L 2 KR 302/09 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 247/08
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 KR 302/09 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur hinreichenden Entschuldigung beim Fernbleiben eines mit Anordnung zum persönlichen Erscheining geladenen Klägers
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 24.06.2009 aufgehoben.



Gründe:


I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Auferlegung von Ordnungsgeld.

Im Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg zum Az.: S 12 KR 247/08 streiten die Beteiligten über die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers zur beklagten Krankenkasse bzw. über Beitragszahlungen. Am 06.05.2009 verfügte das Sozialgericht die Ladung zu einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage auf den 04.06.2009 9.00 Uhr in Augsburg. Hierzu ordnete es das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers an. Für die Ladung des Beschwerdeführers wurde das Formular 4213 verwendet, das sich nicht in den Akten befindet. Am 03.06.2009 ging um 15.01 Uhr ein Fax des Beschwerdeführers
beim Sozialgericht ein. Darin teilte dieser mit, er könne den Termin am nächsten Tag nicht wahrnehmen, da er erkrankt sei. Er leide an Schwindel, Kraftlosigkeit etc. und bitte, den Termin zu verlegen. Eine ärztliche Bescheinigung werde er nachreichen. Im Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstandes am 04.06.2009 erschien der Beschwerdeführer nicht. Auch für die Beklagte war niemand erschienen, da diese noch telefonisch informiert werden konnte. Die Vorsitzende der 12. Kammer erklärte zu Protokoll, sie erwarte ein aussagekräftiges Attest bis 09.06.2009 vor Erlass eines Ordnungsgeldbeschlusses gegen den Beschwerdeführer. Am 04.06.2009 ging per Fax die vom Facharzt für Allgemeinmedizin N. ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Darin wurde Arbeitsunfähigkeit vom 03.06. bis voraussichtlich 05.06.2009 attestiert. Der Diagnoseschlüssel entsprach einer Erkrankung an Ischialgie. Das Sozialgericht teilte dem Beschwerdeführer am 05.06.2009 mit, die von ihm vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belege nicht, dass er unfähig gewesen wäre, am Erörterungstermin vom 04.06.2009 teilzunehmen. Es werde deshalb nochmals Gelegenheit gegeben, bis spätestens 16.06.2009 ein aussagekräftiges Attest vorzulegen. Der Beschwerdeführer erwiderte am 08.06.2009, ihm sei lediglich mitgeteilt worden, dass er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen müsse, wenn er an dem Termin nicht teilnehmen könne. Dies habe er getan. Die weitere Anfrage des Sozialgerichts könne er nicht verstehen. Das Sozialgericht betonte nochmals, es sei ein aussagekräftiges ärztliches Attest vorzulegen. Dies versprach der Beschwerdeführer bis 22.06.2009 zu erledigen.

Weitere Unterlagen legte der Beschwerdeführer nicht vor. Mit Beschluss vom 24.06.2009 legte das Sozialgericht im Bürowege dem Beschwerdeführer Ordnungsgeld in Höhe von 200,00 EUR auf. Es führte aus, die Anhörung des Beschwerdeführers sei notwendig gewesen, um sein Klagebegehren feststellen zu können. Der Beschwerdeführer habe sein Nichterscheinen im Termin nicht genügend entschuldigt. Die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe nicht ausgereicht, um zu belegen, dass der Beschwerdeführer unfähig gewesen sei, zum Erörterungstermin zu erscheinen. Arbeitsunfähigkeit sei nicht gleichzusetzen mit Reiseunfähigkeit oder krankheitsbedingter Unfähigkeit zur Aussage im Termin. Die ärztliche Diagnose einer Ischialgie reiche nicht aus. Da der Kläger dem Gericht erst nach mehrfacher Erinnerung und unter Druck geantwortet habe, erscheine die Verhängung eines Ordnungsgeldes angezeigt, zumal das Fernbleiben Mehrarbeit verursacht habe. Der Ordnungsgeldbeschluss wurde dem Beschwerdeführer am 03.07.2009 zugestellt.

Gegen den Beschluss legte der Beschwerdeführer am 21.07.2009 Beschwerde ein. Er habe sich ordnungsgemäß entschuldigt und habe auch eine ärztliche Bescheinigung beigebracht. Im Übrigen lebe er seit Monaten auf Kosten seiner Familie, da er keine staatlichen Hilfen bekomme bzw. beantragen möchte. Zu einem auf den 05.08.2009 anberaumten Erörterungstermin war der Beschwerdeführer erschienen und hatte Angaben gemacht.

Das Sozialgericht legte die Beschwerde dem Bayerischen Landessozialgericht zur Entscheidung vor. Auf Veranlassung des Senats übersandte der Beschwerdeführer ein ärztliches Attest des Allgemeinmediziners N. vom 19.10.2009. Darin wird bescheinigt, der Beschwerdeführer habe sich am 03.06. und 04.06.2009 in dessen hausärztlicher Sprechstunde eingefunden. Aufgrund einer akuten Erkrankung sei der Beschwerdeführer nicht fahrtüchtig gewesen und habe somit auch nicht an der Gerichtsverhandlung teilnehmen können.

Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 24.06.2009 aufzuheben.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der beigezogenen Akten Bezug genommen.

II.

Die zulässige und ordnungsgemäße Beschwerde (§§ 172, 173 SGG) ist begründet und führt zur Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses des Sozialgerichts vom 24.06.2009.

