L 12 KA 62/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KA 794/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 62/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Anordnung des Ruhens der Zulassung einer Vertragspsychotherapeutin; Anordnung des Sofortvollzugs der Entscheidung des Zulassungsausschusses durch das Sozialgericht.
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 27. November 2009 aufgehoben und die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 12. Oktober 2009 bis zur Zustellung der Entscheidung des Berufungsausschusses über den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 angeordnet, längstens bis zum 15. März 2010.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdegegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.
Gegenstand des Verfahrens ist die sofortige Vollziehung des Ruhens der Zulassung der Beigeladenen zu 1.
Die Beigeladene zu 1 ist seit dem 8. März 2000 als Psychologische Psychotherapeutin zur vertragsärztlichen Versorgung in A-Stadt bei M. zugelassen. Mit Bescheid der Beschwerdeführerin vom 17. Juni 2002 erhielt sie die Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Verhaltenstherapie als Einzelbehandlung bei Kindern und Jugendlichen.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 ordnete der Zulassungsausschuss das Ruhen der Zulassung der Beigeladenen zu 1 vom 7. Oktober 2009 bis 30. September 2011 an und begründete diese Entscheidung mit einem psychiatrischen Gutachten vom 9. September 2009 von Prof. Dr. N. und Dr. R. S. vom Klinikum der Universität M., Klinikum Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie - Innenstadt, erstellt im Auftrag der Regierung von Oberbayern, wonach die Beigeladene zu 1 aufgrund ihres Gesundheitszustandes derzeit nicht zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in der Lage sei. Weiter heißt es in dem Beschluss, es sei nicht auszuschließen, dass die Beigeladene zu 1 nach Durchführung der im psychiatrischen Gutachten für erforderlich erachteten Therapie und entsprechender Behandlungsbereitschaft ihre Fähigkeit und Eignung zur Ausübung des Berufs der Psychologischen Psychotherapeutin innerhalb einer angemessenen Frist von zwei Jahren wieder erlange.
Gegen diesen Beschluss hat die Beigeladene zu 1 Widerspruch eingelegt und zur Begründung einen umfangreichen Schriftsatz vorgelegt, in dem sie sich kritisch mit dem genannten Gutachten auseinandersetzt.
Die Beschwerdeführerin hat am 12. Oktober 2009 beim Sozialgericht München die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Ruhens der Zulassung beantragt. Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 27. November 2009 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es bestünden keine Anhaltspunkte, an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Zulassungsausschusses zu zweifeln, zumal das Gutachten vom 9. Sep-
tember 2009 über den psychischen Zustand der Beigeladenen zu 1 keine andere Entscheidung des Zulassungsausschusses hätte zur Folge haben können. Damit liege ein Anordnungsanspruch vor. Es fehle aber am Anordnungsgrund, weil die beantragte einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nicht notwendig sei. Vielmehr sei der Antragstellerin ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zuzumuten, zumal der Beschwerdegegner mitgeteilt habe, über den Widerspruch Ende Januar 2010 entscheiden zu wollen. Das Ruhen der Zulassung bedeute einen weiten Eingriff in das Leben der Beigeladenen zu 1. Der psychische Zustand sei den Beteiligten bereits seit fast einem Jahr bekannt. Patientenbeschwerden oder konkrete Patientengefährdungen hätten bis auf einen Vorfall am 31. März 2009 nicht vorgelegen. Diese Patientenbeschwerde führe zu keiner anderen Beurteilung der Eilbedürftigkeit, da die Therapie abgebrochen worden sei. Außerdem heiße es in dem Gutachten, dass der Realitätsbezug der Beigeladenen zu 1 ebenso wie ihre Urteils- und Kritikfähigkeit zwar reduziert erschienen, aber nicht ersichtlich sei, dass die Beigeladene zu 1 ihre Klienten in ihre unrealistischen Fehldeutungen mit einbeziehe.
