L 11 AS 785/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 508/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 785/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Anordnungsgrund im Rahmen des einstweiligen Rechtsschuzes bei Leistungsbegehren für bereits abgelaufene Leistungszeiträume
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 13.10.2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


Der Antragsteller (ASt) begehrt die Auszahlung ungekürzter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der ASt steht beim Antragsgegner (Ag) seit Juli 2007 im laufenden Leistungsbezug. Zuletzt war ihm mit Bescheid vom 17.06.2008 für den Zeitraum 01.07.2008 bis 30.06.2009 Alg II in Höhe von monatlich 279,55 EUR bewilligt worden. Diesen Bescheid hob der Ag mit Bescheid 06.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2008 für die Zeit ab dem 01.11.2008 auf, weil sich der ASt nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Ag aufgehalten habe. Das gegen diese Entscheidung eingeleitete Klageverfahren (S 13 AS 59/09) vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) ist bislang nicht abgeschlossen. Ein zusammen mit der Klage eingeleitetes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 13 AS 66/09 ER) endete für die Zeit ab dem 28.01.2009 mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Aufhebungsbescheid (vom 06.11.2008) erhobenen Klage. Der Ag sei mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung verpflichtet, die aus dem bisher maßgeblichen Leistungsbescheid (vom 17.06.2008) bewilligten Leistungen auszuzahlen. Das Beschwerdeverfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht (L 11 AS 165/09 B ER) endete mit der Rücknahme der Beschwerde durch den Ag am 29.06.2009.

Am 01.07.2009 beantragte der ASt beim Ag (formlos) die Fortzahlung der Leistungen.

Mit zwei Bescheiden vom 03.07.2009 und 06.07.2009 ordnete der Ag die Absenkung der Regelleistung für den Zeitraum vom 01.08.2009 bis 31.10.2009 um jeweils 30 v.H. an weil der ASt zum einen eine Trainingsmaßnahme nicht angetreten habe (Bescheid vom 06.07.2009), zum anderen habe er sich auf ein Stellenangebot nicht beworben (Bescheid vom 03.07.2009).

Unter dem 09.07.2009 hat der ASt beim SG die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt (S 13 AS 508/09 ER). Er sei aufgrund seiner ehrenamtlichen Tätigkeit von der Verpflichtung freizustellen, auf vom Ag vorgeschlagene Stellenangebote reagieren zu müssen. Mit seinem darauf gerichteten Ansinnen unterlaufe der Ag den Rechtsschutz
(S 13 AS 66/09 ER), den ihm das SG gewährt habe.

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 29.07.2009 hat der ASt erklärt, gegen die Sanktionsbescheide vom 03.07. und 06.07.2009 bislang keinen Widerspruch eingelegt zu haben. Der Ag hat jedoch angekündigt, den Bescheid vom 06.07.2009 aufzuheben und über den Leistungsanspruch des ASt ab 01.07.2009 zu entscheiden.

Mit weiterem Bescheid vom 22.07.2009 hat der Ag eine Absenkung der Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2009 bis 30.11.2009 um 60 v.H. der Regelleistung verfügt.

Am 06.08.2009 hat der Ag den angekündigten Bewilligungsbescheid für den Zeitraum ab dem 01.07.2009 (bis 30.06.2010) erlassen und die verfügten Sanktionen vom 03.07. und 22.07.2009 umgesetzt (Kürzung für August 2009 - 30.v.H (108.- EUR) - Zahlbetrag: 179,55 EUR; Kürzung für September 2009 bis November 2009 - 60 v.H. (215.- EUR) - Zahlbetrag: 72,55 EUR; Zahlbetrag für Juli 2009 und ab Dezember 2009: 287,55 EUR).

Für den Zeitraum vom 01.10.2009 bis 31.12.2009 hat der Ag zuletzt eine Absenkung des Alg II um 100 v.H. verfügt (Bescheid vom 09.09.2009).

Sowohl der Bescheid vom 22.07.2009 als auch der vom 09.09.2009 sind an den Ag mit dem Vermerk des ASt zurückgegangen, dass er die Annahme der Schreiben verweigere. Auf dem Bescheid vom 09.09.2009 hat der ASt handschriftlich vermerkt, dass er die Auswechslung des zuständigen Sachbearbeiters verlange, weil dieser sich verfassungswidrig verhalte. Widersprüche gegen die Bescheide vom 03.07.2009 sowie 06.08.2009 sind nach Lage der Akten nicht zu verzeichnen.

Das SG hat mit Beschluss vom 13.10.2009 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig abgelehnt, weil dem ASt laufende Leistungen bewilligt worden seien. Absenkungsbescheide, die in den Regelungsgehalt dieser Leistungsbewilligung eingreifen, würden Gegenstand der laufenden Leistungsbewilligung, seien jedoch gesondert anzugreifen. Nachdem die Sanktionsbescheide jedoch mangels Erhebung von Widersprüchen bestandkräftig geworden seien, könne der ASt keine höheren Leistungen erhalten.