Nach §§ 111, 202 SGG in Verbindung mit § 141 Zivilprozessordnung (ZPO) kann das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung angeordnet werden und derjenige, der der Anordnung nicht Folge leistet, mit Ordnungsgeld wie ein im Vernehmungstermin nicht erschienener Zeuge belegt werden. Ob der Vorsitzende eine solche Anordnung für erforderlich hält, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Kammer begründete in dem angefochtenen Ordnungsgeldbeschluss eingehend die Notwendigkeit, den Beschwerdeführer anzuhören, um die mündliche Verhandlung vor der gesamten Kammer vorbereiten zu können. Das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers konnte daher angeordnet werden. Unbestritten war der Beschwerdeführer im Termin vom 04.06.2009 nicht erschienen.

Die Voraussetzungen zur Verhängung eines Ordnungsgeldes gemäß § 111 SGG in Verbindung mit § 141 Abs.3 ZPO, der auf die Vorschriften der Zeugenvernehmung verweist, lagen damit vor. Nach § 380 ZPO sind einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten sowie ein Ordnungsgeld aufzuerlegen. § 381 ZPO nennt die Gründe, nach denen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben hat bzw. nachträglich aufzuheben ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte sein Ausbleiben genügend entschuldigen kann. Entschuldigt er sein Fernbleiben rechtzeitig, d.h. so rechtzeitig, dass der Termin aufgehoben und die übrigen Beteiligten hiervon noch unterrichtet werden können, so hat die Festsetzung eines Ordnungsmittels zu unterbleiben. Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so entfällt die Festsetzung eines Ordnungsmittels nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Betroffenen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft und die Entschuldigung hinreichend ist.

Was als Entschuldigung gilt, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen und unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls. Für die genügende Entschuldigung müssen Umstände vorliegen, die das Ausbleiben nicht als pflichtwidrig erscheinen lassen.

Im hier zu entscheidenden Streit kündigte der Beschwerdeführer sein krankheitsbedingtes Ausbleiben noch so rechtzeitig vor dem Termin an, dass offenbar die Beklagtenseite noch verständigt werden konnte und folglich auch nicht zum Termin erschienen war.

Anders als das Sozialgericht meint, erachtet der Senat die Entschuldigung des Beschwerdeführers für genügend. Aus dessen Sicht und unter Würdigung der Gesamtumstände erscheint sein Ausbleiben nicht als pflichtwidrig. Aus der ihm zugegangenen Ladung, die zwar in der Akte nicht enthalten ist, aber dem in der Sozialgerichtsbarkeit üblicherweise verwendeten Formulartext entspricht, konnte der Beschwerdeführer lediglich entnehmen, er müsse das Gericht von seinem Ausbleiben unverzüglich benachrichtigen, die Hinderungsgründe mitteilen und bei Erkrankung eine ärztliche Bescheinigung übersenden. Welchen Inhalt die Bescheinigung enthalten muss, damit sie als hinreichende Entschuldigung gelten kann, ist nicht weiter ausgeführt. Aus seiner subjektiven Sicht konnte der Beschwerdeführer davon ausgehen, dass die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausreichend sei. Offensichtlich war auch das Sozialgericht von einer ausreichenden Entschuldigung ausgegangen und hatte die Beklagtenseite informiert, dass ihr Erscheinen nicht notwendig sei. Damit hatte das Gericht bereits durch sein eigenes Handeln die Notwendigkeit geschaffen, dass ein weiterer Termin anberaumt werden musste.

Die Vorschrift des § 380 ZPO, auf den § 141 ZPO Bezug nimmt, bezweckt eine Achtung und Durchsetzbarkeit staatsbürgerlicher Ehrenpflichten, die einen Zeugen bzw., wie hier, einen zum persönlichen Erscheinen aufgeforderten Beteiligten treffen können. Keinesfalls dient die Vorschrift in erster Linie der Bestrafung, was bei der Auslegung der Vorschrift mit zu berücksichtigen ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.04.2000 - 13 W 23/00). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte erscheint das Verhalten des Klägers nicht als vorwerfbare Pflichtverletzung. Hinzu kommt, dass er im Beschwerdeverfahren eine ärztliche Bescheinigung seines Hausarztes vorgelegt hat. Er hat sich damit zumindest bemüht, den Anforderungen des Sozialgerichts zu entsprechen. Dabei kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob die im vorgenannten Attest bestätigte Fahruntüchtigkeit ausreicht, um Unzumutbarkeit an der Teilnahme eines Gerichtstermins zu begründen. Fahruntüchtigkeit bedeutet lediglich, dass der Beschwerdeführer selbst nicht in der Lage war, ein Kraftfahrzeug lenken zu können. Dass damit auch die Unmöglichkeit verknüpft gewesen sein soll, mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. mit Hilfe einer Begleitperson den Gerichtstermin wahrzunehmen, erscheint zumindest zweifelhaft. Schließlich war es dem Beschwerdeführer möglich, von seinem Wohnort aus die 21 km entfernte (Falk-Routen-planer) Praxis seines Hausarztes zu erreichen. In der Zusammenschau vermag der Senat jedoch kein dem Beschwerdeführer derart vorwerfbares Verhalten anzulasten, das die Verhängung von Ordnungsgeld rechtfertigt. Er kommt damit zum Ergebnis, dass der Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts vom 24.06.2009 aufzuheben war. Bei dieser Sachlage brauchte sich der Senat nicht mehr mit der Frage zu befassen, ob das ausgesprochene Ordnungsgeld der Höhe nach in Anbetracht der vom Beschwerdeführer geschilderten Einkommens- und Vermögensverhältnisse, angemessen war.

Da der Beschwerdeführer zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört, fallen Gerichtskosten nicht an. Einer Kostenerstattungsentscheidung bedurfte es nicht, da der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren nicht anwaltschaftlich vertreten war und daher keine weiteren Kosten anfallen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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