Zudem müsse auch die Entscheidung des Gesetzgebers berücksichtigt werden, die es dem Zulassungsausschuss nicht gestatte, den Sofortvollzug seiner Entscheidungen anzuordnen. Dies sei vielmehr dem Berufungsausschuss vorbehalten. Das bedeute zwar nicht, dass es in besonders begründeten Einzelfällen dem Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes verwehrt sei, den Sofortvollzug anzuordnen. Die Anordnung müsse aber auf besonders gelagerte Einzelfälle beschränkt sein. Ein solcher liege hier nicht vor.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin hat gegen den ihr am 3. Dezember 2009 zugestellten Beschluss am 14. Dezember 2009 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts fehle es nicht an einem Anordnungsgrund. Dieser ergebe sich daraus, dass bei einer weiteren Teilnahme der Beigeladenen zu 1 an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung angesichts der gutachterlich festgestellten beruflichen Nichteignung konkrete Patientengefährdungen zu befürchten seien. Da die Beigeladene zu 1 aktuell 30 bis 40 Patienten pro Quartal therapiere, berge jede weitere Teilnahme das Risiko der Verletzung der Rechtsgüter der Patienten. Das betreffe sowohl die bisherigen bei der Beigeladenen zu 1 in Therapie befindlichen Patienten, aber auch solche, die diese noch aufsuchen würden. Der Gesundheitszustand der Beigeladenen zu 1, insbesondere die aufgrund des festgestellten Verlustes des Realitätsbezuges nicht mehr gegebene Fähigkeit, die eigene Situation richtig einzuschätzen, ließen befürchten, dass ihr im Rahmen ihrer Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung Fehlbehandlungen zum Nachteil ihrer Patienten unterliefen. In diesem Zusammenhang sei unbedingt zu berücksichtigen, dass die Beigeladene zu 1 auch die Abrechnungsgenehmigung für Kinder und Jugendliche besitze. Diese seien in besonderer Weise schutzbedürftig, weil sie nicht in der Lage seien, die aus einer fehlerhaften psychotherapeutischen Behandlung resultierende Gefahrenlage zu erkennen. Eine solche könnte sich auf die weitere Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen in prägender Weise auswirken. Es liege daher ein besonders begründeter Einzelfall vor, der es erlaube, auch bereits den Sofortvollzug der Entscheidung des Zulassungsausschusses anzuordnen. Das Individualinteresse der Beigeladenen zu 1, weiterhin an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teilzunehmen, müsse hinter dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung jeglicher Patientengefährdung zurücktreten.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 27. November 2009 die sofortige Vollziehung des Ruhens der Zulassung der Beigeladenen zu 1 anzuordnen.
Die Beigeladene zu 2 hat sich diesem Antrag angeschlossen.
Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert, um dem bei ihm anhängigen Verfahren nicht vorzugreifen.
Die Beigeladene zu 1 hat sich ebenfalls nicht geäußert.
Parallel zu diesem Verfahren hat die Regierung von Oberbayern mit Bescheid vom 6. November 2009 das Ruhen der Approbation der Beigeladenen zu 1 auf zwei Jahre angeordnet. Dagegen hat diese Klage zum Verwaltungsgericht erhoben. Die Klagebegründung wurde dem Senat über das Sozialgericht München zur Kenntnis gebracht.

II.
Die nach den §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführerin ist zulässig und begründet.
Der Zulassungsausschuss hat mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 das Ruhen der Zulassung der Beigeladenen zu 1 wegen Krankheit bis zum 30. September 2011 angeordnet. Die Beigeladene zu 1 hat dagegen den Berufungsausschuss angerufen. Nach § 96 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) hat diese Anrufung aufschiebende Wirkung. Eine Anordnung des Sofortvollzugs durch den Zulassungsausschuss ist im Gesetz nicht vorgesehen. Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen.
Voraussetzung für den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung ist, dass das betroffene Recht bzw. die Rechtmäßigkeit der hier im Streit stehenden Ruhensanordnung zumindest glaubhaft gemacht ist (Anordnungsanspruch), und dass die Regelung so eilbedürftig ist, dass bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare, auf andere Weise nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage ist (Anordnungsgrund).