Gegen diesen Beschluss hat der ASt am 16.11.2009 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Nach Akteneinsicht durch den Bevollmächtigten des ASt (Übersendung an diesen am 26.11.2009) und Rücklauf der Akten am 29.12.2009 hat der ASt vortragen lassen, dass die Annahmeverweigerung der Bescheide bei verständiger Würdigung als Widerspruchseinlegung zu qualifizieren sei. Er habe die Bescheide zur Kenntnis genommen und mit Vermerken versehen. Zudem habe der Ag um sein Engagement gewusst, so dass die gesetzten Termine und vorgeschlagenen Angebote weder angemessen noch sachgerecht gewesen seien.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung zurecht abgelehnt.

Gegenstand des Verfahrens ist die Auszahlung ungekürzter Leistungen für den Zeitraum 01.08.2009 bis einschließlich 31.12.2009, denn der ASt hat weder die Leistungshöhe für Juli 2009 noch die ab Januar 2010 bemängelt.

Mit seinem Eilantrag vom 09.07.2009 hat der ASt geltend gemacht, dass Alg II in unveränderter Höhe weiter zu zahlen sei, nachdem der Ag über den Fortzahlungsantrag vom 01.07.2009 nicht entschieden habe. Diesem Anliegen hat der ASt nachfolgend mit Bescheid vom 06.08.2009 Rechnung getragen (Bewilligungszeitraum 01.07.2009 bis 30.06.2010) und die mit den Bescheiden vom 03.07.2009 und 22.07.2009 verfügten Kürzungen der Regelleistung in diesem Leistungsbescheid bereits umgesetzt. Darüber hinaus hat der Ag nachfolgend mit Bescheid vom 09.09.2009 weitergehend den Leistungsanspruch des ASt für den Zeitraum 01.10.2009 bis 31.12.2009 aufgehoben, so dass höhere Leistungen im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens durch eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Bezug auf den Bescheid vom 06.08.2009 in der Gestalt des Bescheides vom 09.09.2009 geltend zu machen wären. Damit stellt für die Frage, ob der Ag zur Erbringung ungekürzter Leistungen zu verpflichten ist, § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.

In diesem Zusammenhang ist nur inzident zu prüfen, ob die Leistungsabsenkung (für August und September 2009) bzw. die Aufhebung (für Oktober 2009 bis Dezember 2009) einer rechtlichen Prüfung standhalten kann, sofern Widersprüche gegen die Sanktionsbescheide (vom 03.0.2009, 22.07.2009 und 09.09.2009) erhoben worden sind. Eine gesonderte Prüfung (der Sanktionsbescheide) am Maßstab des § 86b Abs 1 Nr. 2 SGG ist nicht geboten.

Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller aaO, § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Unter Beachtung dieser Kriterien ist dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht zu entsprechen, denn ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

Es ist ständige Rechtsprechung des Senates (zuletzt Beschluss vom 05.01.2009, L 11 B 785/08 AS ER), dass für Leistungsansprüche, die allein für die Vergangenheit im Streit stehen, in aller Regel ein Anordnungsanspruch, d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht glaubhaft zu machen ist.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Dem Senat war eine Entscheidung vor Ablauf des 31.12.2009 jedoch nicht möglich, weil der Bevollmächtigte des ASt seine Beschwerde erst mit Schriftsatz vom 14.12.2009 begründet und die Akten an das Bayerischen Landessozialgericht am 29.12.2009 zurückgereicht hat.

Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn.27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und sich ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht.

Beides ist vorliegend nicht gegeben. Der ASt hat weder dargelegt, welche existenzielle Gefährdung durch eine Nachzahlung für vergangene Zeiträume beseitigt werden könnte oder beseitigt werden müsste, noch ist ersichtlich, dass der Leistungsanspruch des ASt offensichtlich bestehen würde. Insbesondere letzteres ist zweifelhaft, denn weder gegen die Sanktionsbescheide vom 03.07.2009 und 22.07.2009 noch gegen den umsetzenden Leistungsbescheid vom 06.08.2009 hat der ASt in nachvollziehbarer Weise Widerspruch eingelegt, so dass der Leistungsanspruch für die Zeit bis 30.09.2009 bestandskräftig festgestellt sein dürfte. Darüber hinaus ist auch nicht zu erkennen, ob der handschriftliche Vermerk des ASt auf dem Bescheid vom 09.09.2009 zweifelsfrei als Widerspruch zu werten ist. Dies wird der Ag gegebenenfalls noch zu prüfen haben. Im Ergebnis ist ein höherer Leistungsanspruch für den Zeitraum vom 01.08.2009 bis 31.12.2009 jedenfalls nicht offenkundig zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen des ASt.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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