworden. Ihr sind jedoch Leistungen wegen Unbilligkeit zu versagen (§ 2 Abs. 1 S. 1 2. Alternative OEG).

Die Würdigung der Ausführungen der Klägerin, der aktenkundigen Unterlagen der Strafverfolgungsbehörden und der Zeugenaussage des C. in der mündlichen Verhandlung vom 15.09.2009 ergibt in der Zusammenschau, dass beide Beteiligte die rund 13-jährige Beziehung aus ihrer jeweiligen Sicht unterschiedlich dargestellt haben. Als gesichert ist anzusehen, dass die wohl zum 26.02.2009 nunmehr endgültig beendete eheähnliche Gemeinschaft über weite Zeiten hinweg von einer Hass-Liebe gekennzeichnet gewesen ist, u.a. wohl deshalb, weil die Klägerin von C. wirtschaftlich abhängig gewesen ist.

Streitereien, Verbalinjurien, tätliche Auseinandersetzungen wie am 27.06.2004 und 16.09.2004 haben sich mit positiven Ereignissen wie vor allem zahlreiche Urlaubsreisen abgewechselt. Der Vorfall vom 16.09.2004 stellt nur einen Mosaikstein im Rahmen dieser facettenreichen Beziehung dar, die nach der Tat, wenn auch mit Unterbrechungen noch ca. 4 1/2 Jahre fortgedauert hat.

Die Schilderungen der Klägerin und des Zeugen C. über Vorfälle vor dem Jahr 2004 weichen stark voneinander ab, wobei auch die Klägerin widersprüchliche Angaben zur Gewaltanwendung durch den Zeugen C. im Jahr 2003 gemacht hat. In Würdigung der Aussagen der Klägerin und des Zeugen C. konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, welche der subjektiven Wahrnehmungen der Geschehnisse in der Beziehung vor 2004 zutreffend sein könnten. Darauf kommt es aus der Sicht des Senats jedoch für die Entscheidung nicht an, denn übereinstimmend haben die Klägerin und der Zeuge C. erklärt, dass sie nach dem 16. September 2004, also nach der Gewalttat, für die der Zeuge C. vom Landgericht K. verurteilt wurde, die Beziehung wieder fortgesetzt haben. Diese Beziehung wurde bereits nach kurzer Frist im Jahr 2004 wieder aufgenommen und ist vor allem aufgrund häufigerer Zusammenkünfte, insbesondere aber wegen der Dauer des gemeinsamen Aufenthalts in Spanien im Jahr 2008 bis 2009 als nicht nur vorübergehend anzusehen. So hat die Klägerin besonders in den Jahren 2008 und 2009 jeweils für mehrere Monate die eheähnliche Beziehung mit C. wieder aufgenommen. Bereits vorher wurden aber mehrere gemeinsame Urlaubsfahrten unternommen, so dass nicht nur ein vorübergehender Kontakt festzustellen ist, sondern die Klägerin und der Zeuge C. ihre Beziehung über mehrere Jahre mit Unterbrechungen fortgesetzt haben.

Es konnte daher dahingestellt bleiben, ob die Begründung des Beklagten, die Klägerin habe aufgrund eines Vorfalls aus dem Jahre 2003 bereits erkennen müssen, dass C. zu Gewalttaten neige und deshalb Anlass gehabt hätte ihn zu verlassen, zutrifft. Denn allein die Wiederaufnahme der Beziehung über einen derart langen Zeitraum genügt nach Auffassung des Senats, um davon auszugehen, dass die Klägerin ihrem Lebensgefährten in gewissem Umfang verziehen hatte und es deshalb unbillig wäre, die Folge der Gewalttat zu entschädigen (§ 2 Abs. 1 2. Alternative OEG).