Dabei gilt, je offensichtlicher das Bestehen des Anordnungsanspruches ist, umso geringer sind die Anforderungen an die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund). Umgekehrt gilt, dass an den Anordnungsanspruch umso höhere Anforderungen zu stellen sind, je größer der Eingriffscharakter der einstweiligen Anordnung hinsichtlich der Vorwegnahme der Hauptsachentscheidung ist. Es ist deshalb eine Abwägung zu treffen zwischen den Nachteilen der Beigeladenen zu 1, die dadurch entstehen, dass der Sofortvollzug angeordnet wird einerseits und den Gefahren für die Gesundheit der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung andererseits, falls die Beigeladene zu 1 infolge der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs weiterhin vertragspsychotherapeutisch tätig sein kann, wobei die Evidenz des Anordnungsanspruches, also die Wahrscheinlichkeit der Rechtmäßigkeit der Ruhensanordnung mit zu berücksichtigen ist.
Im vorliegenden Fall kommt der Senat, ebenso wie auch das Sozialgericht, zu dem Ergebnis, dass angesichts der derzeitigen Gutachtenslage sehr viel mehr für die Rechtmäßigkeit der Ruhensanordnung spricht als dagegen. Denn das Gutachten von Prof. Dr. N./Dr. S. vom 9. September 2009 kommt zu dem Ergebnis, dass es aus psychiatrischer Sicht dringend erforderlich sei, dass sich die Beigeladene zu 1 einer regelmäßigen nervenärztlichen Behandlung unterzieht und nach Maßgabe des behandelnden Arztes gegebenenfalls auch Psychopharmaka einnimmt. Weiter heißt es, zur Ausübung des Berufs als Psychologische Psychotherapeutin vor dem Hintergrund des zwingend sicherzustellenden Patientenschutzes sei die Beigeladene zu 1 derzeit aus psychiatrischer Sicht nicht fähig und geeignet. Inwieweit sich durch die Ausführungen der Beigeladenen zu 1 im Zuge des Widerspruchsverfahrens Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens einstellen mögen, und ob eventuell weitere Ermittlungen des Beschwerdegegners in dieser Richtung notwendig sind, kann wegen der Eilbedürftigkeit im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend geprüft werden. Nach dem derzeitigen Stand spricht jedenfalls sehr viel mehr dafür, dass die Beigeladene zu 1 aus gesundheitlichen Gründen zur Ausübung der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit derzeit nicht in der Lage ist. Dass der Zulassungsausschuss nicht die Zulassung entzogen hat, sondern lediglich ein zeitlich befristetes Ruhen gemäß § 95 Abs. 5 SGB V angeordnet hat, trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung.
Vor diesem Hintergrund hält der Senat die Anordnung des Sofortvollzuges des Ruhens für geboten. Zwar stellt dies einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit des Berufes der Beigeladenen zu 1 dar (Art. 12 Grundgesetz). Dem steht aber andererseits das überragende Rechtsgut der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Versicherten gegenüber. Dies gilt umso mehr, als die Beigeladene zu 1 nach den von der Beschwerdeführerin mitgeteilten Zahlen in nennenswertem Umfang auch Kinder und Jugendliche behandelt. Hier sieht der Senat ein erhöhtes Gefährdungspotenzial. Er hält es deshalb auch nicht für hinnehmbar, mit seiner Entscheidung über den Sofortvollzug bis zur Entscheidung des Beschwerdegegners (voraussichtlich 9. Februar 2010) zuzuwarten. Andererseits gab es für das Gericht auch keine Notwendigkeit, den Sofortvollzug für längere Zeit als bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses auszusetzen, denn dieser kann seinerseits gemäß § 97 Abs. 4 SGB V, wenn er dies für geboten erachtet, die sofortige Vollziehung des Ruhens der Zulassung anzuordnen, falls er den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 zurückweist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladenen zu 1 waren keine Kosten aufzuerlegen (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Rechtskraft
Aus
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