Nicht überzeugen können die Ausführungen des Sozialgerichts Bayreuth in seiner Entscheidung vom 30. Januar 2008. Das Sozialgericht Bayreuth, das sich in seiner Entscheidung allein auf diese Mitverursachung der Tat im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 1. Alternative OEG stützt, hat zur Aufklärung des Sachverhaltes zwar die Strafakten beigezogenen, jedoch weder die Klägerin selbst noch den Zeugen C. gehört. Frühere Aussagen des Zeugen C. konnten nicht verwertet werden, da dieser weder bei der Polizei noch im Strafverfahren Angaben gemacht hatte. Allerdings ergibt sich bereits aus der Begründung des Amtsgerichts D-Stadt im Urteil vom 27. Oktober 2005, dass es zwischen dem dortigen Angeklagten und der Klägerin auch nach der Trennung von September 2004 weiterhin zu geschlechtlichen Zusammenkünften gekommen war, und auch bereits vom Beklagten wurde im Widerspruchsbescheid hervorgehoben, dass es nach der Tat gemeinsame Urlaubstage gegeben hatte. Die Einvernahme der Klägerin zu diesem Sachverhalt hätte daher ebenso nahe gelegen, wie die Einvernahme des Zeugen C ...

Eine Opferentschädigung ist hier nach § 2 Abs. 1 S. 1 2. Alternative OEG wegen Unbilligkeit zu versagen, weil die Besonderheiten dieses Einzelfalles nach dem Normzweck eine staatliche Hilfe gemäß dem OEG i.V.m. dem BVG als sinnwidrig und damit als ungerecht beurteilen lassen (BSG mit Urteil 07.11.1979 - 9 RVg 2/78 = BSGE 49, 104, 107). Solche "sonstigen Gründe" müssen insgesamt annähernd ein gleiches Gewicht wie eine Verursachung i.S. der ersten Alternative des § 2 Abs. 1 OEG haben (BSG a.a.O.; BSG mit Urteil vom 24.04.1980 - 9 RVg 1/79 = BSGE 50, 95, 97 f.).

Dies ist hier unter drei Gesichtspunkten gegeben. Sinn und Zweck des OEG ist die soziale Unterstützung von Opfern von Gewalttaten, die einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen ihre Person haben hinnehmen müssen. Es handelt sich hierbei um einen staatlichen Ausgleich dafür, dass die Gemeinschaft eine Straftat zu Lasten eines einzelnen nicht hat verhindern können. Hier liegt jedoch eine konfliktbeladene eheähnliche Gemeinschaft über einen Zeitraum von rund 13 Jahren vor, die von einer Hass-Liebe gekennzeichnet gewesen ist. Es widerspricht dem Opferschutzgedanken, wenn in Fällen wie dem vorliegenden die staatliche Gemeinschaft eintreten müsste, weil eine der vielfältigen Auseinandersetzungen hier tätlich geendet hat.

Ein Versagungsgrund i.S. von § 2 Abs. 1 S. 1 2. Alternative OEG ist weiterhin darin zu sehen, dass die Klägerin nach dem Vorfall vom 16.09.2004 die Beziehung wieder aufgenommen und rund 4 1/2 Jahre fortgesetzt hat. Dies beweist aus der Sicht des Senats, dass die Klägerin selbst dem Vorfall vom 16.09.2004 im Hinblick auf die weiteren wirtschaftlichen Vorteile keine so große Bedeutung beigemessen hat, wie sie in diesem Verfahren vorträgt. Insbesondere ist es unglaubwürdig, dass sie die Beziehung über eine so lange Zeit weitergeführt hat, um ihr Verhältnis zu dem Zeugen C. aufzuarbeiten. In diesem Zusammenhang können die näheren Einzelheiten der von den Beteiligten geübten sexuellen Praktiken dahingestellt bleiben. Es genügt im Hinblick auf § 2 Abs. 1 S. 1 2. Alternative OEG vielmehr, dass die Klägerin nach dem Vorfall vom 16.09.2004 die Beziehung wieder aufgenommen und in Form einer eheähnlichen Gemeinschaft fortgeführt hat.

Zum dritten darf nicht übersehen werden, dass Leistungen nach dem OEG auch deswegen zu versagen sind, weil sie zumindest bis Februar 2009 auch dem Zeugen C. als damaligen Lebenspartner wirtschaftlich zugute gekommen wären.

Zu weiteren Ermittlungen, insbesondere Feststellungen zu den heute noch vorliegenden Gesundheitsschäden der Klägerin, die ursächlich auf eine Gewalttat zurückzuführen wären, musste sich der Senat aufgrund der feststehenden Unbilligkeit der Entschädigung nicht gedrängt fühlen.

Nach alledem ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.01.2008 aufzuheben und die Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 07.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2006 abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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